Aus der Ferne bei Poetry.de

Tucho · 22.01.2011, 16:57

Eine Raubseeschwalbe aus der Schweiz macht das Licht an
Und beginnt mit ihrem Brüllgesang.
Wenn ich ihr jetzt nicht auf den Kopf schlage und aufstehe,
Nervt sie weiter und ich werde nie schlafen.

Das Funkeln der Buchen, die die Straße säumen,
Verrät, dass es Nacht ist.
In den Augen ist noch Sand, vermutlich vom Strand,
Dort lag ich noch vor Minuten, ganz entspannt.
In meiner Mundhöhle hatte sich ein Biber eingenistet,
Der mir während ich am Strand lag auf die Zunge geschissen hat.
Ich schmecke Gestank.

„Ah da, die hell blühende Blaulichtblumenwiese!“
Von hier sehen Blaulichtblumenwiesen entzückend aus.
Die hellblühenden Blumen sind immer in Bewegung,
Eine bewegt sich weg, und erlöscht. Doch schnell wachsen neue nach.
Der Gesang dieser Blumen ist unverwechselbar,
Doch er warnt.

Der Gärtner weist uns den Weg durch das Beet,
man muss sehr vorsichtig sein, und aufmerksam.
Hier stinkt es nach verbrannten Reifen und Sitzbezügen aus Alcantara.
Er zeigt mit dem Finger auf etwas das am Boden liegt.
„Diesen hier, den nehmt ihr!“, im barschen Ton eines Obergärtners.

Zugedeckt mit einer leise strahlenden Reflektorjacke,
Liegt ein Mensch, vielleicht ein Mann.
Schwer zu erkennen, denn das Gesicht
Ist mehrfach gebrochen und Blut rinnt stetig
Aus Nase, Mund und Augenhöhle.
Kein Wind weht aus ihm raus. Kein Rhythmus
Inmitten der hell blühenden Blaulichtblumenwiese.

Thing · 22.01.2011, 19:10

Halli Hallo!

Nach dem zehnten Verse hört' ich auf zu lesen:
In diesen Mündern ist mir zu viel Dreck gewesen.

Thing

Tucho · 22.01.2011, 20:04

Was ich durchaus nachvollziehen kann.
Mundhygiene ist wichtig.

Ilka-Maria · 22.01.2011, 20:09

Ich bewundere Dein Stehvermögen, Thing. Ich habe bereits nach der zweiten Zeile abgeschaltet: "Raubseeschwalbe" und "Brüllgesang" - das hat völlig gereicht.

Thing · 22.01.2011, 20:39

Ilka-Maria -

d a f ü r leih ich Dir eine bestens parfümierte Wolke - aber nicht länger als zwei Minuten!

Thing

Ex-Schamanski · 22.01.2011, 21:30

Das mit der schweizer Seeschwalbe verstehe ich auch nicht, aber ich hab's bis zum Ende durchgelesen. Du beobachtest einen Unfall aus dem Fenster, richtig?

Ilka-Maria · 22.01.2011, 21:39

Maki: Das ist grob-gemein.

Thing · 22.01.2011, 22:21

Ach was!

Maki bekommt von mir den höchstpersönlichfreiwilligenkunstgunsterlesenen Orden ohne Diamanten, Sterne und Kreuze.
Sozusagen den poetischen "Tapfersein-Orden"!

Na, mal die neue Gedichtfassung ansehen...

Ex-Schamanski · 22.01.2011, 23:58

Zitat:

Maki: Das ist grob-gemein.

Wieso? Blaulicht, verbrannte Reifen, verletzter Mensch?
Ich verstehe Unfall. Vielleicht bin ich ja komplett vernagelt, aber das kommt bei mir an.

Tucho · 23.01.2011, 10:19

Also es soll so sein.

Das Gedicht ist eine chronologische Sortierung eines Notfalleinsatzes eines Sanitäters.
Dieser liegt im Bett, und das Alarmsystem weckt ihn mit Brüllgesang.
Brüllgesang als Oxymoron, weil das Alarmsystem sehr laut ist, trotzdem aber melodisch alarmiert.
Schweizer Raubseeschwalbe, muss sich nicht zwingend erschließen. Sie raubt den Schlaf, und der Hersteller des Alarmsystemes kommt aus der Schweiz und hat eine Schwalbe im Logo.
Der Lärm ist hier das auffälligste.

Die Buchen funkeln aufgrund der Reflektion des blinkenden Blaulichter, was sie bei Tag nicht tun. Und dieses Funkeln ist etwas was während der Anfahrt zum Einsatzort als etwas sehr auffälliges wahrgenommen wird.
Der restliche Teil der zweiten Strophe behandelt in sehr plumper Weise, wie man sich in der Nacht fühlt, wenn man aus dem Tiefschlaf geweckt wird, und binnen weniger Sekunden im Auto sitzt und durch die Stadt fährt.
Klar, ich hätte es auch galanter ausdrücken können. Z.B., dass in meinem Mund die ersten Blüten der Halitosis sich dem Mond entgegenrecken, aber das gibt es nicht annähernd wieder.
Es hat etwas absurdes tief verschlafen durch die Nacht zu rasen, während der ganze Ort schläft.

Strophe 3, behandelt die Ansicht der nächtlichen Einsatzstelle aus der Ferne. Diese wird als schön beschrieben. Es funkeln viele Lichter, die in Bewegung sind. Einige fahren weg, andere erst hin. Manche blinken auch gelb.
Der Gesang ist das Einsatzhorn, welcher warnt.

In der vierten Strophe treffen wir den Einsatzleiter der Einsatzstelle, welcher der Gärtner des Blumenbeetes ist, und im barschen Ton anweist, um wen wir uns zu kümmern haben.
Der Gestank nach Gummi und verbrannten Sitzbezügen ist hier das auffälligste.

Dann folgt in der letzten Strophe, das was an Blaulichtblumenwiesen am wenigsten anziehend ist, nämliche der Verletzte, der mit einer Reflektorjacke zugedeckt ist, welche von den Blaulichtern der umstehenden Einsatzautos angestrahlt wird.
Ohne Wind (Atem) und Rhytmus (Puls), also Tod.

Ex-Schamanski · 23.01.2011, 15:10

Also wenigstens nicht das Thema verfehlt.

Danke für die ausführlichen Erläuterungen.

Strophe 1 und 4 erschließen sich dem Leser nicht, meine ich. Die Metaphern sind derart kryptisch (schweizer Vogel, Gärtner), daß kein Mensch darauf kommen kann. Hier kann man sich fragen, ob es sinnvoll ist, den Empfänger derart im Dunkeln zu lassen. Trotz allem Blaulicht. Die Gesamtsituation (Sanitäter im nächtlichen Rettungseinsatz) wird nicht deutlich. Das kann aber auch an mir liegen, ich kann nicht für alle möglichen Empfänger sprechen.

Positiv:

Das Bild der Blaulichtblumenwiese finde ich sehr stark und visualisationsfähig.
Auch die Müdigkeit und das aus dem Schlaf gerissene ist sehr plastisch gezeichnet - die Wortwahl stört mich nicht im Geringsten. Das Ende des Gedichts überzeugt auch.

22.01.2011, 16:57	#1
Tucho Dabei seit: 01/2011 Ort: Paderborn Alter: 41 Beiträge: 7 Meine Gedichte	Aus der Ferne Eine Raubseeschwalbe aus der Schweiz macht das Licht an Und beginnt mit ihrem Brüllgesang. Wenn ich ihr jetzt nicht auf den Kopf schlage und aufstehe, Nervt sie weiter und ich werde nie schlafen. Das Funkeln der Buchen, die die Straße säumen, Verrät, dass es Nacht ist. In den Augen ist noch Sand, vermutlich vom Strand, Dort lag ich noch vor Minuten, ganz entspannt. In meiner Mundhöhle hatte sich ein Biber eingenistet, Der mir während ich am Strand lag auf die Zunge geschissen hat. Ich schmecke Gestank. „Ah da, die hell blühende Blaulichtblumenwiese!“ Von hier sehen Blaulichtblumenwiesen entzückend aus. Die hellblühenden Blumen sind immer in Bewegung, Eine bewegt sich weg, und erlöscht. Doch schnell wachsen neue nach. Der Gesang dieser Blumen ist unverwechselbar, Doch er warnt. Der Gärtner weist uns den Weg durch das Beet, man muss sehr vorsichtig sein, und aufmerksam. Hier stinkt es nach verbrannten Reifen und Sitzbezügen aus Alcantara. Er zeigt mit dem Finger auf etwas das am Boden liegt. „Diesen hier, den nehmt ihr!“, im barschen Ton eines Obergärtners. Zugedeckt mit einer leise strahlenden Reflektorjacke, Liegt ein Mensch, vielleicht ein Mann. Schwer zu erkennen, denn das Gesicht Ist mehrfach gebrochen und Blut rinnt stetig Aus Nase, Mund und Augenhöhle. Kein Wind weht aus ihm raus. Kein Rhythmus Inmitten der hell blühenden Blaulichtblumenwiese.

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22.01.2011, 20:04	#3
Tucho Dabei seit: 01/2011 Ort: Paderborn Alter: 41 Beiträge: 7 Meine Gedichte	Was ich durchaus nachvollziehen kann. Mundhygiene ist wichtig.

22.01.2011, 20:09	#4
Ilka-Maria Forumsleitung Dabei seit: 07/2009 Ort: Arrival City Beiträge: 31.111 Meine Gedichte Meine Favoriten	Ich bewundere Dein Stehvermögen, Thing. Ich habe bereits nach der zweiten Zeile abgeschaltet: "Raubseeschwalbe" und "Brüllgesang" - das hat völlig gereicht.

22.01.2011, 20:39	#5
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Ilka-Maria - d a f ü r leih ich Dir eine bestens parfümierte Wolke - aber nicht länger als zwei Minuten! Thing

22.01.2011, 21:30	#6
Ex-Schamanski abgemeldet Dabei seit: 12/2010 Beiträge: 2.884 Meine Gedichte	Das mit der schweizer Seeschwalbe verstehe ich auch nicht, aber ich hab's bis zum Ende durchgelesen. Du beobachtest einen Unfall aus dem Fenster, richtig?

22.01.2011, 21:39	#7
Ilka-Maria Forumsleitung Dabei seit: 07/2009 Ort: Arrival City Beiträge: 31.111 Meine Gedichte Meine Favoriten	Maki: Das ist grob-gemein.

22.01.2011, 22:21	#8
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Ach was! Maki bekommt von mir den höchstpersönlichfreiwilligenkunstgunsterlesenen Orden ohne Diamanten, Sterne und Kreuze. Sozusagen den poetischen "Tapfersein-Orden"! Na, mal die neue Gedichtfassung ansehen...

23.01.2011, 10:19	#10
Tucho Dabei seit: 01/2011 Ort: Paderborn Alter: 41 Beiträge: 7 Meine Gedichte	Also es soll so sein. Das Gedicht ist eine chronologische Sortierung eines Notfalleinsatzes eines Sanitäters. Dieser liegt im Bett, und das Alarmsystem weckt ihn mit Brüllgesang. Brüllgesang als Oxymoron, weil das Alarmsystem sehr laut ist, trotzdem aber melodisch alarmiert. Schweizer Raubseeschwalbe, muss sich nicht zwingend erschließen. Sie raubt den Schlaf, und der Hersteller des Alarmsystemes kommt aus der Schweiz und hat eine Schwalbe im Logo. Der Lärm ist hier das auffälligste. Die Buchen funkeln aufgrund der Reflektion des blinkenden Blaulichter, was sie bei Tag nicht tun. Und dieses Funkeln ist etwas was während der Anfahrt zum Einsatzort als etwas sehr auffälliges wahrgenommen wird. Der restliche Teil der zweiten Strophe behandelt in sehr plumper Weise, wie man sich in der Nacht fühlt, wenn man aus dem Tiefschlaf geweckt wird, und binnen weniger Sekunden im Auto sitzt und durch die Stadt fährt. Klar, ich hätte es auch galanter ausdrücken können. Z.B., dass in meinem Mund die ersten Blüten der Halitosis sich dem Mond entgegenrecken, aber das gibt es nicht annähernd wieder. Es hat etwas absurdes tief verschlafen durch die Nacht zu rasen, während der ganze Ort schläft. Strophe 3, behandelt die Ansicht der nächtlichen Einsatzstelle aus der Ferne. Diese wird als schön beschrieben. Es funkeln viele Lichter, die in Bewegung sind. Einige fahren weg, andere erst hin. Manche blinken auch gelb. Der Gesang ist das Einsatzhorn, welcher warnt. In der vierten Strophe treffen wir den Einsatzleiter der Einsatzstelle, welcher der Gärtner des Blumenbeetes ist, und im barschen Ton anweist, um wen wir uns zu kümmern haben. Der Gestank nach Gummi und verbrannten Sitzbezügen ist hier das auffälligste. Dann folgt in der letzten Strophe, das was an Blaulichtblumenwiesen am wenigsten anziehend ist, nämliche der Verletzte, der mit einer Reflektorjacke zugedeckt ist, welche von den Blaulichtern der umstehenden Einsatzautos angestrahlt wird. Ohne Wind (Atem) und Rhytmus (Puls), also Tod.

23.01.2011, 15:10	#11
Ex-Schamanski abgemeldet Dabei seit: 12/2010 Beiträge: 2.884 Meine Gedichte	Also wenigstens nicht das Thema verfehlt. Danke für die ausführlichen Erläuterungen. Strophe 1 und 4 erschließen sich dem Leser nicht, meine ich. Die Metaphern sind derart kryptisch (schweizer Vogel, Gärtner), daß kein Mensch darauf kommen kann. Hier kann man sich fragen, ob es sinnvoll ist, den Empfänger derart im Dunkeln zu lassen. Trotz allem Blaulicht. Die Gesamtsituation (Sanitäter im nächtlichen Rettungseinsatz) wird nicht deutlich. Das kann aber auch an mir liegen, ich kann nicht für alle möglichen Empfänger sprechen. Positiv: Das Bild der Blaulichtblumenwiese finde ich sehr stark und visualisationsfähig. Auch die Müdigkeit und das aus dem Schlaf gerissene ist sehr plastisch gezeichnet - die Wortwahl stört mich nicht im Geringsten. Das Ende des Gedichts überzeugt auch.