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Alt 23.10.2016, 22:27   #1
weiblich Ex-Letreo71
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Standard Für Josi

November 1990

Es regnet. Die junge Frau ist unruhig. Sie läuft in ihrem kleinen Zimmer hin und her.
Bald wird sie nicht mehr allein sein. Sie spürt deutlich, dass ihr Baby jetzt
auf die Welt kommen möchte. Es ist niemand da, der ihr in diesem Moment beisteht.
Auch während der Schwangerschaft hatte sie sich niemandem anvertaut.
Sie wollte noch kein Baby, die Schwangerschaft war ungewollt.
Sie hatte große Angst vor dieser Wahrheit und verdrängte sie, so gut es eben ging.
Manchmal, wenn ihre Verzweiflung zu groß wurde, ging sie in die Kirche.
Hier fand sie Beistand und neuen Mut, den brauchte sie auch.
Die Schwangerschaft verlief problemlos, beinahe so, als ob keiner was bemerken sollte.
Zweimal war sie beim Arzt ansonsten hatte sie sich in einem Buch sehr gut belesen.
Jetzt, wo die Wehen regelmäßig einsetzten, verstaut sie die letzten Sachen in der Kliniktasche.
Obenauf legte sie ganz behutsam einen rosa Zettel.
Sie hatte ein Gedicht für ihr Baby geschrieben, das wollte sie ihm zur Begrüßung vorlesen.

Hektisch wählt sie die Nummer vom Taxiruf, sie schildert ihre Situation und genau
in dem Moment, als sie die Haustür öffnet, steht das Taxi vor der Tür.
"Sie halten es doch aber aus bis zum Krankenhaus?" fragte sie der junge Fahrer.
Sie antwortete nicht und stieg ins Taxi.
Aus ihrem Buch wusste sie, dass es auch ein Fehlarlarm sein könnte,
aber sie war sich sicher, dass es losgeht.
Am Krankenhaus angekommen, bat sie den Fahrer, ihr bei der Tasche zu helfen.
Ein Trinkgeld lehnte er freundlich ab und so verabschiedeten sie sich.
"Viel Glück" , rief er ihr nach, offensichtlich froh darüber, dass alles gutging.
Die junge Frau wurde sehr nett empfangen.
Man nahm ihr die Tasche ab und begleitete sie in einen Wehenraum.
Dort notierte man ihre Daten und schloß sie an den Wehenschreiber an.
Dem Baby ging es gut, man konnte es deutlich hören.
Man riet ihr, sich jetzt noch einmal auszuruhen um für die Geburt fit zu sein und tatsächlich,
sie konnte ein wenig schlafen.

Es dauerte nicht lange, da wurde sie von einer kräftigen Wehe geweckt.
Ihr wurde ganz taumelig davon, also drückte sie auf den Klingelknopf.
Eine Hebamme kümmerte sich sofort um sie, "ich heiße Olga."
Sie fragte, ob die junge Frau denn ganz alleine hier wäre "ja", sagte sie noch immer
ganz benommen und schon kam auch die nächste Wehe, kräftiger als zuvor.
"Nun, jetzt scheint es aber wirklich loszugehen", die Hebamme lächelte.
Sie tastete vorsichtig den Muttermund der jungen Frau ab und bestätigte ihre Aussage, "es geht los!"
"So Anette, ich darf sie doch Anette nennen, dann wollen wir mal in den Kreißsaal fahren."
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Alt 25.10.2016, 22:47   #2
weiblich Ex-Letreo71
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Dort angekommen, half man ihr beim Umziehen und beim Toilettengang.
Man probierte verschiedene Positionen aus, in denen man ein Baby zur Welt
bringen kann, aber Anette wollte schnell wieder auf die Liege.
Im Liegen konnte sie sich einfach am Besten entspannen. Die Hebamme legte
eine ruhige Musik auf und massierte nun ganz sanft den Rücken der jungen Frau.
Sie war erstaunt, wie zierlich diese war. Die Massage tat Anette richtig gut, sie weinte still.
Olga entdeckte den rosa Zettel und fragte neugierig danach.
"Später", sagte Anette... Nun ging es auch richtig zur Sache, Anette war sehr tapfer,
sie folgte genau den Anweisungen der Hebamme, die sich nun immer mehr nach Befehlen anhörten,
aber sie machte mit. Sie schrie, sie hechelte, sie atmete, sie presste und schließlich,
mit vereinten Kräften stieß sie ihr Baby nach draußen. Sie weinte vor Schmerz.
Mit geübten Händen legte Olga der jungen Mutter das Baby auf den Bauch, Anette lächelte.
"Herzlichen Glückwunsch! Sie haben ein Mädchen," Anette strahlte und küsste ihr kleines Mädchen.
"Hallo meine liebe, kleine Josi."

Nun kam auch eine Ärztin hinzu, um das Baby zu untersuchen, zu messen,
zu wiegen und was man sonst noch alles so tut mit einem neuen Erdenbürger.
Plötzlich erschrak die Ärztin, man hörte ein "ach du Schreck". "Was ist?"
fragte Olga. "Was ist?" wollte nun auch Anette wissen, die es erst gar nicht mitbekam.
Langes Schweigen, eine ganze Ewigkeit, die Welt schien stehen geblieben zu sein.
Die Ärztin stammelte, es fiel ihr schwer und endlich sagte sie etwas, etwas,
was Anette wohl niemals wieder vergessen wird, "mit ihrem Baby stimmt was nicht."
"Wie mit meinem Baby stimmt was nicht," Anette schrie, Olga versuchte sie zu beruhigen,
aber die junge Mutter schrie und schlug wie wild um sich. Sie wollte aufstehen,
aber man hinderte sie daran. Im Sitzen konnte sie nun aber ganz deutlich sehen,
was mit ihrem Baby nicht stimmte, ihm fehlte der rechte Unterarm.

Anette wurde nun noch wilder und unbändig, man gab ihr eine Spritze zur Beruhigung.
Die beiden Frauen redeten ruhig und tröstend auf sie ein, aber Anette verstand nur Bahnhof.
Sie winselte vor sich hin, "das ist nicht mein Baby, geben sie mir mein Baby wieder zurück,
sie haben es vertauscht, vorhin war alles noch dran"!"Ich weiß es, warum tun sie mir das an"?
"Warum"? "Niemand hat ihr Baby vertauscht, Anette, hören sie, Josi ist ihr kleines Mädchen
und bis auf diese eine Sache, mit ihrem Unterarm ist sie kerngesund".
"Kerngesund, dass ich nicht lache, wie kann denn ein Krüppel kerngesund sein"?
"Geben sie mir sofort meinen rosa Zettel wieder"! Olga tat es.
Die junge Frau nahm den Zettel an sich, sie zitterte am ganzen Körper,
nahm all ihre Kraft zusammen und las laut vor, was auf dem Zettel stand:
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.10.2016, 22:22   #3
weiblich Ex-Dabschi
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Liebe Manu,

spannende Geschichte. Ich kann die Fortsetzung kaum abwarten.

Als ich beim Lesen an der Stelle angelangt war, wo die Ärztin feststellte, dass mit dem Baby etwas nicht in Ordnung ist, dachte ich so: „Komisch, warum haben Olga und Anette es nicht gesehen, dass dem Baby der rechte Unterarm fehlt. Anette wusste aber sofort, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, denn als sie ihr Baby im Arm hatte, war noch alles in Ordnung.

Ach Manu, spann mich nicht zu lange auf die Folter. Ich möchte wissen, was da los war.

Liebe Grüße
Moni
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Alt 26.10.2016, 22:30   #4
weiblich Ex-Letreo71
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Liebe Moni,

es freut mich, das du meine Geschichte spanndend findest.
Sie schlummert schon länger bei mir rum und ich bin selbst gespannt,
was daraus wird. Ein bisschen musst du dich aber noch gedulden.

Lieben Abendgruß

Manu
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Alt 22.11.2016, 23:46   #5
weiblich Ex-Letreo71
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Ein Menschlein wird geboren,
zwei Arme, zwei Beine,
zwei Augen, zwei Ohren...

Weiter kam sie nicht, Tränen überrannten sie, sie wurde wütend, zeigte auf diesen Zettel und sagte:
"Da steht es doch, zwei Arme, zwei Arme...Warum nur? Warum?"
Sie sank zu Boden...man gewährte ihr ihren Kummer, ihren Schmerz. Die Kräfte schwanden, die Spritze wirkte und sie schlief. Man legte sie ins Bett. In der Zwischenzeit hatte man die kleine Josi gewaschen, gekleidet und gefüttert. Man legte sie ebenfalls ins Bettchen, ein Schild wies auf ihre Geburtsdaten hin:


Name:Josi Winter Geschlecht:weiblich
Datum:15.11.1990 Uhrzeit:19:10 Uhr
Größe:52 cm Gewicht: 3150 g
Besonerheiten: keine Zusatz: rechter Unterarm fehlt

Am nächsten morgen, als Anette erwachte, stand ein hübscher Strauß Blumen neben ihrem Bett.
An der Vase lehnte ein Zettel mit krakeliger Schrift auf dem stand:

Liebe Anette,

deine kleine Josi ist wirklich ein süsses Mädchen, sie hat ein so hübsches Gesichtchen und bestimmt kriegt sie einmal deine hübschen, schwarzen Locken. Sie ist sehr hungrig, ich habe ihr letzte Nacht zweimal was gegeben. Wenn Du bei Kräften bist, dann klingele bitte nach mir, ich werde da sein.

Liebe Grüße

Olga

Ein wenig gerührt von diesen Zeilen, die sie inzwischen auswendig konnte, drehte sie den Zettel erstmal um.
Sie bemerkte einen stechenden Schmerz in beiden Brüsten, die Milch war eingeschossen, das Nachthemd, vorn war klitschnass. Ihr war kalt. Sie legte sich ihre Decke über die Schultern, setzte sich vorsichtig hin und schlüpfte in die Pantoffeln. Sie stützte sich am Bett ab und stand langsam auf, plötzlich klopfte es an der Tür. "Guten Morgen", grüßte eine Schwester, auf ihrem Schild stand: Irene. "Wo ist den Olga", fragte Anette. "Die hat doch Nachtschicht, oder glauben sie, dass wir hier eine "Rund um die Uhr Betreuung" anbieten können"?"Oh nein, es ist nur"...sie schielt rüber zu dem Zettel.
"Waren sie schon zur Toilette"? "Nein". "Dann machen sie mal, ich komme in fünf Minuten wieder".

In genau fünf Minuten kam sie wieder, legte einen Stapel Damenhygiene aufs Bett und ein frisches Nachthemd. "Was möchten sie frühstücken"? Brötchen oder Brot, Marmelade oder Honig, Wurst oder Käse, oder einfach nur Müsli"? "Müsli. Gibt es Obst"? "Ja, Äpfel".Und zu trinken"? "Einen Kaffee mit Milch".
"Gut bis gleich". "Wo ist eigentlich ihr Baby"? "Weiß nicht..."
Irene bemerkte wie sehr die junge Frau bei ihrer Frage erschrak. "Ich werde mich erkundigen."
"Sie können auch duschen gehen, noch ist das Wasser warm". "Duschen???"
Oh wie freute sich Anette auf diese Waschung, noch nie hatte sie geduscht.
Sie war verschwitzt und verklebt und überall roch sie nach Entbindung.
Als das Wasser über ihren Körper lief, liefen auch unendlich viele Tränen.
Sie fühlte einen unsagbaren Schmerz in der Brust, so sehr, dass sie darauf schlagen musste,
immer wieder schlug sie auf ihre Brust, bis sie es schliesslich nicht mehr aushielt.
Sie hockte und weinte und zitterte am ganzen Leib, das Wasser war inzwischen kalt geworden.

Da klopft es an der Tür.
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.11.2016, 23:28   #6
weiblich Ex-Dabschi
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Liebe Manu,

ich habe Deine Geschichte mit Interesse weiter verfolgt. Die Spannung steigt. Die arme Anette. Hoffentlich gibt es ein Happy End. Ich bin immer fix und fertig, wenn es in Filmen, Büchern oder kleinen Geschichten kein Happy End gibt. Aber Du machst das schon, gell?

Liebe Grüße
Moni
Ex-Dabschi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.11.2016, 20:13   #7
weiblich Ex-Letreo71
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Liebe Moni,

ich danke dir für dein Interesse und deinen Kommentar.
Bin selbst noch am Grübeln wie es weitergeht.

Liebe Grüße

Manu
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Alt 25.11.2016, 20:06   #8
weiblich DieSilbermöwe
 
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Liebe Letreo,

eine sehr interessante Geschichte! Mich hat die Neugier und Spannung darauf, wie es weitergeht, auch gepackt.

Mitreißend geschrieben. Ich fühle mich gut unterhalten und hoffe, du nimmst mir das nicht übel.

Aber zum Glück gibt es ja auch Autoren sowie Leser, die Geschichten für Geschichten halten und nicht "Respekt vor der Menschlichkeit" einfordern wollen.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2016, 12:18   #9
weiblich DieSilbermöwe
 
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Liebe Letreo,

wenn du noch am Grübeln bist, wie es weitergeht, hier ein kleiner Tipp: Jeder hat sicher eine andere Vorgehensweise. Ich mache es so, wenn ich anfange zu schreiben, dann habe ich meist nur eine vage Vorstellung von der Geschichte und die Ideen kommen einfach beim Schreiben und überraschen mich dann manchmal selbst. Schreiben ist auch nichts anderes als ein Handwerk - also einfach loslegen, ohne vorher allzuviel zu grübeln.

Liebe Grüße
DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2016, 22:36   #10
weiblich Ex-Letreo71
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Liebe Silbermöwe,

ich freue mich sehr über deinen Kommentar. Was die Vorgehensweise angeht, ich glaube, die muss sich erst noch entwickeln.
So drauf los ist natürlich auch möglich, dazu braucht man aber viel Zeit und da wirds manchmal schon knapp.

Lieben Samstagabendgruß

Letreo
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