Geschwätz

[Ottilie]

Nach dem Einsatz sitzen alle
noch, als wäre dies nun ein Gesetz,
beieinander in der Runde.
Schweigen. Reden. Führ‘n Geschwätz.

Rettungssanitäter, Ärzte,
Krankenschwestern, Fahrer. Keiner lacht.
Doch sie reden, trinken, schwätzen
in der Angst vor nächster Nacht.

Ja, es hilft den Helfern sicher
das Geschwätz, selbst wenn es nichtig ist.
Es entspannt. Man schläft doch besser.
Und man hofft: Dass man vergisst,

was man heut am Einsatzorte
hat geseh‘n: Die Wracks. Die Toten. Blut.
Und sie öffnen noch ne Flasche.
Und sie wissen: nichts wird gut.

Manchmal scheint mir, dass solch Schwätzen,
Reden, Trinken gleicht wohl einer Kur.
Überflüssig und doch wichtig.
Wie, denk ich, Literatur.

[Candlebee]

Hallo Ottilie,

reden hilft bekanntlich, aber nicht um schreckliche Bilder aus dem Kopf zu bekommen. Ich kann nicht mal solch Meldungen vertragen, geschweige denn mir vorstellen, was sie alles sehen. Man muss ihnen Respekt zollen. Und dafür sollen, dürfen und müssen sie schwätzen. Deine Worte treffen einen Punkt.

Nette Grüße, Candlebee

[Ottilie]

Hallo Candlebee,

die Geschichte hörte ich tatsächlich von Rettungssanitätern. Es ist für sie wohl wirklich heilsam, nochmal nach dem Einsatz zusammen zu sitzen und einfach zu quatschen. Der Inhalt der Reden und Gespräche spielt kaum eine Rolle. Der Vergleich zur Literatur liegt für mich auf der Hand...

Viele Grüße

Ottilie

[dunkler Traum]

... gut reflektiert, unter Humor passt es mMn nicht. Diese Wahrheiten könnten unter philosophisches passen.

wsT
dT

[DieSilbermöwe]

Hallo Ottilie,

über dein Gedicht grübele ich nun schon länger nach.

Soviel ich weiß, gibt es auch mittlerweile für solche Berufe Angebote, mit Psychologen über Erlebtes am Arbeitsplatz zu sprechen, das Angebot ist allerdings noch nicht sehr weit ausgebaut.

Wie immer, hast du ein interessantes Thema gut verdichtet.

LG DieSilbermöwe

[Ottilie]

Hallo Dunkler Traum, Hallo Silbermöwe,

ich grüble selbst ob meiner Behauptung. Darf man Literatur wirklich als "hilfreiches Geschwätz" einstufen? Es kann schon sein, dass meine Kategorisierung schief liegt. Andererseits las ich kürzlich Folgendes:

Unter einem abstrakt-rationalen Gesichtspunkt ist Musik sehr viel konkreter als Literatur.

Auch das klingt zunächst schräg. Wenn man aber mal die Strukturen literarischer Texte mit denen von Musikstücken vergleicht, sieht man, dass Musik diese sehr viel deutlich erkennen lässt. Ergo: Literatur ist wohl oft ein Brei aus relativ beliebigen, subjektiven Reflexionen, der aber durchaus, wenn der Empfänger (der Leser) dazu passt, als heilsame Medizin genossen werden kann...