Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Philosophisches und Nachdenkliches

Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 25.08.2012, 18:49   #1
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
Dabei seit: 03/2012
Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747

Standard Nacht und Nebel

Nacht und Nebel

Nacht und Nebel.
Ein Begriff aus Jugendtagen,
als er noch mit Tat gefüllt,
mit Kampf und Abenteuer
und heimlicher Gefahr.
Bis Fessel der Natur samt Knebel
hemmten mich, den Kampf zu wagen,
ein kleines Kind, in Decken eingehüllt,
bezwang in mir das Ungeheuer
noch im ersten Lebensjahr.

Vergangen und vorbei.
Die Zeit ist gnadenlos,
mag sie auch Wunden heilen,
so raubt sie doch Erinnerung
und löscht die Spuren der Gezeiten.
Wir sind in ihr gefangen- sie allein bleibt frei,
sind Erde nur und Staub aus ird’nem Mutterschoß,
die ohne Rast und ohne Ziel durchs Dasein eilen,
beharren stur auf unserer Berechtigung
und lassen uns zur Dummheit gern verleiten.

Doch heute ist die Nacht von andrer Art.
Der dicke Nebel birgt nicht mehr,
denn selbst sind wir in unsren Seelenkammern
mit Nacht und Nebel ausgefüllt,
so dass das Außen unserm Innern gleicht.
Und was geblieben aus der Kindheit zart
macht keinen Deut mehr her,
ist festgezurrt mit uns'res Geistes Klammern,
vermummt und hinter Schleiern tief verhüllt,
wo es nur allzu selten unser Herz erreicht.


08
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.08.2012, 07:29   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Bei mir stellt sich angesichts des Titels nur Grausen ein.

http://de.wikipedia.org/wiki/Nacht-und-Nebel-Erlass

Der Text hätte Lob von mir verdient.
Nicht übelnehmen!


LG
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.08.2012, 07:48   #3
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
Dabei seit: 03/2012
Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747

Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Bei mir stellt sich angesichts des Titels nur Grausen ein. Nicht übelnehmen!
Wieso übelnehmen? Man trägt eben so seine Assoziationen mit sich rum, dagegen kommste nicht an.
Und so gesehen ist Dein Grausen nur allzu logisch.

Nacht und Nebel Aktion. So hieß seinerzeit zum Beispiel das Anbringen unmissverständlicher Schriftzüge an die gut sichtbaren Wände entsprechender Gebäudekomplexe, und damals konnte einem sowas tatsächlich eine Gefängnisstrafe bescheren, bis zu fünf Jahre genau gesagt, je nachdem, was da so an Unfug geschrieben stand.

War also durchaus nicht ganz ungefährlich, überaus spannend und hat ganz nebenbei höllischen Spass gemacht.

Aber ich denke, Du hast das schon verstanden.

Nachtundnebelfreien Sonntag!
Desperado
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.08.2012, 07:59   #4
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.112

Eigenwilliges Reim-Schema, liest sich aber sehr flüssig und melodisch, wenn auch recht düster. Finde ich von dem, was ich bisher von Dir gelesen habe, für mich persönlich am besten.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.08.2012, 15:42   #5
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
Dabei seit: 03/2012
Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747

Danke, Ilka-Maria, das freut mich.

Ursprünglich ging's noch weiter wie folgt:

Ich will im sich’ren Schutz des Hauses bleiben,
so wie die Katze faul auf ihrem Lager ruht,
will ich es tun, entspannt und ohne Sorge,
Behaglichkeit und Wonne soll’n mich tragen
durch diese sonnenmilden Sommertage.
Wozu soll ich da draußen mich am Leben reiben,
denn was herauskommt, ist nur selten gut,
was aber hindert mich daran, dass ich mir stille Zeiten borge,
versonnen lächle statt zu klagen,
die Kunst des Müßiggangs mit vollem Einsatz wage.

Wer rastet rostet, so behaupten sie,
und Stillstand sei das Gegenteil von Leben,
Bewegung sei das wahre Wesen aller Dinge,
so lehren sie und wollen mich dazu bekehren,
dass ich das Hinterteil erhebe und von dannen eile.
Den alten stummen Stein jedoch missachten sie,
der schon seit langem überdauert Wandel hier und Streben
und wissend zählt der Eichen Jahresringe,
um über aller Flüchtigkeit die Dauerhaftigkeit zu lehren,
drum bleibe ich auf seinem festen Grund noch eine Weile.


Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.08.2012, 16:20   #6
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Gut!
Im Vergleich zu so manchem kläglichen Gestammel hier im Forum, das sich "Gedicht" nennt.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.08.2012, 18:34   #7
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.112

Zitat:
Zitat von Desperado Beitrag anzeigen
Wer rastet rostet, so behaupten sie,
und Stillstand sei das Gegenteil von Leben,
Bewegung sei das wahre Wesen aller Dinge,
so lehren sie und wollen mich dazu bekehren,
dass ich das Hinterteil erhebe und von dannen eile.
Den alten stummen Stein jedoch missachten sie,
der schon seit langem überdauert Wandel hier und Streben
und wissend zählt der Eichen Jahresringe,
um über aller Flüchtigkeit die Dauerhaftigkeit zu lehren,
drum bleibe ich auf seinem festen Grund noch eine Weile.
Oh, Mann - das ist richtig gut! Das läuft mir runter wie Öl in dieser Welt, in der man versucht, jedem Menschen vorzuschreiben wie er zu leben hat: Sport am Morgen, Mittag, Abend - bloß nichts Falsches essen - hier nicht zuwenig, dort nicht zuviel - und vor allem von verruchten Dingen die Finger lassen, und ganz nebenbei das Elend der Welt zur Seite schieben.

Ja, gäbe das Leben dann noch Freude?

Tolle Dichtung!

Eigentlich lebe ich genau nach dem Motto, das Du hier beschreibst.

LG
Ilka
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.08.2012, 06:34   #8
weiblich Ex-Nitribitto
abgemeldet
 
Dabei seit: 08/2011
Ort: Berlin
Beiträge: 407

Standard Nacht und Nebel

@Desperado,

mir gefällt das Gedicht. Es geht in die Zeit zurück, als man glaubte, man könne mit aufsehenerrregenden Aktionen die Welt aufrütteln. Verständlich, weil es sich um sehr junge Menschen handelte, die vielleicht keine andere Möglichkeit sahen, ihren Protest gegen gesellschaftliche Zustände auszudrücken. Aber wie alle Revoluzzer, so hat auch dein LI zurück aufs heimische Sofa gefunden, und heute denkt es zwar mit Sehnsucht, aber auch mit leisem Kopfschütteln an diese Zeit zurück, seinen persönlichen Sturm und Drang.

Es ist ein langes Gedicht mit mehreren 8-Zeilen-Strophen, eher eine Erzählung, vielleicht sogar Ballade. Ein paar metrische Hopser haben sich eingeschlichen, nun, das lässt sich ausbessern.

Ich finde das Gedicht interessant, ich habe es sehr gern gelesen.

Nitribitto
Ex-Nitribitto ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.08.2012, 11:04   #9
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
Dabei seit: 03/2012
Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747

Zitat:
Zitat von Nitribitto Beitrag anzeigen
Verständlich, weil es sich um sehr junge Menschen handelte...
Danke für Deine intensive Beschäftigung mit meinem Stimmungsbild.

Aber historisch ist der vorbelastete Begriff Nacht und Nebel keineswegs von den Studenten der 68er Bewegung quasi "unreflektiert" übernommen worden, sondern mindestens fünfzehn Jahre davor sehr bewusst und gezielt von den kriegsheimkehrenden und unter dem Naziterror politisch verfolgten Sozialisten, Sozialdemokraten und Mitbegründern der damals wirklich noch roten SPD benutzt, um etwa ihre nächtlichen -weil keineswegs ungefährlichen- Wahlplakatsklebe-Aktionen so zu umschreiben, als provokatives Signal gegen das propagierte Vergessen und von oberster Stelle angeordnete Totschweigen- etwa im Schulunterricht.

Wenn ich denn wirklich melancholische und in der Vergangenheit versunkene Erinnerungen mit mir rumtrage, aus der Zeit eines sinnigerweise tiefschwarzen Nachkriegsdeutschland, dann ist es mein Einsatz bei derlei Nacht und Nebel Aktionen im Kindesalter, da ich Löcher in Stacheldrahtzäune schneiden durfte und über Werkstore klettern, um die SPD-Plakate gut sichtbar an Schuppen und Betriebshallen entlang der Berufsweg- und Hauptverkehrsstrassen anzubringen, während die Genossen und mein Pa im abgedunkelten VW-Käfer Wache schoben.

Machte nicht nur Heidenspass, sondern mich auch stolz wie Oskar.

Durchaus solidarischen wenn auch "politverdrossenen" Gruß!
Desperado
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Nacht und Nebel



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Nebel Twiddyfix Gefühlte Momente und Emotionen 3 14.08.2012 19:30
An den Nebel Thing Lebensalltag, Natur und Universum 10 05.12.2011 10:24
Nebel Thing Tanka-, Haiku- & Senryu-Gedichte 8 21.11.2010 13:38
Nebel Aurora Düstere Welten und Abgründiges 0 24.04.2010 19:24
Nebel Kaluphain Düstere Welten und Abgründiges 0 18.10.2006 20:16


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.