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Alt 11.10.2012, 18:32   #1
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
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Standard Purpurwalzer

Kutschenbauer Ted sagt was er denkt und denkt was er sagt.

„Es gibt viel zu viele Regeln und Verbote, wohin du auch schaust, dämliche Gesetze, von Trotteln hinter verriegelten Türen erlassen, und über Religion will ich erst recht nicht streiten, da kommt’s noch jedesmal zur Schlägerei.“ Angenehmer Zeitgenosse, hat sich die Finger abgearbeitet bis auf die Knochen und verträgt ordentlich was.

Der angegraute aber gut erhaltene Troubadour jammert rum über seinem Humpen, erst hat er seine Saiten verloren und jetzt haben sie ihm auch noch die Gitarre geklaut, rotzfrech vom Rücksitz seiner Droschke gestohlen, während er sich im Saloon seine tägliche Ration verpasste, er ist gründlich bedient und hadert mit dem feindlichen Schicksal. „Manchmal ist mir nur noch zum Heulen“, meint er schniefend.

Zum Heulen ist heute sowieso allen, vor allem aber Cisco, dem alten Mexicano und Gastwirt von Rosa’s Cantina, die amerikanischen Distriktbehörden haben ihm über Nacht seine Lizenz entzogen, ohne Angabe von Gründen, unter der Hand war von Waffenschieberei oder so die Rede, jedenfalls ist der alte Mann fertig mit der Welt. Sein bulliger texanischer Kumpel und Stammgast hat ihm den Arm um die eingesunkenen spitzen Schultern gelegt und versucht ihn zu trösten. „Mein Freund, was haben sie dir angetan, was haben sie nur gemacht mit dir, bist doch mein bester Mann, weißt du was, lass uns gemeinsam untergehen, wir gehen zusammen unter, Seite an Seite, was hältst du davon?“

„Was willst du erwarten von diesem Käfig voller Schurken“, knirscht der Händler verdrossen, hat offensichtlich auch schon Bekanntschaft gemacht mit der Bande. „Garbaggio vom Mann in grau, tu das nicht, das darfst du nicht und dies nicht, was ist der Punkt, wo liegt das Problem, worum geht’s? Die fetten Katzen lecken die Sahne ab in diesem dreckigen Geschäft, das ist der Weisheit letzter Schluss.“

„Jetzt begreif’s doch endlich, ich bin nicht mehr dein Geliebter! Hab die Nase endgültig voll von deinen Kaskaden!“ Der verlebte Caballero hat heftigen Zoff mit Bardame Rosa, die gestern noch aufm Tisch getanzt hat und alle verrückt gemacht, das macht sie immer, wenn sie voll genug ist, und ihm will’s immer weniger gefallen. Sie hängt an ihm mit verweintem Gesicht, die Arme klammernd um seinen Körper geschlungen, „brauch dich“ schluchzt sie, „brauch dich doch, in Griffweite, ganz nah bei mir, das weißt du doch, ist doch nicht so schlimm, ist doch alles in Ordnung“, ich verwette meinen Stetson, das sie ihn wieder rumkriegt.

„Was sagst jetzt eigentlich du dazu, Desperado, alter Überflieger?“ Der narbengesichtige Barkeeper, kurzfristig für den desolaten Cisco eingesprungen, richtet die Frage an mich zusammen mit einem vollen Glas Whiskey, das er mir vor die verschränkten Arme schiebt, das glitzernd tanzende Lebenswasser schreit förmlich danach, auf der Stelle vernichtet zu werden.

„Ich?“

Etwas mühsam hebe ich meinen Kopf und warte geduldig, bis sich die zwei verschwommen herumzappelnden Typen vor mir zu einem Feststehenden zusammengefügt haben, krall mir das Glas und kipp’s mit einem Schluck in die weit geöffnete Kehle. Scharf und belebend brennt der Stoff die Röhre runter, heißer Atem steigt mir in die Nase und lässt mir das Hirn explodieren. „Alles im Lot, alles bald vergessen. Manche nennen es Selbstmord, andere sagen Paradies dazu und wieder andere bezeichnen es als lebende Hölle, ein purpurroter Walzer, wenn du mich fragst, nichts weiter, tief purpurn, wenn du verstehst was ich meine.“

„Seh ich auch so“, erwidert er beiläufig, wendet mir den Rücken und sich wieder dem stetig tropfenden Zapfhahn zu.
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