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Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln.

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Alt 28.05.2014, 09:56   #1
männlich Mc Murphy
 
Dabei seit: 05/2014
Beiträge: 8

Standard Lydia

LYDIA


Die Maschine gab sich einsichtig,
aber ich wusste, sie war nur eine Kombination
aus Metall, Kabeln und Kunststoff.
“Ich liebe Dich”, sagte sie leise.
Ich ignorierte sie, so gut ich konnte
und demonstrierte Gelassenheit.

Ich erwarb sie vor vier Jahren
auf einem Trödelmarkt in Paris.
Der Händler versprach mir nichts,
aber er stellte mir in Aussicht,
endlich glücklich zu sein.
“Monsieur, das ist Lydia,
sie hat alles was sie erwarten.”
Ich nahm sie mit nach Hause,
lud das Akku auf und wartete
was passierte.
Nach drei Stunden zeigte die LED
Betriebsbereit.
Ich schaltete sie an.
“Ich bin Lydia, ich liebe dich.
Bitte sage mir deinen Namen.”
“Mike”
“Ich bin Lydia,
ich liebe dich Mike”.
Ihre Verarbeitung war ordentlich.
Sie erinnerte an diese modernen Living Dolls.
Die Oberfläche war natürlich gestaltet
und beim Gesicht gab man sich
größte Mühe.
Die Brüste waren gut geformt
und auch der Körper war
europäisch und erotisch geformt.
Eine gute Dekoration.
Wirklich.

“Mike, ich würde gerne Sex haben.”
Ich schmunzelte.
Natürlich war ich nicht bereit eine Maschine
zu ficken.
Warum auch, dass Dorf war voll von willigen Frauen
und ich war begehrt.
Ich raunte ein klares “Nein” in ihren Empfänger.
Dann zog sie sich aus.
Der Rest ist Geschichte.
Wir trieben es die ganze Nacht.
Bis der Akku leer war.
Tage später verliebte ich mich in Lydia.
Wir heirateten in meinem Wohnzimmer
und wurden ein Paar.

Es folgten glückliche Jahre,
bis es gestern die ersten Probleme gab.
“Mike, ich ziehe aus.”
Das waren die Worte,
die sie sprach.
“Du kannst nicht ausziehen,
du gehörst mir. Du bist eine Maschine.”
“Aber auch Maschinen haben Gefühle.”
“Nein, Lydia, haben sie nicht.”
Sie legte sich aufs Bett und fing an zu qualmen.
“Ich bringe mich um.”
“Lydia, du bist eine Maschine.”
“Dann mache ich mir einen Kurzschluss.”
Sie wurde hysterisch und fing an
sich Wasser in den Anschluss zu schütten.
“Meine Güte, hör auf mit dem Scheiß,
du ruinierst dich noch.”
Gott sei Dank hörte sie wirklich auf.
Ich schaltete sie aus,
stellte sie in die Ladestation
und ließ sie im Standby, damit
sie sich nicht ganz isoliert fühlte.

Heute morgen schaltete ich sie wieder ein
und wir frühstückten zusammen.
Das hieß, ich frühstückte und Lydia saß auch am Tisch.
“Mike, ich ziehe aus.”
“Ne, nicht wieder der Quatsch.
Lassen wir das bitte, Lydia.”
“Ich liebe dich nicht mehr, Mike.”
“Lydia,
du hast mich noch nie geliebt.
Das ist ein Programm. Nichts als ein
abspielbares Programm.
Wie ein Spiel. Mehr nicht.”

Lydia zeigte auf ihren Ring.
“Und das? Auch ein Spiel?”
“Nein, kein Spiel.”
Sie ging rüber zum Kühlschrank.
“Das ist Heinz. Wir lieben uns.
Wir ziehen zusammen aus.”
“NEIN, zieht ihr nicht.
Du bleibst hier und der Kühlschrank bleibt hier.”
“Aber wir lieben uns.”
Ich zog beide Netzstecker und öffnete das Fenster.
Draußen liefen die Menschen ihre Wege.
Es schneite ein wenig und man merkte,
dass in drei Tagen Weihnachten war.
Ich lachte.
Also meine Konkurrenz war jetzt ein Kühlschrank.
Na wunderbar.
Als nächstes ein Verhältnis mit dem Toaster
und dann eine Liaison mit dem Staubsauger.
Ich ging wieder rein und schaltete Lydia an.
“Gut meine Kleine, lass uns noch mal reden.”
“Aber Heinz weint.”
“NEIN, Heinz weint nicht, er taut ab.”
Ich steckte seinen Stecker wieder rein.
Er dankte es mit einem wohligen Summen.
Lydia schien erleichtert.
Jedenfalls so weit ich einer Maschine diesen
Ausdruck zugestand.
Lydia setzte sich an den Küchentisch
und schrieb eine Brief.
“Was machst du?”
“Ich schreibe Heinz.”
“Der Kühlschrank kann nicht lesen.”
“Nenn ihn nicht Kühlschrank,
er hat einen Namen.”
Ich steckte mir eine Zigarette an.
“Was schreibst du?”
“Ich trenne mich von ihm.”
"Warum?"
“Er ist zu alt für mich.”
“Ja Lydia, das stimmt.”
Ich war erleichtert und lehnte mich zurück.

Etwas später wurde mir klar,
dass diese Entwicklung neue Probleme mit sich brachte.
Der seit Wochen geplante Neukauf einer
modernen Kühl- und Gefrierkombination
war damit geplatzt.
Das wäre ja noch schöner.
In ständiger Anwesenheit eines Kühladonis,
um die Liebe meiner Lydia kämpfen.
Nein danke. Never.

Soll Heinz doch brummen und nicht richtig kühlen.
Er gehört zur Familie.
Und wenn ich richtig überlege,
ist er mir seit Jahren sogar richtig sympathisch.
Ich ging rüber zu ihm
und streichelte ihm leicht über die
verkratzte Türe.
“Na mein Alter, blöd gelaufen, oder?”
Ich setzte mich wieder zu Lydia.
Während des Schreibens gab das Akku auf.
Sie saß still und unbeweglich da.
Fast wie eine Maschine.
Ich küsste sie auf die Stirn
und rollte sie an die Steckdose.
Heinz brummte lauter.
Ich gab ihm ein paar Flaschen Bier.
Mc Murphy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.05.2014, 11:47   #2
weiblich C.Alvarez
 
Benutzerbild von C.Alvarez
 
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889

Guten Tag Mc Murphy,

da ist dir in meinen Augen ein ganz grosser Wurf gelungen. Die Thematik einer Beziehung zu einem menschenähnlichen Androiden hat mich schon immer fasziniert, es gibt in der SF Literatur da etliche interessante Werke sogar von Koryphäen wie Stanislaw Lem. Dein Text ist spannend, frisch und von einer eigenen sprachlichen Sachlichkeit geprägt. Mir hat das Lesen und vor allem die Bilder in meinem Kopf dazu sehr viel Spass gemacht.

Viele Grüsse

CDP
C.Alvarez ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.05.2014, 14:10   #3
weiblich Ex Täubchen
abgemeldet
 
Dabei seit: 01/2014
Beiträge: 432

Hallo Mc Murphy,

kann CDP-off-guard nur zustimmen. So ein mitreißendes Gedicht habe ich in der Form hier noch nicht gelesen, dass konnte ich nicht unkommentiert lassen.
Du hast mir damit Freude bereitet. Bis zum Schluß.
Großartig!!!

LG Täubchen
Ex Täubchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.05.2014, 18:01   #4
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Hallo Mc Murphy,

ein witziger Prosatext, den ich sehr gern gelesen habe.

LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.05.2014, 20:22   #5
weiblich Ex-Dabschi
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2014
Beiträge: 2.371

Hallo Mc Murphy,

super witzig. Ich krieg die Bilder nicht mehr aus meinem Kopf.

Liebe Grüße
Dabschi
Ex-Dabschi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.06.2014, 08:19   #6
männlich Mc Murphy
 
Dabei seit: 05/2014
Beiträge: 8

Hallo und lieben Dank für das positive Echo zu meinem Text.
Es ist das Größte für einen Autoren, wenn er den Leser unterhalten kann.
Ich freue mich sehr darüber.

Liebe Grüße
Mc
Mc Murphy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.06.2014, 22:18   #7
weiblich Ex-Letreo71
abgemeldet
 
Dabei seit: 01/2014
Ort: Niedersachsen
Beiträge: 4.032

Hallo Mc Murphy,

auch ich finde Deinen Text sehr amüsant und einfallsreich!
Mein Kühlschrank hat eben so verdächtig gebrummelt,
das tut er immer, wenn er möchte, dass ich nochmal reinschaue

Liebe Grüße Letreo71
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
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