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Alt 26.11.2008, 23:54   #1
Volaticus
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 34


Standard Die Wolkenbasis

Wenn im Frühling nach dem Durchzug einer Schlechtwetterfront der Morgentau auf
den saftigen Wiesen liegt und der blaue Himmel wieder sichtbar ist, wenn die
aufgehende Sonne die Tautropfen in den Farben des Regenbogens schimmern lässt
und eine leichte Brise aus Nord bis Nordwest durch das frische Laub der Bäume
säuselt, wenn die Luft so klar und sauber ist, dass man meint, man könnte von
einem Ende des Horizonts zum anderen springen, dann läuten bei uns Fliegern die
Alarmglocken.
Dann packt uns die Sehnsucht nach der Wolkenbasis, nach jener erhabenen
Einsamkeit, die unsere Väter und Ahnen jahrhunderte- und jahrtausendelang
erträumt und erhofft haben. Mit einem motorlosen Fluggerät - sei es Drachen
oder Segelflugzeug - allein durch eigenes Können mit den ungezähmten Kräften
der Natur hoch über den Startplatz hinaufzusteigen, die Welt im blauen Dunst
versinken zu sehen und schließlich - von den Aufwinden getragen - die
Wolkenbasis zu erreichen, stundenlang ganz mit sich alleine über den Bergen,
Äckern und Wiesen der Heimat dahinzugleiten, dieses Erlebnis und Privilleg
ist es, das die Persönlichkeit eines Segelfliegers prägt und verändert.
Solche herrlichenFlüge, bei denen man tausende Meter über den Start steigen,
weite Strecken zurücklegen und wieder am gewohnten Platz landen kann, sind
nur bei passenden Wetterlagen möglich.
Für jeden Thermikflieger ist so ein Flug ein unvergessliches
Erlebnis, von dem er oft noch Jahre später begeistert zu erzählen weiß. Viel zu
oft treten diese Wetterlagen werktags auf, wenn wir arbeiten müssen. Einem
Segelflieger geht es in dieser Situation wie einem Vogel, der im Käfig sitzt
und zu den Wolken hinaufschauen muss. Ein Nichtflieger kann sich daraus nur
schwer einen Begriff machen, aber ein Gleichtesinnter wird ihn verstehen. Der
berühmte Segelfluglehrer Winfried Kassera schrieb einmal in seinem Buch "Der
lautlose Flug": "Das Gefühl
eines Segelfliegers, der an einem guten Tag am Boden bleiben muss, ist am
ehesten mit einer Mischung aus Heimweh und Liebeskummer zu vergleichen."
Unzählige Beziehungen sind schon in die Brüche gegangen, weil unser Sport nicht
mit anderen, familiären Freizeitbeschäftigungen vereinbar ist. Er fordert den
ganzen Menschen und das den ganzen Tag über.
Wen einmal die Leidenschaft für das ruhige Gleiten an der Wolkenbasis gepackt hat
und das Verlangen, Gott näher zu sein als jeder Pfarrer, den wird das Virus der
motorlosen Fliegerei sein Leben lang nicht mehr loslassen.
Immer dann, wenn er am blauen Frühlingshimmel eine Cumulus-Wolke entdeckt, wird
er mit sehnsüchtigem Blick hinaufschauen, wo er einmal gewesen ist und wohin er
jetzt so gerne zurückkehren will:
Zur Wolkenbasis, in das Land seiner Träume, das irgendwo dort oben in der
blauen, menschenfeindlichen Einsamkeit liegt
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