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Alt 04.01.2024, 17:17   #1
männlich Cornelius
 
Dabei seit: 05/2023
Ort: Lampertheim
Alter: 49
Beiträge: 394

Standard Der Kampf mit dem Löwen (Für Freunde der Barockoper)

London, Haymarket Theatre, Anno 1710:

Am Heumarkt drängen sich die Massen.
Es klingeln die Theaterkassen.
Das Operngenre, noch nicht lange
am Strand der Themse voll im Schwange,
vermag mit seinem hochbarocken
Spektakel Menschen anzulocken.

Das Stück "Die edlen Herzrivalen" *
verzeichnet hier Besucherzahlen,
die niemand je für möglich hielt,
so lang der Mensch Theater spielt.
Die Noten schrieb ein weitgereister,
in Welschland hochberühmter Meister,

Mancini mit Familiennamen,
ein Schöpfer großer Melodramen.
Doch nicht genug, dass auf den Brettern
die Sänger ihre Arien schmettern.
Denn Nicolini, Starkastrat,
vollbringt noch weitre Wundertat:

Er muss, der Götter Wut zu dämpfen,
mit einem wilden Löwen kämpfen.
Um diesen glaubhaft darzustellen,
verkleidet man mit Widderfellen
für freien Eintritt Aushilfskräfte.
Der Intendant macht Traumgeschäfte

mit Schaukampf und Belcanto-Schmelz.
Dem lieben Publikum gefällts,
wie tollkühn mit entblößten Waden
und blitzenden Gesangsrouladen
der Bühnenheld, zur Hälfte nackt,
den Gegner bei der Mähne packt.

Zu Anfang läuft die Balgerei
nicht immer gänzlich pannenfrei.
Den ersten Löwen, zwar ein Hüne,
plagt Lampenfieber auf der Bühne,
so dass er schon die Flucht ergreift,
eh ihn des Helden Klinge streift.

Der zweite ist zwar wenig schüchtern,
doch leider auch nur selten nüchtern.
Er will zum Gaudium der Massen
es keinen Abend unterlassen,
die Stimme kräftig einzuölen,
um auch ein wenig mitzugrölen.

Dann wird ein Dritter angestellt,
der nicht aus seiner Rolle fällt,
bedrohlich seine Pranken schwenkt
und brav das Haupt zu Boden senkt.
Dem Sänger aber scheint beim Singen
nicht eine Note zu misslingen.

Man munkelt schon, der Intendant
verwahre ein geheimes Pfand,
das seinen Künstler motiviert,
perfekt zu trällern, reich verziert:
Denn sänge er nur einmal schlecht,
dann sei der nächste Löwe echt.

(* Originaltitel: "Gli amanti generosi". 1705 in Neapel uraufgeführt, 1710 in London nachgespielt unter dem Titel "Idaspe", nach der von Nicolini verkörperten männlichen Hauptrolle.)
Cornelius ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.01.2024, 14:12   #2
männlich Epilog
 
Dabei seit: 10/2019
Ort: in den Wolken
Alter: 56
Beiträge: 526

Standard Hallo Cornelius

Zitat: "Für Freunde der Barockoper" - meinst Du, diese hier zu finden? Nun gut, im Prinzip gehöre ich dazu, doch da ich Singstimmen nicht so gut ertragen kann (insbesondere Soprane ), finden sich in meinen musikalischen Konserven vor allem Unmengen von Ouvertüren und Tanzsuiten - unter anderem auch die in der Tat sehr hübsche, leider jedoch äußerst kurze Einleitung zu "Gli`Amanti generosi" von Mancini.

Nach dem Lesen der allerersten Zeilen hatte ich ich allerdings mit Anekdoten aus den unendlichen Kämpfen des "Hallenser Löwen" Georg Friedrich Händel mit den intriganten und zum Teil völlig verrückten Italienern Bononcini sowie Ariosti (im King`s Theatre und somit dem "eigenen Hause") und Porpora sowie Veracini (in der konkurrierenden "Opera of the Nobility") gerechnet. Doch Händel kam ja wohl erstmals in den letzten Tagen des Jahres 1710 nach London, seine erste Oper dort brachte er Ende Februar 1711 mit "Rinaldo" zur Uraufführung.

Wo hast Du denn die tolle Geschichte von dem Löwenkostüm aufgetan (erinnert mich sogleich an einen unschlagbaren Sketch der Monty Pythons zum gleichen Thema)? Sie wird ja wohl nicht Deiner Fantasie entsprungen sein? In jedem Fall wie immer äußerst unterhaltsam und sprachlich perfekt umgesetzt.

Herzliche Grüße

Epilog
Epilog ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.01.2024, 15:40   #3
männlich Cornelius
 
Dabei seit: 05/2023
Ort: Lampertheim
Alter: 49
Beiträge: 394

Lieber Epilog,

danke für deine schöne, fundierte Nachschrift zu meiner kleinen Ballade. So eine Geschichte könnte ich mir niemals ausdenken - gefunden habe ich sie in Hubert Ortkempers Buch "Engel wider Willen - Die Welt der Kastraten", wo sie durch einen langen (und vollständig zitierten) Artikel aus dem "Spectator" vom März 1711 belegt ist.

Kleine Details (etwa, dass einer der Löwendarsteller ein Trunkenbold ist) habe ich hinzugedichtet, im Kern ist die Story aber historisch verbürgt.

Danke fürs Lesen und Kommentieren!

Gruß
Cornelius
Cornelius ist offline   Mit Zitat antworten
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