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Alt 03.09.2005, 14:35   #1
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253


Standard Aktion K.R.I.M.B.U.

Eine Satire, eine Zukunftsvision, geschrieben am 15.11.2003

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21.01.2005 - Es gibt einfach viel zu viel zu tun. Ich komme mit dem Berichte schreiben kaum noch nach und mir fallen bald die Finger ab. Wir hätten nie und nimmer mit so einem breiten Aufgabenspektrum gerechnet. Es ist noch nicht mal einen Monat her, als unser Bundeskanzler Gerhard Schröder, gelobt sei sein Name, die Organisation „Kein Rassismus im Bundestag" ins Leben gerufen hat, da fordert unsere Arbeit schon weit mehr Opfer als geplant.
Geplant war eigentlich „nur", sämtliche rassistischen, antisemitischen und rechtsradikalistischen Gedanken aus dem deutschen Bundestag und den Landtagen zu verbannen, aber wir hätten nicht erwartet, dass damit so ein riesiger Berg Arbeit auf uns zukommt. Die Rede unseres Bundeskanzlers, gelobt sei sein Name, die er in einem kleinen Zimmer an einem Tisch voller Männer hielt, die sich gegenseitig nicht kannten, hatte uns allen eine Gänsehaut bereitet. Nachdem er einige angsteinflössende Worte darüber verloren hatte, dass die Organisation KRIMBU streng geheim sei, er im Ernstfall jegliche Kenntnis von dessen Existenz abstreiten werde und was mit denen passieren würde, die auch nur ein Wort über das Gesehene und Gehörte verraten, erklärte er uns, was genau unsere Aufgabe sei. „Aus der deutschen Geschichte wissen wir," begann Schröder und lockerte dabei unauffällig seine Krawatte, „dass man rechtsradikale und dergleichen Tendenzen auf der psychischen Ebene nicht bekämpfen kann. Nach langer Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir diesen geschichtsträchtigen Fehler nicht wiederholen werden und es deshalb gar nicht erst versuchen werden. Wir werden dem rassistischem Gedankengut in unserem Bundestag daher gleich auf physischer Ebene begegnen. Das heißt im Klartext," und der Kanzler, gelobt sei sein Name, machte an dieser Stelle eine bedächtige Pause, „dass wir alle Personen, die die ebengenannten Tendenzen aufweisen und keinen Hehl daraus machen könnten, diese auch in der Öffentlichkeit kundzutun, augenblicklich...", noch eine Pause, aber deutlich kürzer als die erste, „...beseitigt werden müssen." Ein kurzes Raunen, eigentlich ein Zeichen der Verwunderung, ging durch unserer Runde, aber in unseren Gedanken mussten wir gestehen, dass er Recht hatte, wenn nicht vorher schon, dann spätestens nach der Ergreifenden Rede unseres Bundeskanzlers, gelobt sei sein Name.
Jeden einzelnen Punkt dieser Rede, die sich noch über fünfzehn Minuten hinzog, nahm er beim Wort und hielt sich auch daran. Bezugnehmend auf den Satz „Im Kampf gegen braunes Gedankengut müssen wir alle Opfer bringen, auch ich!" tauschte der Kanzler einige Politiker seiner Partei, deren Anzahl im Bundestag sowieso schon begrenzt war, gegen unsere besten Spitzel aus und hoffte insgeheim, dass die Äußerungen des CDU-Politikers Hohmann nur eine Ausnahme bildeten. Zu seinem und unserem Bedauern hoffte er vergebens. Schon neunzig Minuten nach Beginn der heutigen, der ersten „überwachten" Bundestagsdebatte, in der es ironischerweise um neue Einwanderungsgesetze ging, fanden wir unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Völlig unbewusst und vorurteilsfrei hatten wir einen Tag zuvor zur Kenntnis genommen, dass sich unter unseren Spionen auch eine Frau asiatischer Abstammung befand. Der Kanzler, gelobt sei sein Name, hatte uns in seiner unglaublichen Weißheit noch einmal darauf hingewiesen, doch wir schenkten dem keine besondere Bedeutung. Jetzt zahlte sich das aus. Während einer Pause bemerkte einer unsere Spitzel, wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU Friedrich März auf unsere asiatischstämmige Mitarbeiterin zeigte und seiner Kollegin Angela Merkel ins Ohr flüsterte: „Da siehst du, jetzt lässt der Schröder schon Fidschis in seine Partei rein."

22.01.2005 - Ich hatte die große „Ehre", unserem Bundeskanzler, gelobt sei sein Name, die Nachricht vom mehr als zweifelhaften Erfolg unserer Überwachungsaktion zu überbringen. Der Kanzler reagierte sichtlich enttäuscht, aber mit Fassung. Er lies sich schwer atmend in seinen Sessel zurückfallen und schloss die Augen, um kurz nachzudenken, wobei er immer wieder vor sich hinmurmelte „März... März?" Dann öffnete er sie wieder, setzte sich senkrecht in seine Stuhl, faltete die Hände vor sich auf dem Schreibtisch und blickte zu mir auf. „Nun, dann ist es also so weit." Sagte er und dabei wirkte er so bedrückt, wie ich es bei ihm noch nie zuvor gesehen hatte. Ich traute mich nicht, diese andächtige Stille zu durchbrechen und nickte deshalb nur kurz. Schröder schien sich wieder gefasst zu haben und fragte in einem viel selbstbewussterem und fast schon bestimmenden Ton „Sie wissen was zu tun ist?" „Jawohl Herr Kanzler!" gab ich sofort zur Antwort und wollte ihm mit meinem sofortigem Abgang zu verstehen geben, dass ich keine Zeit verlieren wollte. „Und keine Fehler!" rief er mir noch hinterher.

03.02.2005 - Drei Tage ist es nun schon her, und noch immer füllt der Tod, der tragische Unfalltod von Friedrich März die Titelblätter der Zeitungen. Das Bild, auf welchem März mit blutenden Schläfen und ins Leere blickenden Augen am Steuer seines schrottreifen Autos sitzt, ziert nun schon zum dritten Mal die Titelseite der BILD. Nach seinem Ableben sprießen die Gerüchte über März wie Pilz aus dem Boden, aber das war bei einer Person wie ihm nicht anders zu Erwarten. Drogenmafia, Schuldenberge, Homosexualität, das Übliche eben. Genau wie damals bei Möllemann, aber damit haben wir nichts zu tun.
Die Trauerfeier war rührend, der Kanzler sprach einige herzzerreißende Worte darüber, dass das Schicksal keinen Unterschied zwischen einem armen Bettler oder einem hochrangigem Politiker macht. Und wenn der gepanzerte Wagen nicht seinem, sondern dem Fahrzeug hinter ihm die Vorfahrt genommen hätte, dann würde sich jetzt an dieser Stelle eine andere Trauergemeinde versammeln (und wir wären alle unseren Job los). „Vor Gott und vor dem Gesetz sind wir alle gleich." Beendete er seine Rede und die hinterlies ein Schweigen, dass nur von den Schluchztlauten der Familie von März durchbrochen wird, die in der Kirche widerhallen. Gerne hätten wir uns vor seine Angehörigen hingestellt und gesagt „Der alte Friedrich war selbst schuld!", aber dann erinnerten wir uns an die warnenden Worte des Kanzlers, gelobt sei sein Name.

17.04.2005 - Mittlerweile stört uns das Töten nicht weiter und auch die Gewissenbisse, die wir anfänglich beim Anblick der trauernden Familienmitglieder bekam, verflog schnell wieder. Der Bundeskanzler, gelobt sei sein Name, hat sich sogar eine Art schwarzen Humor angeeignet. Als wir uns am 29.03.2005 der vielbelachten Angela Merkel entledigen mussten (sie hatte sehr stark auf ihren türkischen Friseur geflucht), konnte sich der Kanzler ein leises Kichern nicht verkneifen. „Endlich sind wir diese Schnalle los." sagte er, während er schwungvoll ihr Todesurteil unterzeichnete. Wir machten uns einen Heidenspaß daraus, sie einzufangen und mittels Hypnose dazu zu bewegen, den Reichstag hinaufzuklettern und (wurde Live im Fernsehen übertragen) sich hinunterzustürzen. Der Fleck ist heute noch zu sehen.
Wir betrachten unsere Arbeit nicht als verwerflich, aber auf der anderen Seite ist es auch kein Job wie jeder andere. Wir kämpfen gegen die Verantwortungslosigkeit der Politiker, die mit ihren rassistischen Äußerungen eine Funktion als Vorbild für die heranwachsende Generation unmöglich machen. Wir arbeiten für den guten Ruf unseres geliebten Vaterlandes in der ganzen Welt und der Kanzler zählt auf uns.

06.05.2005 - Heute war die Stimmung in unserem geheimen Hauptquartier unter dem Fernsehturm etwas getrübt. Der Kanzler, gelobt sei sein Name, hatte sichtlich schlechte Laune, denn wir hatten ein Mitglied seiner eigenen Partei als Rassisten enttarnt, den SPD Politiker Hans-Ulrich Klose. Lange schritt Schröder in seinem Büro auf und ab, während ich mit verschränkten Armen vor seinem Schreibtisch stand. Man konnte nichts machen, der Satz „Es gibt keine ordentliche deutsche Bockwurst mehr in dieser Stadt, nur noch diesen Scheiß-türkischen Dönerfraß!" war eindeutig. Nach langem Überlegen reichte er mir den Bericht ununterschrieben wieder zurück. „Warten sie mit dem noch ein Stück," sagte er, „der schuldet mir noch fünfzig Euro!"

11.05.2005 - Die Luft in unseren Büros wird elektrisch immer mehr aufgeladen. Der Stress der letzen Monate ist uns wahrscheinlich immer mehr zu Kopf gestiegen. Der Kanzler, gelobt sei sein Name, hält sich nur noch selten in unseren Büros auf, um der aufgeregten Menge mit seiner Autorität die Ruhe zu vermitteln, die er selbst ausstrahlt und die wir alle bitter nötig hätten
Heute hatten wir eine Versammlung und Karl Jensen, der Mann, den der Kanzler vom M.A.D. zu uns geholt hatte, weil er ihn für einen kompetenten und routinierten Mann hielt, kam nicht pünktlich. Nach fünfzehn Minuten erschien er atemlos in unserer Tür und entschuldigte sich mit den Worten „Tut mir Leid, aber mein Skodá, diese alte Scheiß-Tschechenkiste ist irgendwie nicht angesprungen..." Atemlose Stille herrschte von einem Moment auf den nächsten und alle Augen waren plötzlich vorwurfsvoll auf Jensen gerichtet. Als er realisierte, was er da gerade gesagt hatte, war er schon mit einem Bein wieder aus unseren Büros, doch wir bekamen ihn zu fassen, fesselten ihn an einen Stuhl und überlegten, was wir mit ihm tun sollten. Er kannte alle unsere Tricks, also mussten wir selbst Hand an ihn legen, als unser Bundeskanzler, gelobt sei sein Name, sichtlich irritiert ob der vorliegenden Situation die Büros betrat. Nachdem wir ihm erklärten, was passiert war, schüttelte der Kanzler bedächtig sein Haupt und fragte, kaum hörbar „Warum nur? Warum?"

30.05.2005 - Gespannt verfolgten wir die Gerichtsverhandlung. Die Jury hatte Jensen schon für schuldig des Mordes an einer Prostituierten, jetzt warteten wir auf das Urteil. „Gut dass ich meine Beziehungen zu dem alten George W. noch ein bisschen aufpoliert habe, man weiß ja nie, wann man mal die Hilfe eines Staates brauchen kann, in dem es die Todesstrafe noch gibt." Sagte der Kanzler, gelobt sei sein Name. Der Richter erhob sich und sprach mit einem englischem Akzent, den niemand von uns zu verstehen vermochte, das Urteil. Die Untertitel waren uns eine sehr große Hilfe. „Ich verurteile sie wegen Mordes an der 24-Jährigen Donna March zum Tod durch die Giftspritze." Niemand wagte es zu jubeln, doch Genugtuung breitete sich unter uns aus. Wir auch immer Präsident Bush das hingebogen hatte, es hatte perfekt funktioniert. Das war Völkerverständigung.

02.06.2005 - Wir sind gescheitert. Gestern Abend beobachteten unsere Spitzel in Begleitung einer vom Staat bezahlten Lippenleserin, wie der türkischstämmige deutsche Abgeordnete Cem Özdemir in einem Café in der Nähe des Berliner Alexanderplatz saß und einem Bekannten hinter vorgehaltener Hand einen Satz zuflüsterte, den wir hier im O-Ton wiedergeben möchten: „Türkische Frauen sind unheimlich schön - bis sie zum ersten Mal zum Friseur gehen." Wir wissen nicht, was wir jetzt tun sollen, den wenn wir uns tatsächlich entschließen sollten, Özdemir aus dem Weg zu räumen, würden wir somit gegen unsere eigenen Prinzipien verstoßen. Die Beratungssitzung über diese heikle Situation dauerte drei Stunden und endete in einem Blutbad. Nachdem nur vier der einstmals zwölf Mitglieder des hohen KRIMBU-Rates noch am Leben sind, hat der Bundeskanzler mit sofortiger Wirkung beschlossen, dass dieser Geheimbund nach nur sechs Monaten Existenz aufgelöst wird und sämtliche Akten und Dokumente, die im Laufe dieses halben Jahres erstellt wurden, unverzüglich zu vernichten sind. Bedauerlicherweise wurden während der Amtszeit von KRIMBU sechsunddreißig zum Teil hochrangige Politiker getötet und niemand sieht sich imstande, das rückgängig zu machen. Wir bedauern diese Tatsache außerordentlich und wie schon so oft in der Geschichte unseres stolzen Heimatlandes müssen wir lernen, dass sich Konflikte nicht mit Gewalt lösen lassen.
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