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06.05.2012, 00:40 | #1 |
Schamschaum
Mir fiel auf, dass ausnahmslos alle Menschen, mit denen ich mir die Zähne bürstete, ihre Zähne länger bürsteten als ich es tat. Dies ließ mich die Frage stellen, ob ich ein aussergewöhnlicher Kurzbürster war, oder ob meine Mitbürster das Bedürfnis hatten vor mir anzugeben.
Möglich ist allerdings auch, dass ich mich meiner Bürstmethode schämte und daher meinen Bürstgang, wenn ich ihn gleichzeitig mit anderen vollzog, auf ein Mindestmaß an Zeit reduzierte, gerade soviel, dass ich nicht abstoßend unhygienisch erschien. Der Schaum lief mir die Mundwinkel herunter und das war peinlich. Ich hatte diesen Schaum auf den Namen -Schamschaum- getauft. Augenscheinlich war dies aber nur ein Problem, wenn ich mit anderen gemeinsam bürstete. Mit mir alleine musste ich mich des Schaums nicht schämen. Ausserdem bemerkte ich, dass mich eine merkwürdige Form der Beklommenheit, der Unheimlichkeit umfing, wenn ich des Nachts auf der Toilette saß oder vor ihr stand, wobei ich prinzipiell das Licht ausließ. Nach genauerer Überlegung würde ich diese Unheimlichkeit als Gefühl der Ausgeliefertheit beschreiben. Es war die Möglichkeit, dass im Dunklen jemand schweigt und jeden Moment attackieren könnte. Jedoch bereitete mir dies eine positiv aufwühlende Aufregung, sodass ich mich wie ein Actionsoldat fühlte. Manche machten ihre Witze, ich spürte die Hitze. Dies ging so weit, dass ich mir Personen in die Dunkelheit hineinimaginierte, mit starrem Blick für meinen Kick. Durch die zeitlich nahegelegenen Feststellungen dieser zwei Aspekte kam mir der Gedanke, ich könnte sie in einer interessanten Idee vereinigen. Ich begann also mir im Dunklen die Zähne zu putzen und dabei beschlich mich jedes Mal dieses wundersame Gefühl der Ausgeliefertheit, der zwei Augen im Rücken. Exzellenterweise verlor der Schaum in diesen Momenten jedes Recht auf die Betitelung -Schamschaum-, ja, er lief mir geradezu in Strömen aus dem Munde, in einer ekstatischen Erfüllung, hinein ins Phrenetische. Mit einer solchen Intensivierung hatte ich freilich nicht gerechnet, bei Gott. Während dieser Bürstgänge ließ ich mich total auf die beschriebenen Empfindungen ein und meist dauerte es ungefähr eine Stunde mit der Bürste im Munde, bis ich genug hatte. Mittlerweile ergeht es mir, wenn ich mir die Zähne mit anderen bürste genauso und die mitbürstende Person hört auch immer vor mir mit ihrem Bürstgang auf. Mein Problem ist behoben. |
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06.05.2012, 08:39 | #2 |
R.I.P.
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Guten Morgen, Amerdi -
falls das eine Metapher ist: sehr gelungen! Falls es ein Schamschaumtraum ist: genauso gelungen! In einer einwandfreien Sprache, feiner Koloratur, ausgezeichnetem Aufbau. Wenn Du zwischen den Absätzen noch eine Leerzeile einfügtest, würde die Geschichte noch schaumiger und flüssiger. Sehr gern gelesen! Thing |
06.05.2012, 10:03 | #3 |
Hallo, Amerdi!
Ich kann mich Thing nur anschließen. Sehr gut. Die Bürsten-Komik führt in wohl dosierten Steigerungen durch eine originelle Eigentherapie. Die hoch getürmten Gefühle um eine banale Verunsicherung sind - bei kühler Erzählweise - von großem Reiz. LG gummibaum |
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06.05.2012, 11:42 | #4 |
Mich freut, dass es euch gefällt, Freunde.
Thing: Wie würdest du die Metapher denn auslegen? |
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06.05.2012, 12:17 | #5 |
R.I.P.
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Nur ganz kurz (ich bin noch nicht bei Kräften):
Die empfunde Unreinheit (Zähnebürsten, Schaum und Toilettengang im Finstern) durch Dämonen-Katharsis (als lustvolles Erlebnis) überwunden zu haben und zur beispielhaften Reinheit gelangt zu sein. Gruß! Thing |
09.05.2012, 02:32 | #6 |
Vielen Dank für die kurze Erläuterung. Exzellentinteressante Deutung.
Was hast denn deine Kräfte gefordert? |
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09.05.2012, 06:17 | #7 |
R.I.P.
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Krankheit.
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