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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 22.03.2015, 13:28   #1
männlich the second face
 
Dabei seit: 03/2015
Alter: 26
Beiträge: 1

Standard Schönheitswahn

Bitte um eine Bewertung, ist mein allererstes Gedicht! Auch wenn es nur sehr kurz ist

Der Schönheitswahn

Traurig sitzt er vor dem Holz,
schreibt Geschichten voller Stolz
Über diese harte Welt
auf der ihn lange nichts mehr hält
Der Schönheitswahn umzingelt ihn
Er kann nicht mehr, will nur noch fliehn
Ein gutes Wesen zählt nichts mehr
ein toller Körper bringt viel mehr
Die Folgen sie sind grässlich:
Außen schön, doch innen hässlich.
the second face ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.03.2015, 21:45   #2
Stachel
 
Benutzerbild von Stachel
 
Dabei seit: 03/2015
Ort: Niederrhein
Beiträge: 955

Hallo neuer Dichterkollege,

du hast einen Einstropher mit 10 Versen abgeliefert und um eine Bewertung gebeten. Diese Wunsch komme ich gerne nach.

Thema:
Du beschreibst anfangs (V1-6) eine männliche Person, offenbar einen Autor von Geschichten. Die Person sitzt und hadert mit der Welt. Grund scheint eine empfundene Ungerechtigkeit durch einen in der Umgebung herrschenden Schönheitswahn zu sein. Die Person möchte sich diesem Wahn entziehen, da sie ihn nicht aushält.
Am Ende (V7-10) schwenkt das Thema auf die Meta-Ebene zu einer allgemeineren Bewertung und schließt mit der postulierten Folge des Schönheitswahns: "Außen schön, doch innen hässlich."
Dieser letzte Satz bezieht sich vermutlich auf die Personen in der Umgebung, die diesem Schönheitswahn erliegen.

Durch die Verschiebung der Sichtweise zwischen den ersten 6 und den letzten 4 Versen kommt es hier zu einem thematischen Bruch. Die Beschreibung der Person stoppt abrupt mit dem Hinweis, dass sie fliehen möchte (V6). Schön wäre hier, die folgenden Verse entweder als eigene Strophe abzusetzen und so dem neuen Thema (Quintessenz der vorigen Schilderung) Rechnung zu tragen.
Die Personenbeschreibung bleibt leider etwas farblos. Es fehlt eine Vertiefung, die durch die Behandlung der folgende Fragen (notwendigerweise nicht alle) erfolgen könnte:
- Wie passt das Thema in die Geschichten des Autors, wie behandelt er das Thema literarisch?
- Warum stört ihn der Schöhneitswahn, wie wird er davon betroffen (eigenes Aussehen?) und wie äußert er sich in der Umgebung?
- Warum "kann" er nicht mehr? Wie sieht seine Gefühlslage genau aus?
- Gibt es bei dem Thema "Schönheitswahn" auch eine Ambivalenz? Kann man es aus verschiedenen Seiten beleuchten? Alternativ: Kann man eine der "wahnhaften", innen hässlichen Personen ebenfalls beschreiben?

Bilder:
Deine Sprache ist sehr direkt, du nutzt nur ein etwas kryptisches Bild "vor dem Holz", das vermutlich dem Reim geschuldet ist. Damit könnte ein Tisch oder Sekretär gemeint sein, denn der Autor schreibt ja gerade. Das Bild wirkt dadurch auch etwas hölzern, weil es nach meinem Empfinden aus rein form-funktionalen Gründen geschaffen wurde, nicht jedoch, um ein atmosphärisches Bild beim Leser zu erzeugen.

Reimschema:
Paarreim, einmal identisch (V7,8, jedoch unnötig, besser vielleicht in V7 "nicht sehr"), einmal ähnlich (V3,4). Der Paarreim würde sich auch ganz gut für die ambivalente Aufarbeitung des Themas anbieten, z.B. könnten immer zwei gegenseitige Sichtweisen oder Personen mit PR verbunden werden.

Beispiel:
Traurig sitzt er vor dem Holz. (A: Er)
Sie trägt ihre Nase stolz (A: Sie)
in der Luft durch ihre Welt, (B: Sie)
die ihm schon so lang vergällt. (B: Er)

Metrum:
Anfänglich Trochäus mit 4 Hebungen (V1-3), dann Wechsel auf Jambus (V4-9), dabei plötzlicher Rückfall auf 3 Hebungen (V9). V10 schließt wieder ab mit einem Trochäus ab. Die Verse 1-8 enden mit einer Hebung, 9 und 10 nicht.
Die Verkürzung von V9 ist schön, um einen Bruch zum bitteren Fazit in V10 zu ziehen. Der Wechsel des Versfußes folgt keinem erkennbaren Grund. Dadurch wirken die anderen Änderungen im Metrum insgesamt zufällig; dabei ließe sich auch der Endungswechsel in V9,10 erklären. Die VF-Wechsel lassen den Lesefluss teilweise ins Stocken geraten (z.B. V4).7u

Sonstiges:
Das Holz-Bild wurde bereits erwähnt. Es bedrängt mit unnötigen Fragen zu seiner Art und Beschaffenheit. V2 hält eine missverständliche Formulierung bereit: Sind die Geschichten mit (dem Thema) Stolz angefüllt? Sind die Geschichten selbst stolz (mit wiederum mehreren möglichen Auslegungen) oder ist es der Autor. Ich gehe hier nicht näher darauf ein, weil ich keine Absicht darin vermute, hier verschiedene Ebenen zu implementieren.

Fazit:
Dein Einstand ist, wie du schon selbst bemerkt hast, recht kurz geraten. Die Länge wäre eher für eine Stimmungs- oder Momentaufnahme angemessen. Für ein vielschichtiges Thema erscheint sie doch etwas unspektakulär. Es ist zweifelsohne ein Gedicht, denn es reimt sich, lässt sich in Verse einteilen, etc.
Da du formgebundene Lyrik gewählt hast, wäre es für mich schön gewesen, wenn die Form den Inhalt mehr unterstütz hätte. Es drängen sich mir aber leider kaum Bezüge zwischen beiden auf.
Die Form wirkt zufällig. Es kann sich natürlich um einen Clou handeln, auf dem ich noch nicht gekommen bin. Dann würde ich dir Unrecht tun und mich über eine Erklärung freuen.
Deine Sprache ist hier nicht sehr bilderreich, was umgekehrt wieder mehr Ausführlichkeit erfordert. Bei den wenigen Zeilen hätte ich ein überraschendes Ende, ein Osterei oder sonstige Finessen gerne gesehen. Sowas fällt natürlich nicht vom Himmel. Du hast dein erstes Werk eingestellt und gibst dein Alter mit 17 an. Sicher liegt noch viel Erfahrung vor dir. Schön, dass du dich hier an die Öffentlichkeit gewagt und dich der Kritik gestellt hast.

Darf ich bald mehr von dir lesen?

Herzliche Grüße,
Stachel
Stachel ist offline   Mit Zitat antworten
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