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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 10.02.2022, 12:49   #1
männlich Walther
 
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Dabei seit: 03/2013
Beiträge: 1.874

Standard Frage. Stellung.

Frage. Stellung.

Die Frage, die man stellt, ist nicht: Wer war’s.
Man fragt: Wer hätte es verhindern können.
Und du, Mensch, darfst dir deine Ausflucht gönnen.
Ist erst die Erde öd und leer, ist Mars

Ihr Name, kocht sie über, Venus. Klar
Wird diese Scheibe nicht mehr. Sie bleibt blind.
Sonst sähe man, wer wir gewesen sind.
Was man nicht sieht, das ist nicht wirklich wahr.

Wie wär’s, wenn diese Tropfen hier gerönnen,
Die du mit Blut geschrieben hast: Dein Wort
Gilt nichts. Denn wenn die Kains den Kampf gewönnen,

Wär dieser Ort ein andrer, böser, Ort:
Die Frage stellt dir heut ein heißer Wind,
Die leere Straße und ein totes Kind.
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Alt 12.02.2022, 02:01   #2
männlich Ex-Tristanhirte
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Beiträge: 139

Hi Walther,

das mag jetzt vielleicht etwas eigentümlich anmuten, aber als Poe-Fan musste ich beim Lesen dieser Zeilen irgendwie an Poes berühmtes Zitat denken: "The death of a beautiful woman is, unquestionably, the most poetical topic in the world". Nun gut, du thematisiert nun die Aluhütler (sofern ich das richtig verstehe), also einen alles andere als auch nur irgendwie romantisch, geschweige denn poetisch anmutenden Topos - dafür finde ich das aber umso gelungener, von der eigentlichen Plumpheit dieser Thematik kommt wirklich nichts rüber, sondern wurde stattdessen durch kontraststarke und dabei trotzdem fließend ineinander übergehende Metaphern ersetzt. Auch die Aufteilung der ersten beiden Quartette in 3+3+2 ist sehr spannend. Einzig der metaphorische Sprung von S1V3 zu S1V4 könnte verglichen mit dem Folgenden vielleicht etwas sprunghaft, oder unvorbereitet wirken - da es sich aber um das erste wirklich exponierte Bild fernab vom Menschen handelt, fällt es denke ich kaum ins Gewicht. Hätt ich also auch unerwähnt lassen können, aber mich würd mal die Meinung vom Profi interessieren :P. Ansonsten für mich aber ein Fav, da steckt denke ich sehr viel Phantasie, Kunstfertigkeit und Abstraktionsvermögen hinter.

LG
Ex-Tristanhirte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.02.2022, 04:08   #3
männlich Krebsgestoeber
 
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Alter: 31
Beiträge: 313

Zitat:
Zitat von Tristanhirte Beitrag anzeigen
Nun gut, du thematisiert nun die Aluhütler (sofern ich das richtig verstehe)
Ich lese es anders: Es geht um die Frage, wem die Verantwortung (oder auch die Schuld) für eine zerstörte Welt zugerechnet werden kann, sofern von den Verantwortlichen keine Spur mehr ist.

Egal, wie das Anthropozän die Erde hinterlässt - der Mensch ist fein raus.

Das Konzept der Verantwortung gibt es nicht mehr, wenn niemand mehr existiert, der an sie appelliert, sie zuteilt oder sie übernimmt, außer eben ein heißer Wind, leere Straßen und ein totes Kind. Die letzten beiden Verse sind jedenfalls ein vorbildliches Beispiel für sinnvoll eingesetzte Personifizierungen, die nicht bloß der Effekthascherei dienen.

Ob dieses Sonett eine ernst gemeinte Prognose, eine Aluhut-Phantasie oder ein philosophisches Gedankenexperiment ist, wird nur Walther wissen.

Gern gelesen und kommentiert!
KG
Krebsgestoeber ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.02.2022, 10:14   #4
männlich Ex-Tristanhirte
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Dabei seit: 12/2021
Beiträge: 139

Die allgemeinere Perspektive ist sicherlich immer die vernünftigere, danke für den Nachtrag. Um meinen Punkt also überhaupt mal etwas auszuführen: Ich habe die Aluthut- / Verschwörungstheoretikerthese (Ich verwende die Begriffe hier mal synonym) vor allem an S1V3 bis S2V4 festgemacht, in der denke ich die für diese Gruppe typische reaktionäre, auf den eigenen Mikrokosmos beschränkte Denkart mit deren hartnäckig sich haltenden Hirngespinsten, etwa die Erdscheibe, sowie deren Denkmuster - vgl S2V4: erinnert denke ich sehr an die Impf- bzw. an die Anfänge der Existenzdebatte von Corona (hätte ich nicht derart wörtlich genommen, wenn die Verse davor nicht schon in eine ähnliche Richtung zielten) - anschaulich nachgezeichnet werden. Wie du aber zum Ende schon andeutest, stellt sich auch bei den Aluhütlern natürlich immer die Frage nach Verantwortung gegenüber sich selbst und der Gesellschaft, über deren Auswirkungen am Ende spekuliert wird. Womöglich deckt es beides und noch mehr ab, es ist ja durchaus vielschichtig. Ich würde es mir zur näheren Erschließung dann aber noch ein paar Mal in Ruhe durchlesen müssen
Ex-Tristanhirte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.02.2022, 15:26   #5
männlich Walther
 
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Beiträge: 1.874

Zitat:
Zitat von Tristanhirte Beitrag anzeigen
Hi Walther,

das mag jetzt vielleicht etwas eigentümlich anmuten, aber als Poe-Fan musste ich beim Lesen dieser Zeilen irgendwie an Poes berühmtes Zitat denken: "The death of a beautiful woman is, unquestionably, the most poetical topic in the world". Nun gut, du thematisiert nun die Aluhütler (sofern ich das richtig verstehe), also einen alles andere als auch nur irgendwie romantisch, geschweige denn poetisch anmutenden Topos - dafür finde ich das aber umso gelungener, von der eigentlichen Plumpheit dieser Thematik kommt wirklich nichts rüber, sondern wurde stattdessen durch kontraststarke und dabei trotzdem fließend ineinander übergehende Metaphern ersetzt. Auch die Aufteilung der ersten beiden Quartette in 3+3+2 ist sehr spannend. Einzig der metaphorische Sprung von S1V3 zu S1V4 könnte verglichen mit dem Folgenden vielleicht etwas sprunghaft, oder unvorbereitet wirken - da es sich aber um das erste wirklich exponierte Bild fernab vom Menschen handelt, fällt es denke ich kaum ins Gewicht. Hätt ich also auch unerwähnt lassen können, aber mich würd mal die Meinung vom Profi interessieren :P. Ansonsten für mich aber ein Fav, da steckt denke ich sehr viel Phantasie, Kunstfertigkeit und Abstraktionsvermögen hinter.

LG

Zitat:
Zitat von Krebsgestoeber Beitrag anzeigen
Ich lese es anders: Es geht um die Frage, wem die Verantwortung (oder auch die Schuld) für eine zerstörte Welt zugerechnet werden kann, sofern von den Verantwortlichen keine Spur mehr ist.

Egal, wie das Anthropozän die Erde hinterlässt - der Mensch ist fein raus.

Das Konzept der Verantwortung gibt es nicht mehr, wenn niemand mehr existiert, der an sie appelliert, sie zuteilt oder sie übernimmt, außer eben ein heißer Wind, leere Straßen und ein totes Kind. Die letzten beiden Verse sind jedenfalls ein vorbildliches Beispiel für sinnvoll eingesetzte Personifizierungen, die nicht bloß der Effekthascherei dienen.

Ob dieses Sonett eine ernst gemeinte Prognose, eine Aluhut-Phantasie oder ein philosophisches Gedankenexperiment ist, wird nur Walther wissen.

Gern gelesen und kommentiert!
KG
Zitat:
Zitat von Tristanhirte Beitrag anzeigen
Die allgemeinere Perspektive ist sicherlich immer die vernünftigere, danke für den Nachtrag. Um meinen Punkt also überhaupt mal etwas auszuführen: Ich habe die Aluthut- / Verschwörungstheoretikerthese (Ich verwende die Begriffe hier mal synonym) vor allem an S1V3 bis S2V4 festgemacht, in der denke ich die für diese Gruppe typische reaktionäre, auf den eigenen Mikrokosmos beschränkte Denkart mit deren hartnäckig sich haltenden Hirngespinsten, etwa die Erdscheibe, sowie deren Denkmuster - vgl S2V4: erinnert denke ich sehr an die Impf- bzw. an die Anfänge der Existenzdebatte von Corona (hätte ich nicht derart wörtlich genommen, wenn die Verse davor nicht schon in eine ähnliche Richtung zielten) - anschaulich nachgezeichnet werden. Wie du aber zum Ende schon andeutest, stellt sich auch bei den Aluhütlern natürlich immer die Frage nach Verantwortung gegenüber sich selbst und der Gesellschaft, über deren Auswirkungen am Ende spekuliert wird. Womöglich deckt es beides und noch mehr ab, es ist ja durchaus vielschichtig. Ich würde es mir zur näheren Erschließung dann aber noch ein paar Mal in Ruhe durchlesen müssen
Hi Tristanhirte und Krebsgestoeber,
danke fürs lesen und tiefgreifend debattieren. da meine poetik eh auf signposting angelegt ist, der leser also das werk vollendet, ist eine inhaltliche positionierung meinerseits eher perspektivenverengend. ich bitte um nachsicht, dass ich das daher nicht mache. die angeregten assoziationen stehen für sich. beide sind zulässig.
die harten wechsel liegen in der thetisch-antithetisch architekur des sonetts als lern- und lehrgedicht. radikale wechsel von sichtweisen sind im diskurs erlaubt. s3 (das erste terzett) schafft den übergang zur quintessenz.
ich verwende gern und oft elemente der textcollage. anklänge zu bekannten formulierungen aus liedern, literatur, Bibel, sprichwörtern, gedichten, theaterstücken, libretti sind programm. ich erlaube mir dabei, sie zu verfremden oder interessant zu verküpfen, wie man das nicht erwarten würde.
lg W.
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