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Alt 03.09.2017, 11:58   #1
männlich Hart bitter
 
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Standard Erbert die Blase

Erbert die Blase hätte sich nicht vorstellen können, dass er jemals einen Menschen wie Dr. Tracy Porter von Middleshire kennen lernen würde. Zugegeben dachte er dies bei jeder frischen Bekanntschaft die er schloss, und in Gegenwart jener Persönlichkeit ganz im speziellen. Dr. Tracy Porter von Middleshire,war ihrem Namen entsprechend hoch gewachsen. Das Alter, welches sie hinter sich her trug zeichnete deutliche Falten auf ihre Haut während ihr schlankes, eingefallenes Gesicht, mit beinahe routinierten Augen auf Erbert hinunter schaute. Nur wenige Menschen wussten um den Umstand, das ihr Beiname Middleshire eine reine Erfindung ihrer selbst war. Erbert jedoch wusste es. Denn ohne untertreiben zu müssen, konnte er von sich behaupten das er, Erbert I. Tibbon den renommiertesten Experten auf dem Gebiet der Ahnenforschung darstellte. Dem entsprechend war es ihm ein leichtes gewesen, die Erbfolge der ehemaligen Grafschaft Middleshire, vom Beginn der ersten Erwähnung im bewegten Jahre 704, bis zu ihrem lautlosen Verschwinden in den 70er Jahren, mit Sicherheit, selbst im Zustand morgendlicher Umnachtung und ohne Einfluss seines üblichen Morgentees abzurufen.
Freilich schien diese Tatsache nur eines der Dinge zu sein um deren erdrückende Präsenz sich Dr. Tracy Porter im Bezug auf ihren Besuch, in völliger Unwissenheit befand. Eine Tatsache die von eben jener nicht unterschätzt hätte werden sollen. Dr. Tracy Porter, die sich in den letzten Jahren ihrer Stellung wohl viel zu sicher wähnte, stand nämlich gerade im Begriff dieser zu entgleiten.
Dieses kleine entscheidende Wagnis einer durch Eitelkeit umnachteten Dame, ging nun, in einer ihr äußerst unangenehmen Zuspitzung auf. Was sie bekanntlich bis zum Moment seines Erscheinens noch nicht erkannt hatte. Statt dessen blickte sie weiter trübe, auf den ihr vorstehenden Zwerg hinab, der sie freundlich, doch wohl ahnend dessen was gleich über sie kommen würde, anlächelte.
Mit seinen 1.59 Metern Standhöhe konnte man Erbert Tibbon zurecht als zu kurz geraten betiteln. Von Berufes wegen verlieh ihm seine Körpergröße allerdings eine Reihe von Annehmlichkeiten. Zum Beispiel konnte er sich als Instituts eigener Personalermittler problemlos zwischen seinen zu beobachtenden Objekten umher bewegen, ohne durch unangenehme Anmaßung auf zu fallen. Und auch das Durchsuchen von Personenakten in überfüllten Archiven, vollgestopft mit überquellenden Folianten und unzuordbaren Papierstapeln, gewann an Dekomplexizität. Man konnte ihn beinahe einer Maus gleichsetzen oder einer Ratte. Je nachdem als wie moralisch man seinen Broterwerb anzusehen vermochte.
Allgemein betrachtet, war dies nur eine körperliche Rarität die ihm maßgeblich für die Ausübung seiner Tätigkeit zum Vorteil diente. Des weiteren lag es in Tibbons Naturell, ein sagenhaftes schauspielerisches Talent sein Eigen zu nennen. Mehr noch beherrschte er diese Fähigkeit wie das kontinuierliche Ein und Ausatmen lebenserhaltenden Luftsauerstoffes. Sie gehörte zu ihm, wie sein Arm oder Hirn. So änderte er je nach Situation und Menschen, der ihm gerade gegenüber saß, seine Charaktereigenschaften und Physiognomie mit der Leichtigkeit eines Schuldlosen. Eigentlich konnte man mit Fug und Recht behaupten das Erbert I. Tibbon gar keinen eigenen Charakter besaß. Er verleibte sich alles ihn umgebende ein, was er für die vorherrschende Lage an Mimik, Gestik und Verbalität brauchte. Das was innerhalb seiner selbst lag, ging in diesen Momenten schlicht weg in eine Nonexistenz über.
Tibbons Aufgabe lag zu meist darin über bestimmte, gerade rüstige oder seinem Arbeitgeber ethnisch mindere Mitarbeiter, Sachverhalte auszugraben, die einer Kündigung eine unumstößliche Rechenschaft verliehen. Dem Institut behagte es nicht verstaubte Mumien durch die Gänge schleichen zu wissen oder düstere, bärtige, halb illegale Männer fragwürdiger Herkunft. Was in seiner Allgemeinheit allerdings kaum als schlagkräftiger Kündigungsgrund her reichte.
So kam es, das Erbert an einem sehr sonnigen Mittwoch Morgen um 10.24 Ortszeit in einem recht altersschwanger eingerichteten Büro stand und sich in der ihm außerordentlich angenehmen Lage befand Dr. Tracy Porter von Middleshire ihres Dienstes zu entheben. Als kleines Geschenk an sich selbst hatte er in Erfahrung bringen können, dass jene Dame angehenden Alters polnischer Abstammung zu sein schien.
Seine linke Schläfe zuckte leicht, was Dr. Porter jedoch entging, als sie Tibbon den Stuhl vor ihrem Schreibtisch anbot.
„Herr Erbert, wie sie vielleicht wissen ist meine Zeit knapp bemessen. Sie haben auf diesem Termin beharrt, was mir momentan sichtlich ungelegen kommt. Also fassen sie sich kurz. Was gibt es denn so infernalisch Wichtiges, dass mir die Institutsleitung nicht selbst mitteilen kann worum es geht?“
Ihrer Stimme ließ sich entnehmen, dass ihr der kleine Mann nicht behagte. Dr. Porter war ausreichend begabt und ihre Menschenkenntnis hatte sie bis dato noch nie im Stich gelassen, zumal allein ihr akademisches Fachgebiet diese voraussetzte. Als Psychologin stand sie in der Position jede noch so undurchsichtige Maskerade zu durchschauen. Immerhin übte sie das Handwerk der Geisteswissenschaften schon seit über 30 Jahren aus.
Studiert hatte sie in Warschau, ging jedoch nach dem Krieg nach England, um ihrem ruinierten Heimatland den Rücken zu zukehren. Geboren wurde sie als Tochter eines leitenden polnischen Postbeamten, was wohl ein Grund dafür sein durfte warum sie ihren ursprünglichen Namen zu verschleiern versucht hatte.
„Nun, Miss Middleshire, ich wurde von der Personalleitung unseres hoch substituierten Instituts aufgefordert ihnen eine mehr als unangenehme Nachricht zukommen zu lassen. Mich selbst scheut es einer so großartigen und langen Mitarbeiterin unserer Einrichtung dies ausrichten zu müssen...“.
Dr. Porters Kiefermuskel verspannten sich. Diese Phrasen waren ihr geläufig. Nur ein Idiot konnte darauf hereinfallen. „Sie wollen mir also sagen das ich entlassen bin. Richtig?“ Unterbrach Miss Porter recht kurz angebunden.“ Ich werde nicht leugnen, dass mich diese Sache etwas überfährt, weder kann ich mir vorstellen, dass ich irgendetwas getan haben sollte was so eine Maßnahme rechtfertigt“.
„Nun“ Begann Erbert Tibbon mit umschmeichelnder Stimme erneut, „sehen sie, es sind einige Unregelmäßigkeiten in ihren Personalangaben aufgetaucht, die unabhängig ihrer Leistungen für unsere Firma nicht zu unterschätzen sind. Ich selbst habe mich mehrmals ihrer Richtigkeit überzeugt und bin zu dem Schluss gekommen, dass eine Fehlinterpretation auszuschließen ist.“ beendete er den Satz mit einem breiten, etwas unterwürfigen, doch bestimmten Lächeln.
Dr. Porter stellten sich die Nackenhaare auf. Es konnte nicht möglich sein. Als sie vor gut 40 Jahren in dieses Land immigrierte, hatte sie penibel darauf geachtet, dass alle ihre Papiere unanfechtbar blieben. Sie hatte eine Stange Geld dafür gezahlt. Nur Jasmine ihre Vorzimmerdame wusste um ihre Herkunft. Sie war ja schließlich selbst aus einem der neuen Oststaaten zugezogen. Es gab für Tracy also keinen Grund ihrer Mitverschwörerin etwas vorzuenthalten. Aber so wie sich das anhörte gab es keinen Zweifel. Der Giftzwerg dessen Schädeldecke gerade mal so über ihre Tischplatte reichte, sprach unumstößlich von der einen Sache. Die einzige die sie sich jemals zu Schulden kommen lassen hatte. Sie ahnte das an diesem Punkt für sie der Kloß aus dem Topf gehüpft war. Am Abend hatte sie noch schwelgend darüber sinniert wie erfolgreich ihre letzten Unternehmungen in beruflicher Hinsicht verliefen. Sie hatte in näherer Zukunft mit einer Beförderung gerechnet.
Mit einem Mal wurde ihr schlagartig die gesamte Tragweite ihrer Lage bewusst. Sie wusste wie die Institutsleitung mit solchen Fällen umzugehen pflegte. Sie wollte nicht eines der Namen sein, von denen man in der Cafeteria hinter vorgehaltener Hand sprach. Namen von Personen, die von einem auf den anderen Tag verschwanden und niemand, außer den Verantwortlichen kannte den Grund für ihr ausbleiben. Natürlich spekulierte man über dieses und jenes aber Gewissheit gab es nicht.
Ohne zu zögern und auch ohne, dass sie einen längeren Augenblick darüber nachdachte, zog Tracy Porter von Middleshire, 69 Jahre alt, polnischer Abstammung und studierte Psychologin eine 9 mm Glock aus ihrem Halfter und feuerte zwei zielgerichtete Kugeln durch den Frontlappen des Erbert I. Tibbon. Dieser klappte durch die Wucht des Einschlages mit dem Kopf nach hinten, wobei sein Hinterkopf hart gegen die Lehne des mit Samt bezogenen Stuhls schlug, um schließlich geräuschvoll und leblos in sich zusammen zu sacken.
„Nun“ sagte Dr. Porters mehr zu sich selbst, um dem Geschehenen einen Punkt auf die Stirn zu setzen. Eine Zeit lang saß sie schweigend da, stocksteif. Die Erkenntnisse eines so eben über sie gekommenen auflodernden Kontrollverlustes mussten erst in ihr Hirn vordringen, bevor ihr Verstand ihn zu erfassen wagte. Sie hatte in einem Augenblick der Panik, dem persönlichen Vollstrecker einer mehr als dubiosen staatlichen Einrichtung, der sie selbst angehörte, zwei Kupfer-ummantelte Bleiprojektile in den Schädel gejagt. Ferner lag dieser nun zusammengekauert vor dem Schreibtisch und blutete auf ihren sündhaft teuren Perserteppich. Eine Tatsache, die ihr sichtlich weniger behagte, als die diesem Umstand verschuldete Tat selbst.
Die Identität dieses Mannes schien ihr nach reiflicher Überlegung auch kein Rätsel mehr zu sein. Seine Identität schien ihr sogar durchaus bekannt. Dieser Herr musste jener Mensch sein, der diesen bedauernswerten Persönlichkeiten vorstand, die just nach seinem Erscheinen nie wieder gesehen wurden. Diese Personen, die sich wie Gespenster durch jedes Gespräch zogen, was innerhalb der Institutsmauern, im Flüsterton von Ohr zu Ohr getragen wurde. Ein Mann der sich selbst nur denen offenbarte. Niemand kannte sein Gesicht geschweige denn seinen Namen und wenn er in Erscheinung trat, so sah man häufig nur das Spiegelbild eines ihm entfremdeten. Sein wahres Antlitz umschleierte er. Wie eine Luftblase in dessen Spiegelung man sich nicht selbst erkannte, sondern den bisher unsichtbaren Feind der einem schon seit Tagen vielleicht Jahren an den Fersen hing und dessen Hand man nun, unmittelbar im Nacken spürte.
Tracy dunkelte das ihrer Stätte des Arbeitens seit je her eine ungreifbare Aura des bedrohlichen anhaftete, obwohl man deren Prämisse als angemessen löblich bezeichnen konnte. Trotzdem hatte sie nie Interesse daran verspürt dem Ursprung des Unbehagens konkret nach zu gehen. Das lag nicht im Sinne der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit. Man tat das wofür der Arbeitgeber zahlte. An mehr lag es ihr nicht. Immerhin war sie Psychologin. Ein angesehener Beruf in der Gesellschaft. Man bot Hilfe für Menschen die sie benötigten. Zerbrechliche Wesen deren Leben ins stolpern geriet in dieser Zeit die mehr und mehr an Fahrt gewann. Manche wurden einfach überholt und blieben auf der Strecke. Da konnte jene Gnade eines Staates durchaus gelobt werden, die eben diesen gescheiterten Persönlichkeiten eine Zuflucht bot. Viele nahmen diesen speziellen Service in Anspruch. Hier konnten sie ihren Gedanken Raum bieten, deren Existenz sie bis jetzt fürchten mussten. Einem Zeitgeist anhaftend der seine eigene Großmutter wegen staatsgefährdender Denkung an die Behörden verkaufen würde. Das Institut hingegen verurteilte nicht. Es unterstützte die Unglückssehligen dabei auf den rechten Pfad zurück zu kehren. Daran blieb nichts verwerfliches. Nicht im eigentlichen Sinne.
Dr. Porter brauchte eine Weile bis ihr auffiel, dass all das einen Haken hatte. Manchmal besuchte sie Patienten in ihren Zellen die sie dann überraschend leer auffand. Das geschah von Zeit zu Zeit. In solchen Momenten fuhr einem dann eine dunkle Vorahnung in den Kopf. Jeder Mitarbeiter kannte dieses unerklärliche Phänomen. Man sprach nicht darüber. Eine Berufskrankheit. Immerhin, man wurde gut entlohnt. Ein Sachverhalt der Tracy Porter bis jetzt einen ausschweifenden Lebenstil garantierte, dem sie jedoch durch jenen Vorfall, der immer noch ihren Teppich vollblutete, fürs erste entsagen musste. Ihr dämmerte dass sie dem 200 Quadratmeter großen Apartment im 25. Stock eines Nobelgebäudes mit Blick auf den Hafen, welches sie vor ein paar Jahren erwarb, bis aufs erste einmal fern zubleiben hatte. Dieser Gedanke riss sie alsbald aus ihrer Trance.
Dr. Tracy Porter von nun nicht länger Middleshire erhob sich ihres wuchtigen Schreibtischstuhls und betrachtete ausgiebig den am Boden liegenden Körper. Dann beugte sie sich vor und zog diesen ohne viel Mühe unter den großen Eichenholzschreibtisch, wo er, durch seine geringe Größe, Mühelos Platz fand. Das genügte fürs erste. Schwungvoll enthob sie ihren Frotteemantel seines Hakens und verließ ohne das Verziehen einer Miene das Büro.
Es galt nun eine vorläufige Unterkunft zu beschaffen. Eine die Möglichst nicht auffiel. Man durfte sie nicht finden. Diese Leute konnten hartnäckig sein. Vor allem, wenn ihnen einer ihrer wertvollsten Mitverschwörer abhanden ging. Dr. Porter lief ein kalter Schauer über den Rücken bei dem Gedanken wie es wohl sein würde, in einem Ratten verseuchten Hotel, mitten in den verdreckten Gassen der Innenstadt zu nächtigen. Wie in den Kriminalfilmen die oft spät Abends im TV liefen. Womöglich befand sich ihr Zimmer vorangehend in der Benutzung eines verabscheuungswürdigen Homosexuellen, welcher hier seiner „wiederwertigen“ Lust nachging, um nicht entlarvt zu werden. Solche Menschen landeten dann später bei ihr auf der Couch, wo sie all ihre sexuellen Details offen legten. Doch ihre jetzige Situation verlangte danach.
Sie stieg in ihren Wagen und fuhr los. Ständig kontrollierend ob sie nicht Verfolgt würde, zog sich ein kribbelndes Gefühl von Nervenkitzel durch ihren Körper. Nicht beunruhigend, eher erheiternd und wohltuend. Ein paar Blocks weiter stellte sie das Auto vor einem Nobeletablissement ab und machte sich so gleich auf den Weg zum Stadtkern. Hier roch es unangenehm nach Urin und Ausscheidungen menschlicher Verkommenheit. Die Gegend glich einem Putzlappen, der aus dem Mangel seiner ursprünglichen Funktion heraus, achtlos weggeworfen worden war. Dr. Porter zog ein Taschentuch aus ihrer Manteltasche und hielt es vor den Mund. Angewidert ließ sie den Blick über heruntergekommene Ladengeschäfte schweifen. Geschäfte die einst mit Waren vollgestopft waren, doch nun verlottert und mit Brettern blind geschlagen ihr Dasein fristeten. Sie schätzte sich letztendlich glücklich, als vor ihr das verdreckte Neonschild mit der Aufschrift „Zimmer frei“ aufleuchtete.
Der Portier schaute recht verdutzt aus der Wäsche als eine hoch gewachsene, elegant gekleidete Frau vor den Empfangsschalter trat. Zum ersten mal in seinem Leben erfreute er sich an der 1cm dicken Glaswand die zwischen ihm und seinen Kunden aufragte. Die Frau grüßte mit abwertend gesenktem Tonfall und bat um ein Zimmer in möglichst hoher Lage mit Ausblick auf die Straße. Der Portier entsann sich, dass die oberen Zimmer seines Hotels enttäuschend selten vermietet wurden. Seiner üblichen Kundschaft lag es mehr daran, das Hotel so schnell wie Möglich wieder zu verlassen. Rein und wieder Raus. Das ewige Spiel. Einen Gang der Schande über das mehrstöckige Gebäude behagte hier keinem.
Er händigte ihr mit leicht gehobener Stimmung den Schlüssel aus und versank alsbald wieder über seiner Müslischüssel. Die Uhr zeigte gerade mit dem Großen Zeiger auf 11 und er hatte noch nicht gefrühstückt. Dr. Porter nahm den Schlüssel entgegen und verschwand ohne ein weiteres Wort im Treppenaufgang.
Zimmer 104. Sie drehte den Knauf und öffnete die Tür. Ihren Erwartungen entsprechend roch das Zimmer in etwa genauso wie der Rinnstein, dem sie so eben entflohen war. Der Teppich entsprach den Ansprüchen einer erblindeten Putzkraft. Sie konnte sich noch nicht einmal sicher sein das nicht einige der Flecken vom roten Auswurf eines Menschen herrührten. Sie legte ihren Mantel ab und warf sich auf das frisch gemachte Bett. Sogleich stoben Staubwolken in die Luft, die schnell aufstiegen, abrupt stoppten und in langsamen Wirbeln wieder zu sinken begannen. Die Uhr am Empfang hatte 11 Uhr angezeigt. Tracy schloss die Augen und schlief alsbald ein.
Um kurz nach 6 erwachte sie schreckhaft aus verwirrenden Träumen. Unbeirrbar versunken schüttelte sie den Kopf, um die unangenehmen Bilder hinaus zu scheuchen. Ihr Körper fühlte sich an, als wäre er vor geraumer Zeit von einem Bus überrollt worden. Langsam hob sie ihren ächzenden Leib, wobei ihr die Schusswaffe aus dem Hohlster rutschte. Mit unglückseligem Blick schaute sie auf jene herab. Diese Waffe war der Auslöser, weshalb sie nun in dieser Abart einer Unterkunft Zuflucht suchen musste. Nun blieb ihr jedenfalls nichts anderes übrig, als dem bedrohlichen Geheimnis um eben jenes Ereignis auf den Grund zu gehen.
Sie musste detektivisch vorgehen um ihrem Schicksal zu entfliehen. Also griff sie erneut zum Mantel um dieses unliebsame Etablissement vorübergehend zu verlassen. Der erste Anlaufpunkt würde ihre Wohnung sein. Dort hatte sie ihren Computer stehen gelassen. Klar war auch, dass dies kein ungefährliches Unterfangen werden würde, doch sie musste den Anfang des Knäuls finden und so etwas begann in ihrem Sinne erst einmal mit einer ausgiebigen Recherche. Düstere, sich ewig verheddernde Gedanken schossen ihr durch den Kopf als sie im, der Straßenordnung angemessenen Tempo, durch die langsam ergrauenden Straßen fuhr. Dr. Porter gelangte mit einem Gefühl der Ungewissheit vor das Gebäude ihrer bisherigen Liegenschaft. Sie parkte auf der gegenüber liegenden Straßenseite und schaute unruhig und gründlich absuchend auf das Eingangsportal. Etwas schien hier falsch zu sein. Etwas Unheilvolles, eine Kleinigkeit nur, die sie just in diesem Moment davon abhielt, ihr sicheres Versteck im Wagen zu verlassen.
Vor dem Eingang stand ein dunkel getönter Kombi. Dahinter unterhielten sich zwei in Anzug gekleidete Männer mit dem Portier. Sie wirkten verkrampft. Der Portier machte ein paar erklärende Gestiken und deutete dann plötzlich auf ihr Kraftfahrzeug. Tracy erschrak. Die Beiden Männer machten kehrt und weilten schon im Begriff zu ihr herüber zu kommen, als sie unvermittelt die Autotür öffnete und ausstieg. Es konnte nur eben jener Reflex sein, welcher auch die gesamte Lage in der sie sich befand zu verantworten hatte. Nun stand Tracy stocksteif auf dem schwarzen Asphalt, abwartend was geschehen würde, während die beiden Herren unvermittelt ihr entgegen starrten. Panisch schossen ihr die Gedanken an gezogene Schusswaffen durch den Kopf die auf sie Zielen könnten. Um einer Eskalation entgegen zu wirken trat sie ohne zu zögern einen Schritt nach vorne und ohne dass sie es erahnt hätte, wurde sie von einem heftigen Schlag zu Boden geworfen.
Die beiden Herrn schauten ungläubig auf das Geschehen, welches so eben vor ihren Augen Form annahm. Mit einem ungesunden Geräusch rollte der Bus über den gerade nieder gegangenen Körper der Frau Dr. Tracy Porter, 69 Jahre alt, polnischer Abstammung und studierte Psychologin, hinweg und kam mit einem lauten quietschen der Bremsen zum stehen. Während der letzte Funke Bewusstsein durch ihr Hirn wogte, überlegte sie bei sich, das dies wohl doch eine ganz Interessante Erfahrung gewesen war und während ein kaum erkennbares Zucken durch ihre Mundwinkel fuhr, erlag sie ihren Verletzungen.
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