Der Himmel zwischen Schwein und Adler

[Heinz]

"Würstchen, liebe Leute! Leck`re Würstchen! Hier, mein Junge, schau mal! Willste `ne Wurst vom Schwein oder vom Geflügel?" - "Was ist denn Geflügel?"
Der Knabe war noch ziemlich lütt und der deutschen Hochsprache noch nicht mächtig.
" Na, weißt du, - hier das Würstchen ist vom Huhn, du weißt doch, die Gaaackgackgack, die wo Eier legen -, und das hier vom Nansie."
Kurze Einmischung des Vaters: "Nansies gibt es doch gar nicht, was erzählen Sie denn meinem Jungen?" - "Für uns Erwachsene NanDu, für kleine Leute NanSie!" - "Ach so." -
"Von welchen Vögeln sind denn die anderen?" - "Die hier sind von Geiern, daneben die aus Entenfleisch und die großen von Adlern." -
"Ich nehm die vom Adler!" Der Knabe schien zu wissen, worauf es ankommt im Leben!
"Wunderbar! Aber lass Ketchup weg, Adler mögen keine gequetschten Tomaten." - "Okay!"
"Der nächste Herr, was darfs sein: Schwein oder Adler?"
Zu erwähnen ist, dass sich alles auf dem Schulhof einer Gehörlosenschule abspielt und die meisten Kunden, die sich zu einem Schulfest versammelt haben, Schüler/innen dieser Institution sind; natürlich von Vätern, Müttern, Onkeln, Tanten und Freunden umringt. Meine sich gerade entwickelnden Grundkenntnisse der Gebärdensprache sorgen für reizende Verwechslungen, bestenfalls halten die Jungs und Mädchen meine Gestik für einen unbe-
kannten Dialekt: Rechte Hand - schweinerüsselumfassend vorm Gesicht = Schwein, das steht somit für "Wurst aus Schweinefleisch", das angedeutete Flattern, klar, für Geflügelwurst.
Bemerkenswert ist für mich das mitfühlende Mitleid, wenn ich mir mal wieder meine Finger am heißen Fett verbrenne. Ganz eindeutig: Diese Kiddies sind von Gott geküsst, an der falschen Stelle zwar, aber alles kann der da oben auch nicht richtig machen.
Ah, zu erklären wäre noch, warum ich mir die Kompliziertheit zweier Bratwurstsorten aufgeladen habe. Erstens sind die Würste eine hochherzige Spende der Metzgerei Meier und zweitens, ich nehme an, Frau Meier hats geahnt, sind eine große Anzahl muslimischer Gäste unter den Besuchern.
Die futtern alle Geflügelwürstchen und dabei es ist ihnen ziemlich gleichgültig, dass Schwein und Geflügel im Tode vereint friedlich nebeneinander vor sich hin bruzzeln. Das nenne ich mal eine gelungene Koexistenz! Man möge mich nicht falsch verstehen: Ich erwarte nicht, dass man bei Menschen ähnlich verfährt.
Und dann - peng-trara-und- schnätterrängdäng! - steht er vor mir, dieser menschgewordene Blondhaarengel mit der randlosen Brille, die aber nicht in der Lage ist, den himmelblauen Blick zu filtern, der mich in meinen Grundfesten erschüttert.
Der Engel deutet auf ein Würstchen und ich - klar, wieder einmal die Finger verbrannt, weil ich meine Augen nicht von dieser Wundererscheinung lösen kann, die eine längst vergessen geglaubte Erinnerung an ein ebenso hübsches Kind wach ruft. Es ist schlicht die Klarheit dieses Mädchengesichts, die unglaubliche Ähnlichkeit mit - ich kann es ja ruhig verraten - Ina, meiner längst vergessen geglaubten Jugendliebe, es ist dieses schräg einfallende Sonnenlicht, das aus Versehen kurz durch die Regenwolken blinzelt und die Haare aufleuchten lässt, es ist, ich sags mal so: Ich bin baff, bin, wie der Rheinländer sagt "von die Söck"!
Die Wurst ist fertig, rundum goldbraun gebraten, rein in die aufgeschnittene Semmel und: "Bitte sehr, junge Dame!" . Leichtes Dankeschön-Neigen des Kopfes und Herüberreichen der Wertmarken.
"Von so einem schönen Mädchen nehme ich kein Geld." Fragende Augen und meine Erleuchtung: Ach du lieber mein Vater, das Mädel versteht ja gar nicht, was ich sage. "Elfi! Elfiiii!", - Elfi ist meine Bratwurststandpartnerin, schneidet konzentriert Brötchen auf, - konzentriert, um sich nicht selbst zu amputieren - und, wie ich weiß, Beherrscherin der Gebärdensprache. "Elfi, du musst für mich mit dem Mädchen reden" - "Na, wo hast du Probleme?" - "Sag der jungen Lady bitte, dass ich von so schönen Mädchen kein Geld nehme." Elfi "dolmetschte".
Und diesmal geht ohne schräg einfallende Sonne ein Strahlen über das Gesicht des Mädchens, ein Leuchten von innen glaube ich wahrzunehmen, ein angedeuteter Knicks, ein leichtes Erröten und - für einen Moment kann ich zwischen Schwein und Adler einen kurzen Blick ins Paradies werfen.