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Alt 08.04.2012, 14:22   #1
männlich Desperado
 
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Standard Das Massaker von Sand Creek

Meine Hoffnung habe ich am Sand Creek begraben, dort ruht sie für immer.

Auch die Hölle hat ihre Hierarchie. General Custer war ein Teufel ohne Frage, Kit Carson ein Judas ohne Reue, oder soll man es als einen Anflug schlechten Gewissens deuten, wenn Navajoschlächter Carson die Männer jenes dritten Colorado Freiwilligenregiment als „Feiglinge und Hunde“ beschimpft, die das Massaker von Sand Creek begingen?

Ihr Colonel namens John Chivington indessen ist der Satan, der gefallene Engel in seiner reinsten Form und Ausführung, der als Methodistenprediger begann und sich steigerte zum Massenmörder in Gottes Auftrag.

„Aus Nissen werden Läuse!“
Das ist seine öffentlich propagierte Rechtfertigung für den Mord an Kindern und Säuglingen, bei Indianerkriegen sind weder Männer, Frauen noch Kinder zu schonen, Cheyennes sind „zu töten, wann und wo auch immer“ seine Untergebenen auf solche stoßen sollten.

Man will es kaum glauben, dass dieser zwei Meter große und hundertdreißig Kilogramm schwere Mann und vielfache Vater vormals als „the fighting pastor“ eine entlaufene Sklavin in seinem Pfarrhaus aufnahm und unter seinen persönlichen Schutz stellte. Als die US Marshalls in Quincy auftauchen, um die Farbige ihrem „rechtmäßigen Besitzer“ zuzuführen, kommen sie an seiner imposanten Erscheinung nicht vorbei und müssen unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Wo auch immer der Gottesstreiter eingesetzt wird, ist sein Glaubenswerk mit Erfolg gesegnet, das unter anderem ein rigoroses „Aufräumen“ unter den Saloon- und Spielhallenbesitzern beinhaltet, ich habe diese Vorgehensweise von Seinesgleichen schon mal irgendwo erwähnt soweit ich mich entsinnen kann. Als Missionar bei den Wyandots vom Volk der Huronen tätig, gelingt es ihm innerhalb von zwei Jahren, den Weißen ein friedliches Zusammenleben mit ihren roten Brüdern abzuringen, in seinen Predigten wettert der kämpferische Reverend außerdem unermüdlich gegen das gottlose Verbrechen der Sklaverei.

Als ein rassistischer Mob beschließt, dem verhassten Niggerfreund nach der Messe aufzulauern, mit siedendem Öl zu übergießen und anschließend zu federn, um ihm seine Flausen ein für allemal auszutreiben, bekommt Chivington Wind von ihrem Vorhaben, und als die finstere Meute beim Gottesdienst auftaucht, empfängt sie der Prediger, der zwei geladene Pistolen gut sichtbar links und rechts von seiner aufgeschlagenen Bibel platziert hat, mit den salbungsvollen Worten:
„Mit dem Wohlwollen Gottes und dieser beiden Revolver werde ich heute hier predigen!“
Die hinterhältigen Feiglinge ziehen ihren Schwanz ein und lassen den nicht nur Wortgewaltigen fortan in Ruhe.

Aber das ist lange her.

Chivingtons mühsam errungener Heiligenschein hat Rost angesetzt, er selbst droht in Vergessenheit zu geraten, als er sich im Bürgerkieg zum Eintritt in die Armee der Nordstaaten entschließt, und zwar nicht als Kaplan wie angeboten und eigentlich zu erwarten, sondern als Major mit durchaus weltlichen Absichten. Mit dem wichtigen Sieg über die Konföderierten am La Glorieta Pass –nomen est omen- wird der Reverend tatsächlich zum gefeierten Kriegshelden.

Der Major wird flugs zum Colonel befördert, die Gloria indes steigt dem Gottesmann gewaltig zu Kopfe, den Ruhm durch militärischen Erfolg zu mehren ist fortan sein ganzes und einziges Bestreben, wobei Chivington keineswegs die stete Berufung auf den Beistand Gottes außer Acht lässt und die ausdrückliche Führung durch den Allerhöchsten hervorhebt, von nun an führt der wackere Kämpfer einen heiligen Krieg in dessen Auftrag und Namen.

Der allerdings lässt auf sich warten, erneut droht sein Kriegsruhm zu verblassen, bis ihm die Fügung eine von Indianern niedergemetzelte und öffentlich zur Schau gestellte Farmersfamilie liefert und mit ihr den willkommenen Anlass, seine Fähigkeiten für alle Welt unvergesslich unter Beweis zu stellen, was ihm ohne jeden Zweifel gelingt.

Als Chivington nach Denver beordert dort erscheint, findet er ein bestelltes Feld für seine Pläne in Governeur Evans daselbst, der nach ergebnislosen Verhandlungen mit dem friedwilligen Cheyenne Häuptling Black Kettle lauthals poltert: „Was soll ich mit dem 3. Regiment anfangen, wenn ich Friede mache? Es wurde aufgestellt, um Indianer zu töten und nun muss es auch Indianer töten!“

Die Rekrutierung der freiwilligen „Hundert Tage Soldaten“ hatte den Stadtsäckel empfindlich geleert, eine finanzpolitische Blamage, die sich Evans um jeden Preis ersparen will, hat er doch den hohen Herren der Regierung so lange mit Schauergeschichten über blutrünstige Wilde in den Ohren gelegen, bis diese nachgaben und ihm die Erstellung des „Regiments“ überhaupt erst bewilligten. Die „Bloodless Third“, wie die Freiwilligentruppe von den Bürgern Colorados bereits spöttisch genannt wird, findet in Chivington genau den Anführer, auf den sie zur Tatenlosigkeit verdonnert hingefiebert hat.

Major Wynkoop, seines Zeichens Indianerfreund, der Black Kettle zu den Friedensverhandlungen geladen hatte, wird wegen „Kompetenzüberschreitung“ auf der Stelle seines Amtes enthoben, die erste Amtshandlung seines Nachfolgers Major Anthony, wegen seiner ständig geröteten Augen von den Indianern „Little Red Eyed Soldier Chief“ genannt, besteht darin, den Cheyenne den zugesagten Lagerplatz im Schutz des Forts zu verweigern, er empfiehlt Black Kettle sattdessen, mit seinem Stamm an den sechzig Meilen entfernten Sand Creek zu ziehen, um dort in Ruhe auf die Unterzeichnung des Vertrages zu warten. Anthony selbst wird über Chivingtons Pläne bewusst im Dunkeln gehalten.

Das Militärdepartement von Kansas gibt in der Zwischenzeit Gouverneur Evans per Telegramm unmissvertändlich zu verstehen, dass es keinerlei Interesse hat an einem voreiligen Friedenschluss, „bevor die Indianer nicht mehr gelitten haben.“ Alles folgt einem wohldurchdachten geradezu teuflischen Plan, der einmal mehr recht anschaulich belegt, dass es sich bei derlei Massakern nicht um bedauerliche Zwischenfälle oder „Tragödien“ handelt, sondern um geplanten, gezielten, von oberster Stelle befohlenen und eiskalt ausgeführten Völkermord.

Die Worte des Cheyenne Häuptlings, mit denen er sich von Evans und Chivington verabschiedete, stoßen auf taube Ohren und verhallen ungehört.
„Ich möchte, dass ihr allen Häuptlingen der Soldaten hier zu verstehen gebt, dass wir Frieden wollen und dass wir Frieden geschlossen haben, damit wir nicht für Feinde gehalten werden.“
Dem Führer der Cheyenne schwante wohl schon Unheil, die Gewalt jedoch, mit der es über ihn und seinen Stamm hereinbrechen sollte, wird seine schlimmsten Befürchtungen mit solcher Abscheulichkeit in den Schatten stellen, dass sie den misstrauisch gewordenen Verhandlungswilligen zum arglos Getäuschten erhebt, oder als solchen dastehen lässt je nachdem.

In jahrelangen Nachforschungen habe ich alles zusammengetragen, was ich zwischen die Finger und zu Ohren bekommen konnte, wohl auch in der Hoffnung, das unbeschreibliche Entsetzen, dessen Zeuge ich werden musste, dadurch ein wenig verarbeiten zu können, ein hoffnungsloses Unterfangen von Anbeginn an.

An den Ufern des Sand Creek liegt meine Hoffnung begraben, und sie wird nicht wieder auferstehen.

Ein flirrendes Zwielicht liegt über der verschneiten Welt des Sand Creek in den späten Novembertagen des vierundsechziger Winters.

Eher zufällig bin ich auf ein paar Jäger der „Bande elender, schmutziger, verlauster, diebischer, verlogener, mordender, hinterhältiger, glaubensloser, Dreck fressender Stinktiere, wie sie nach dem Willen des Herrn nirgends sonst die Erde vergiften, und für deren sofortige und endgültige Vernichtung alle Menschen beten sollten“ -wie ich unlängst einer seriösen Zeitung in Kansas entnehmen konnte- gestoßen.

Die Männer müssen wohl frisch gebadet haben, eindrucksvoll und faszinierend erscheinen sie mir in ihren fellverhüllten Ledergewändern, jedenfalls gelingt es mir, der ich einige Brocken ihrer Sprache aus meiner frühen Jugendzeit beherrsche, rasch ihr Vertrauen zu gewinnen, zudem da ich in meine Begrüßungsworte und freundschaftlichen Gesten den Namen Meammawihio, des verehrten Schöpfers der Glaubenslosen, einfließen lasse.

Offenherzig berichten mir die Cheyenne von ihrem Lagerplatz am Ufer des Flusses, das sie mit ihren Häuptlingen Black Kettle und dem alten White Antilope dort aufgeschlagen haben, um Frieden zu schließen mit dem weißen Mann. Da ihre Frauen und Kinder, die in den Zelten auf ihre Rückkehr warten, hungrig sind von der langen Wanderung, sind fast alle Männer zu einem Vorratslager im Osten aufgebrochen, während sie Frischfleisch machend durch die Gegend streifen. Bereitwillig erklären sie mir, der ich die bekannten Anführer unbedingt einmal mit eigenen Augen sehen will, den Weg dorthin und warnen mich bei der Gelegenheit vor den Wachposten der Blauröcke, die jeden Fremden sorgfältig in Augenschein nehmen würden, der da unbedarft des Weges kommt wie ich.

Obwohl ich keinerlei Bock auf ihre lästigen Fragen nach dem Woher und Wohin habe, da sie meine ehrliche Antwort „von dort bis hierhin, und weiter nach weiß nicht wohin“ grundsätzlich als Beleidigung und sehr verdächtige Ausflucht empfinden, mich deshalb bis auf die nackte Haut zu filzen pflegen, zu entwaffnen und sicherheitshalber in Gewahrsam zu nehmen, entschließe ich mich dazu, das Lager aufzusuchen. Mein Gewehr, den Colt samt Halfter und Munition, ja sogar mein Bowieknife wickle ich jedoch in eine Decke und verstecke alles gut verschnürt in einem hohlen Baumstamm, da ich ansonsten nicht davon ausgehen kann, meine Waffen einmal beschlagnahmt jemals wiederzusehen. Ein schwerwiegender Fehler, den ich mein Lebtag bereuen soll.

Ich erreiche das Winterlager und seine im Licht der Feuerstellen schimmernden Zelte erst spät in der Nacht, weshalb ich mich in Sichtweite auf einem Hügel niederlasse, um dickvermummt den Morgen abzuwarten. Bald bin ich trotz freudiger Anspannung in tiefen Schlaf gesunken.

Im ersten Morgenlicht rolle ich mich aus den Decken und betrachte schläfrig das Lager unter mir. Über dem Häuptlingszelt inmitten flattert die amerikanische Flagge neben einer weißen Fahne in der frischen Morgenbrise, ein paar feine Rauchsäulen kräuseln sich aus der Öffnung der Zeltspitzen, ansonsten ist alles ruhig, das Ganze bietet einen überaus friedlichen Anblick.

Dann aber höre ich nicht unweit von mir Hufschlag, verstecke mein Pferd eilig im Gebüsch und pirsche mich vorsichtig an die Böschung heran, hinter der ein abfallender Hang den Blick auf den Pfad darunter freigibt. In ungeordneten Reihen reitet eine Schlange von bewaffneten Männern unter mir vorbei, deren Zugehörigkeit zu einer militärischen Einheit weniger an ihrer uniformähnlichen Bemantelung als vielmehr an den vier Blaurockoffizieren an ihrer Spitze zu erkennen ist, offenbar eine Freiwilligenarmee, wie viele Zeitsoldaten der Spitze des Zuges folgen, bleibt meinem Blick hinter der Krümmung des Hügels verborgen.

Jedenfalls haben die Offiziere, deren einer, der offenbar Ranghöchste, die andern ebenso um eine gute Kopfeslänge überragt, angehalten, drei reden mit militärisch korrekter Disziplin auf den Riesen ein, und ich kann ihre Worte in der kalten Morgenuft recht gut verstehen, von „Mord im wahrsten Sinne des Wortes“ ist da die Rede, was mir einen fröstelnden Schauer den Rücken hinunterjagt, mehr noch jedoch entsetzt mich die barsche Antwort ihres Vorgesetzten, die er den Zögernden entgegenschreit.

„Der Teufel soll alle holen, die mit den Rothäuten symphatisieren!“, bellt er sie an, „Ich bin hier um Indianer zu töten, und ich glaube, es ist richtig und ehrenhaft, sich aller Menschen, die es unter Gottes Himmel gibt, zu bedienen, um Indianer zu töten!“

Wie um seinen Worten Gewicht zu geben, spornt der Offizier sein Schlachtross an, seine Untergebenen folgen ihm gehorsam, und mit ihnen der furchterregende Tross. Den Menschen unter Gottes Himmel, die in seinem Rücken Mühe haben, ihre Pferde zu bändigen, scheint die Antwort ihres Führers zu gefallen, einige recken zustimmend ihre Gewehre in die Höhe, jemand schreit gellend: „Rottet die ganze Bande von Rothäuten aus!“, andere johlen wankend in ihren Sätteln, viele wirken auf mich wie Volltrunkene. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken, in fliegenden Schritten renne ich zu meinem Pferd, ich habe es jedoch noch nicht erreicht, als ich den schmetternden Trompetenstoß des Angriffsignals höre und erste Schüsse die morgendliche Stille zerreißen.

Auf dem Kamm des Hügels zwischen Bäumen verborgen bin ich waffenlos dazu verurteilt, das weitere Geschehen ohnmächtig beobachten zu müssen, eine Verurteilung, die sich als Verdammnis herausstellen sollte.

Zartbesaiteten und empfindsamen Gemütern möchte ich an dieser Stelle dringend ans Herz legen, meinen Tatsachenbericht nicht weiter zu verfolgen und hier als beendet zu betrachten.

Ich verfluche mich für Zeit und Ewigkeit, mein Gewehr nicht bei mir zu haben, um den Finger am Hahn krümmen zu können, den Auslöser des Bolzens zu betätigen und eine um die andere dieser verdammten Seelen in die Hölle zu schicken mit gezielten Schüssen mal um mal um mal.

Tatsächlich ist es mir vergönnt, White Antilope zu Gesicht zu bekommen, der fünfundsiebzigjährige Frühaufsteher kommt aus seinem Zelt gekrochen und läuft den heranpreschenden Angreifern entgegen, wobei er lauthals in deutlichem Englisch „Halt! Halt!“ ruft, sich den Soldaten aufrecht entgegenstellt mit vor der Brust verschränkten Armen, nur um einfach über den Haufen geschossen zu werden. Ein paar Sekunden waren mir geschenkt, seine Bekanntschaft machen zu dürfen, einzig um den großen Mann sterben zu sehen.

Verzweifelt zerrt der hinzugestürzte Black Kettle am Seil der Fahnenstange, um die weiße Flagge höher zu hissen, niemand schert sich darum, was da unbeachtet an Stoff vom Winde verweht wird. Innerhalb weniger Minuten ist der Lagerplatz gefüllt mit schreienden, wild durcheinander laufenden Frauen, ihre Kinder an Händen mit sich zerrend oder auf Armen tragend an den Leib gedrückt, erbarmungslos niedergetreckt von den unablässig schießenden Soldaten, die unaufhaltsam in das Lager vorzudringen scheinen.

Eine paar Squaws suchen verzweifelt Schutz unter einer Böschung, als die Soldaten sich ihnen nähern, laufen sie aus ihrer Deckung, um sich um Gnade flehend als wehrlose Frauen erkennen zu geben, sie werden erbarmungslos niedergemäht von zahlreichen Schüssen. Wieder eine andere große Gruppe von Frauen, um die vierzig davon, hat sich in den Schutz einer Mulde geflüchtet, die Leiber eng aneinander gepresst und übereinander gedrängt, ein etwa sechsjähriges Mädchen wird aus dem zitternden Menschenpulk geschickt, einen Stock in Händen mit einem nicht zu übersehenden weißen Fetzen daran, den es fast verspielt in der Luft hin und herschwenkt, das Kind wird niedergeschossen, es sinkt hin als wäre es gestolpert.

Während die wenigen im Lager verbliebenen Krieger verzweifelt versuchen, an ihre Waffen zu kommen, säbelt ein Soldat mit einem Messer dem gefallenen White Antilope, dessen Leichnahm ausgestreckt auf dem Rücken liegt, die Geschlechtsteile ab, reckt sie triumphierend in die Höhe und schreit johlend: „Das Ding gibt einen herrlichen Tabaksbeutel ab!“
Seine scheußliche Tat findet rasch Nachahmer im Tumult, einer der Männer schlitzt einer hochschwangeren Frau mit dem Säbel den Bauch auf, reißt ihr das Ungeborene aus dem Leib und schleudert es noch an der Nabelschnur hängend neben die Sterbende auf den gefrorenen Boden.

Derlei Gräueltaten, Verstümmelungen und Leichenfleddereien sind rundum allüberall zu beobachten, ich hülle sie in den blutgetränkten Mantel des Schweigens.

Endlich ist es den gut dreißig Kriegern gelungen, eine Reihe zu bilden, hinter deren Schutz die überlebenden Frauen und Kinder sich in Sicherheit zu bringen versuchen. Die Cheyenne werfen sich der gröhlenden Meute mit solcher Entschlossenheit entgegen, sie kämpfen mit vollkommener Todesverachtung und dem zornigen Mut der völligen Verzweiflung, die Krieger springen todesmutig in den vollen Lauf der Pferde, reißen die Reiter von den Gäulen und werfen die Erschlagenen blutüberströmt in den staubenden Schnee, ihre Gewehrschüsse fällen die Ungeheuer der heranstürmenden Horde in solcher Menge, ihre Pfeile heben die Mordbrenner derart zahlreich aus ihren Sätteln, dass ihr Sturmlauf tatsächlich ins Stocken gerät und die erbärmlichen Feiglinge in wilder Panik davon rennend und jagend den ungeordneten Rückzug antreten. Jedoch nur, um sich außer Schussweite für die nächste Angriffswelle zu sammeln.

„Ich sah niemals mehr Tapferkeit bei irgend einem anderen Volk auf der ganzen Erde als bei diesen Indianern“, soll sich später Major Scott Anthony voller Hochachtung erinnern, den angesichts der hingeschlachteten Kinder und Frauen offenbar so etwas wie ein schlechtes Gewissen überkommt und der sich der unverzeihlichen Tragweite seiner Mitwirkung an dem entsetzlichen Geschehen bewusst zu werden scheint.

Auch dem zweiten Angriff halten die Krieger stand, sie kämpfen noch zu Tode verwundet und von Kugeln zerfetzt, doch irgendwann ist keiner der Tapferen mehr am Leben, und die Schlächterei der völlig schutzlos Gewordenen, denen es nicht gelungen ist, aus dem Lager zu entkommen, setzt sich mit unverminderter Heftigkeit und gesteigerter Grausamkeit fort.

Die „Soldaten“ machen sich daran, den erschossenen und erschlagenen Kindern, Frauen und wenigen Männern den Skalp vom Schädel zu metzgern, jedem einzelnen ihrer Opfer ohne Ausnahme bis zum Säugling, sie hacken den Toten und Verletzten die Finger von den Händen, um sich ihre Ringe unter die blutverschmierten Nägel zu reißen, sie schneiden den Frauen die Geschlechtsteile aus dem Schoß und spießen sie wie eine Trophäe auf einen Stock, die abgetrennten der Männer ja selbst der Knaben spannen sie um den Knauf ihrer Sättel, hängen sie sich an die Hüte und reiten mordend weiter, schreiend prahlen sie mit ihren Beutestücken.

Die Soldaten von Gottes sprich Chivingtons Gnaden haben sich in einen Blutrausch ohne Beispiel hineingesteigert und verwandeln sich vor meinen tränenblinden Augen in grässliche Dämonen der Hölle, der ich auf die Knie gesunken bin, mich erbrochen habe bis zur Galle und mir die Fäuste blutig gebissen, die ich mir fassungslos an die bebenden Lippen presse, während der Mantel aus Stämmen und Nadelgrün mein irregewordenes Heulen verschluckt.

Ein junger Bursche schmeißt einen Säugling in den Futterkasten eines Wagens, schwingt sich pfeifend auf den Bock und treibt das Gespann in die weiße Wildnis hinaus, als er eine Weile später jauchzend zurückkommt, ist der Futtertrog leer, er hat das schreiende Bündel irgendwo da draußen in den Schnee geschmissen, um ihm ein qualvolles Umkommen zu ermöglichen.

Eine Gruppe von Frauen versucht durch das eisige Flussbett zu entkommen, eine Schwangere bleibt zurück, wird von den Verfolgern eingeholt und umgebracht, ihr Säugling wird von einem Soldaten mit seinem Säbel auf die selbe Weise entbunden wie die anderen vor ihm, nur durchtrennt der Teufel mit einem wuchtigen Schlag die Nabelschnur, der stumme Fluss trägt den kleinen Todgeweihten in einem Blutschwall mit sich fort, der nur kurz das grauenhafte Licht dieser verlorenen Welt erblicken hat müssen.

Mitten in der auf die Erde heraufgestiegenen Hölle erblicke ich den hühnenhaften Major, der das Grauen um sich her von seinem hohen Ross herab mit sichtlicher Zufriedenheit und Genugtuung betrachtet und keinen seiner warm behandschuhten Finger rührt, um auch nur eine dieser unsäglichen Abscheulichkeiten entfesselter Unmenschlichkeit zu unterbinden, im Gegenteil, seine stolze hochaufgerichtete Körperhaltung signalisiert nicht nur Duldung, sondern ausdrückliche Zustimmung.

Für Captain Silas Soule, einen der drei anwesenden Offiziere, der ohne Anwendung von Gewalt dem Geschehen beiwohnt und sich während des Gemetzels immer wieder beschwörend an seinen Kommandanten wendet und von tiefstem Mitleid gepeinigt seinen Oberbefehlshaber in Gottes barmherzigem Namen um den sofortigen Abbruch der Aktion ersucht, hat der große Feldherr nach der „Schlacht“ nur Verachtung übrig und weist ihn zurecht mit den Worten:
„Ihr Betragen ist unklug, Sir, wenn Sie da sagen, sie würden Gott danken dafür, dass Sie keinen Indianer getötet haben, und diesbezüglich dergleichen Ausdrücke gebrauchen.“

Da hat sich sein weibischer Captain doch neben Feigheit vor dem Feinde auch noch der Gotteslästerung schuldig gemacht. Der unerschrockene Major Chivington indessen ist sich felsenfest sicher, wie ein wahrer Gottesmann die Sache zu beurteilen weiß und dankt seinem Gott in aller Demut, dass er ihm die große Gande erwiesen hat, so viele Indianer wie möglich getötet zu haben, wie es der Ehre und Verherrlichung des Allerhöchsten gebührt.

Allerdings sind seine heldenhaft kämpfenden Befohlenen zu sehr mit der Stillung ihres Blutdurstes beschäftigt oder schlicht zu besoffen, um die Verfolgung der Überlebenden aufnehmen zu können, orientierungslos irren sie auch nach dem Massaker tagelang durch die Gegend, ohne auch nur eine einzige verfluchte Rothaut ausfindig machen zu können, ein bitterer Wermutstropfen im süßen Wein seines glorreichen Sieges. Dennoch prahlt Chivington in einem ersten Bericht über das Gemetzel voller Stolz damit, vierhundert bis fünfhundert wilde Krieger erledigt zu haben mit seinen wackeren Mannen, er kennt die fliegende Macht des Gerüchtes und versteht sie für sich zu nutzen.

Major John Chivington wird nach ergebnisloser Jagd in einem festlichen Triumphzug an der Spitze seiner „Truppe“ in Denver einmarschieren und mit Hochrufen empfangen werden von einer frenetisch jubelnden Volksmenge, die in Massen die Straßen säumt, er wird das geschmückte Rednerpodest betreten und der andächtig lauschenden Verehrerschar der begeisterten, aus allen Richtungen zusammengeströmten Stadtbevölkerung mit dem Brustton gelassener Überzeugung verkünden:
„Ich bin fest davon überzeugt, dass man Ruhe und Frieden nur dadurch sichern kann, wenn man die roten Rebellen umbringt.“

Kleine rote Rebellenbabies, deren Engel glühend vor Zorn als Ankläger vor Gottes Angesicht stehen und deren unschuldige Münder mir das Wiegenlied vom Totschlag singen in meinen schweißdurchtränkten Träumen.

Bis heute singen sie.

Tagelang reite ich kreuz und quer durch die eisige Landschaft. Vergeblich, der Wind hat die Wagenspuren verweht, die Kojoten waren wohl vor mir da, doch bis heute klammere ich mich an den Gedanken, das hilflose Bündel möchte von entkommenen Frauen entdeckt und mitgenommen worden sein. Manchmal träume ich davon, eine Wölfin hätte sich des Säuglings angenommen und ihn aufgezogen. Doch nicht nur das ausgesetzte Kind konnte ich trotz verzweifelter Suche nicht finden, damals verlor ich meinen Verstand, und auch der blieb für immer verschwunden. Was sich bald als das Beste herausstellte, denn hätte ich ihn wiedergefunden, er wäre mir noch so viele Male abhanden gekommen, dass ich nur noch mit Suchen beschäftigt gewesen wäre tagaus tagein.

So blieb ich eben einfach verrückt und wurde höchstens noch ein wenig verrückter.

Dass es Chivington letztendlich doch nicht zum Volkshelden schafft wie Custer oder Carson, hat seine Ursache darin, dass er im Eifer des „Gefechtes“ über sein Ziel hinausgeschossen ist und einen jungen Weißen hinrichten ließ, der sich zur Zeit des Massakers im Lager der Cheyenne aufgehalten hatte. Während es dem Händler John Smith grade noch mit letzter Not gelingt, den rasenden Schlächtern zu entkommen, wird sein Sohn Jack gefangen genommen, gefesselt und in einem Zelt festgehalten, wo er von den Soldaten hämisch verspottet und schwer misshandelt wird.

Chivington ist nicht nur tatenloser Zeuge des Vorfalls, er weiß auch um die Mordpläne, die seine Männer bezüglich des stinkenden Indianerfreundes bereits geschmiedet haben, ein Lieutenant Dunn hat seinem Major besorgt Meldung gemacht, dass der junge Mann noch in dieser Nacht getötet werde, wenn er, Chivington, seinen Männern nicht verständlich machen könne, dass er als ihr Oberbefehlshaber den Burschen am Leben lassen wolle. Chivington´s Antwort ist die verbale Unterzeichnung des Todesurteils.
„Ich habe meine Instruktionen gegeben. Habe meinen Männern befohlen, keine Gefangenen zu machen.“

Noch in der selben Nacht stirbt Jack durch eine Kopfschuss, von einem Soldaten durch ein Loch ins Gefangenenzelt hinein abgefeuert, es wird keine näheren Untersuchungen geben zu dem „bedauerlichen“ Zwischenfall. Doch die ungeheure Nachricht, dass Chivington nichts unternommen hat, um einem „unschuldigen“ weißen Kerl das Leben zu retten, verbreitet sich wie ein Lauffeuer und wirft einen riesigen Schatten auf seine Heldentat. Zumal, wie sich bald herausstellen wird, das reuige Rotauge Major Anthony den ahnungslosen Pelzhändler Smith samt Sohn nur zu dem Zweck ins Lager der Tistista geschleust hat, um die Indianer in größtmöglicher Sicherheit zu wiegen.

Der Köder für die Bestie rennt gleich zu Beginn des Angriffs auf die Kavalleristen zu, einem Weißen werden diese sicher kein Haar krümmen, aber was er zu hören bekommt- „Knallt den verdammten Hundesohn ab! Er ist nicht besser als die Indianer!“- lässt ihn auf dem Fuße kehrtmachen und mit den Cheyenne die Flucht ergreifen. Sein Sohn indessen hat weniger Glück.

Als sich in Folge dieser Unverzeihlichkeit auch die begangenen Gräueltaten an den Frauen und Kindern des Tistista zumindest außerhalb der Grenzen Colorados nicht mehr länger unter den Tisch kehren lassen, ranghöchste Generäle sich darüber empören, von einer „unauslöschlichen Schande“ die Rede ist, die „das Gesicht jeden Amerikaners mit Scham und Empörung überziehen muss“ und nicht zuletzt der Druck von Menschenrechtsorganisationen zunimmt, bleibt dem Kongress schließlich keine andere Wahl, als Chivington vor ein Kriegsgericht zu zitieren. Der jedoch ist unter der Bedingung, dass keine weiteren gerichtlichen Schritte gegen ihn unternommen werden, bereits aus der Armee ausgetreten, um sich auf diesem Wege seiner vollkommen ungerechtfertigten Bestrafung zu entziehen, was ihm, wie auch anders zu erwarten, gelingt.

Bis heute ist Chivington der unverrückbaren Überzeugung, einen glorreichen Sieg über zahlenmäßig überlegene –was sie ja auch tatsächlich waren-, verworfene und verbrecherische Cheyenne errungen zu haben zum Wohle des amerikanischen Volkes, auch der Körperfresser, der ihm wohl nicht mehr allzu viel Zeit geben wird, kann seine Selbstherrlichkeit nicht im Geringsten erschüttern.

Seinen „Widersacher“, den weibischen Captain Silias Soule, dessen scharfe und öffentlich vorgetragene Kritik dem verkannten Gottestreiter nicht zuletzt die ganzen Scherereien eingebrockt hat, wird er ohnedies um lange Jahre überleben. Nach einigen misslungenen Mordanschlägen und etlichen feigen Übergriffen aus dem Hinterhalt, die für den guten Mann trauriger Alltag geworden sind, wird Soule von einem ehemaligen Soldaten des Colorado-Regiments auf offener Straße erschossen.

Sein Mörder wird zwar von einem gewissen Lieutnant Cannon überführt und verhaftet, doch auch der fällt einem Giftanschlag zum Opfer, Souls Meuchelmörder kann entkommen und sich unauffindbar absetzen. Würde mich nicht wundern, wenn Chivington selbst die ganze Sache eingefädelt hätte, überhaupt nicht.

So sind sie nun mal, die gefallenen Engel.
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