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Alt 26.09.2007, 13:50   #1
Middel
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 28


Standard Im Park

„Ich habe dem Wind versprochen nicht zu weinen.“ Das traurige Mädchen sitzt auf einer Schaukel im Park. Es ist spät. Schon vor einiger Zeit ist die Sonne hinter dem Horizont verschwunden und mit ihr das letzte bisschen vom Tag. Wie alt mag sie sein? Zwölf, vielleicht dreizehn Jahre? Das ist schwer zu sagen bei Mädchen in diesem Alter und noch dazu im Dunkeln. Einzig zwei Laternen scheinen auf das kleinen Spielplatz herab, hier, mitten im Park zu dieser Zeit. Wunderschön sieht sie aus, so im Halbschatten, so, wie sie da sitzt, wunderschön. Hinter einem Baum beobachtet ein Mann den Spielplatz, die Schaukel, das Mädchen. Er nähert sich verstohlen.

Bis auf den Mann und das junge Mädchen scheint niemand mehr hier zu sein. Hat sie ihn bereits bemerkt? Möglich, aber unwahrscheinlich. Zu leise ist er und zu geschickt. Er weiß, wie er sich zu bewegen hat, damit man möglichst keinen Laut vernimmt. Leise und bedächtig schlendert er ruhigen Schrittes in Richtung der blonden Kindfrau. Sein Atem ist ruhig, ganz ruhig, aber sein Herz schlägt schnell, wahnsinnig schnell. Die Silhouette des Mädchens sieht so bezaubernd aus, so unschuldig sitzt sie da, wippt leicht mit den Füßen und flüstert. Zu wem? Der Mann hat die Hände in den Taschen seines dunklen, langen Mantels vergraben und steht nun keine zwei Meter entfernt von diesem wundervollen Geschöpf. Sie schaut immer noch in Richtung des kleinen Sandkastens und flüstert. Telefoniert sie vielleicht? Sitzt sie hier, weil sie zuhause nicht mehr so spät mit ihrer Freundin reden darf? Sie hat zumindest etwas in der Hand. Ein Handy? Es ist besser zu warten. Vorfreude ist sowieso die schönste Freude. Nachher geht alles so schnell, viel zu schnell. Eventuell hat sie auch einen kleinen Freund und Mama und Papa dürfen nichts wissen? Sie scheint vertieft zu sein.
Der Mann sucht in der linken Tasche nach einem Gegenstand. Er muss aufpassen, damit er sich nicht schneidet. In der rechten Manteltasche kramt er nach Handschuhen. Kalt ist es geworden. Dabei haben wir erst Ende August. Zu kalt für diese Jahreszeit, denkt er. Eben noch Sommer und nun schon fast Herbst. Die Zeit vergeht viel zu schnell.

Das Mädchen schweigt. Ihre Beine sind plötzlich ganz ruhig. Hat sie ihn nun doch bemerkt? Wird sie davonrennen? Er weiß, dass diese kleinen, jungen, süßen Dinger ganz unberechenbar sein können. Aber er ist vorbereitet. Er macht das nicht zum ersten Mal. Von weitem hört man eine Katze miauen, die treiben sich des Nachts hier rum im Park. Er weiß es, weil er oft hier ist. Tagsüber und vor allem nachts. Er zieht sich langsam die Gummihandschuhe über und greift nach dem scharfen Objekt in seiner Tasche. Das Mädchen steht auf, dreht sich um und schaut ihn an. Das Messer blitzt unter dem Schein der Laternen auf. Stille.

„Wie einfach es doch war dich zu finden.“ Stille. Er sieht auf den Gegenstand in ihrer Hand.
Ein Schuss. Stille. „Ich habe dem Wind versprochen nicht zu weinen“, flüstert sie leise, als sie in Richtung Ausgang des Parks geht. In der einen Hand den Revolver ihres Vaters und in der anderen das Foto ihrer Schwester.
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