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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten. |
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20.08.2006, 13:06 | #1 |
Stadtsterben
Ein Pochen in Strichen und Flecken der Stadt
Und Menschenmengenblicke Ein Loch in der Brust, weil ein Herz niemand hat, Das ich mit Blicken flicke Ich stehe mich fest, denn ich weiß nicht, wohin Weil kein Ort mehr steht Aus den Augen, dem Kopf, aus der Brust, aus dem Sinn Das Loch, das stumm noch fleht Ohne Herz sind wir frei - hast du eins, hat es dich Wir irren ziellos umher Und rein und raus und rein und ich Vergesse mich immer mehr |
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20.08.2006, 15:56 | #2 | |||
Pöh! Hast du nicht im Willkommens - Thread geschrieben, du könntest nicht schreiben?!
Das ist doch wohl eine Lüge! Mir gefällt das Gedicht sehr, da es viel von dem beschreibt, was ich manche Male gedacht habe, gefühlt habe, und nie genau bezeichnen konnte, was es denn nun eigentlich ist. Zitat:
Zitat:
Zitat:
Alles in allem: Sehr gelungen, ohne zu holpern zu lesen, ein schönes Reimschema und eine schöne Idee. Bzw. eine "alte" Idee, aber originell verpackt. Schattigste Grüße, Shadow |
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20.08.2006, 15:59 | #3 |
RE: Stadtsterben
Es ist das erste von mir hier gelesene Gedicht, welches mich inhaltlich wirklich anspricht. Es überzeugt durch eine ausgeklügelte Stringenz und Einheit, welche bis zum Schluss anhält und wirkt weder antiquiert noch modern - ich würde meinen zeitlos.
Zum Wesentlichen: Auf den ersten Blick sehr "expressionistisch" zu sein scheinend (Motiv der Grossstadt; des Ich-Verlusts; des Zeitgeistes), entfaltet es bei näherem Betrachten eine weitere Dimension, nämlich die der Illusion der Freiheit, bzw das Ausgeliefertseins an die Leere der "herzbesitzenden" Menschen. Wo begegnet man dem Zeitgeist, den Löchern in der Brust der Menschen häufiger als in der Stadt? Die leeren Blicke, die uns Tag für Tag in den Schächten und Abteilen der U-Bahnen der Grosstädte begegnen, vermodern und verblinden in sich selbst. Der Betrachtende schaut diesem unheilvollen Wirbel aus Dekadenz und Selbstvergessenheit zu und versinkt dabei selbst in diesselbe. Die Momente, in denen sich der Mensch selbst bewusst ist, sind selten (geworden). Die Zeit gewinnt und der ewige Traum hält uns fest in seinen Pranken. |
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20.08.2006, 21:51 | #4 |
Danke, Shadow.
Du hast die Stellen gefunden, die auch ich für die stärksten halte - bis auf eine. Ich persönlich halte "Ohne Herz sind wir frei - hast du eins, hat es dich" eigentlich auch für ein zentrales Bild. Kann aber auch sein, dass ich mich täusche und das nicht genügend betone. Incarnatus, Wir beide gehören zu einer Minderheit - der Minderheit derer, die heutzutage noch die "alte" Kunst mögen - Übereinstimmung in Metrum, Reim. Das größte für mich sind Gedichte von Alfred Lichtenstein. "Der einzige Trost ist: traurig sein. Wenn die Traurigkeit in Verzweiflung ausartet, soll man grotesk werden. Man soll spaßeshalber weiter leben. Soll versuchen, in der Erkenntnis, dass das Dasein aus lauter brutalen, hundsgemeinen Scherzen besteht, Erhebung zu finden." Vielleicht merkt man auch meinem Stadtsterben den Einfluss ein wenig an. Vielen Dank übrigens für deine tolle Analyse. Ich habe solche Interpretationsansätze bisher nur zu "großen" Dichtern gesehen und fühle mich daher richtig geehrt - und verstanden. |
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