Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 07.12.2006, 11:08   #1
Appelschnut
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 279


Standard Italienischer Mittag

Die Hitze war schier unerträglich. Die Sonnenstrahlen fielen ungebremst vom wolkenlosen Himmel auf die trockene Erde und nicht einmal eine noch so kleine Brise machte diese Wärme aushaltbarer.

Im Schatten eines Sonnenschirms saß eine alte Dame in einem Korbstuhl. Sie trug ein blaugeblümtes Kleid und döste vor sich hin, wie es alle Menschen im Süden Europas in der sommerlichen Mittagszeit zu tun pflegen. Auf dem Tisch stand eine Tasse mit einem Rest Espresso, daneben lag ein Buch, das wahllos irgendwo aufgeschlagen war. Aus dem Haus drang irgendein italienischer Schlager, den man schon zig Mal gehört hat, aber man wusste bis heute noch nicht, wie er eigentlich hieß. Genaugenommen war es aber auch egal...

Ich trete aus dem Schatten einer Pinie gegenüber des kleinen Hauses der Dame. Ich muss schmunzeln: Die Ruhe hätte ich auch gerne. Wie gern würde ich jetzt auch auf einem Stuhl sitzen, mit einer kühlen Limonade, einem Buch und ein wenig Musik. Aber das geht nicht: Eigentlich müsste ich in der Schule sein. Aber ich bin abgehauen. Signorita Marinelli merkt sowieso nicht, wenn jemand in der Kunstsunde fehlt. Auf meinem Weg zum Kaufmann – ich wollte Bonbons kaufen – habe ich dann sie entdeckt, die alte Dame. Fasziniert von dem Stillleben, das sich mir geboten hatte, war ich stehen geblieben und hatte sie beobachtet. Ich kenne die alte Dame vom Sehen. Ich traf sie mal auf dem Weg zum Einkaufen, dann wieder sonntags in der Kirche, wo sie am lautesten die alten Choräle sang und am inbrünstigsten betete, und dann, dann habe ich sie wieder ewig lange gar nicht gesehen. Jetzt habe ich sie also beim Dösen auf der Terrasse überrascht.

Auf einmal kommt mir die Idee, dass sie sich vielleicht über etwas Gesellschaft freuen würde, und über jemanden, der ihr einen neuen Espresso kocht und ein Glas Wasser bringt. Aber ich kann doch nicht einfach zu einer Frau, die meine Urgroßmutter sein könnte, auf die Terrasse gehen, oder? Zumal dann nicht, wenn sie gerade schläft und ich sie nicht um Erlaubnis fragen kann.

Der Drang zu gehen ist trotzdem größer und ich eile über die Straße und die Treppe zur Terrasse hinauf. Die alte Dame zeigt keine Reaktion. Sie muss wirklich sehr tief schlafen. Ich gehe durch die offenstehende Tür in die Wohnung hinein. Es riecht nach Lavendel, Kaffee und Pasta. An der Wand mir gegenüber hängt ein Bildnis der Madonna mit dem Jesuskind. Wohlwollend sieht mich die Jungfrau Maria an und ich fühle mich in meinem Tun bestätigt. Ich gehe weiter und öffne eine Tür: das Schlafzimmer. Bei der nächsten Tür bin ich richtig und komme in der Küche an. Ich koche auf dem Gasherd Espresso und fülle ein Glas mit Wasser. Ich trage beides nach draußen und stelle es auf dem Tisch ab. Aus dem Radio dringt nun etwas Klassisches. Ich glaube, es ist das Requiem von Verdi, das ich letzte Ostern mit meinen Eltern in der Kirche gehört habe.

„Requiem aeternam dona eis, Domine,
et lux perpetua luceat eis.
Te decet hymnus, Deus, in Sion,
et tibi reddetur votum exaudi orationem
meam, ad te omnis caro veniet."


So dringt es zu mir nach draußen. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Einen Moment stehe ich unschlüssig da, dann fasse ich mir ein Herz und lege der Dame eine Hand auf die Schulter. Fast befürchte ich, dass sie tot ist. Aber sie öffnet die Augen und lächelt mich an. „Mein lieber Junge!“, murmelt sie. Und ich lächle vorsichtig zurück, um dann zu erklären, dass ich ihr Espresso und ein Glas Wasser gebracht habe. Sie legt mir ihre rechte Hand auf den Kopf und sagt: „Gesegnet seist du, Kind. Nimm dieses Buch als Dank für alles.“ Sie gibt mir das Buch vom Tisch. Der Titel ist englisch „Appointment with death“ heißt es dort. Ein Roman von Agatha Christie. Dankend nehme ich das Buch an mich. Und möchte am liebsten gehen, aber das ist unhöflich. „Hörst du, mein Junge? Das Requiem. Es ruft mich! Geh jetzt!“ Mit einer Gänsehaut auf den Armen verlasse ich die Terrasse und renne nach Hause. Meiner Mutter erkläre ich, dass mir in der Schule schlecht geworden sei und ich zur Erholung auf mein Zimmer gehen würde. Dort verstecke ich das Buch unter dem losen Dielenbrett hinten in der Ecke. Mir ist sehr komisch zumute.

Als ich am nächsten Tag aus der Schule komme und am Haus der alten Dame vorbei gehe, sehe ich den Priester und vier andere schwarz gekleidete Männer. Sie tragen eine Bahre die Stufen von der Terrasse herab. Unter dem schwarzen Tuch hängt ein blaugeblümter Stofffetzen heraus.
Appelschnut ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.12.2006, 00:57   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Schöne Geschichte, sehr traurig,. Find es auch gut geschrieben. Mich stören nur die ständigen Zeitwechsel zwischen Präteritum und Präsens.

Zitat:
ein Schauer
Zitat:
machte diese Wärme besser auszuhalten.
Das klingt komisch, ein wenig ungeschickt.

Zitat:
lag ein Buch, das wahllos auf Seite 134
Woher weiß der Junge das? Wenn das ein anderer Erzähler sein soll - ich würde den nicht wechseln.

Zitat:
Gestern hat die alte Dame ein Kleid aus dem gleichen Stoff getragen.
Besser, man erwähnt schon vorher, dass sie es trägt und erzählt nicht erst hinterher, dass sie es gestern getragen hat. Auf den Schluss können die Leser selbst kommen.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.12.2006, 16:10   #3
Appelschnut
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 279


Hallo Struppi, danke für deinen Kommentar...
Also, wegen der Zeitwechsel: Es ist halt erst Präteritum, weil es ein anderer Erzähler erzählt, ein mehr oder weniger allwissender. Der weiß dann halt auch, dass das Buch auf Seite 134 aufgeschlagen ist. Obwohl damit hast du recht: Etwas komisch klingt das Ganze... Ich denke mal drüber nach das rauszulassen... Vielleicht ein einfach: "ein Buch, das wahllos aufgeschlagen war"?
Zurück zu der Temporafrage: Es wird Präsens, sobald eine echte Aktion eintritt. Der Junge tut etwas. Präsens steht da, um das Geschehen näher zu bringen, deutlicher zu machen. Der Leser soll das Gefühl haben, dass sich die Geschichte gerade jetzt ereignet...
Was stört dich an dem "Schauer"? Das mit der Wärme allerdings störte mich auch etwas... Aber da fällt mir bestimmt noch etwas Besseres ein!
Und das mit dem Kleid: Ich finde es da am Ende auch nicht schön... Wird oben eingebaut.
Danke erstmal...
Appelschnut ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.12.2006, 16:18   #4
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


"Mir läuft eine Schauer über den Rücken." ist grammatisch falsch.

Zitat:
Fasziniert von dem Stillleben, das sich mir bot, war ich stehen geblieben und hatte sie beobachtet. Ich kannte die alte Dame vom Sehen. Ich traf sie mal auf dem Weg zum Einkaufen, dann wieder sonntags in der Kirche, wo sie am lautesten die alten Choräle sang und am inbrünstigsten betet, und dann, dann sah ich sie wieder ewig lange gar nicht. Jetzt hatte ich sie also beim Dösen auf der Terrasse überrascht.
Das hier ist ein unheimlicher Zeit-Mischmasch.

Man müsste es folgendermaßen verändern:
Fasziniert von dem Stillleben, das sich mir geboten hatte, war ich stehen geblieben und hatte sie beobachtet. Ich kenne die alte Dame vom Sehen. Ich traf sie mal auf dem Weg zum Einkaufen, dann wieder sonntags in der Kirche, wo sie am lautesten die alten Choräle sang und am inbrünstigsten betete, und dann, dann habe ich sie wieder ewig lange gar nicht gesehen. Jetzt habe ich sie also beim Dösen auf der Terrasse überrascht.

Natürlich klingt das einigen Stellen wegen der Hilfvserben nicht mehr so gut.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.12.2006, 16:34   #5
Appelschnut
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 279


Mensch, beide Stellen habe ich bis jetzt total überlesen... Herzlichen Dank für die ganze Korrekturarbeit! Ich werd's sofort verbessern...
Appelschnut ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Italienischer Mittag




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.