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Alt 17.06.2006, 14:42   #1
rattentod
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Standard Im Kopf

"Ich habe lange gebraucht es zu finden. Es ist einer der wundersamsten Orte. Noch einige Blocks."

Die Bahn fuhr holpernd über die alten Schienen, die das Pflaster zernarbten. Jyrib sah aus dem Fenster. Die Passanten sahen in ihrer Andersartigkeit erschreckend gleich aus. Es hatte etwas gleichzeitig anziehendes und abstossendes an sich sie zu betrachten. Der Regen liess langsam nach.

"Was werde ich dort sehen?"
"Angst?"
"... vielleicht ein wenig."
"Du würdest es nicht glauben."

Die Schienen machten eine Kurve. Jyrib wurde leicht in Richtung Gang gedrückt. Plötzlich hörte es ganz zu regnen auf. Eine Haltestelle kam näher.

"Hier müssen wir raus."

Jyrib zögerte, stand dann aber auf. Der Mann stand schon, hatte den Knopf gedrückt. Die Bahn hielt, die Türen schwangen auf und sie traten in die frische Sonne. Der Mann ging stumm vor, Jyrib folgte. Es ging durch eine kleine Nische zwischen zwei Häusern. An der Hecke vorbei, direkt über den kleinen Rasen an die Kreuzung. Der Verkehr war stark. Ampeln und Zebrastreifen fehlten, aber es gab eine Unterführung.

"Du wirst staunen wenn wir durch sind."

Der Mann sagte es als würde er dabei grinsen. Er tat es aber nicht. In der Unterführung war nichts ungewöhnliches. Einige Gestalten. Sie wichen dem Mann aus, wenn sie nicht shcon an den Wänden der Unterführung gelegen hatten. Es tropfte leicht von der Decke. Die Schritte hallten. Dann wieder Licht und Strassenlärm an der Treppe.

Sie standen vor einem Kopf. Einem riesigen Kopf. Zwischen acht Blöcken von Wohnkomplexen. Die Augen waren milchig weiss, die blauen Haare wehten stränig im leichten Wind. Der Kopf lag schräg auf einer Parkanlage auf. Ein Nasenloch und der Mund mochten wohl unterirdisch sein. Das zweite schloss bündig mit einer kleinen Treppe ab.

"Was ist das?"
"Gehen wir hinein. Du musst es gesehen haben."

Der Mann stieg die Treppe hinauf und verschwand in dem Nasenloch, kurz nachdem der Kopf mit den Augen geblinzelt hatte. Jyrib folgte ihm. Seine Beine waren zittrig und schwerer als gewohnt. Innen war ein Gang. Er war sauber weiss gestrichen und wurde von Leuchtstoffröhren unter der Decke hell erleuchtet. Rechts und links waren jeweils genau gegenüberliegend Türen. Jyrib konnte das andere Ende des Ganges nicht sehen.

"Interessiert es dich nicht, was hinter den Türen ist?"

Jyrib sah den Mann fragend an. Als dieser keine Reaktion zeigen wollte gab er sich einen Ruck, drehte den Knauf der Tür links neben ihm und sah hinein. Hinter einem Hohen Schreibtisch, eingerahmt von zwei riesigen Papierbergen, hing eine Geschundene Gestalt. Wie eine Marionette hing der alte ausgemergelte Mann an Ketten, die seine Glieder zur Arbeitsbewegung peitschten. Schwitzend und stöhnend. Jyrib erschrak und machte einen Schritt zurück. Der alte Mann flehte ihn an.

"Mein Junge. Bitte! Töte mich!"

"Willst du ihn erlösen?"

Jyrib sah den Mann an. Aus seinem Mantel hatte er ein langes Messer hervorgeholt und hielt es ihm hin.

"Er kann von allein nicht sterben. Geh und erlöse ihn."
"Warum nicht du?"
"Das habe ich schon versucht. Du musst es tun."

Jyrib nahm das Messer. Fest entschlossen stürmte er in den Raum, kletterte auf den Schreibtisch und rammte dem alten das Messer in die Brust. Ein kurzes Lächeln glitt über das faltige Gesicht und Blut hustend brachte er noch einen kurzen Dank heraus, bevor sein Kopf nach vorne umkippte. Die Bewegungen der Ketten wurden langsamer, bis Ketten und Arme nur noch herunterhingen.

"Bevor du darüber nachdenkst: Nein. Du hättest die Ketten nicht lösen können. Selbst wenn, auch dann wäre der alte gestorben. Du hast nicht getötet. DU hast versucht zu erlösen."

Jyrib kletterte den Schreibtisch hinunter und ging wieder auf den Flur hinaus.

"Versucht?"
"Sieh es dir an."

Der Mann schloss die Tür. Dann ging er zu der Tür gegenüber und öffnete sie. Dahinter genau das selbe Bild. Wieder eine solche geschundene Kreatur in Ketten hinter Schreibtisch und Papier. Der Mann shcloss die Tür wieder. Dann ging er zur ersten Tür und öffnete sie. Alles war wie vorher. Der Mann lenbte wieder, die Ketten peitschten.

"Es ist sinnlos. Das kann man hier lernen. Unendlich viele Türen."

Er zeigte den Gang entlang. Um Jyrib wurde es schwarz.
rattentod ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.06.2006, 14:56   #2
Exilya
 
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Beiträge: 289


ich weiss gar nicht wie ich es ausdrücken soll, aber es hat mich tief bewegt, man kennt solche bilder aus alpträumen. Du hast es mit einem wundervollen schreibstiel anschaulich dargestellt.
Es ist ein erlebnis zu lesen.
Exilya ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.06.2006, 15:59   #3
rattentod
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Dabei seit: 04/2006
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besten dank. freut mich sehr.
rattentod ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.07.2006, 17:33   #4
rattentod
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Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 487


das oben geschriebene ist ja nur ein ausschnitt einer im wachsen befindlichen geschichte. werde hier nach udn nach fragmente einwerfen.
rattentod ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.07.2006, 17:55   #5
rattentod
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Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 487


Das licht war gedämpft. Vier kleine Lämpchen. Es spielte Musik. Man konnte keine Stockwerke auswählen. Es gab nur einen Knopf zum hinauffahren und einen für die Rückfahrt. Jyrib stand schon eine ganze Weile im Fahrstuhl. Fenster hätten der Maschine sicherlich nicht schaden können. Es war langweilig. Der Teppichboden schien bewusst dreckig. Die Abgetretenheit wirkte auf Jyrib künstlich. Dann hilet er an, die Tür öffnete sich. Jyrib trat heraus und sah sich um. Der Boden war sandig, die Umgebung verkratert. Inmitten dieser Wüste stand das Fahrstuhlhäuschen. Es wunderte ihn nicht. Jedoch, dass er einen erstaunlich guten Blick auf die Erde hatte. Einige hundert Meter weiter sass eine Frau auf einem Fels. Etwas blinkte neben ihr. Jyrib lief zu ihr und hinterliess Spuren im weissen Sand.

"Guten Tag. Ich sollte hier rauffahren. Können sie mir verraten was ich hier soll?"

Die Frau musterte ihn. Sie hatte langes weisses Haar, ihr Gesicht war nicht faltig und alt. Was neben ihr geblitzt hatte war eine goldene Lanze.

"Nun, ich vermute du sollst mich kennenlernen. Oder einfach nur den Ausblick geniessen. Was eher unwahrscheinlich wäre."
"Was gibt es denn hier zu sehen?"
"Alles."

Sie deutete auf die Erde. Es war die Tagseite. Irgend etwas störte Jyrib an dem Bild. Er suchte fieberhaft.

"Hast du etwas bemerkt?"
"Ich weiss nicht."
"Also ja?"
"Ja. Aber ich weiss nicht was."

Dann hatte er es. Es war ein schwarzer Fleck. ein sehr grosser schwarzer Fleck.

"Was ist das?"

Die Alte holte das Bild näher. In einer riesigen Stadt sass etwas. Etwas grosses, dunkles. SIe holte das Bild noch näher und Jyrib sah die Kreatur.

"Ich weiss es nicht. Alles was ich weiss ist, dass es kam als ich ging und dass es wächst. Immer schneller und schneller."

Die Kreatur hatte Filziges schwarzes Fell. An einigen Stellen fehlte es und Jyrib konnte auf die Glashaut gucken. Auch darunter. Es hatte Adern aus Glas. Menschen marschierten hindurch. Es schien ihm reichlich absurd das zu denken, aber in dieser ganzen Surrealität schien etwas herausstechend auffälliges zu sein. Die alte zuckte zusammen.

"Du siehst, dass mehr nicht stimmt?"
"Ja."
"Sieh genau hin. Du bist der erste. Findest du es?"
"Kannst du es näher holen?"
"Das liegt nicht an mir."

Er strengte sich an. Seine Blicke bohrten tiefer und tiefer.

"Es macht auf mcih den Eindruck, als würde es etwas ... ausbrüten."

Die Alte lächelte, doch dann verfinsterte sich ihre Miene. Die Kreatur sah zu den beiden hinauf. Blickte erst sie, dann eindringlicher Jyrib an. Es hatte furchtbare Zähne, Hörner und blutrote Augen. Und es starrte herauf, bis die Alte Jyrib packte und seinen Blick abwendete.

"Fahr jetzt wieder runter."
"Wirst du auch wieder herunterkommen?"
"Nein, für mich ist es zu spät. Aber für dich nicht. Geh."

Jyrib ging zurück zum Fahrstuhl. Auf dem Weg dorthin beschloss er mit dem Rauchen anzufangen. Es würden noch mehr Fahrstühle kommen und er würde sich auf dem Weg nach oben darauf freuen können bei der Rückfahrt rauchen zu können.
rattentod ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.07.2006, 02:44   #6
Erstgeborener
 
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Beiträge: 5


Was soll ich sagen: Surrealität deluxe. Der Abstieg in die Windungen der Menschlichen Gedankenwelt wird gut dargestellt. Vor allem der Übergang in sie fand ich klasse, denn er ist so überganslos, dass er zunächst garnicht auffällt.
Aus den einzelnen Personifikationen bin ich bislang noch nicht schlau geworden, aber du sagtest ja, die Geschichte wird noch fortgestetz (und wir haben es kurz vor drei Uhr morgens... )

Jedenfalls ist es dir gelungen, Fragen ohne Fragezeichen zu stellen. Mal schaun welche Absurditäten Jyrib noch so erwarten...


PS: Die Pointe mit dem Rauchen am Schluss deines letzten Posts fand ich auch klasse
Erstgeborener ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.07.2006, 13:31   #7
rattentod
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Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 487


na so eine kritik geht doch am frühen morgen mal runter wie öl
rattentod ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.07.2006, 11:02   #8
rattentod
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Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 487


Jyrib erwachte. In seinem Kopf hämmerte es. Er lag auf einem Bett, neben ihm, irgendwo im Raum, bewegte sich jemand. Er musste nicht nachsehen um zu wissen wer es war.

"Ich kenne immer noch nicht deinen Namen."
"Nenn mich Azazel."

Die Wände des Raumes waren nicht verputzt. Dünne Kupferleitungen ragten von einer Zimmerseite zur anderen und durchbohrten die Wandsteine. Es war kalt und das Bett entpuppte sich als Liege.

"Wo sind wir hier?"
"Hast du Nieschen?"
"Bitte was?"
"Ob du Nieschen besitzt."
"Was ist das?"
"Als wir dich beobachteten haben wir dich gelegentlich aus den Augen verloren. Viele haben Nieschen. Aber die der anderen lassen sich aufspüren. Gibt es Orte an denen du dich zurückziehst. Orte an denen du ungestört bist?"

Jyrib dachte nach. Ja, da gab es einen Ort. Ein Spielplatz aus seiner Kinderzeit. Er kam gelegentlich immer noch dort hin, wenn ihn etwas bedrückte oder er einfach seine Ruhe haben wollte.

"Ich denke schon."
"Kannst du es mir zeigen?"

Es regnete. Das Wasser tummelte sich in den Pflasterspalten. Jyrib liebte Regenwetter. Es war als würde der Regen versuchen den Dreck aus der Stadtluft zu waschen. Sie gingen durch verwinkelte Gassen. Jyrib wusste nicht wie genau, aber irgendwie würde er den Spielplatz finden.

"Hast du das ganze schon verarbeitet?"
"In meinem Kopf pocht es noch ein wenig. Was war das?"
"Eine Lektion. Eine wertvolle."

Plötzlich standen sie vor einer kleinen Hecke zwischen zwei Grundstücken.

"Wir sind da."

Jyrib stieg durch ein Loch in der Hecke und Azazel folgte ihm mühsam. Hinter der Hecke erstreckte sich ein weiter Spielplatz. Er war eingerahmt durch Laubbäume und Sträucher. Von den Beiden Häusern war nichts mehr zu sehen. Hier regnete es nicht mehr. Die Luft war klar und frisch, fast etwas kühl. Jyrib deutete auf eine alte Holzbank und die beiden setzten sich.

"Beeindruckend!"
"Was?"

Azazel schaute sich fasziniert um.

"Dass du das erschaffen hast. Sogar Pflanzen."
"Ich hatte immer das Gefühl ich sei älter als der Ort. Auch älter als die Bäume."
"Das bist du auch. Das ist deine Niesche. Das hast du erschaffen."
"Ich kann mich nicht erinnern."
"Das ist auch nicht nötig. Wer ist das?"

Azazel deutete zur Schaukel. Dort sass ein kleines Mädchen, einer grossen Puppe nicht unähnlich, und schaukelte monoton vor sich hin. Man erkannte sie nur umrisshaft durch einen leichten Nebelhauch.

"Sie ist mir hier noch nie aufgefallen. Ich war sonst immer allein."

Azazels Miene versteinerte. Das Mädchen stoppte mit den Füssen und die Schaukel kam ruckartig zum stehen. Dann wendete es sich den beiden zu und schritt zu ihnen herüber. Azazel stieg Schweiss auf die Stirn.

"Was ist das?"

Jyrib meinte etwas dunklas aus ihr grollen zu hören.

"Ich habe das Mädchen schon öfter gesehen. Ich denke es verfolgt mich. Jetzt kennen sie deine Niesche. Es tut mir Leid, ich hätte vorsichtiger sein sollen."

Er Zog den Dolch, den er Jyrib im Kopf gereicht hatte. Das Mädchen streckte freundlich lächelnd die porzellanhaften Hände nach ihm aus.

"Lauf, Jyrib. Bevor es zu spät ist."
"Nein."

Gras schlang sich um ihre Füsse und riss sie zu Boden. Ihre Haare flackerten empor und aus ihren Augen leuchtete es schwarz. Sie kreischte fürchterlich. Aus einem der grösseren Bäume flogen Vögel auf, dann wankte er, knickte ab, und begrub das Mädchen unter sich. Das Kreischen verstummte. Jyrib packte Azazel am Arm, zerrte ihn hinter sich her in den Sandkasten und beide tauchten hinunter. Der Himmel war grau geworden.
rattentod ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.08.2006, 21:31   #9
Farah
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Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 13


Standard RE: Im Kopf

Danke, dass ich das lesen durfte...
Ich kenne die ungefähre Szene auch aus Alpträumen...
Du hast das so wunderbar gemacht...
Danke! Danke! Danke!
Danke, dass ich das lesen durfte
Liebe Grüße
ich
Farah ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.08.2006, 16:42   #10
rattentod
gesperrt
 
Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 487


freut mich sehr wenns dir so gut gefällt )
rattentod ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.08.2006, 14:16   #11
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Ein Mensch auf Entdeckngsreise in sich selbst. Sehr interessant. Sehr erschreckend aber auch. So viel Dunkles ist da vergraben. Ist das eine Art Aufbereitung/Vergangenheitsbewältigung, die er da versucht zu betreiben? Geht das noch weiter? Ich bin gespannt.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.08.2006, 14:20   #12
rattentod
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Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 487


ja, das ganze geht noch weiter. weiss aber noch nicht wann. danke erstmal.


ich bin wahrlich von dem breiten interesse überrascht.
rattentod ist offline   Mit Zitat antworten
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