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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 17.03.2006, 20:14   #1
oasis.
 
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Beiträge: 764

Standard Am Fenster

Am Fenster


Am Fenster steht,
die Haare im Wind,
das Mädchen.

Der Mond scheint
Erhellt die blassen Augen.
Spindeldünne Finger
streichen durch raues Haar
Unerhellt bleibt
die Seele.

Im schwarzen Zimmer steht,
klein, zierlich die Gestalt.
Die Schulter gekrümmt.
Last der Welt auf ihren Schulter?

Vesorgt die Müden, Hungernden.
Am Fenster steht,
klein, zierlich die Gestalt
und kümmert sich nicht mehr.
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Alt 06.01.2007, 20:24   #2
KamSaki
 
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Beiträge: 20

Warum nur geht mir dieses Gedicht so nahe? Woher entspringt diese tiefe Traurigkeit und gleichzeitig berührende Schönheit? Ich will versuchen mit dem nachfolgenden Text diese zwei Leitfragen zu beantworten. Das Empfinden beim Lesen des Textes auf diesen zurückzuführen und zu verstehen. Es wird nicht einfach werden, denn ich kann mich rein förmlich an keinem festgelegten durchgehenden einfachen Metrum, an keinem Reim und auch an keiner typischen Strophenkomposition orientieren. Die Form dieses Gedichts ist so einzigartig und auf den ersten Blick unahbar wie die Emotionen die es hervorruft. Es bleibt mir nun mehr ein Versuch die sprachlichen Bilder und Besonderheiten, in Inhalt und Komposition nachzuvollziehen um mich der Intention dieses Gedichtes anzunähern. Lasst uns beginnen: Eine der auffälligsten und wohl Bedeutungs- geladensten Aspekte des Gedichts ist die Lichtkomposition: ein Spiel zwischen Hell und Dunkel (ich möchte nicht sagen Kontrast, denn es gibt keinen Kontrast, es ist vielmehr ein Versuch der Annäherung, ein Versuch der Erhellung des dunklen der aber nicht gelingt). Dieses geschieht in zwei Ebenen, einmal die Äußere Ebene „Mond scheint“ und die Innere „Unerhellt bleibt die Seele“. Das Dunkle dominiert die Innenwelt, dazu zähle ich auch das „schwarze Zimmer“ (später näher Erläutert) und außen versucht der Mond, stellvertretend für die Natur, dieses innere dunkel zu erhellen. Aber er schafft es nicht. Also stellen wir das ganze ein Mal gegenüber, wir haben das Mädchen, es steht im dunklen, sogar „schwarzen Zimmer“, es steht aber nicht irgendwo! sondern am Fenster, das ist sehr wichtig denn das Fenster ist die Schwelle zwischen der Dunklen, zurückgezogenen, einsamen, traurigen selbstvergessenen Finsternis und der durch den Mond hell erleuchteten freien, belebten (der Wind!), Hoffnung gebenden Natur. Wie es an Grenzen, Schwellen so üblich ist kommt es zum Reagieren der verschiedenen Bereiche: „die Haare im Wind“ der Wind steht für Bewegung, diese ist Merkmal des Lebens, Leben bedeutet Hoffnung, wer Hoffnung hat glaubt an das Gute der Dinge. Die Ellipse (Weglassung des Verbs) in dieser Zeile, zeigt das der Einfluss des Windes, des Lebens nur sehr schwach an das Mädchen herankommt. Beim ersten Lesen wird diese Bewegung sogar regelrecht übersehen, so schwach ist sie. Dies vermittelt von Beginn an eher eine Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit, weil schon hier klar wird, das das Leben, die Freude, das Gute nicht mehr erstarken kann, sondern dies nur noch ein letztes aufflackern ist. Ich will mich diesen Grenzbegegnungen weiter widmen, die nächste Berührung findet zwischen dem Mondlicht und dem Gesicht des Mädchens statt, dieses „erhellt die blassen Augen“. Man könnte jetzt denken das wäre ein Fortschritt ein Gewinn der Hoffnung, weil die Mondstrahlen es schaffen bis zu dem Mädchen vorzudringen und dieses eine „Erhellung“ also einen Wandel zum Licht zum Positiven erfährt. Doch das ist nur ein Trugschluss, denn näher betrachtet scheitert dieser Versuch schon daran das er an der Oberfläche bleibt, nicht ins innere des Mädchens vordringt, denn „unerhellt bleibt die Seele“. Auch intendiert das „erhellen“, dass vorher dunkel vorherrschte und ordnet das Mädchen somit indirekt der Seite des Dunklen zu. Noch deutlicher wird es wenn wir uns die Beschreibung der Augen anschauen „blass“, diese blässe ist zum einen Teil der Figürlichen Beschreibung des Mädchens und somit ihres Seelenzustands, zum anderen intendiert die Blässe die Unfähigkeit zu erstrahlen, von selbst, von innen heraus aus Glückseligkeit zu erleuchten. Diese Augen sind erblasst, ein Terminus der sonst vor allem im hohen Alter und im sprachlichen Bereich des Todes der Vergänglichkeit „verblasst“, „Totenblässe“ gebraucht wird, dieser Begriff wird hier bei einem Mädchen! also noch ein Kind, das eigentlich fröhlich strahlende Kinderaugen haben müsste! verwendet. Und das in Bezug auf die Augen, die ja bekanntlich das Tor zur Seele sind, die Seele des Mädchens bleibt nicht nur „unerhellt“ nein sie ist im Sterben begriffen! Diese Tatsache nimmt der Leser nur unterbewusst wahr, ein Grund für die oben genannten Gefühle die beim Lesen aufkommen, und die sich nur schwer greifen lassen, eben weil sie nur indirekt wahrgenommen werden. Die letzte und deutlichste Botschaft für das innere Ersterben des Mädchens ist das „schwarze Zimmer“, das Fenster, die Grenze zum Leben, die Letzte Hoffnung ist nun gar nicht mehr da. „Im schwarzen Zimmer“, es ist nicht nur dunkel sondern schwarz, diese Schwärze hat etwas Endgültiges, eine Leere, den Verlust des Lebens, das Zimmer wird zum Sarg und die Schwärze in diesem Grab verschlingt den letzten Hoffnungsfunken. So das war jetzt nur die Lichtsymbolik! Aber da ist noch viel mehr welches, diese verstärkt und ergänzt: Die Syntax: am Beispiel der ersten Strophe sieht man ,dass mit der typischen Satzstruktur (Subjekt-Prädikat-Objekt) gebrochen wurde. Das Subjekt, das Mädchen steht an letzter Stelle, nicht wie üblich an erster… Auch daran lässt sich der Verlust, der Persönlichkeit, der Identität der Menschlichkeit erkennen. Das Subjekt nimmt die stelle des Objekts ein, wird zum Seelenlosen Ding. Diese Entwicklung wird auch in der sich Verändernden Bezeichnung des Mädchens hin zur Gestalt deutlich. Noch ist aber nicht beantwortet wie trotzdem, das Gefühl der berührenden Schönheit des Gedichtes entsteht… damit werde ich sobald wie möglich weiter führen doch jetzt hab ich erstmal Besuch…

Lg Sascha

Die besondere Schönheit und Lieblichkeit des Mädchen wird geboren aus dem Kontrast zur Dunkelheit die sie umgibt und einnimmt, bzw. bereits von ihr Besitz ergriffen hat. Noch verstärkt durch zahlreiche Euphemismen wie: „spindeldünne Finger“ (nicht spindeldürre, gleichzeitig ein Symbol des Todes der Vergänglichkeit); „unerhellt“ (anstatt dunkel); „die Schulter gekrümmt“ (eig. Rücken gekrümmt, Schulter kann sich nicht krümmen dies verhindert eine äußere Entstellung, trägt somit zur Erhaltung der Schönheit bei, außerdem hat Schulter etwas filigranes, anmutendes, weibliches, eine frei gelegte Schulter kann als optischer Reiz fungieren). Die Mädchenhaftigkeit wird vor allem durch die Adjektive „klein, zierlich“ hervorgehoben, selbst nach dem Identitätsverlust dem inneren Absterben der Seele (vom Mädchen zur Gestalt), bleibt die äußere Schönheit erhalten „klein, zierlich die Gestalt“ und sie steht sogar wieder am Fenster, als leere Hülle, seelenlose Schönheit „und kümmert sich nicht mehr.“. Die Welt, das Leid, die Freuden des Lebens gehen sie nichts mehr an.
Die letzte Frage die ich mir Stelle wie kam es dazu? Hierauf wird nur ganz kurz, in zwei Versen Aufschluss gegeben, doch dies reicht auch vollkommen zu, nicht die Ursachen sondern die Entwicklung, das Schicksal des Mädchens stehen im Vordergrund des Gedichts.
„Die Last der Welt“, das Leid der „Müden und Hungernden“, die Schlechtigkeit und Unmenschlichkeit der Menschen zueinander (ich möchte nicht sagen der Welt) und das unzählbare große Leid welches daraus entsteht, haben das kleine, zierliche (Kontrast: Größenverhältnisse!) Mädchen gebrochen. Sie hat das Leid der Welt gesehen und ist daran erblindet („blasse Augen“ auch für kein Augenlicht, Blind), sie hat versucht trotz ihrer körperlichen Unterlegenheit das Leid zu tragen und es hat ihr die „Schultern gekrümmt“.
Diese ideelle bedingungslose Selbstaufopferung ist Zeugnis der einstigen inneren Schönheit des Mädchens und um so trauriger ist es, dass eben diese einen so hohen Tribut einfordert.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie soll man denken und Handeln? Soll man die Augen verschließen, sich in eine Scheinwelt sperren um dem Leid der Welt zu entgehen? Oder soll man die Gefahr einer inneren Selbstauflösung missachtend, dem Schlechten entgegen treten und das Leid der Menschen mindern? Diese Grundsatzfrage muss sich jeder selber stellen, und letzten Endes einen goldenen Mittelweg finden.

Danke für dieses Gedicht, es war mir eine besondere Ehre an deinen Gedanken teilzuhaben und ich werde dein Mädchen am Fenster, immer in meinen Gedanken und im Herzen mit mir tragen.
vlg Sascha
KamSaki ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.01.2007, 23:00   #3
ruelfig
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Die Schulter(n) gekrümmt. Last der Welt auf ihren Schulter(n).
Die Welt lastet nicht auf Deinen Schultern, nur ungefähr ein sechstmilliardenstel davon. Halt den Rücken lieber grade,
Gruß,
R
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Alt 06.01.2007, 23:03   #4
oasis.
 
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okay... auf ihren SchulterN is klar. hmm... ich glaub ich mach aus dem ersten Schulter einen Rücken... oder? klingt ja viel besser! fällt mir auch erst jetzt auf oO.

Nicht auf meinen Schultern sondern auf den Schultern von dem Mädchen.

lg
oasis. ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.01.2007, 00:19   #5
KamSaki
 
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nein mach keinen rücken draus, wirst morgen sehn warum. Belass es erst mal bei den Schultern wirst schon sehn ...
KamSaki ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.01.2007, 00:28   #6
oasis.
 
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ja... ähm. oki. ich wollt sowieso auf Rückmeldung warten.

oasis.
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Alt 07.01.2007, 16:40   #7
KamSaki
 
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Beiträge: 20

Ach nur eins noch: das Fragezeichen, ich kann es nur schwer einordnen, bzw. wie ichs einordne gefällts mir nicht O.O. Entweder stellt es die Ursache für die Entwicklung des Mädchens und somit deren einstige innere Schönheit infrage, und würde damit sogardie Tür öffnen für irgendwelche banalen Gründe wie zB. "simplen" Liebes kummer oder ähnliches (nichts gegen Liebeskummer! aber ich denk du verstehst was ich meine). Oder aber steht das Frage zeichen für die Frage die ich auch am ende gestellt habe: wie man sich dem Leid in unserer Welt gegenüber verhalten soll, wobei ich finde diese Frage stellt sich sowieso automatisch, könnte man dann also auch weglassen, das Fragezeichen ... auch vom Klang her holpere ich da jedes mal drüber wegen der Ansteigenden intonation bei Fragestellungen ...
KamSaki ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.01.2007, 17:41   #8
oasis.
 
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das Fragezeichen... hmm. es sagt: ist es wirklich so. Muss das sein? Warum hat ein Mensch soviel Sorgen, Problem und so. Und warum genau so einer der noch so jung ist und sogar innere Schönheit hat. Oder gehabt hat. Vielleicht sogar: Warum hat nich jemand soviel Lasten der das eher verdient hätte... oder warum ist es so ungerecht manchmal? böse. ich weiß.
danke fürs kommentieren.

vlg. oasis.,
oasis. ist offline   Mit Zitat antworten
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