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Alt 29.09.2007, 22:09   #1
Fiona McKinney
 
Dabei seit: 09/2007
Beiträge: 9


Standard Die Reinigung

Die Reinigung

Die Wolken waren so dünn, dass es blau durch sie hindurchschimmerte. Die ganze Luft schien blau und grau zu sein. Gleichzeitig war es kalt und windig, der Boden war feucht, und es fielen gelegentlich einzelne, dicke Wassertropfen vom Himmel.
Bei diesem Wetter, in der Dämmerung, kam mir die Atemluft zwischen anderen Menschen, mit ihren verbrauchten Gerüchen und gewärmten Ausdünstungen so dreckig, stinkend und verseucht vor, dass ich am liebsten gekotzt hätte. Ich wollte den ganzen Schmutz loswerden, der mich durchsickerte, ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können. Mit dem spärlichen Sauerstoff gelangten Kaffee-Atem, Räusperpartikel und Schweiß- und Schniefluft in meine Lunge und drangen in meinen Körper ein.
Ich wollte kotzen, weinen, spucken und bluten, um mich von diesem Dreck auszuleeren.
Mitten in dieser Unerträglichkeit wurden mir, als ich sie beim Aussteigen aus dem Regionalexpress wieder bewegen musste, die Knie weich. Meine Gliedmaßen fühlten sich wabbelig an, zitterten, wenn ich versuchte, sie zu kontrollieren, und machten mich zu einem Schwächling.
Vielleicht hatte ich versäumt, zu atmen, dachte ich, und überwand mich, diese ekelhaft stinkende, menschgewärmte Perversion von Luft einzusaugen. Aber alles, was mir das einbrachte, war ein Schwindelgefühl, das in meinem Hirn hin- und herzurollen begann. Beim Gehen, das heißt, beim Voreinandersetzen meiner zitternden Füße, wankte ich etwas und befürchtete, irgendetwas oder jemanden in der Fußgängerzone anzurempeln. Meine Muskeln waren so jämmerlich schlaff, dass ich mir noch nicht einmal auf den Lippen herumbeißen konnte.
In der Buchhandlung, in der es richtig anständig roch, sodass ich bedenkenlos durchatmete, wollte ich ein bestelltes und bereits bezahltes Lexikon für englische literarische Ausdrücke abholen. Weil ich das immer so machte, benutzte ich auch dieses Mal die Treppe, obwohl ich dafür offensichtlich zu lasch war.
An der Abholtheke gelang mir ein ganz guter Witz und die Angestellte ging darauf ein. Es war lustig und sehr angenehm, das mit so zerstreutem und wattigem Kopf zu machen, dass alles ganz von alleine ging. Ich dachte nicht darüber nach und war etwas von der Szene entrückt.

Ich hatte mir ein Spanischwörterbuch gekauft und es mir unter den Arm geklemmt. Danach sah ich mir noch ein paar der Auslagen an. Nicht zu fassen, dass in der Fremdsprachen- und Lehrbuchabteilung einer renommierten Buchhandlung wie dieser Esoterikschinken mit Titeln wie Die Medizin der Engel angepriesen wurden.
Hinter mir auf der Treppe fiel etwas zu Boden und ich drehte mich danach um.
Da lag eine junge Frau auf den Stufen, die gerade eben mit einem eigenartig benebelten Blick an mir vorbeigewandert war.
Ich lief zu ihr und räumte ihre Haare aus dem Weg, um ihr aufzuhelfen, aber ihre Augen waren geschlossen. Sie schien bewusstlos zu sein. Ich zog sie an ihren Schultern in eine sitzende Position, während eine Angestellte angelaufen kam und mich fragte, was passiert sei. Wir schafften es, die junge Frau zu wecken und waren ganz schön erleichtert, als sie die Augen öffnete und "Hö?" sagte.
Aber das war auch schon das einzige, was sie herausbekam, bevor sie wieder ohnmächtig wurde.
Die arme Verkäuferin war ganz aufgekratzt. Ich bat sie, Sanitäter oder einen Arzt aufzutreiben, während ich das Mädchen festhielt. Sie nickte und dampfte zügig ab, um zu telefonieren.

Mir war schwarz vor Augen geworden und ich war auf der Treppe eingeschlafen. So hatte es sich jedenfalls angefühlt. Gleichzeitig hatte ich aber einem fremden Mann ins Gesicht gesehen und mich gefragt, wieso der mich so ernst anstarrte, und dann noch so nah vor meinem Gesicht. Dann war ich wieder eingeschlafen und es war mir egal gewesen.

Ich lehnte das Mädchen an einen meiner Arme, um mit dem anderen ihre Sachen beiseite räumen zu können, die auf der Treppe herumlagen: ihren großen Rucksack, zwei Bücher und einen Kassenzettel.
Ein Kunde bot mir dabei Hilfe an, sie zu einem der Sessel zu tragen, die auf allen Stockwerken zwischen den Regalen standen. Das taten wir ächzend, und als die junge Verkäuferin zurückkam, brachte sie den Rucksack und die Bücher mit und legte sie neben den Sessel.

Als ich dann richtig aufwachte, sah ich zuallererst einen Schlauch vor meinem Gesicht, durch den sich eine Unmenge Blut bewegte. Er begann da, wo mein Solarplexus sein sollte. Aber als ich dorthin sah, zeichneten sich weder Brüste noch Rippen auf meinem Torso ab. Ob ich noch einen Bauchnabel hatte, konnte ich nicht sehen, hinter dem Blutschlauch verschwamm meine Sicht zu sehr. Davor erkannte ich deutlich meine Haut, die genauso gewöhnlich aussah wie immer, und den fingerdicken, durchsichtigen Blutschlauch, der von mir aus aufwärts führte. Ich wollte sehen, wohin, aber er verschwand nach oben hin in weiße Luft und zerfaserte in Undeutlichkeit.
Ich senkte den Blick wieder und betrachtete die Stelle, aus der mein Blut gezogen wurde. Die Haut schloss sich sauber um den Schlauch und machte einen vollkommen unverletzten Eindruck, so als sei der Schlauch eine Art Horn, oder ein Haar.
Und es tat auch kein bisschen weh. Genaugenommen fühlte ich gar nichts.

Das Mädchen blieb weggetreten, bis zwei Sanitäter kamen. Einer maß den Puls, was ihm schwerzufallen schien, denn er runzelte die Stirn und tastete mehrere Male auf dem Handgelenk der jungen Frau herum. Der andere leuchtete mit einer kleinen Lampe in ihre Augen. Er machte das so zügig und routiniert, dass er nicht bemerkte, dass sie ihre Augen offen behielt.
Ich jedenfalls bekam einen Mordsschreck.
Der Herr, der mir beim Tragen behilflich gewesen war, entschuldigte sich, er habe keine Zeit mehr, und ging. Die Verkäuferin blieb neben mir stehen.
"Können Sie mich hören?" Das Mädchen nickte langsam.
Der andere Sanitäter hielt immer noch verzweifelt seine Finger auf ihr Handgelenk.
"Kannst du das mal bitte probieren, ich kann hier nichts fühlen."
Der erste nahm die andere Hand und blickte auf seine Uhr. Die Frau sah ihm seelenruhig zu, bis sie der andere Sanitäter ablenkte: "Wie heißen Sie?"
Sie sah ihn an und sagte nichts. Er wiederholte seine Frage. Aber die Frau sah nur zurück zu dem Mann, der immer noch versuchte, ihren Puls zu finden, und sah dann abwechselnd mich und die Verkäuferin an.
Mit einer heiseren, dunklen Stimme sagte sie: "Danke, Mann."
"Sagen Sie mir Ihren Namen."
Sie sah den Mann an.
"Nein," sagte sie schlicht.
Der andere gab es auf, ihren Herzschlag zu erfühlen, und sagte sichtlich genervt: "Bitte, wenn Sie nicht wollen. Haben Sie denn irgendwelche Schmerzen?"
"Nein," sagte sie wieder völlig ungerührt.
"Können Sie aufstehen?"
"Ja." Sie richtete sich im Sessel gerade auf und stand auf, ohne sich auf ihre Hände zu stützen. Ihre Arme hingen an den Seiten herunter.
"Ich danke Ihnen für Ihre Mühe." Dann ging sie einfach zwischen den beiden Sanitätern hindurch, an uns vorbei, und die Treppe hinunter.
"Ihre Sachen," sagte die Verkäuferin irritiert.
"Was soll denn das?" beschwerte sich einer der Männer.

Bei genauerem Hinsehen stellte ich ohne jede Überraschung fest, dass der Schlauch nicht nur Blut aus mir heraustransportierte. Es war mit hellen Klumpen und Fetzen und faserigen schwarzen Flecken versetzt. Sie bewegten sich mit dem Blut lautlos durch den Schlauch nach oben.
Aus irgendeinem Grund beruhigte mich das sehr. Ich fühlte mich unglaublich erleichtert.
Die Erleichterung wurde langsam zu einem freudigen Glücksgefühl, das meinen Körper, zumindest meinen Torso, den ich sehen konnte, zum Glühen brachte. Das warme Licht anzusehen, war sehr angenehm und beruhigend. Diese Prozedur fühlte sich an wie eine Heilung, als ob ein giftiges Geschwür, das meinem natürlichen Mechanismus den Weg versperrt hatte, behutsam entfernt würde.
Eine weiße Wand brannte sich schmerzhaft in meine Sicht. Sie rammte sich so plötzlich in meinen Schädel, dass ich von der Wucht rückwärts gedrückt und der Schlauch unter grauenhaften Schmerzen brutal aus mir herausgerissen wurde. Das Loch in mir kreischte auf und wand sich krampfhaft, bis ich plötzlich gar nichts mehr spürte und mich wieder im Buchgeschäft befand.
"Können Sie mich hören?"
Ich bestätigte.
"Kannst du das mal bitte probieren, ich kann hier nichts fühlen," sagte ein Mann, der mein rechtes Handgelenk befingerte. Daraufhin grabschte sich ein anderer Mann meine andere Hand und tat es ihm gleich.
Er hatte eine kleine Lampe in der Hand. Damit hatte er mich zurückgerissen. Seinetwegen war ich zurück in der verdorbenen wirklichen Welt, wieder der Verseuchung und Verschmutzung ausgeliefert.
Der andere Mann sagte etwas, das ich nicht richtig hörte. Als er die Frage wiederholte, die er mir offenbar gestellt hatte, verstand ich sie und befand sie für irrelevant.
Zwei weitere Personen waren in der Nähe. Eine von ihnen war der Mann, der mich zuvor angestarrt hatte. Ich erinnerte mich daran, dass er mich festgehalten und damit verhindert hatte, dass ich die Treppe hinunterfalle. Mein Rachen fühlte sich alt und verbraucht an, aber ich musste das sagen.
"Danke, Mann."
"Sagen Sie mir Ihren Namen." Der gab einfach keine Ruhe.
"Nein."
Endlich ließ der andere Mann davon ab, mich anzufassen. Aber dafür nahm er sich etwas anderes heraus:
"Bitte, wenn Sie nicht wollen. Haben Sie denn irgendwelche Schmerzen?"
"Nein," ich hatte keine. Mehr. Aber vielleicht hätte ihm das gefallen, er hatte sie mir schließlich zugefügt.
"Können Sie aufstehen?"
"Ja," ich war mir sicher, dass ich das konnte. Ich fühlte mich nicht mehr so lasch und kraftlos. Wenn ich damit Recht hatte, konnte ich eigentlich auch gleich gehen und dann versuchen, meine Ruhe zu haben, soweit das nach dieser Erfahrung eben möglich sein konnte.
Also bereitete ich der Begegnung noch einen höflichen Abschluss, der Vollständigkeit halber. Dann ging ich.
Auf dem Weg zum Ausgang fiel mir auf, dass ich den Geruch der Bücher und des Holzes nicht mehr als angenehm empfand. Allerdings auch nicht als unangenehm, ich nahm einfach nur nicht mehr als seine Existenz und Beschaffenheit wahr.
Die vielen Menschen störten mich auch nicht mehr. Sie waren da, sie produzierten Gerüche, viele Geräusche und Temperaturen, aber nichts davon störte mich, obwohl ich alles wahrnahm.
Es war, als ob ein Kanal zwischen meiner Wahrnehmung und meiner Reflexion versiegelt worden wäre und nichts mehr aus ihr in mein beurteilendes Denken gelangen könnte.



[Ich bitte ergebenst um Kritiken! ]
Fiona McKinney ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.09.2007, 16:00   #2
Middel
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 28


Überhaupt nicht mein Geschmack. Ich frage mich nach dem Lesen: "Und?" Für so wenig Handlung ist die Sprache m.E. zu unausgefeilt und langatmig. Die Personen entwickeln kein Eigenleben und irgendwie ist die ganze Story absurd. Daran ändert auch der stetige Sprung in der Erzählweise (den man am Anfang nicht mal mitbekommt) nichts.
Middel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.09.2007, 23:36   #3
Fiona McKinney
 
Dabei seit: 09/2007
Beiträge: 9


Was heißt 'm.E.'?
Joa, die Geschichte ist so offensichtlich absurd, dass man glatt meinen könnte, ich hätte sie mit Absicht so geschrieben... ;]

Danke jedenfalls fürs Lesen und Kommentieren.
Fiona McKinney ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.10.2007, 00:19   #4
Middel
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 28


Zitat:
Original von Fiona McKinney
Was heißt 'm.E.'?
Joa, die Geschichte ist so offensichtlich absurd, dass man glatt meinen könnte, ich hätte sie mit Absicht so geschrieben... ;]

Danke jedenfalls fürs Lesen und Kommentieren.
Dass das Absicht ist, ist schon klar, gut ist es trotzdem nicht. m.E. = meines Erachtens
Middel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.10.2007, 00:30   #5
Fiona McKinney
 
Dabei seit: 09/2007
Beiträge: 9


Danke.
Frage des Geschmacks oder der Technik?
Fiona McKinney ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.10.2007, 09:34   #6
Middel
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 28


Meiner Meinung nach mehr Schein als Sein.

Der Anfang, trotz einiger Schwächen, klingt vielversprechend, doch dann haperts an der Umsetzung.

Ich gebe mal unsortiert drei Beispiele:

Warum benutzt du z.B. (wiederholt) das Wort "lasch"? Ich finde es passt überhaupt nicht in den Zusammenhang.

Zitat:
Wir schafften es, die junge Frau zu wecken und waren ganz schön erleichtert, als sie die Augen öffnete und "Hö?" sagte.
Hö? Wieso hö? Ok. man kann auch fragen wieso nicht hö? Aber mir kommt das reichlich belanglos vor (wie die gesamte Situation). Es fehlt am "teiferen Sinn" oder an der Sprachvielfalt, irgendwas, was den Text besonders macht. Was mich zwingt ihn zu lesen, wenn's gut ist auch mehrmals.

Zitat:
Als ich dann richtig aufwachte ...
Das kann man ganz anders formulieren und zwar so, dass der Leser sich nicht zwangsläufig fragt: ,Gibt es ein "falsch" aufwachen?'

Wie gesagt, nur drei Beispiele. Die Idee ist gut (man merkt auch die Vorbilder), aber die Ausführung ist meiner Meinung nach sehr überarbeitungswürdig.
Middel ist offline   Mit Zitat antworten
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