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Alt 22.06.2020, 20:11   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Musée d'Orsay

Lustlos rückte Astrid in der Besucherschlange Schritt um Schritt voran. Ordner sorgten dafür, dass der Einlass für die Menschen, die an diesem Sommermorgen seit mindestens einer halben Stunde vor dem Eingang des Musée d’Orsay gewartet hatten, zügig voranging. Niemand außer ihr war allein gekommen, alle Besucher hatten sich paarweise oder in kleineren Gruppen eingefunden. Astrid fühlte einen Stich, als sie in die erwartungsvollen Gesichter sah und das vergnügte Geplauder hörte. Am liebsten hätte sie sich aus der Reihe gelöst und wäre hinunter zur Seine gelaufen, deren gleichgültig dahinfließendes Wasser ihrer Stimmung angemessener zu sein schien als die schnatternde Schar, die sie umgab.

Sie zwang sich zur Vernunft, denn zu lange hatte sie sich auf Paris gefreut und sich das Musée d’Orsay von Reni, ihrer besten Freundin, schmackhaft machen lassen, die sie nicht nur mit begeisterten Schilderungen, sondern auch mit Katalogen über die Skulpturen und Gemälde überschüttet hatte. Doch tief in ihrem Herzen haderte Astrid mit Ralf, dass er sie alleingelassen hatte. Er hatte ihr zum siebten Hochzeitstag diese Reise nach Paris versprochen, jedoch verheimlicht, dass er, der umtriebige Geschäftsmann mit dem überquellenden Terminkalender, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden gedachte – ein Bonbon für die vernachlässigte Ehefrau und zugleich eine Gelegenheit, dem leidigen Kulturbetrieb mit einer plausiblen Entschuldigung aus dem Weg gehen zu können.

Arglos hatte sie die Reise für ihre nachgeholten Flitterwochen gehalten und sich mit Lektüre über Paris eingedeckt, die Stadt des Lichts, der breiten Boulevards und der Cafés in St.-Germain-des-Prés links der Seine, dem Viertel der Expressionisten und Existentialisten. Mit jedem Wort, das sie über diese Stadt las, war ihre Vorfreude gestiegen. Aber als Ralf dem Taxifahrer die Adresse des Hôtel Régina Louvre, Place des Pyramides, nannte, das seine Sekretärin gebucht hatte, trat die erste Enttäuschung ein: Es lag rechts der Seine, nicht im Zentrum der Jugend, der Avantgarde und der Philosophen, sondern auf der Seite der konservativ etablierten, arrivierten, bürgerlich-monetären Klasse. Astrid hatte ein Hotel im Quartier Latin ausgesucht, doch Ralf meinte, sie müsse sich mit der Reservierung keine Mühe machen, sondern könne dies seiner Sekretärin überlassen, für die das eine Klacksache sei - ein Fehler, wie Astrid zähneknirschend erkannte.

Die zweite Enttäuschung wog noch schwerer als die erste. Beim Abendessen im „Le Fumoir“ hatte Astrid ihren Erwartungen an den Besuch des Musée d’Orsay, der für den nächsten Tag geplant gewesen war, freien Lauf gelassen. Ralf hatte sie schweigend und mit gefurchter Stirn plaudern lassen, ehe sie stutzte: „Was ist? Gehe ich dir auf die Nerven?“

Ralf ließ sein Besteck auf den Teller sinken, nahm die Stoffserviette, tupfte sich damit den Mund ab und ergriff sein Glas, das mit Rotwein noch halbvoll war. „Aber nein, wofür hältst du mich? Komm, lass uns nochmal anstoßen.“

Astrid rührte ihr Glas nicht an. Sie war argwöhnisch geworden. „Du hast doch etwas. Also sag schon, was los ist.“

Mit einer Geste der Resignation stellte Ralf sein Glas wieder ab. „Schatz, ich kann morgen nicht mitkommen. Ich habe einen Termin.“

„Was heißt das? Du hast Urlaub, oder bin ich auf dem falschen Dampfer?“

Ralf zuckte die Schultern. „Der Boss hat mir eine Sache aufgedrückt, die …“

„Welche Sache?“

„Ein Meeting, hier in Paris. Er wollte es selbst machen, aber dann ihm kam etwas dazwischen, und deshalb bat er mich …“

„Ach, so ist das. Und woher wusste er von unserer Paris-Reise?“

Ralf biss sich auf die Lippen.

„Du hast also wieder einmal den Mund nicht halten können, stimmt’s? Oder stand das Meeting schon lange fest, und für mich war von Anfang an nur der Trostpreis einplant gewesen?“

„Tut mir leid, Schatz.“

„Nein, tut es nicht. Du hast dich wieder von deinem Boss einspannen lassen, der kann ja nicht anders, als über jede deiner Minuten zu verfügen. Gut für deine Karriere, aber nicht für unsere Ehe, darauf kannst du Gift nehmen. Ich mache das nicht mehr mit!“

Ralf hatte verlegen nach links und rechts geblickt, aber noch war keiner der Gäste auf ihren Streit aufmerksam geworden. „Mach keine Szene, Astrid, das ist es nicht wert. Es dauert doch nicht lange, und dann treffen wir uns und machen etwas Schönes zusammen. Es müssen doch nicht gerade Skulpturen sein.“

„Ich weiß, dass dich Kunst langweilt, Ralf, aber mir zuliebe hättest du wenigstens dieses Mal mitkommen können.“

„Mit dir hat es nichts zu tun, Liebes. Wo ist bloß deine Vernunft geblieben. Ich kann doch nicht einfach …“

„… nein sagen, ich weiß. Du kannst zu niemandem nein sagen, außer zu mir. Ich bin es leid, immer vernünftig zu sein und deine Kröten zu schlucken, und genau deshalb werde ich dir jetzt eine Szene machen.“

Wutentbrannt war sie aufgestanden, hatte das Tischtuch an beiden Enden gepackt und es mit einem kräftigen Ruck nach oben gerissen, so dass Teller, Gläser und Besteck auf Ralfs Schoß landeten und von dort auf die Holzdielen klackerten. Entgeistert blickte er auf die Essensreste herab, die an seinem Hemd klebten. Ein Kellner eilte herbei, nahm das Tischtuch von seinem Schoß und warf Astrid einen missbilligenden Blick zu. Sie zuckte lediglich die Schultern, nahm ihre Umhängetasche von der Stuhllehne und schritt mit der Haltung einer Königin aus dem Restaurant. Als sie auf der Straße stand und die Blicke der Restaurantgäste nicht mehr in ihrem Rücken spürte, brach sie in Tränen aus.

Ralf war ihr nicht nachgelaufen, um sie aufzuhalten, wie sie gegen ihr besseres Wissen gehofft hatte. Es wäre das erste Mal gewesen, dass er in einer kritischen Situation zugegeben hätte, nicht Herr der Lage zu sein. Sie kannte ihn gut genug, um sich vorstellen zu können, wie er sich im Tonfall einer geschäftlichen Unterredung bei dem Kellner entschuldigte und ihm eine plausible Erklärung für das unmögliche Benehmen seiner Frau lieferte: Man kenne diese überspannten Reaktionen des weiblichen Geschlechts, vor allem während der gewissen Tage, an denen der Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht gerate, und überhaupt sei es kein Geheimnis, wie schwer ein Mann es habe, das Wesen der Frauen zu begreifen. Natürlich würde Ralf dem Inhaber des Restaurants anbieten, für den Sachschaden in voller Höhe aufzukommen und das Personal für die Säuberungsarbeiten großzügig zu entlohnen.

„Überspannt“, würde auch Reni sagen, wenn sie die Szene mitbekommen hätte, dachte Astrid, als sie zu Fuß die Rue de Rivoli entlang zum Hotel ging. Wann immer Astrid darüber klagte, dass Ralf ihren Langmut bis zum Zerreißen strapazierte, wenn es um die Wahrnehmung seiner Interessen ging, ergriff Reni für ihn Partei. „Du übertreibst kolossal, Astrid. Ist dir nicht klar, wie gut es dir geht? Ralf schuftet sich halbtot für deinen Luxus. Ein eigenes Haus und einen Porsche für dich allein - davon kann ich nur träumen.“

Als ob die Glückseligkeit darin bestünde, in einem Porsche zum Einkaufen zu fahren, barfuß über echte Teppiche zu laufen und einsam in einem Swimming Pool seine Runden zu drehen, seufzte Astrid dezent, wenn sie Renis Argumente hörte, und nahm sich jedes Mal vor, künftig ihre Eheprobleme für sich zu behalten. Doch Reni nutzte jede Gelegenheit, Ralf ins Gespräch zu bringen und ihn bis zur Peinlichkeit in den Himmel zu heben. Er war der Prototyp des Mannes, von dem sie träumte: sportlich, markant, erfolgreich und vor allem wohlhabend.

Astrid hingegen war längst sämtlicher Illusionen beraubt, und wenn irgendwo noch ein Fünkchen Hoffnung geglimmt hatte, so war es an diesem Abend für immer erloschen. Als Ralf eine Stunde nach ihrem Auftritt im Restaurant ins Hotelzimmer trat, lag sie im Bett und stellte sich schlafend. Er versuchte nicht, sie zu wecken. Sie hörte, wie er sich entkleidete, im Badezimmer verschwand und die Brause aufdrehte. Als er herauskam, verbreite sich im Zimmer der Geruch von Duschgel und Zahnpaste. Sie spürte, wie er sich neben ihr in die Matraze sinken ließ und mit der Bettdecke hantierte, und nach nur wenigen Minuten verriet ihr sein gleichmäßiger Atem, dass er trotz der Aufregung, die hinter ihm lag, eingeschlafen war.

Wenigstens schnarcht er nicht, hatte sie gedacht, war aufgestanden und zum Fenster gegangen, um das Treiben auf der Straße zu beobachten. Pärchen, die sich an den Händen hielten, schlenderten über den Pont Royal, vermittelten ihr aber nicht die Atmosphäre, die sie von Paris erwartet hatte, nicht das Flair des Rive Gauche und des Quartier Latin. So darf es nicht sein, dachte sie, dafür bin ich nicht nach Paris gekommen. Sie kramte ihre Reiselektüre aus dem Gepäck und zog einen broschierten Museumsführer aus dem Stapel, dessen Titel das Bild einer in Gold gefassten, reich ornamentierten Uhr mit römischen Ziffern zierte. Damit setzte sie sich an den Schreibtisch, knipste die Leselampe an und begann zu blättern.

*****

Astrids Missmut darüber, dass Ralf sie versetzt hatte, schwand, als sie immer tiefer in die Halle des Musée d’Orsay vordrang und völlig in der Anmut und Makellosigkeit der Skulpturen aufging. Sie war am frühen Morgen ins Bett gekrochen und erst aufgestanden, nachdem Ralf zu seinem Meeting aufgebrochen war. Auf das Frühstück im Hotel hatte sie verzichtet. Stattdessen war sie über den Pont Royal spaziert und hatte sich in einer Bäckerei in der Rue du Bac einen Café Noir genehmigt, ehe sie zum Musée d’Orsay, dem ehemaligen Bahnhof am Quai Anatole France, weitergegangen war.

Astrid blieb stehen und warf einen Blick zurück zum Eingang mit der Treppe, die zur Halle herunterführte, um die Skulpturen, an denen sie vorbeigekommen war, noch einmal auf sich wirken zu lassen. Hoch oben über dem Portal, vor einer Konstruktion aus filigranem Eisengerüst und Glas, thronte in majestätischer Schönheit die Bahnhofsuhr, die sie vom Einband ihres Museumsführers her kannte.

„Imposant, diese alte Uhr, nicht wahr?“

Astrid schaute sich um. Hinter ihr stand ein Mann, der seiner schlanken, sportlichen Erscheinung und seiner saloppen Kleidung nach für Mitte dreißig hätte durchgehen können, wären nicht die grauen Schläfen und die sonore, ein wenig rauhe Stimme gewesen, die ein realistisches Schätzen seines Alter erschwerten. Sie machte eine ausladende Handbewegung. „Imposant wie alles hier. Ich bin schon jetzt benommen von so viel Schönheit, dabei habe ich das meiste noch vor mir. Wie lange braucht man, bis man alles gesehen hat?“ Sie hatte, weil ihr das französische Wort für „benommen“ nicht eingefallen war, auf das englische „dizzy“ zurückgegriffen, ohne dass es ihr bewusst war.

„Mit den Gemälden und der Kinoausstellung? Ein ganzes Leben. Aber wenn ich Sie begleiten darf, kann ich Ihnen in zwei bis drei Tagen einen Überblick über die besten und wichtigsten Stücke verschaffen.“

Astrids Neugier war geweckt. „Sie scheinen das Museum gut zu kennen.“

„Aber ja, jeden Quadratmeter. Die Skulpturen sind für mich wie eigene Kinder, und jedes Gemälde ist mir so vertraut, als hätte ich es selbst gemalt. Also darf ich Sie führen?“

„Warum wollen Sie das tun?“

„Es macht mir Spaß, Menschen zu treffen, die meine Leidenschaft für die Kunst teilen, und ich bin gerne in Gesellschaft einer hübschen Frau. Wie darf ich Sie nennen?“

Astrid zögerte mit der Antwort, nicht sicher, ob das forsche Angebot des Franzosen nur ein Versuch war, sie anzumachen. Männer haben eine Antenne für frustrierte Frauen, schoss es ihr durch den Kopf, und ganz besonders, wenn sie wie ein herrenloses Hündchen durch ein Pariser Museum streunen. Unwillkürlich griff sie nach ihrer linken Hand und begann, ihren Ehering um den Finger zu drehen. Der Franzose schien es bemerkt zu haben und lächelte ihr aufmunternd zu. „Ich werde mich anstrengen, Sie nicht zu enttäuschen, Madame.“

Normalerweise hätte die Doppeldeutigkeit seiner Worte ihr Misstrauen geweckt, doch stattdessen fühlte sie ihre Wut darüber, dass Ralf sie skrupellos hintergangen hatte, erneut aufflammen. Trotz stieg in ihr auf: Zum Teufel mit Ralf! Sie war nach Paris gekommen, um sich zu amüsieren, und wenn nicht mit ihm, dann eben mit einem anderen Mann. Ohne weitere Scheu reichte sie dem Franzosen die Hand. „Ich heiße Astrid.“

Der Franzose erwiderte ihren Händedruck. „Alors, Astrid, ich bin Étienne Valois.“ Er nahm sie am Arm und lenkte sie in Richtung Eingang. „Wir fangen mit den Skulpturen nochmal von vorn an, sie werden uns für heute vollauf beschäftigen.“

„Was ist mit den Gemälden?“

„Die sind morgen dran. Sie haben hoffentlich genügend Zeit mitgebracht.“ In seiner Stimme lag aufrichtige Besorgnis, als habe er nicht bedacht, dass Astrids Aufenthalt in Paris schon bald zu Ende gehen könnte.

„Soviel Zeit, wie Sie brauchen,“ beschwichtigte sie ihn. „Und jetzt stellen Sie mir Ihre Marmor-Kinder vor.“

Étienne hatte nicht zu viel versprochen. Jede einzelne Skulptur entlockte ihm mehr als eine Geschichte, die Astrid in vergangene Epochen entführte. Er nannte die Namen von Künstlern, die sie sofort wieder vergaß, aber die Bilder, die sie sich von ihrer Welt machte, wie sie lebten, liebten und ihre Kunstwerke schufen, blieben ihrem Gedächtnis verhaftet. Die Leidenschaft, mit der Étienne sein Wissen darbot, beeindruckte sie. „Sie sollten diese wundervollen Geschichten aufschreiben und veröffentlichen. Es wäre schade, wenn sie in Vergessenheit gerieten.“

Étienne blieb stehen und machte eine vage Handbewegung, die den umstehenden Touristen galt. „Sehen Sie sich um, Astrid. Glauben Sie, dass diese Leute sich für Kunst interessieren? Sie schlendern die Halle entlang und bleiben nur dann vor einem Objekt stehen, wenn sie glauben, dass es für ein beeindruckendes Foto taugt. Dann heben sie ihre Kamera hoch, machen Klick und gehen weiter. Später kaufen sie im Museumsladen einen Katalog, den sie zu Hause ins Regal stellen, wo er verstaubt. Sie schauen umher, aber sie sehen nichts, rein gar nichts.“

Die Verbitterung in Étiennes Worten hatte Astrid irritiert. Er musste es ihren Augen angesehen haben, denn im nächsten Augenblick lächelte er wieder. „Sie müssen mich für furchbar streng halten, aber so bin ich normalerweise nicht. Es ist nur so, dass dieses Museum mir sehr viel bedeutet.“

Bevor Astrid nach seinen Gründen fragen konnte, nahm er sie an die Hand und zog sie weiter. Sie kamen zu einer Skulptur aus weißem Marmor, die einen liegenden Knaben darstellte, dessen Schoß ein Schaffell bedeckte. Obwohl der Knabe zu schlafen schien, begriff Astrid, was der kurze, kräftige Ast bedeutete, der an seiner Seite lag. Ergriffen von der Anmut des jugendlichen Körpers bekam sie feuchte Augen. „So schön kann der Tod aussehen?“

„Sanft und friedlich, wenn der Künstler den Beweis für den Mord an Abel verschwiegen hätte. Vincent Feugére des Forts, geboren und gestorben hier in Paris. Die Skulptur, die Sie so aufwühlt, war sein Meisterstück.“

Astrid fühlte, wie ihr plötzlich die Knie weich wurden und sie das Gleichgewicht zu verlieren drohte. Geistesgegenwärtig umfasste Étinne ihre Schultern. „Sollen wir uns einen Moment hinsetzen.“

„Es geht schon, nur … es ist so, dass …“ Sie sah die Besorgnis in Étiennes Blick, so dass sie trotz ihrer Verlegenheit damit herausplatzte: „Ich habe heute noch nichts gegessen.“

*****

Étienne schob sich ein Stück seines Schoko-Croissant in den Mund und sah Astrid vergnügt dabei zu, wie sie Bissen um Bissen ihres Aprikosentörtchens in sich heineinstopfte. „Besser jetzt?“.

Sie nickte und gab, da sie den Mund noch voll hatte, nur ein „hmhm“ von sich, wobei sie ihre Augen durch den Raum schweifen ließ. Das Café im fünften Stock des Musée d’Orsay war im Jugendstil eingerichtet und hatte als Attraktion statt eines Fensters die Glasfläche einer riesigen Uhr, deren Zeiger auf halbdrei standen. Ihr waren die Stunden, die sie mit Étienne in der Halle verbracht hatte, nicht bewusst gewesen, ebenso wenig, wie sehr sie seine Begleitung genossen hatte. Jetzt, da sie entspannt zusammensaßen, beobachtete sie ihn mit wachsender Neugier, bemüht, ihn nicht zu aufdringlich zu mustern.

„Meine Mutter stammt aus Algerien,“ schien Étienne ihre Gedanken dennoch erraten zu haben. „Ich bin in Marseille geboren. Als ich drei war, verließ sie meinen Vater und ging mit mir nach Paris. Sie wollte unbedingt Kunst studieren.“

Daher die tiefbraunen, fast schwarzen Augen, das gewellte Haar und die Tönung der Haut, die ich für Sonnenbräune gehalten habe, dachte Astrid.

Étienne winkte der Bedienung, noch einmal Kaffee zu bringen, ehe er fortfuhr. „Sie malte, sogar sehr gut, aber niemand wollte ihre Bilder kaufen. Also malte sie Ansichtsbilder von Paris für die Touristen, und als sie genug Geld gespart hatte, erwarb sie einen Gemüsestand auf dem Wochenmarkt. Davon konnten wir einigermaßen leben.“

„Was ist aus den Gemälden geworden?“

„Sie sind in meinem Besitz. Alle, bis auf eins.“ In Étiennes Augen trat ein Funkeln. „Ich kann es ihnen zeigen, morgen, wenn wir durch die Galerieräume gehen.“

Astrid begann zu ahnen, was ihn mit dem Musée d’Orsay verband. „Sie ist tot, nicht wahr? Aber eins ihrer Bilder hat es in dieses Museum geschafft.“

Er nickte stumm und sah zum Uhrenfenster, durch dessen Glas man in der Ferne Sancré Coeur erkennen konnte. Einige Sekunden lang schien er entrückt zu sein, ehe sein Blick zu Astrid zurückkehrte und er sie anlächelte. „Genug von der Vergangenheit. Ich schlage vor, dass wir jetzt ein Glas Rotwein trinken und uns danach den Rest der Skulpturen vornehmen. Bis zur Schließung des Museums bleiben uns noch gut zwei Stunden.“

„Wird es Ihnen nicht zu viel mit mir?“

„Im Gegenteil. Es ist wundervoll, mit Ihnen zusammen zu sein. Aber falls jemand auf Sie warten sollte …“

Astrid schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein, niemand. Ich habe alle Zeit der Welt.“

„Ganz sicher?“

Jetzt klopft er auf den Busch, dachte Astrid, denn natürlich weiß er, dass ich verheiratet bin. Aber sie nickte nur, ohne den Köder zu schlucken und sich ein Wort darüber entlocken zu lassen, dass sie auf Ralf schlecht zu sprechen war und es ihm recht geschehe, dass sie den Tag mit einem Mann verbrachte, der ihr seine volle Aufmerksamkeit schenkte.

„Dann haben Sie auch nichts dagegen, mir beim Abendessen Gesellschaft zu leisten?“

Astrid sah keine Möglichkeit mehr, einen Rückzieher zu machen. „Gerne“, willigte sie ein und war ein wenig darüber erstaunt, dass ihr Gewissen kein bisschen aufbegehrte, denn sie hatte gerade ihren Grundsatz über Bord geworfen, jeder Versuchung zu widerstehen, die ihre Beziehung zu Ralf gefährden könnte. Mit einem Fremden durch ein Museum zu schwadronieren und mit ihm über Kunst zu parlieren war eine Sache, sich aber von ihm zum Abendessen ausführen zu lassen eine völlig andere.

Sie dachte an Reni und was sie dazu sagen würde, dass ihre beste Freundin, Verfechterin so konservativer Werte wie Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Treue, sich widerstandslos von einem Pariser Charmeur umgarnen ließ, während ihr Ehemann in einem Meeting mit hartgesottenen Verhandlungspartnern seine Stellung behaupten musste, um ihr weiterhin die Sterne vom Himmel holen zu können.

Ralf hätte sich für Reni entscheiden sollen, ging es Astrid durch den Kopf, sie hätte besser zu seinem Status gepasst, der ihm wichtiger zu sein scheint, als auf meine Bedürfnisse und Sehnsüchte einzugehen. Marilyn Monroes Hit „Diamonds are a girls best friends“ trifft auf Reni hundertprozentig zu, denn für ein luxuriöses Geschenk würde sie Ralf jeden Lapsus verzeihen.

Während Étienne den Rotwein bestellte, holte Astrid ihr Smartphone aus der Handtasche und drückte die WhatsApp-Taste. Sie hatte eine neue Nachricht: „Sorry, dauert noch. Melde mich sbwm.“ Sie seufzte, als habe sie nichts anderes erwartet, und steckte das Smartphone in ihre Tasche zurück. „Entschuldigen Sie, ich wollte nicht unhöflich sein,“ murmelte sie verlegen.

„Kein Problem,“ erwiderte Étienne, doch der intensive Blick, mit dem er sie musterte, verriet ihr, dass er sie längst durchschaut hatte. Selbst wenn er nicht wissen konnte, was sie bewegte, schien er dennoch ein Gespür für ihre desolate Gemütslage zu haben. „Probieren Sie den Rotwein, er ist gut,“ schickte er sich an, die unbeschwerte Stimmung der vergangenen Stunden wieder aufleben zu lassen.

Astrid stieß mit ihm an. Er hatte recht, der Wein schmeckte ihr ausgezeichnet. Nein, sagte sie sich, dieses Mal würde sie sich von Ralf nicht die Laune verderben lassen, sondern in vollen Zügen genießen, was immer Paris ihr zu bieten hatte.

*****

Der Abend war mild. Während Astrid mit Étienne entlang der Seine in Richtung Quartier Latin bummelte, fühlte sie, wie sie sich nach und nach entspannte. An der Rue Bonparte schlugen sie den Weg zum Boulevard St.-Germain ein und erreichten die Brasserie Lipp, ehe die Dämmerung einsetzte. Étienne hatte aufgehört, über Kunst zu reden, aber auch vermieden, persönliche Themen anzuschneiden. Stattdessen hatte er Astrid über die große Zeit der Existentialisten erzählt, über Camus, Sarte, de Beauvoir, Beckett und Koestler, die sich während der Zeit der deutschen Besatzung und noch in den ersten Jahren nach dem Krieg in den Cafés von St.-Germain-des-Prés trafen, um ihre Texte zu schreiben und über ihre politischen Anschauungen zu debattieren.

„Dort drüben, direkt auf der anderen Straßenseite, befindet sich das Café de Flore, und nur ein paar Schritte weiter, an der nächsten Ecke, das Les Deux Magots,“ erklärte Étienne, während sie ihre Steaks verspeisten. „Sarte, de Beauvoir, Picasso und Hemingway waren dort Stammgäste. Wenn Sie hineinschnuppern wollen, können wir nach dem Essen hingehen und noch ein Glas Wein trinken. In einem der beiden Cafés werden wir bestimmt einen Platz finden.“

Und ob Astrid wollte! Wenn sie schon hier war, und dazu in Begleitung eines gebildeten und kultivierten Mentors, der offensichtlich imstande war, ihr ganz Paris zu Füßen zu legen, wäre sie töricht gewesen, dieses Angebot auszuschlagen.

Sie fanden einen freien Tisch im Les Deux Magots, weil die meisten Gäste es vorgezogen hatten, draußen zu sitzen. Neugierig betrachtete Astrid die beiden hölzernen Figuren, die jede auf einem eignen Sockel an der Wand rechtwinklig zueinander thronten und dem Café seinen Namen gaben, obwohl ihr fernöstliches Aussehen nicht zu den westlichen Intellektuellen zu passen schien, die einst hier verkehrten. Étienne war ihr Interesse nicht entgangen. „Die beiden Figuren gehen auf eine chinesische Handelsniederlassung zurück, die sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts hier befand. Als das Lager in ein Café umgewandelt wurde, behielt es nicht nur den alten Namen, sondern auch die Figuren.“

„Sie scheinen eine ganze Bibliothek in ihrem Kopf herumzutragen, nach dem, was Sie alles wissen.“

Étienne lachte über die unverhohlene Bewunderung in ihrer Stimme. „So schlimm ist es nicht, solche Dinge bekommt man im Laufe der Zeit einfach mit.“

„Dann sind Sie oft hier?“

„Ziemlich oft. Ich wohne in der Nähe und arbeite an der Sorbonne.“

„Sie sind Professor?“

Étienne schüttelte den Kopf. „Ich assistiere zwei Professoren als wissenschaftlicher Mitarbeiter, halte Vorträge und bin Anlaufstelle für Studenten, die nicht mehr weiterwissen. Sozusagen la bonne à tout faire, das Mädchen für alles.“ Er nippte an seinem Wein. „Und Sie, was machen Sie?“

Astrid zuckte zusammen. Sie war nicht darauf gefasst gewesen, dass ihr Interesse an Étiennes Tätigkeit ihn zu dieser Frage veranlassen könnte. Innerlich haderte sie mit sich, selbst daran schuld zu sein, denn sie hatte zu viel über ihn wissen wollen. Es war nur logisch, dass er, nachdem er freimütig auf ihre Fragen geantwortet hatte, das gleiche jetzt von ihr wissen wollte.

Wie konnte sie zugeben, dass sie nichts machte, ohne dafür einen guten Grund mitliefern zu müssen, der unweigerlich die Sprache auf ihre Ehe mit Ralf gebracht hätte? Gewiss, sie hatte eine Ausbildung, aber ihrem Beruf mangelte das notwendige Prestige, das Ralf als Aushängeschild hätte dienen können. Die Frauen seiner Kollegen und Geschäftspartner, mit denen er auf gleicher Augenhöhe stand, hatten Wirtschaft, Jura, Soziologie oder sonst ein Fach, das „in“ war, studiert, einige sogar ihren Doktor gemacht. Jedenfalls hatte Ralf das behauptet und von Astrid verlangt, ihren „lächerlichen Job“ an den Nagel zu hängen und sich stattdessen einem karitativen Ehrenamt zu widmen; dann könne er wenigstens damit renommieren, seine Frau habe es nicht nötig, arbeiten zu gehen und stelle sich deshalb lieber in den sozialen Dienst der Gesellschaft. Nach einem zermürbenden Disput hatte sie seiner Foderung nachgegeben, ihren Job gekündigt und in der Grundschule ihres Wohnviertels kostenlose Nachhilfe in Deutsch für Kinder aus Immigrantenfamilien angeboten.

Étienne hatte sie die ganze Zeit erwartungsvoll angesehen, doch ihr Zögern brachte ihn zu der Einsicht, es bei der Nichtbeantwortung seiner Frage zu belassen. „Ich bitte um Entschuldigung, falls ich Sie in Verlegenheit gebracht haben sollte. Das lag nicht in meiner Absicht.“

Sein Einfühlungsvermögen in ihre Konfusion und seine Bereitschaft, die Verantwortung dafür zu übernehmen, obwohl er nichts Unrechtes gesagt hatte, beschämten Astrid. Sie war ihm eine Antwort schuldig, und wenn sie ihn richtig einschätzte, würde er nicht versuchen, in Sphären ihres Lebens einzudringen, die ihn nichts angingen. „Ich bin Fremdsprachensekretärin,“ bekannte sie, „arbeite aber nicht in dem Beruf, sondern unterrichte sechs- bis zehnjährige Schulkinder in Deutsch.“ Das war zwar nicht die volle Wahrheit, aber auch nicht geschwindelt.

„Welche Sprachen haben Sie studiert?“

„Englisch, Französisch und Türkisch.“

„Drei Sprachen? Sie sind zu bewundern. Ich bin dafür ungeeignet und glücklich über jeden Menschen, der meine Sprache versteht. So wie Sie.“

Seine anerkennenden Worte taten Astrid gut. Wie Sie vermutet hatte, gab er sich mit ihrer Auskunft zufrieden und wechselte das Thema. „Wo wohnen Sie in Paris?“

„Auf der anderen Seite, im Régina Louvre.“ Sie sah auf ihre Armbanduhr. Es war bereits nach halbelf, und bestimmt machte Ralf das Personal im Hotel verrückt, weil er nicht wusste, wo sie war. Sie überlegte, ihm eine Nachricht zu schicken, entschied sich aber dagegen, denn das würde jetzt nichts mehr ändern. Sie hatte schlicht und einfach vergessen, ihm rechtzeitig mitzuteilen, dass er sich ihretwegen keine Sorgen machen brauche, und außerdem war es ihr mittlerweile völlig egal, wie es ihm ging. Dennoch kam sie zu der Überzeugung, dass es an der Zeit war, den Tag zu beenden.

„Es ist spät geworden, Étienne. Ich sollte allmählich mein Hotel aufsuchen.“

„Gut, ich bestelle ein Taxi.“ Er zog sein Smartphone aus der Hosentasche, tippte einen Button an und wechselte leise ein paar Worte mit der Taxizentrale. Zehn Minuten später war der Taxifahrer zur Stelle. Étienne ließ Astrid nicht mit ihm allein fahren, sondern begleitete sie bis zum Place des Pyramides und stieg gemeinsam mit ihr aus, um sich zu verabschieden. „Wir sehen uns also morgen wieder, um zehn Uhr vor dem Eingang des Musée d’Orsay?“

„Um zehn Uhr vor dem Eingang,“ bestätigte Astrid und hatte dabei vage Bilder vor Augen, wie Ralf reagieren würde, wenn sie ihm eröffnete, dass sie für den morgigen Tag Pläne geschmiedet hatte, die seine Anwesenheit ausschlossen.

„Gute Nacht, Astrid.“ Étienne legte seine Hände auf ihre Arme und näherte sich ihrem Gesicht, so dass sie einen Augenblick lang dachte, er wolle sie küssen. Doch er deutete nur jeweils einen flüchtigen Kuss auf ihre linke und rechte Wange an, wie es in Frankreich üblich war.

„Danke für den wundervollen Tag, Étienne. Gute Nacht.“

„Dann bis morgen,“ erwiderte er und stieg in das Taxi, um sich nach St.-Germain-des Prés-zurückbringen zu lassen. Astrid sah den Rücklichtern nach, bis sie im nächtlichen Straßenverkehr untergetaucht waren, ehe sie sich dem Hoteleingang zuwandte.

*****

In der Lounge herrschte die gleiche ruhige Atmosphäre wie am Abend zuvor. Zwei Herren, geschäftsmäßig gekleidet, saßen an einem Fensterplatz und unterhielten sich, ein Paar mittleren Alters kam ihr plaudernd entgegen und verschwand in der Bar, aus der die Stimmen und das Lachen der Gäste zu ihr drangen, ansonsten war die Betriebsamkeit des Tages nächlicher Gelassenheit gewichen. Entgegen ihrer Erwartung saß kein völlig aufgelöster Ralf in der Lounge, um auf sie zu warten, und das Personal an der Rezeption grüßte sie freundlich, ohne das gerinste Befremden über ihre lange Abwesenheit zu zeigen.

Niemand schien sie vermisst zu haben.

Der Flur, auf dem sich ihr Zimmer befand, war menschenleer. Ein paar Sekunden blieb sie vor der Tür stehen, um zu lauschen, aber drinnen war es still. Sie öffnete mit ihrer Code-Carte und trat ein, bemüht, leise zu sein. Im Zimmer war es dunkel, und im Lichtschein der vom Flur und vom Fenster hereinfiel, erkannte sie, dass Ralfs Seite des Doppelbetts genausso unberührt war wie ihre eigene.

Sie machte Licht, schloss die Tür und holte ihr Smartphone aus der Handtasche. „Bin beim Abendessen. Konnte nicht ablehnen. Hoffe, du hattest einen schönen Tag. Bis später.“

Zwei Tage vorher hätte sie beim Lesen dieser Nachricht das Smartphone wütend auf das Bett geworfen, aber zu ihrer Verwunderung nahm sie Ralfs Nachricht nicht nur gelassen hin, sondern war sogar erleichtert darüber, ihm nicht Rede und Antwort stehen zu müssen, was sie den Tag über getrieben hatte. Sie war nicht gut im Erfinden von Geschichten, und es wäre für ihn ein Kinderspiel gewesen, aus ihr herauszubekommen, dass sie viele Stunden lang in Begleitung eines fürsorglichen Fremden war, dessen Galanterie sie genossen hatte. Ralf beizubringen, dass sie vorhatte, Étienne morgen wiederzusehen, würde noch turbulent genug werden. Er könnte vielleicht gerade noch begreifen, dass sie sich, mutterseelenallein inmitten nackter, kalter Skulpturen, auf einen Mann mit Kunstkenntnissen und lobenswerten Manieren einließ, der offensichtlich keine unehrenhaften Interessen verfolgte; aber sich als verheiratete Frau zum Abendessen ins Lipp und anschließend zum Wein im Les Deux Magot einladen zu lassen würde über seinen Verstand gehen - ihre feste Absicht, Étienne wiederzusehen erst recht.

Astrid begriff es selbst nicht. Sie machte das Licht aus, legte sich auf ihr Bett und streckte die Beine aus, um in Ruhe darüber nachzudenken. Was hatte sie geritten, einer Laune nachzugeben, die alle Qualitäten hatte, ihr spannungsgeladenes Verhältnis zu Ralf weiteren Strapazen auszusetzen? Nicht gerade der gescheiteste Weg, eine Ehe aus wilden Wassern zu steuern, so viel war klar. Es wäre einfach gewesen, Étienne darauf hinzuweisen, dass sie Verpflichtungen hatte und ihn deshalb nicht wiedersehen durfte. Also warum, in Dreiteufelsnamen, war sie auf sein Angebot eingegangen? „Morgen um zehn Uhr, vor dem Eingang,“ wiederholte sie das Versprechen, das sie ihm gegeben hatte. Es sollte ironisch klingen, als sei sie zu der Erkenntnis gekommen, sich auf eine riesengroße Dummheit eingelassen zu haben. Doch die Worte kamen zärtlich über ihre Lippen, und kaum waren sie gesprochen, fühlte sie, wie eine Welle freudiger Erwartung ihre Brust durchströmte.

„Verdammter Mist,“ murmelte sie und schloss die Augen, als könne sie dadurch die nackte Wahrheit ignorieren, dass sie sich in Étienne verliebt hatte. Der Wein müsse ihr den Kopf vernebelt haben, redete sie sich ein, morgen sähe die Welt wieder so nüchtern aus wie eh und je, und überhaupt werde sie Étienne nach dem morgigen Treffen niemals wiedersehen.

Sie wollte noch ein paar Minuten so liegen bleiben und dann aufstehen, um sich zu entkleiden und ihre Zähne zu putzen, doch nach wenigen Sekunden war sie eingeschlafen.

*****

Astrid starrte auf die riesige Wolke, die sich im Wasser der Seine spiegelte und deren leuchtender Kranz das baldige Durchbrechen der morgendlichen Sonnenstrahlen ankündigte. Es war Viertel vor neun gewesen, als sie fluchtartig das Hotelzimmer verlassen hatte und erst stehengeblieben war, als sie die Mitte des Pont Royal erreicht hatte.

Sie war früh wach geworden, hatte sich ins Badezimmer geschlichen, um Ralf nicht im Schlaf zu stören, sich gewaschen und angekleidet. Er musste bei seiner Rückkehr ins Hotel todmüde gewesen sein, denn er hatte seinen Anzug und sein Hemd nicht wie gewohnt auf einen Bügel gehängt, sondern achtlos auf den Boden am Fußende des Doppelbettes liegen lassen.

Umso besser, hatte Astrid gedacht, die ihre Chance witterte, sich davonschleichen und die Auseinandersetzung mit Ralf auf später verschieben zu können. Sie hatte darauf verzichtet, sich zu schminken und ihr Haar hochzustecken, denn sie wollte so schnell wie möglich aufbrechen, um unterwegs noch Zeit für einen Kaffee und ein Croissant zu haben, statt wie gestern mit leerem Magen am Musée d’Orsay anzukommen.

Doch im Unterbewusstsein musste Ralf gespürt haben, dass etwas im Busch war, denn als Astrid ihre Handtasche umgehängt und nach ihrem Halstuch gegriffen hatte, drehte er sich unruhig im Bett herum und schlug die Augen auf. Es kostete ihn nur zwei Sekunden, um die Situation zu begreifen.

„Was hast du vor?“

„Guten Morgen, hast du gut geschlafen?“ erwiderte sie, um Zeit zu gewinnen und sich für den Disput zu wappnen, der ihr bevorstand.

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“

„Ich gehe ins Museum.“

„Welches Museum?“

„Ins Musée d’Orsay.“

„Dort wolltest du gestern schon hin.“

„War ich auch. Aber es zu gewaltig, um alles auf einmal ansehen zu können.“

Ralf schälte sich aus seiner Decke und setzte sich auf den Bettrand. „Ich komme mit.“

„Aber …“

„Schon gut, mir reichen die paar Stunden Schlaf. Außerdem habe ich für gestern etwas gutzumachen.“

Astrid war wieder einmal verblüfft darüber, wie gut die Sensoren eines Mannes funktionieren, wenn seine Frau dabei ist, sich auf Abwege zu begeben. Sie straffte ihre Schultern. Nun denn, dachte sie, bringen wir es hinter uns. „Nicht nötig. Ich gehe ohne dich.“

Er schaute sie ungläubig an. „Wieso? Warum hast du es so eilig? Es ist noch mitten in der Nacht.“

„Für dich vielleicht. Es ist halbneun, und ich bin verabredet.“

Er kniff die Augen zusammen. „So? Verabredet? Darf ich wissen mit wem?“

Sie zuckte die Schultern. „Mit einem Mann, der mich gestern im Museum angesprochen und mir Gesellschaft geleistet hat.“ Und der obendrein zuvorkommend ist, gut aussieht und eine Menge von Kunst versteht, war sie versucht, hinzuzufügen, hielt es aber für klüger, Ralf nicht über Gebühr zu reizen.

„Das nenne ich charmant,“ protestierte er. „Da fährt man mit seiner Frau in die Flitterwochen …“

„Vorgetäuschte Flitterwochen,“ warf Astrid ein.

„… und sie hat nichts anderes zu tun, als auf den erstbesten Kerl zu fliegen, der ihr über den Weg läuft.“

„Er ist Dozent an der Universität.“

„Egal, was er ist,“ schnauzte Ralf sie an und erhob sich, „du wartest, bis ich angezogen bin, und dann gehen wir zusammen ins Museum.“

„Das werden wir ja sehen,“ konterte Astrid und ging zur Tür. Er eilte ihr hinterher und packte sie am Handgelenk.

„Wenn du jetzt durch diese Tür gehst, sind wir geschiedene Leute.“

Astrid konnte sich eines spöttischen Lächelns nicht erwehren. „Einverstanden,“ sagte sie mit fester Stimme, riss sich los, öffnete die Tür und stürmte den Flur entlang.

„Verdammt noch mal, warum tust du das? Komm gefälligst zurück!“

*****

Die Worte, die Ralf ihr hinterhergeschrien hatte, hallten in ihren Ohren nach, als sie die Touristenboote beobachtete, die gemächlich in Richtung der Île de Cité fuhren. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war Viertel nach neun, höchste Zeit, sich auf den Weg zum Quai Anatole France zu machen, wenn sie in einem Café noch eine Kleinigkeit frühstücken wollte. Bei der Vorstellung, schon bald Étienne wiederzusehen, fühlte sie sich lebendig und glücklich wie lange nicht mehr. Ihr war, als sei sie aus einem hundertjährigen, todesähnlichen Schlaf erwacht.

Wie es wohl wäre, in Paris zu leben und für immer mit Étienne zusammenzusein?

Die Frage war ihr so unwillkürlich in den Kopf geschossen, dass sie verwundert den Kopf schüttelte. Was für eine abenteuerliche, völlig absurde Idee, dachte sie. Doch ehe sie am Ende der Brücke angelangt war, blieb sie abrupt stehen. Von jetzt auf gleich hatte sie einen Entschluss gefasst, einfach so, als sei er immer schon dagewesen und habe nur darauf gewartet, entdeckt zu werden.

Lächelnd trat sie an die Brückenmauer, zog ihren Ehering vom Finger und warf ihn in die Strömung der Seine.
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Alt 24.06.2020, 18:38   #2
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Ziemlich leichtgläubig, die gute Astrid. Vielleicht kommt Etienne gar nicht.... Und dann hat sie sich völlig umsonst einen Riesenkrach mit Ralf (ein netter Name, gern gelesen) eingehandelt.

Flüssig geschrieben, aber ich finde die Geschichte nicht sehr glaubwürdig und Astrid hat keine Ahnung, was auf sie zukommt, wenn sie sich ohne Geld und ohne Arbeit davon macht und nur eine flüchtige Verliebtheit der Grund dafür ist. Gleich den Ehering in die Seine zu werfen, ist zwar ein dramatischer Schluss, aber sehr unüberlegt. Den hätte sie zumindest verkaufen können.

Zitat:
. Wie es wohl wäre, in Paris zu leben und für immer mit Étienne zusammenzusein?
Solche Überlegungen habe ich nach dem ersten Treffen mit 16 angestellt
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Alt 24.06.2020, 18:52   #3
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hm ja das ist ralfchen - nett. lieb, amüsant und zärtlich. da muss ein frau drauf reinfallen.
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Alt 24.06.2020, 19:05   #4
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Flüssig geschrieben, aber ich finde die Geschichte nicht sehr glaubwürdig und Astrid hat keine Ahnung, was auf sie zukommt, wenn sie sich ohne Geld und ohne Arbeit davon macht und nur eine flüchtige Verliebtheit der Grund dafür ist. Gleich den Ehering in die Seine zu werfen, ist zwar ein dramatischer Schluss, aber sehr unüberlegt. Den hätte sie zumindest verkaufen können.
Also, ich hätte das hinbekommen. Als ich meinen Mann verließ, wusste ich das eine halbe Stunde vorher noch nicht - völlig spontane Reaktion. Danach war meine Ehe gelaufen - für immer.

Es kommt nicht darauf an, ob aus der Sache mit Étienne etwas wird, er dient nur als Katalysator für Astrids Entscheidung, wobei die Geschichte offen lässt, was genau sie vorhat. Und warum sollte sie keine Arbeit finden? Sie hat eine Ausbildung und spricht perfekt Franzöisch. Außerdem lässt die Story offen, ob sie Ersparnisse hat. Das alles spielt für eine Kurzgeschichte überhaupt keine Rolle.

Diese Pseudoysicherheit in puncto Arbeit habe ich nie verstanden. Ich habe zweimal meinen Job gekündigt, ohne bereits einen neuen zu haben. Es geht immer weiter, wenn man weiß, was man kann.

Den Ring verkaufen? Vergiss es, dafür gibt's nichts. Ich weiß es, ich habe das nämlich mit meinem Ehering gemacht. Lächerlich.

Übrigens hat in "Harold und Maude" die alte Dame auch den Ring ihres jungen Freundes in den Fluss geworfen, das ist also nichts Besonderes.
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Alt 24.06.2020, 19:38   #5
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Zitat:
Zitat von Ralfchen Beitrag anzeigen
hm ja das ist ralfchen - nett. lieb, amüsant und zärtlich. da muss ein frau drauf reinfallen.
Damit kann ich nichts anfangen. In der Story gibt es kein Ralfchen, und niemand ist zärtlich.
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Alt 25.06.2020, 07:08   #6
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Zitat:
.Den Ring verkaufen? Vergiss es, dafür gibt's nichts. Ich weiß es, ich habe das nämlich mit meinem Ehering gemacht.
Ich vor über 20 Jahren auch. 40 DM waren immerhin besser als gar nichts

Zitat:
.Es kommt nicht darauf an, ob aus der Sache mit Étienne etwas wird, er dient nur als Katalysator für Astrids Entscheidung, wobei die Geschichte offen lässt, was genau sie vorhat. Und warum sollte sie keine Arbeit finden? Sie hat eine Ausbildung und spricht perfekt Franzöisch. Außerdem lässt die Story offen, ob sie Ersparnisse hat. Das alles spielt für eine Kurzgeschichte überhaupt keine Rolle.
Kommt darauf an. Ich habe bei einer solchen Geschichte in dieser Hinsicht ein Störgefuhl. Wenn in der Geschichte erwähnt würde, dass sie Ersparnisse hat, fände ich es plausibler.

Zitat:
. Das alles spielt für eine Kurzgeschichte überhaupt keine Rolle.
Wenn ich mich in Astrids Schicksal hineinversetzen kann und drüber nachdenke, ob sie ihr Vorhaben wirklich durchziehen wird, ist das doch toll. Dann ist die Geschichte mitreißend geschrieben.
Okay, ich hätte auch nur "gerne gelesen" drunter schreiben können das war mir in diesem Fall zu wenig.

Also: flüssig und mitreißend geschrieben, die Dialoge sitzen und man fühlt sich ins Geschehen hineinversetzt, dazu noch als Kulisse Paris und das Museum. Tolle Geschichte.

LG DieSilbermöwe
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Alt 25.06.2020, 08:13   #7
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Ich vor über 20 Jahren auch. 40 DM waren immerhin besser als gar nichts

Exakt 40,00 DM hatte ich auch bekommen. Weißgold. Ist aber schon 35 Jahre her.

Zitat:
Wenn in der Geschichte erwähnt würde, dass sie Ersparnisse hat, fände ich es plausibler.
Völlig mittellos ist Astrid nicht, wie man sich denken kann. Erwähnt ist immerhin der Porsche, und nach etlichen Jahren Ehe mit einem reichen Mann ist man in der Lage, etwas zurückzulegen. Wäre nicht die erste Frau, die das mehr oder weniger offen gemacht hätte, gerade dann, wenn sie nicht mehr glücklich ist.

In einer Kurzgeschichte kann man nicht jedes Detail bringen, einige Dinge müssen für den Leser offenbleiben, da sie sich auf den das Wesentliche eines Augenblicks bezieht. Mir ging es in erster Linie um Astrids Gefühlslage und den Auslöser für eine Entscheidung, die nach außen spontan wirkt, aber bereits in ihrem Inneren angelegt war. Was waren ihre geheimsten Wünsche, über die sie sich selbst erst einmal klar werden musste?

Nur nebenbei bemerkt, auch wenn es unglaublich klingt: Ich hatte, als ich meine Ehe abrupt beendete, auch kein Geld. Meine Ersparnisse hatte ich meinen Eltern gegeben, weil sie sich in einer Notlage befanden. Beruflich war ich auch nicht unterwegs. Ich fing also quasi mit Null und ohne Job an, und das bei der Verantwortung für ein Kind. Man darf vor dem Leben einfach keine Angst haben, sondern muss auf seine Kräfte vertrauen.

So, damit ist es gut. Ich muss mich jedenfalls dafür bedanken, dass du die Geschichte gelesen und kommentiert hast. Ich hatte wegen ihrer Länge nicht damit gerechnet, dass jemand die Geduld hat, sie überhaupt zu lesen. Aber wer, wenn nicht du ... .
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Alt 25.06.2020, 11:21   #8
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Liebe Ilka-Maria,

Deine Geschichte hat mich so in ihren Bann gezogen, dass mir ihre Länge gar nicht so aufgefallen ist. Also einen schönen Spannungsbogen hat sie schon einmal! Der innere Abschied vom Ehemann ist sehr gut nachzuvollziehen. Der kultivierte, ja gelehrte gentleman als Kontrastbild zum machoartigen "Geldmacher" ist ja dann auch der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Allerdings hätte ich mir gewünscht, die Protagonistin wäre sich wenigstens ansatzweise einmal bewusst geworden, dass ihr Status und Geld ihres Mannes schon zugesagt hatten, und sie ihre Eigenständigkeit nicht gerade vehement verteidigt hat. So erhält mir der Ehemann zu sehr das Etikett "Alleinschuldiger".
Dennoch sehr gerne gelesen, AlteLyrikerin.

Geändert von AlteLyrikerin (25.06.2020 um 13:02 Uhr)
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Alt 25.06.2020, 13:00   #9
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Zitat:
Zitat von AlteLyrikerin Beitrag anzeigen
Deine Geschichte hat mich so in ihren Bann gezogen, dass mir ihre Länge gar nicht so aufgefallen ist. Also einen schönen Spannungsbogen hat sie schon einmal!
Das freut mich sehr. Ich hatte der Länge wegen zuerst Bedenken, die Story in Poetry zu veröffentlichen.

Zitat:
Der kultivierte, ja gelehrte gentleman als Kontrastbild zum machoartigen "Geldmacher"
Interessant, dass du Ralf das Attribut "machoartig" zuweist. So habe ich ihn gar nicht empfunden, eher als selbstbezogenen Ignoranten, der kritiklos in der Leistungsgesellschaft aufgeht.

Zitat:
Zitat von AlteLyrikerin Beitrag anzeigen
So erhält mir der Ehemann zu sehr das Etikett "Alleinschuldiger".
Aha, interessant, das so zu sehen. Habe ich beim Anlegen der Figur auch nicht so empfunden. Eigentlich hat Ralf ja nichts Schlimmeres getan, als einem Konflikt aus dem Weg gehen zu wollen und zu hoffen, dass er damit durchkommt, wenn seine Trickserei erst in Paris herauskommt - sich Astrid also vor die vollendete Tatsache gestellt sieht, so dass sie keinen Einfluss mehr auf Ralf nehmen kann. Er hat sie aber weder betrogen, noch hat er ihr Gewalt angetan, so dass man von einer "Schuld" - so meine ich - nicht sprechen kann. Ralf ist nicht einmal dann klar, was er falsch gemacht hat, als Astrid ihm davonläuft. Ihm ist die Situation schlicht und einfach entglitten.

Kurz gesagt: Hier sind zwei Menschen zusammengekommen, die nicht zueinander passen. Darauf weist die Figur der Freundin Reni hin, die wahrscheinlich die ideale Partnerin für Ralf gewesen wäre.

Da sieht man, wie unterschiedlich bestimmte Punkte auf die Leser wirken - ihre Reaktionen machen die Sache im Nachhinein für mich nochmal spannend, denn ich kann ja weder lenken noch ahnen, wie die Figuren und ihre Handlungsweisen interpretiert werden.
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Alt 27.06.2020, 16:59   #10
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Hallo Ilka,

Zitat:
.Weißgold.
Daraus war meiner auch die Preise auf dem Goldmarkt waren damals also wohl im ganzen Land gleich.

Zitat:
.Ich hatte wegen ihrer Länge nicht damit gerechnet, dass jemand die Geduld hat, sie überhaupt zu lesen. Aber wer, wenn nicht du ... .
Merci beaucoup

Noch eine allgemeine Bemerkung: Es ist doch interessant, wie sehr eigene Erfahrungen in die Geschichte einfließen. Ich glaube dir, dass du dich damals ins kalte Wasser gestürzt hast ohne Geld und ohne Arbeit, aber du hast, soviel ich weiß, immer in der Großstadt gewohnt. Ich komme vom Land und dort ist es nicht so einfach, auf die Schnelle eine gut bezahlte Arbeit zu finden und dann noch in dem Job, den man gelernt hat. Außerdem kennt auf dem Land jeder jeden.... Ob da jemand einer Astrid, die in den Augen der Leute ihren Mann ausgenutzt hat, damit sie nicht arbeiten musste, jemand einen Job gegeben hätte, weil sie ihren Mann sitzengelassen und mit einem Etienne zusammengekommen ist? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Käme auf dem Land darauf an, in welchem Verhältnis der potentielle Arbeitgeber zu Ralf steht, denn der ist dort auch überall bekannt....

Vor allen Dingen aber gibt es auf dem Land gar nicht so viele Stellen. Das ist ein viel größeres Risiko als in der Stadt.

Soll jetzt keine Kritik an der Geschichte sein. Mir ist nur der Unterschied in den Erfahrungen aufgefallen.

LG DieSilbermöwe
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Alt 27.06.2020, 17:48   #11
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Soll jetzt keine Kritik an der Geschichte sein. Mir ist nur der Unterschied in den Erfahrungen aufgefallen.
Habe ich auch nicht als Kritik empfunden.

Mir fällt immer wieder auf, dass du sehr stark rational argumentierst. Der Mensch handelt jedoch in vielen Situationen aus seinen Emotionen heraus, und das sind immer mehrere, die zusammenspielen, viele davon aus dem Unterbewusstsein.

Glaubst du, ich hätte damals, als ich mit meinem Mann im Restaurant war und noch nicht wusste, dass ich noch am selben Abend alles hinschmeißen würde, auch nur eine Sekunde über die wirtschaftlichen Verhältnisse und Arbeitsmöglichkeiten meiner Region nachdachte? Oder überhaupt arbeiten zu gehen? Ich war wie ferngelenkt und wollte nur, dass alles sofort anders wird, egal wie. Wenn ich etwas nicht mehr will, hört bei mir die Ratio auf.

Ich zog, nach einem ersten Unterschlupf bei meinen Eltern, ins provinziellle Aschaffenburg, weil dort die Mieten und Lebenshaltungskosten niedriger waren als in Rhein-Main. Musste dann eben jeden Tag eine halbe Stunde zum Bahnhof laufen und eine weitere halbe Stunde mit dem IC nach Frankfurt fahren. Alles geht - wenn man es will.

Tatsache ist, dass ich einfach ein Schweineglück hatte, weil damals auf dem Arbeitsmarkt dringend Leute gesucht wurden, so dass ich gleich bei der ersten Bewerbung zuschlagen konnte. Überhaupt scheine ich unter einem guten Stern geboren zu sein, denn Glück dieser Art hatte ich mein ganzes Leben lang, egal, welche Kapriolen ich mir geleistet habe. Mir schlug immer die Gunst der Stunde.
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Alt 29.06.2020, 18:43   #12
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Liebe Ilka-Maria,
sie ist nirgends ausdrücklich erwähnt, aber sie durchzieht Deine Story wie ein sanfter Hauch - die Liebe zur Stadt und zur bildenden Kunst. Vordergründig geht es um Astrids (eine meiner armenischen Freundinnen heißt so und so wird die deutsche Bedeutung - schöne Göttin -durch Stern oder Sternengleiche ergänzt) Befindlichkeiten. Da halte ich mich besser zurück.
Falls Du es Dir nicht zur Aufgabe gemacht hast, Paris eine Liebeserklärung zu machen, ist sie Dir vollständig gelungen. Genau das ist es, was mich an den geheimnisvollen Schleier der Lyrik glauben lässt. Ähnlich geht es mir beim Hören bestimmter Musikwerke. Ich höre die wohlgesetzten Töne und - bei großen Meistern passiert es mir - ich höre eine Melodie, die sich gar nicht in den Notenblättern nachweisen lässt.
So geht es mir beim Lesen Deiner Geschichte: Die "Noten" lese ich wohl, aber eindringlicher und seelenberührender ist dieses unsagbar Schwebende.
(Du darfst Dich geschmeichelt fühlen: Ich bin begeistert von Deinem Gang durchs Musée d'Orsay.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 29.06.2020, 21:41   #13
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
... sie durchzieht Deine Story wie ein sanfter Hauch - die Liebe zur Stadt ...
Das ist wahr ... seit ich im Sommer 1966 zum ersten Mal in Paris war, im Rahmen des Schüleraustauschprogramms, ein Produkt des damals frischgebackenen deutsch-französischen Freundschaftsvertrages. Offenbachs Partnerstadt ist Puteaux, eine Kleinstadt im Westen von Paris, direkt neben dem später entstandenen, hochmodernen Defense gelegen. Nach jenem Sommer war ich noch viele Male in Paris, zuletzt im Januar 2019.

Nicht auszudenken, wenn die Nazis die Stadt in einen Trümmerhaufen verwandelt hätten - die Dynamitladungen waren schon überall angebracht gewesen! Es war eine schicksalshafte Entscheidung für General von Cholditz, auf den schwedischen Botschafter zu hören und Hitlers Befehl zur Sprengung zu verweigern; denn wäre Paris nicht von den Alliierten befreit worden, hätte es von Cholditz den Kopf gekostet. Hätte er sprengen lassen, wäre er zum Buhmann der Geschichte geworden.
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