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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 03.10.2014, 21:33   #1
weiblich shoshin
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Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Standard Alb

Der Morgen zeigt sich bleiern schwer,
die Sonne ausgelaugt und leer,
der Himmel vom Kamin gepfählt.
Das Licht hat seinen Weg verfehlt.

Ich folge einem Kreuz, dem Sarg.
Die Lilien mit braunen Rändern
verwelken zwischen schwarzen Bändern.
Das Bild erscheint mir grausam karg.

Der Nebel zäh gesponnen
von räuberischen Spinnen,
auf seelenlosen Steinen,
erstickt den Ton, das Weinen,
das Glück und all die Wonnen.
So gibt es kein Entrinnen?

Zu meinen Füßen tote Ratten,
in Morgentau ersoffen,
bedrängen mich mit dunklen Schatten.
So gab es nie ein Hoffen?

Der Alb zerbricht, zerfällt zu Licht,
das wärmt die frühen Wiesen.
Ein Lächeln, deine Liebe spricht,
sie wärmt, und Tränen fließen.
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.10.2014, 22:58   #2
männlich Jeronimo
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Dabei seit: 10/2011
Alter: 70
Beiträge: 4.237

Liebe shoshin,

eine sehr ergreifende Beschreibung eines Albtraumes, mit sanften Übergang zum Erwachen.
Sehr eindrucksvoll den Schlaf in Worte gelegt. Das hat mir wirklich gut gefallen!

Jeronimo
Jeronimo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.10.2014, 00:04   #3
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Liebe shoshin,

da kann ich mich Jeronimo anschließen. Gefällt mir auch.

Was mich interessiert ist, ob du ahnst, was die Traumbilder hervorgerufen hat. So eine fokussierende Idee (die geheim bleibt) intensiviert die Sprachbilder und verhindert Abschweifungen, zu denen manchmal z.B. der Reim verführt.

LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.10.2014, 11:03   #4
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Freut mich, dass es dir gefällt, lieber Jeronimo, ich hab schon bemerkt, dass wir hin und wieder den emtionalen Zugang zu Gedichten teilen.
"Schlaf in Worte gelegt", ist sehr poetisch, das muss ich mir merken, vielleicht als Titel für ein etwas "helleres" Traumgedicht. Aber er gehört ja dir...
Lieben Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.10.2014, 11:20   #5
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Lieber Gummibaum,

Freut mich sehr, dass du meine Zeilen gelesen hast.
Welchen "Auslöser" meinst zu genau? Es gab mehrere. Eine davon war ein Satz von Rilke, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging:
"Die Dinge sind alle nicht so faßbar und sagbar, als man uns meistens glauben machen möchte; die meisten Ereignisse sind unsagbar, vollziehen sich in einem Raume, den nie ein Wort betreten hat."
Und so gab es wohl in diesem Fall auch mehr als eine "fokussierende Ideen", wovon manche nicht geheim bleiben müssen.
Ein Teil der Umsetzung in S2V2,3, ist mir nicht gelungen, denn "Rand und Band"??, die Ränder und Bänder erschienen mir zu "wichtig". Findest du, dass mich die Reime abschweifen ließen?

Danke für dein Feedback!
Lieben Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.10.2014, 19:31   #6
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Hallo Charis,

ich meinte die Gefühle, die den Traum auslösten. So träumte ich früher öfter, wenn ich mein Verhalten trotz einer besorgniserregenden Entwicklung in meinem Leben nicht ändern konnte, dass ich im Auto bergab fahre und die Bremse nicht mehr finde.

LG g
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.10.2014, 19:59   #7
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Lieber Gummibaum,

So ähnlich Albträume hatte ich auch öfter. Mir war nicht immer klar, was der Auslöser war. Bei mir wars dann ein sehr tiefer Sturz, also ich kenne das Gefühl des freien Falls.Deshalb würde ich niemals auf die Idee kommen, jemals Bungy Jumbing oder einen Fallschirmsprung zu machen.

Welche Gefühle (bzw. welche Ängste...und es ist keine Todesangst!) hinter diesem Alb stecken, weiß ich dagegen sehr genau, ich hab das nämlich nicht wirklich geträumt.

Lieben Gruß und träum schön!
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.10.2014, 23:15   #8
weiblich simbaladung
 
Dabei seit: 07/2012
Alter: 67
Beiträge: 3.073

Liebe shoshin,

diese Beerdigungsszene (ich denke mir mal, dass dies der Auslöser für dieses Gedicht war) in dieser Form, als einen Alptraum, zu verdichten, ist dir gut gelungen. Sehr starke Bilder, die unter die Haut gehen.

Anregung:

Für mich kam die Wende zum Positiven in der letzten Strophe zu plötzlich, ohne Vorbereitung.
Vielleicht könnte man mit einem

Doch sieh! Der Alp ... die Wende einleiten.

Aber auch so schließ ich mich dem Lob der anderen gerne an.

mit Abendgruß,
simba
simbaladung ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.10.2014, 20:23   #9
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Vielen Danke fürs Lesen und Lob, liebe Simba!

Ja, du magst Recht haben. Andererseits erwacht man aus einem Albtraum meist sehr abrupt, und versucht sich dann möglichst rasch an angenehmen Gedanken und Vertrautem wieder aufzurichten bzw. festzuhalten, was mitunter aber gar nicht so einfach ist. Deshalb die Tränen, die einerseits Erleichterung ausdrücken sollen, aber andererseits auch das Noch-Gefangen-sein in diesem Traum und dem, was im Leben des Li "ungelöst" ist.

Nein, eine Beerdigung war nicht der Auslöser für diesen Traum.

Mein Gedanke dahinter war, dass sich das Li in einer ausweglosen Situation, vielleicht auch am Rande des Burnout befindet und deshalb diesen Traum hat, in dem alles "Lebendige" bereits tot ist. Selbst die Lilien als Symbol für neues Leben welken.

Lieben Gruß und schönen Abend
shoshin

p.s. Jetzt hab ich also "mein Geheimnis" doch verraten, obwohl man das als Schreiber eigentlich nicht tun sollte. Es geht nicht darum, was sich der Schreiber gedacht hat, sondern darum, was er vermitteln konnte oder eben auch nicht . Aber das Bedürfnis "verstanden" zu werden, ist wohl sehr menschlich.
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.10.2014, 20:21   #10
weiblich ANOUK
 
Benutzerbild von ANOUK
 
Dabei seit: 10/2014
Ort: Kreis Kleve am Niederrhein
Beiträge: 462

Liebe Charis, beim Stöbern im Forum bin ich auf Dein Gedicht hier gestoßen.
Du hast ein paar sehr ausdrucksstarke Bilder verwendet:
"Der Himmel vom Kamin gepfählt" beispielsweise, oder "der Nebel zäh gesponnen, von räuberischen Spinnen".
Ferner gefällt mir, dass du unterschiedlichste Reim-Schemata in diesem einen Gedicht verwendet hast. Es vermittelt eine gewisse Dynamik, was für mich den steigenden Albdruck widerspiegelt.
Tolles Gedicht!
ANOUK ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2014, 19:45   #11
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Liebe Anouk,
Vielen Dank! Ich hab mich über deine Zeilen gefreut.
Lieben Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.10.2014, 16:41   #12
männlich Kurier
R.I.P.
 
Dabei seit: 06/2010
Beiträge: 701

Wie das Zusammenwirken von Bewegungen über Arme, Stab und dem sechs Meter langen Band zu einem, unter ständigen Wechsel erwartungserfüllenden Geschehen von ständig neuen Bildern bei der Bändergymnastik, füllt dieses Gedicht den vom Titel vorgegebenen Raum spielend aus.
Kurier
Kurier ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.10.2014, 17:56   #13
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Lieber Kurier,
Du meinst also das sei aufgetakeltes Kunstturnen. Ja, mag sein.
Lieben Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.10.2014, 15:53   #14
männlich Kurier
R.I.P.
 
Dabei seit: 06/2010
Beiträge: 701

Liebe shoshin,

im Schlaf lebt die Phantasie ungelenkt weiter, doch dann werden Gedanken, wie bei der Bändergymnastik durcheinandergewirbelt.

Aus schlaffen Bändern entstehen durch Bewegung (Arm, Stab) ein Vielzahl von Bildern.

Bei deinem Gedicht drückt sich das in Gedankensprüngen, Wechsel von Subjekten, nicht einheitlichem Rhxthmus und unterschiedlichem Versmaß aus.

Nach dem Erwachen wird deutlich: Das war ein Albtraum.

HG Kurier
Kurier ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.10.2014, 20:36   #15
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Lieber Kurier,
Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, deinen Kommentar, den ich wohl missverstanden habe, nochmals zu erklären.
Also: Vielen Dank für dein bilderreiches Lob!
Lieben Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
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