Präkambrium bei Poetry.de

Cornelius · 27.12.2023, 18:52

In der Urzeit tiefen Schlünden,
auf des Meeres dunklen Gründen
ragen schwarze Felsenzinnen,
denen Gas und Rauch entrinnen.

An der Küste ist es neblig.
Menschen suchte man vergeblich,
denn sie sind noch nicht erschaffen,
ja, es gibt noch nicht mal Affen.

Aufenthalt am Lande wäre
tödlich, denn die Atmosphäre
ist für Lungen reines Gift.
Doch im Ozean, da trifft

sich das erste Leben an,
das nun zaghaft keimen kann.
Es beginnt hier unten, weil
auf den Zinnen, schroff und steil,

schon ein kleines Wesen schnauft,
welches zärtlich "Luca" tauft
ein gelehrter Schreibtischtäter
vier Milliarden Jahre später.

Jener kleine Plasmaklecks,
innerlich schon sehr komplex,
taucht in grauer Zeiten Lauf
früher oder später auf.

Leider ist bloß hypothetisch
jener Wicht, doch nur ein Fetisch
ist mitnichten solch ein Ur-
Vorfahr jeder Kreatur.

Niemand hat bislang erfahren,
wer wohl seine Eltern waren.
Was nun aus dem Knirps entstand,
ist hingegen wohlbekannt.

Für der Schöpfung Wunderpracht
ist der Anfang hier gemacht,
denn von nun an wird es Leben
auf der Erdenkugel geben.

Wenn die Zeit noch weiter schleicht
und das Kambrium erreicht,
darfs in vielerlei Gestalten
dann sich explosiv entfalten,

wird durch keinen Sturm verweht.
Aber leider: Es gerät
doch zuletzt auf schiefe Bahnen.
Seit dem Tag, als unsre Ahnen

wild umschwärmt von Tsetsefliegen
von den Urwaldbäumen stiegen,
muss man, wie wir jetzt erkennen,
dieses einen Abstieg nennen.

Blickt man noch ein wenig weiter
auf die Sprossen dieser Leiter,
kann man vollends Zweifel spüren,
ob sie immer aufwärts führen.

Doch es schweige hier der Hohn.
"Luca" weiß noch nichts davon.
Du, der letzte unsrer Ahnen,
ziehe friedlich deine Bahnen!

Ilka-Maria · 27.12.2023, 20:03

Du hast es echt drauf.
Reimst nicht nur, sondern weißt auch, was und worüber du schreibst.
In diesem Fall hätte ich allerdings die letzte Strophe weggelassen. Sie verwirrt.

dunkler Traum · 28.12.2023, 13:33

... wow, habe/ werde ich nie so hinbekommen und als Kreationist ganz anders schreiben.

Auch mich verwirrt die letzte Strophe, er ist doch der erste unserer Ahnen, aber welche Bahnen sollen seine Atome ziehen?

wsT
dT

Cornelius · 28.12.2023, 23:43

Guten Abend ihr Lieben,

die Bezeichnung "Last Universal Common Ancestor" finde ich ja auch ein wenig verwirrend. Wahrscheinlich ist sie von der Gegenwart her gedacht - wenn man unsere Ahnenreihe rückwärts verfolgt, ist unser erster Urvorfahr dann das "letzte" Glied in der Kette.

(Vergleiche Matthäus 20,16: "Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein." Hat aber damit wahrscheinlich nichts zu tun.)

Nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die letzte Strophe entfallen kann.

Gruß
Cornelius

27.12.2023, 18:52	#1
Cornelius Dabei seit: 05/2023 Ort: Lampertheim Alter: 49 Beiträge: 394 Meine Gedichte Meine Favoriten	Präkambrium In der Urzeit tiefen Schlünden, auf des Meeres dunklen Gründen ragen schwarze Felsenzinnen, denen Gas und Rauch entrinnen. An der Küste ist es neblig. Menschen suchte man vergeblich, denn sie sind noch nicht erschaffen, ja, es gibt noch nicht mal Affen. Aufenthalt am Lande wäre tödlich, denn die Atmosphäre ist für Lungen reines Gift. Doch im Ozean, da trifft sich das erste Leben an, das nun zaghaft keimen kann. Es beginnt hier unten, weil auf den Zinnen, schroff und steil, schon ein kleines Wesen schnauft, welches zärtlich "Luca" tauft ein gelehrter Schreibtischtäter vier Milliarden Jahre später. Jener kleine Plasmaklecks, innerlich schon sehr komplex, taucht in grauer Zeiten Lauf früher oder später auf. Leider ist bloß hypothetisch jener Wicht, doch nur ein Fetisch ist mitnichten solch ein Ur- Vorfahr jeder Kreatur. Niemand hat bislang erfahren, wer wohl seine Eltern waren. Was nun aus dem Knirps entstand, ist hingegen wohlbekannt. Für der Schöpfung Wunderpracht ist der Anfang hier gemacht, denn von nun an wird es Leben auf der Erdenkugel geben. Wenn die Zeit noch weiter schleicht und das Kambrium erreicht, darfs in vielerlei Gestalten dann sich explosiv entfalten, wird durch keinen Sturm verweht. Aber leider: Es gerät doch zuletzt auf schiefe Bahnen. Seit dem Tag, als unsre Ahnen wild umschwärmt von Tsetsefliegen von den Urwaldbäumen stiegen, muss man, wie wir jetzt erkennen, dieses einen Abstieg nennen. Blickt man noch ein wenig weiter auf die Sprossen dieser Leiter, kann man vollends Zweifel spüren, ob sie immer aufwärts führen. Doch es schweige hier der Hohn. "Luca" weiß noch nichts davon. Du, der letzte unsrer Ahnen, ziehe friedlich deine Bahnen!

27.12.2023, 20:03	#2
Ilka-Maria Forumsleitung Dabei seit: 07/2009 Ort: Arrival City Beiträge: 31.104 Meine Gedichte Meine Favoriten	Du hast es echt drauf. Reimst nicht nur, sondern weißt auch, was und worüber du schreibst. In diesem Fall hätte ich allerdings die letzte Strophe weggelassen. Sie verwirrt. __________________ Workshop "Kreatives Schreiben": http://www.poetry.de/group.php?groupid=24

28.12.2023, 13:33	#3
dunkler Traum Dabei seit: 02/2021 Ort: mit beiden Beinen in den Wolken Alter: 60 Beiträge: 1.615 Meine Gedichte Meine Favoriten	Hallo Cornelius ... wow, habe/ werde ich nie so hinbekommen und als Kreationist ganz anders schreiben. Auch mich verwirrt die letzte Strophe, er ist doch der erste unserer Ahnen, aber welche Bahnen sollen seine Atome ziehen? wsT dT

28.12.2023, 23:43	#4
Cornelius Dabei seit: 05/2023 Ort: Lampertheim Alter: 49 Beiträge: 394 Meine Gedichte Meine Favoriten	Guten Abend ihr Lieben, die Bezeichnung "Last Universal Common Ancestor" finde ich ja auch ein wenig verwirrend. Wahrscheinlich ist sie von der Gegenwart her gedacht - wenn man unsere Ahnenreihe rückwärts verfolgt, ist unser erster Urvorfahr dann das "letzte" Glied in der Kette. (Vergleiche Matthäus 20,16: "Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein." Hat aber damit wahrscheinlich nichts zu tun.) Nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die letzte Strophe entfallen kann. Gruß Cornelius