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Literatur und Autoren Literatur allgemein sowie Rezensionen von Büchern, Stücken und Autoren. |
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05.09.2012, 06:47 | #1 |
Interpretationsversuch "Erlkönig" von J.W. Goethe
Der Erlkönig
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hölt ihn warm. Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? - Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? - Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. - "Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel ich mit dir; Manch bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch gülden Gewand." Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht? - Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind. - Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn, Und wiegen und tanzen und singen dich ein." Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? - Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau. - "Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan! - Dem Vater grausets, er reitet geschwind, Er hält in Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot. Allgemein: Der Erlkönig ist eine Ballade (früher Gattung des Tanzliedes), in diesem Zusammenhang heute ein erzählendes Gedicht, das häufig mittelalterlich-märchenhafte, aber auch antike oder zeitgenössisch-rezente (gegenwärtige) Stoffe aufgreift. Schauen wir uns den Begriff Erlkönig (Erl(en) / König) genauer an. Da es den Erlkönig in Flora und Fauna nicht gibt, entspricht er einer Wortschöpfung. Erle: Bei ihr werden an einem Exemplar die Blütenstände beider Geschlechter ausgebildet. Sie werden Kätzchen genannt. In den Kätzchen sitzen jeweils nur weibliche oder männliche Blüten. Die Erlen sind die einzigen Laubbäume, bei denen die weiblichen Kätzchen verholzen und damit folgerichtig als Zapfen bezeichnet werden. Zapfen > Zapfenstreich Vom Zapfen schwenken wir zum sogenannten Zapfenstreich: Der Zapfenstreich ist sinnbildlich ein Streich (= Schlag) auf den Zapfen des Fasses. Hier wird der Zapfen (im volkstümlichen Mittelalter wurde eine Art Keil oder Holzpflock verwendet) in das sogenannte Zapfloch (früher Spundloch zum Füllen und Abzapfen) - vorzugsweise mit einem Hammer (im Mittelalter mit einem Schlegel) – in das Fass eingeschlagen. Kron und Schweif: Man könnte annehmen, dass der (hier geschlussfolgerte) Zapfen (im Gedicht ein Schweif – im weitesten Sinne adäquat für männliches Geschlecht) in Verbindung mit der Bezeichnung König (Kron) eine ranghohe männliche Persönlichkeit darstellt. Hier meine – gewagte - Interpretation: Ein Kind (Knabe) wurde von einem Mann (vermuteter Weise in Amt und Würden) zunächst unter dem Versuch der Entschädigung (Geschenke oder Geld) und unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit, dann jedoch unter – gegebenenfalls Nötigung - vergewaltigt. Dieser versucht sich nun völlig verängstigt und Hände ringend seinem Vater vertraulich mitzuteilen. Dieser kann oder will das Geschehen jedoch nicht wahrnehmen und tut die Schilderungen als Hirngespinste / Phantastereien ab. Den Überzeugungsversuchen des Kindes erliegt er schlussendlich; doch ist ihm ein heilendes Eingreifen nicht mehr möglich. Der Knabe erliegt letztendlich seinen inneren (gegebenenfalls seelischen) Verletzungen. (Der Autor des Gedichts lässt das Kind hier sterben). Zusatz: In heutigen Ermittlungen bei Kindesmissbrauch werden oft auch Therapeuten hinzugezogen, die das traumatisierte Kind spielerisch (bei einem Jungen gegebenenfalls durch einen Teddy) dazu animieren sollen, das Erlebte zu beschreiben. Randnotiz: Die in meiner Deutung wesentlichen Stellen im Gedicht habe ich markiert. |
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05.09.2012, 10:31 | #2 |
R.I.P.
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Ich machs mal wieder kurz und knapp:
Ich glaube, daß der Sohn Lungenentzündung oder Ähnliches mit hohem Fieber hatte. Im Fieberwahn und in der Dämmerung obendrein kann man so manches Gewächs und manche Nebelfahnen für etwas ganz Anderes und Bedrohliches halten. Stimmenhören ist auch oft beobachtet worden. Das erscheint mir weitaus wahrscheinlicher, als daß der Sohn am Vergewaltigungsschock gestorben sein soll. |
05.09.2012, 13:48 | #3 | |
Zitat:
Im übrigen erhalten Studenten spezieller Studienbereiche vereinzelt den Auftrag, Aufsätze über literarische Texte interpretativ sowie hinsichtlich rhetorischer Stilmittel zu erstellen. Ob die (subjektive) Analyse zutrifft oder nicht, ist zunächst marginal; im Mittelpunkt stehen die Fähigkeit der auseinandersetzenden Analyse sowie deren Schlüssigkeit. VG Pitti |
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05.09.2012, 14:09 | #4 |
Ich denke Thing ist da auf der richtigen Fährte.
Für mich ist gleich der Anfang eine Schlüsselstelle: Er faßt ihn sicher, er hölt ihn warm Man weiß nicht wie alt der Knabe ist, aber der Vater muss ihn fest -und warmhalten. Lässt auf einen geschwächten...von Schüttelfrost geplagten Körper schließen. |
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05.09.2012, 16:37 | #5 |
gesperrt
Dabei seit: 04/2012
Beiträge: 745
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Der Erlkönig - wie oft hat man sich das schon angesehen, ohne den absoluten Sinn dahinter zu begreifen? Das macht es ja gar so schön, und mystisch.
Es wurde ja auch mal spekuliert, ob nicht das "Entreißen aus der Pubertät" hier Thema ist, der Vater reitet immer schneller, doch kann das Kind nicht mehr in das lange Jahre schützende Elternhaus bringen. Deine Version, Pit Bull, ist unter Abänderungen die wohl Bekannteste, neben den Fieberträumen, die Thing bereits erläutert hat. Ich kann mich nicht entscheiden, für mich "wuchert" es in alle Richtungen. Auf jeden Fall ist es wohl eines der besten Gedichte, die je geschrieben wurden. LG Martin |
05.09.2012, 22:52 | #6 | |
Hallo Martin!
Über Deine Rückmeldung bin ich – ehrlich gesagt – besonders erfreut. Du verfügst – in meinen Augen – über ein ausgeprägtes analytisches Verständnis. Und ja, es gibt viele Interpretationen, die meiner sicher gleichen. Ich bin der Ansicht (des Glaubens), dass der Autor auf (damalige) Miss-Stände aufmerksam machen wollte. Zitat:
VG Pitti |
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06.09.2012, 00:13 | #7 | |
gesperrt
Dabei seit: 04/2012
Beiträge: 745
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Hi Pit Bull,
danke, Dinge/menschliche Züge zu analysieren gehört tatsächlich zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Misstände der Gesellschaft anprangern - dafür könnte vielleicht die Entstehungsgeschichte weiterhelfen: Zitat:
Trotzdem - das Gedicht ist durch die vielen Leerstellen in alle Richtungen lesbar. LG Martin (ebenfalls ein Goethe-Fan) |
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06.09.2012, 01:10 | #8 |
Hallo Martin!
Ja, die Motivation des Autos darf keineswegs außer Acht gelassen werden. Wie gesagt, es gibt mehrere Interpretationen zu dieser Ballade; da reihe ich mich gewissermaßen in die Kontemplations-Fraktion ein. Von Berufs wegen habe ich – zweifellos – einen gewissen Tunnelblick entwickelt, glaube immer Unregelmäßigkeiten und Miss-Stände wittern zu müssen. Dein Zitat klingt plausibel und es wäre töricht meinerseits, dies in Frage zu stellen. Dennoch finde ich die Herausforderung zu eigenen Gedanken interessant und spiegelt im Grunde auch die eigene Gedankenwelt wieder, die reflektiert wird durch äußere Einflüsse. Ein Dichter agiert häufig aus dieser Position heraus, obwohl ihm das oft nicht bewusst ist. Ich danke Dir für Deine Rückmeldung. VG Pitti |
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06.09.2012, 06:57 | #9 |
R.I.P.
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Je nun, dann bin ich mit meiner "Deutung" nicht sehr abgewichen, finde ich.
Obwohl ich überhaupt keinen analytischen Verstand habe. |
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