Gefallsucht

[Windhauch]

Um zu gefallen
verstelle dich nur
und schon bald wirst Du
auf der Bühne des Lebens
eine Rolle spielen
die nicht die Deine ist

[Ilka-Maria]

Zitat von Windhauch

und schon bald wirst Du
auf der Bühne des Lebens
eine Rolle spielen
die nicht die Deine ist

Wir spielen alle Rollen - also nicht eine, sondern viele verschiedene -, und zwar nicht um zu gefallen, sondern weil das Leben und der Umgang mit anderen Menschen es erfordert. Im Büro mag ich eine schüchterne, mausgraue Tippse sein, in der Nachbarschaft eine geschwätzige Plaudertasche, im Haushalt ein Ordnungsdrache, aber das Innere meines Autos mag aussehen wie nach einem Bombenangriff, und bei der Erziehung meiner Kinder wechsele ich zwischen Diktator und Mutter Theresa. Ich pflege also Bedürfnisse, indem ich mir Gewohnheiten anmaße, von denen ich weiß, dass sie NICHT gefallen.

Das langweiligste, was ein Mensch verkörpern kann, ist Authentizität oder was immer das sein mag. Ein Romanschreiber könnte mit solchen gleichförmigen Figuren nichts anfangen, und wenn er sich dennoch auf sie einließe, interessierte sich wohl kaum ein Leser für sie. Je widersprüchlicher und gebrochener eine Figur ist, desto mehr fasziniert sie. Es ist der Beweis, dass in ihr Entwicklungspotential steckt.

Gefallsucht ist für Narzissten, die sich gar keine Mühe geben, zu gefallen; denn sie sind sowieso davon überzeugt, ganz tolle Typen zu sein. Ihr Werkzeug ist nicht, sich Herauszuputzen oder anderen Menschen nach dem Mund zu reden, sondern sie zu manipulieren. Der wichtigste Komplize für Gefallsüchtige ist der Spiegel: Wer ist am schönsten im ganzen Land ...

Und noch ein Zitat von Lisa Eckhart: "Wer keine Rolle spielt, spielt keine Rolle."

Was heißt eigentlich "die nicht die deine ist"? Wessen denn sonst? Wenn ich in den Charakter der Sissi von Österreich schlüpfe, bin ich nicht Sissi, sondern spiele sie, und dann ist sie meine Rolle, nicht diejenige von sonst jemandem. Wenn jemand anders die Sissi spielt, ist sie deren Rolle und eine andere Interpretation, nicht meine und nicht diejenige von sonst jemandem. Davon lebt die ganze Theater- und Kinozunft. Rollen zu verkörpern ist keine Verstellung, sondern Spiel, das mit Erfahrungen einhergeht, die wertvolle Erkenntnisse mit sich bringen können. Deshalb spielen Kinder Indianer und Cowboy, Kapitän und Pirat, Feuerwehrmann und Krankenschwester, Gangster und Polizist, Lokführer und Taucher, Vater und Mutter.

LG
Ilka

[Windhauch]

Liebe Ilka-Maria,
Danke für Deine ausführliche Textinterpretation.

Ich stimme Dir zu, mit folgenden Zusatz:

Mir aber gefallen widersprüchliche Gedichte
denn sie scheinen zum Nachdenken anzuregen
es wird schon einige Menschen geben, die so rational lesen wie Du
andere wiederum überlesen milde etwaige Unstimmigkeiten
da überwiegen eher die Gefühle oder das Thema an sich

Darf ich schließen, mit den vorletzten Worten von Kaiser Augustus:
"Habe ich meine Rolle gut gespielt?
Nun so klatscht Beifall, und schickt uns alle freudig fort!"
Viele Grüße Andreas

[Ilka-Maria]

Zitat von Windhauch

andere wiederum überlesen milde etwaige Unstimmigkeiten da überwiegen eher die Gefühle oder das Thema an sich

Kein Mensch handelt nur aus Ratio, die Gefühle überwiegen in den meisten Fällen, ansonsten wäre die Menschheit längst ausgestorben. Auch Störgefühle, wie sie sich bei Unstimmigkeiten unweigerlich einstellen, sind Gefühle.

[DieSilbermöwe]

Zitat von Windhauch

Um zu gefallen
verstelle dich nur
und schon bald wirst Du
auf der Bühne des Lebens
eine Rolle spielen
die nicht die Deine ist

Hallo Windhauch,

ich stimme dir zu. Es bringt gar nichts, sich zu verstellen, das macht nur die andern glücklich. Wenn ich eine Rolle spiele, beispielsweise die geschwätzige Nachbarin, weil die anderen eben auch schwatzen, obwohl mir der Sinn gar nicht danach steht, was hab ich davon? Dann sind die anderen zufrieden, aber ich nicht.

Und außerdem ist es sehr erschöpfend, sich so zu geben wie man nicht ist.

Da bleib ich doch lieber authentisch, auch wenn dann niemand einen Roman über mich schreiben wird.

LG DieSilbermöwe