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Alt 07.09.2019, 15:14   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Es geht weiter Teil 3: Eine wirklich schlimme Geschichte

Die Polizeiwache war noch nicht einmal halb so interessant, wie Randolph sich das nach diversen Krimiserien vorgestellt hatte. Er wurde in das Büro des Polizisten geführt, ihm wurde ein Platz auf einem stinknormalen Stuhl angeboten und auch eine grelle Schreibtischlampe, die in seine Richtung gedreht wurde, suchte er vergebens. Den Fernsehfritzen würde er anstelle eines Produzenten etwas erzählen, dachte Randolph, die hatten ja keinen blassen Schimmer davon, wie das wahre Polizistenleben aussah. Randolph hatte zwar begriffen - obwohl er nur mit halbem Ohr hingehört hatte, als der Polizist ihn über seine Rechte belehrt hatte -, dass er keineswegs verpflichtet gewesen war, auf die Wache mitzukommen und eine Aussage zu machen. Aber ihm war eingefallen, dass es für etwaige zukünftige, nicht ganz gesetzestreue „Aktivitäten", die er im Laufe seines Lebens vielleicht noch umsetzen müsste (man konnte schließlich nie wissen), gar nicht so verkehrt wäre, sich mit allem zu befassen, was auf ihn zukommen könnte. Als Prophylaxe sozusagen.
Der Polizist tippte etwas in den PC und nahm Randolphs Personalien auf. Dann kritzelte er etwas in sein Notizbuch und als Randolph das sah, fühlte er sich schlagartig unwohl. Aber er konnte sich doch gar nicht verdächtig gemacht haben, er hatte schließlich nichts getan...
„Dieser Vorwurf der Entführung ist natürlich lächerlich", sagte er schließlich, als er das Schweigen nicht mehr aushielt.
„Wir müssen einer Anzeige eben immer nachgehen", antwortete der Polizist in freundlichem Ton. „Wann haben Sie Frau Stucker zuletzt gesehen?"
„Am Freitag, da hat sie mich nach Hause geschickt, obwohl ich übers Wochenende gerne gearbeitet hätte. Wissen Sie, ich hatte ja noch jede Menge anderer Stellenangebote, aber als ich die arme Frau im Rollstuhl gesehen habe, konnte ich gar nicht anders, als diese Stelle anzunehmen. Ich habe mir wirklich den Arsch aufgerissen, wenn Sie wissen, was ich meine. Geputzt, gespült, die Wäsche gemacht und die nette ältere Dame unterhalten, wir haben Karten gespielt zum Beispiel, weil sie das so gerne wollte. Die arme Frau hatte ja auch sonst niemanden, mit dem sie reden konnte. Die Nichte wollte ja ins Ausland und was versteht so ein junges Ding auch schon von den Bedürfnissen einer Frau in diesem Alter. Ich war sogar bereit, auf meine Freizeit zu verzichten und auch am Wochenende zu arbeiten, weil sie mir so leid getan hat. Und wie bekommt man das gedankt, mit einer Anzeige..... " Beinahe hätte Randolph an dieser Stelle aufgeschluchzt, so sehr hatte er sich jetzt mit der Rolle eines zu Unrecht Beschuldigten identifiziert. Eigentlich war er ja auch genau das. Aber da sein ganzes Leben bisher daraus bestanden hatte, zu tarnen und zu täuschen, zu schauspielern, zu übertreiben, kurz, anderen etwas vorzumachen und sich grundsätzlich aus allem heraus zu reden, fiel es ihm noch nicht einmal auf, dass seine Rolle hier mit der Wirklichkeit übereinstimmte.

Er putzte sich geräuschvoll die Nase und fand seine Vorstellung schon fast oscarreif. „Ich verstehe die Nichte von Frau Stucker nicht", fuhr er mit leiser Stimme fort. „Warum beschuldigt sie mich, etwas so Ungeheuerliches getan zu haben? Glaubt sie etwa, ich würde Lösegeld erpressen wollen? Ich bin ein ehrlicher Mensch und habe noch nie krumme Geschäfte gemacht. Ich hatte auch noch nie mit der Polizei etwas zu tun." Der letzte Satz stimmte sogar, allerdings auch nur deshalb, weil Randolph bei seinen Gaunereien - Diebstahl, Fälschung von Zeugnissen und sogar einem Einbruch mit Diebstahl, wo es nahezu ein Wunder war, dass er und seine Kumpels nicht geschnappt worden waren - riesengroßes Glück gehabt hatte.
Der Polizist hatte sich weitere Notizen gemacht. „Und was taten Sie danach? Ich meine, als Frau Stucker Sie nach Hause geschickt hat?"
„Ich bin natürlich gegangen, ich wollte mich ja nicht aufdrängen. Wenn man meine Gesellschaft nicht wünscht, dann gehe ich."
„Und wo gingen Sie hin?"
„Nach Hause natürlich." Randolph überlegte, ob er den kurzen Abstecher in die Kneipe "Beim Alex" am Freitagabend erwähnen sollte. Aber da Alex, der Wirt, sich recht ungnädig gezeigt hatte, weil Randolph noch einen Deckel zu bezahlen hatte und schon wieder anschreiben lassen wollte, beschloss er, dies unter den Tisch fallen zu lassen. Wenn die Polizei Alex aufsuchen und ausfragen würde, könnte das möglicherweise kein gutes Licht auf ihn, Randolph, werfen.
„Also haben Sie den Rest des Freitagabends zu Hause verbracht."
„Richtig."
„Und Samstag und Sonntag?"
„Auch." Das entsprach tatsächlich der Wahrheit. Da Randolph komplett pleite war und auch der Wirt der Kneipe, der das normalerweise nicht so eng sah, ihn freitags auflaufen ließ, hatte Randolph es vorgezogen, zu Hause zu bleiben und sich seine Zeit mit Fernsehen und Surfen zu vertreiben.
Der Polizist klappte sein Notizbuch zu. „Gut, Herr Richter. Das wäre dann erst einmal alles."

Als Randolph von seinem Stuhl aufstand und sich zum Gehen anschickte, flog die Tür auf und Judith Stucker stürmte zur Tür herein.
„Ah, haben Sie ihn schon festgenommen!" rief sie triumphierend aus.
„Keineswegs", war die ruhige Antwort des Polizisten. „Herr Richter war nur zu einer Befragung hier und wollte gerade gehen."
„Ich bitte Sie! Er hat meine Tante auf dem Gewissen! Wahrscheinlich hat er sie auch gar nicht entführt, sondern umgebracht!" Und Judith Stucker brach in eine Flut von Tränen aus.

Randolph war von diesem Auftritt so verblüfft, dass ihm etwas für ihn sehr Ungewöhnliches passierte: Er war zunächst einmal sprachlos. Und gleichzeitig wurde ihm etwas klar: Hier stimmte etwas nicht. Die Nichte der Alten legte hier einen bühnenreifen Auftritt hin, so wie er ihn selbst nicht besser hätte inszenieren können. Das war nicht echt. Das war Täuschung in Reinform. Aber ob das auch der Polizist durchschaute?
„Frau Stucker, bitte beruhigen Sie sich. Setzen Sie sich erst einmal hin", sagte dieser und wies auf den Stuhl, von dem Randolph gerade aufgestanden war. „Ich werde psychologischen Beistand für Sie anfordern." Und er griff zum Telefon.
„Ich brauche keinen Beistand", heulte Judith auf, „ich will meine Tante zurück! Wer weiß, was dieses Ungeheuer mit ihr gemacht hat!"
„Das ist eine Unverschämtheit! Was fällt Ihnen eigentlich ein!" brach es aus Randolph heraus und unwillkürlich machte er einen Schritt auf Judith zu. Die dumme Gans war wohl nicht mehr recht bei Trost. Am liebsten hätte er sie rechts und links geohrfeigt und zusätzlich zu seiner Wut durchzuckte ihn eine Erkenntnis. Es ging nicht nur darum, dass dieses Theater nicht echt war. Nein, es diente auch nur einem einzigen Zweck: dass man ihm hier etwas Ungeheuerliches anhängen wollte.
„Sehen Sie! Er hat sich nicht unter Kontrolle! Das ist das schlechte Gewissen!" schrie Judith.
„Herr Richter, bleiben Sie sofort stehen!" rief der Polizist in scharfem Ton. Randolph schnaufte vor Wut auf, hielt sich aber an die Aufforderung. Dieses Miststück wollte ihn doch nur hereinlegen....
Der Polizist telefonierte, danach sagte er, an beide gewandt: „Ich schlage vor, wir beruhigen uns alle wieder. Eine Psychologin wird gleich eintreffen."
„Kann ich jetzt gehen?" fragte Randolph. Jetzt wollte er wirklich nur noch weg.
Der Polizist nickte und Randolph ging hoch erhobenen Hauptes hinaus. Aber draußen war es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei. Warum verdammt noch mal wollte diese Judith ihn zu einem Strohmann für ein Verbrechen machen? Hatte sie ihre Tante selbst umgebracht und wollte es ihm in die Schuhe schieben, um selbst davon zu kommen? Jetzt hieß es erst einmal scharf nachdenken. Randolph beschloss, dies bei einem Spaziergang ausgiebig zu tun. Und vor allem so weit weg von hier wie möglich.
Er machte sich auf den Weg, entschlossen, die Wahrheit herauszufinden.
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