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Alt 28.08.2006, 11:56   #1
Knabe
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 36


Standard Die Tischgenossen

Erster Auftritt.

In einer dunklen Wirtsstube.
Herrenstein. Drei sitzende Tischgenossen.

HERRENSTEIN (stehend). Glücklichste Tischgenossen! Seid stolz, denn ihr werdet geliebt. Der Mann, der euch liebt, steht dort in der Tür. Er singt in einem Chor. Wie ihr seht, hat er eine schöne Stimme und heißt Florian Valsassina. Liebe Tischgenossen, ich bitte euch um eure Meinung, um eure brüderliche Meinung um diesen Mann dort in der Tür.

TISCHGENOSSE 1. Er ist hässlich, aber er besitzt eine schöne Stimme.
TISCHGENOSSE 2. Er hat eine schlechte Haltung, obwohl er uns liebt.
TISCHGENOSSE 3. Sein Gesicht beherbergt eine grässlich lange Nase, und trotzdem heißt er Florian Valsassina.

HERRENSTEIN. Ich danke euch herzlichst, meine Söhne und Brüder. (Ruft laut.) Florian! (Leise zu den Tischgenossen.) Seid nett zu ihm, denn er ist scheu und zurückhaltend.

DIE TISCHGENOSSEN (gleichzeitig). Jawohl, Herr Herrenstein.




Zweiter Auftritt.

Herrenstein. Drei sitzende Tischgenossen. Der Mann.

HERRENSTEIN. Mein lieber Florian, meine Tischgenossen klagen dich ob deiner Hässlichkeit an.

DER MANN. Ich bitte untertänigst um Verzeihung; nur kann ich nichts dafür. Meine Eltern sind schuld. Die Tischgenossen sollten sich bei meinen Eltern beschwerden, Herr Herrenstein.

HERRENSTEIN. Ich danke dir, Florian. — Wie seht ihr das, Brüder Tischgenossen?

TISCHGENOSSE 1 (streng). Seine Hässlichkeit ist erstaunlich.
TISCHGENOSSE 2 (erzürnt). Seine Existenz ist entsetzlich.
TISCHGENOSSE 3 (schreit wie am Spieß). Was meine Vorredner eben sagten, ist wahr. Ich verurteile diesen Mann zu einer erbärmlichen Existenz.

HERRENSTEIN. Du hast das Urteil gehört, Florian. Deine Freiheit wird ab nun etwas eingeschränkt sein.
Denn einer erbärmlichen Existenz ist es nicht gestattet, die Nägel zu schneiden und die Achselhöhlen zu rasieren.
Ferner ist es einer erbärmlichen und also elenden Existenz untersagt, dass für sie gekocht wird.
Und drittens ist es der erbärmlichen und also sinnlosen Existenz nicht erlaubt, Friseure zu betreten; tut sie es doch, so haben die Coiffeure noch immer das Recht, sich zu weigern, ihr die Haare zu schneiden und zu pflegen.

DER MANN. Jawohl, Herr Herrenstein. Ich habe die Gesetze der Gesellschaft der nützlichen Menschen missachtet; denn der Mensch ist eine Gattung, die in der Regel schöne Individuen hervorbringt. Und Ausnahmen sind nicht zu dulden.

HERRENSTEIN. Du hast Recht, Florian. Aber wozu Recht behalten, wenn man keine Augenweide ist? Hahahaha! Oh, ich bitte dich, geh. Du verdirbst uns die Augen.

DER MANN. Jawohl, Herr Herrenstein. (Geht ab.)

HERRENSTEIN. Der Mensch ist eine Gattung, die in der Regel schöne Individuen hervorbringt.

DIE TISCHGENOSSEN (gleichzeitig). Jawohl, Herr Herrenstein!
Knabe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.08.2006, 14:14   #2
exmaex
 
Dabei seit: 04/2005
Beiträge: 362


ich muss sagen, dass es mir sehr gefällt. ich kann nicht erklären, was mich daran so fasziniert, zudem bin ich zu lustlos um es zu interpretieren.
auf jeden fall find ich es abstoßend und befremdlich, vielleicht ist es das, was ich daran gut finde deine wortwahl find ich unmodern, das sagt mir auch zu.

grüße max
exmaex ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.08.2006, 16:27   #3
Knabe
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 36


Ich bedanke mich, exmaex! Das freut mich sehr.
Lieben Gruß.
Knabe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.08.2006, 21:39   #4
exmaex
 
Dabei seit: 04/2005
Beiträge: 362


mh hab nochmal drüber nachgedacht:

ich finde die situation ansatzweise kafkaesk, diese befremdliche szene und der umstand, dass sich florian diesem oktroyiertem urteil der genossen so fügt, ohne es hinterfragen zu können (wollen)

vielmehr muss ich aber an büchers "woyzeck" denken.
die tischgenossen und der herrenstein (nomen est omen) behandeln florian wie vieh und sprechen ihm jegliche werte und rechte ab, zudem verhält sich florian wie der Jemand aus kunerts "zentralbahnhof".

ja an diese texte erinnert mich dein drama...
hilft dir bestimmt nicht viel, aber ich wollte es mal sagen

grüße max
exmaex ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.08.2006, 13:16   #5
Knabe
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 36


Ich dank dir nochmals! Nee nee, so uninteressant war dein Beitrag nicht. Denn als ich diese Tischgenossengesellschaft schrieb, war ich ja auch bei der Lektüre von Büchner... eigentlich nicht so sehr Woyzeck, aber hin und wieder rein'gschaut sozusagen. Und dass sich das bemerkbar macht, find ich schon erstaunlich. Obwohl das nicht meine Absicht war. Vielleicht ist das auch nur Zufall? Aber ich dank dir für die Zeit, die du dir nimmst! Gruß.
Knabe ist offline   Mit Zitat antworten
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