Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 12.02.2013, 23:49   #1
Klebestift
 
Dabei seit: 02/2013
Alter: 34
Beiträge: 3


Standard Das Mädchen

Todmüde. Ward ihr schon mal solange auf, dass ihr, wenn ihr eine Sekunde an etwas anderes gedacht habt, sofort eingeschlafen seid? So hänge ich hier in einer Autobahnraststätte, den Kopf 3cm über einer Coladose. Ich versuche zu schlafen und gleichzeitig so auszusehen, als würde ich hier nur sitzen. Man darf hier nicht schlafen, dazu sind die Zimmer da, die kosten aber Geld. Ich hab kein Geld. Zumindest keines, was ich für so etwas banales wie ein Bett ausgeben könnte.
Die Tür geht auf, jemand kommt rein, die Tür geht wieder zu. Ich hebe den Blick gar nicht erst. Keine Kraft. Viel zu anstrengend. Schritte gehen zur Theke, stecken Geld in einen Automaten, nehmen etwas entgegen und kommen auf meinen Tisch zu. Die Coladose vor mir wird immer dunkler, plötzlich ist sie weg. Die Schritte halten vor meinem Tisch an, jemand lässt sich auf den Stuhl gegenüber plumsen. Ich mache die Augen auf. Verschwommenes Silber. Ach ja, Blick heben. Gaaanz langsam. Scharf stellen. Mädchen. Älter als ich. Vielleicht 17. Und: Schön. So schön eben, wie man es mit total verschwommenen und ständig zufallenden Augen erkennen kann. Mein Körper fährt wieder hoch, mobilisiert die letzten Ressourcen. Der Abstand zur Dose vergrößert sich auf 10 Zentimeter. 20. 30. Ich sitze. Krumm, aber ich sitze. Schaue sie immer noch an. Himmel, schon seit bestimmt mindestens fünf Minuten. Wegschauen! Shit. Wegschauen! Verdammt. Schön, sodass keine Metapher und kein Vergleich jemals ein Bild von diesem Mädchen malen könnten.
„Was hast du denn genommen?“ Charmant, bis ans Ende der Welt. Ich sage etwas, das wie „nichts“ klingen soll.
„Was?“
„ Nicht geschlafen.“ sage ich.
„Trink das.“ Sie stellt einen Espresso vor mir hin. Ich schaue sie immer noch an. Nehme schließlich den billigen Pappbecher und trinke. Schmeckt abscheulich. Ich hatte schon meine Gründe, als ich die Cola gekauft habe. Aber eins muss man dem Zeug lassen: Koffein ist eindeutig vorhanden. Ich erwache aus dem Energiesparmodus.
„Danke“ sage ich und schiebe den Rest wieder zu ihr hin. Ohne zu zögern trinkt sie den Becher leer.
„Wieso hängst du hier rum?“
„Die Betten hier sind einfach mal unverschämt teuer.“
„Hast du kein Auto in dem du pennen kannst?“
„Ne, bin mit Anhalter hier. Der letzte wollte mich nicht weiter fahren als hier. War übrigens ein Trucker. Sein LKW hieß Ulli.“ Ok, und jetzt, da ich wieder ein bisschen Koffein im Blut habe, schalte ich auch mal den Teil des Gehirns an, der mir sagt, was wichtige Informationen sind und was nicht. Das letzte was ich gebrauchen kann, ist, dass ich als Plaudertasche rüberkomme und sie sich wegsetzt.
Stille. Jeder hätte nachgefragt, was um Himmels Willen ich per Anhalter um 2 Uhr Nachts hier mache, nicht jedoch dieses Mädchen. Sie scheint zu wissen, dass es sie noch nichts angeht.
„Wieso kreuzt du hier allein um diese Uhrzeit auf?“ N bisschen neugierig bin ich jetzt doch.
„Bin bis eben gefahren.“ Keine weitere Frage. Nicht warum sie allein gefahren ist (sie kann wirklich höchstens 17 sein), nicht warum sie bis spät in die Nacht fuhr. Ich revanchiere mich.
Wieder Stille. Ich will nicht über irgendetwas Belangloses reden, will nicht wie ein Typ wirken, der einfach drauflos über belanglose Themen quatscht. Wetter. Es ist Nacht, mein Gott. Ob das auch nachts Wetter heißt? Wie es einem so geht. Alle Menschen, die man das fragt, sagen „gut“, um nicht den Eindruck erwecken, es ginge einem zu gut, das würde Neider auf den Plan rufen, und niemals sagen „nicht so gut“, es könnte jemanden geben, der die Frechheit besäße, nachzufragen. Obwohl, es gibt dabei vielleicht auch zwei Arten Mensch, eventuell gibt es welche, die sofort auf die Frage ihre letzten zwei Wochen in ausführlicher Form wiedergeben, um nach zehn Minuten Redeschwall die Essenz aus dem Referat zu ziehen, nämlich, dass es ihnen heute sehr gut/gerade überhaupt nicht gut ginge, und auch den Grund. Diesen Menschen geht es nie einfach nur „gut“, denn dann gäbe es nichts zu erzählen. Über so etwas sollte ich mich mit diesem Mädchen unterhalten. Menschheit usw., ihr wisst schon.
„Bist du nicht müde?“ ich schaue sie wieder an. Haare, die in ganz leichte Locken neben dem Gesicht über die Schultern fallen, Augen, die tatsächlich wahnsinnig müde aussehen. Aber nicht, weil sie mal einen Tag nicht geschlafen hat, diese Müdigkeit ist schon lange dort. Es ist die Müdigkeit, die man bekommt, wenn einem andere Menschen ausnahmslos auf den Kranz gehen. In ihrem Alltagstrott. In ihrer Herdenpolitik. In ihrer Gedankenlosigkeit. Ich kann mich täuschen, aber ich tippe darauf, dass sie weg wollte, von dort, wo sie herkommt. Nur weg. Ohne Ziel. Vor den Menschen fliehen.
„ich fall gleich um.“ die Antwort kommt so spät, das ich Zeit hatte, in meinem Zustand über das alles nachzudenken.
„Hast du denn Geld für so'n verwanztes Bett hier?“
„Quatsch. Das gönn ich diesen Typen hier nicht.“ Sie hat noch keinen einzigen gesehen. Von den Typen, meine ich. Einfach, weil sie in dieser bekackten Raststätte an der Autobahn arbeiten.
„Ne, ich penn in meinem Auto.“ Die hat's gut. Sie darf im Liegen schlafen. Sie darf schlafen.
„Erst andere Typen mit Koffein vollpumpen und dann gemütlich schlafen gehen, auf das ich hier an nem Koffeinschock verrecke.“
Sie lacht. Leise und kurz. „Ja, ich denke, dass beschreibt die Situation ganz gut.“ Sie steht auf. Geht. Weg aus meinem Leben. Nein. Falsch. Ganz falsch. Sie hat's nicht kapiert. Was kapiert, frage ich mich. Du hast dreimal dein Maul aufgemacht, Das gab's nichts zu kapieren. Mein Kopf sinkt auf die Coladose. Ich bin zu müde für Liebeskummer. Liebeskummer? Ist das dein ernst? Nach fünf Minuten an einem verdammten Plastiktisch? In ein Mädchen, das du nicht mal annähernd kennst? Die Lichter gehen langsam aus.

Vielen Dank fürs lesen. Wenn ihr nützliche Hinweise, Lob oder Kritik habt, dann bitte ich sehr darum!
Klebestift ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.02.2013, 16:15   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998


Hallo, Klebestift -

ich habe die Geschichte gestern schon gelesen, war aber (müde!) zu unaufmerksam.
Jetzt, nach der erneuten Lektüre, finde ich sie sehr originell.
Es wird viel selbstreflektiert, es wird viel verglichen und hinter dem etwas lakonischen Stil spürte ich eine tiefe Sensibilität.

Ein modernes Märchen - die coffeinspendende Fee.
Oder ein Traum.

Ein paar Tippfehler sind mir aufgefallen, aber die treten in den Hintergrund.
Gut geschrieben!
Der Text könnte durch Absätze an Übersichtlichkeit und Auflockerung gewinnen.

Ich freue mich auf mehr.

Herzlichen Gruß
von
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.02.2013, 23:53   #3
Klebestift
 
Dabei seit: 02/2013
Alter: 34
Beiträge: 3


Standard Dankeschön!

Hallo Thing,
vielen Dank für deine Meinung. Mehr gibt's dazu im Augenblick nicht zu sagen

Klebestift
Klebestift ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Das Mädchen

Stichworte
mädchen, nacht, raststätte

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche


Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Das Mädchen Ex-DrKarg Liebe, Romantik und Leidenschaft 7 31.03.2017 20:04
Mädchen Wolfmozart Gefühlte Momente und Emotionen 5 17.05.2012 21:05
Mädchen Wolfmozart Liebe, Romantik und Leidenschaft 0 23.04.2012 17:27
Mädchen im Arm Inline Liebe, Romantik und Leidenschaft 0 15.01.2008 20:48


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.