Jan Eijking: Die Hand
Die Hand
Es war Winter. Ein kleiner Junge ging die kalte, nasse Straße entlang. Ihm fröstelte, obwohl er in einen dicken Mantel, dessen Ende den Boden streifte, gehüllt war. Seine Nase und die Wangen waren ganz rot und das Kind sang. Er ging schnell, man konnte aber erkennen, dass er es nicht eilig hatte, und er sprudelte wunderbare Liedchen hervor. Der Himmel war blau, der Schnee war nur kalter Matsch, doch die Sonne schien. Ein Auto fuhr an dem kleinen Jungen vorbei und spritzte ihm kalten Matsch ins Gesicht. Der Junge stoppte seine Gesänge ganz abrupt. Da kam ein dunkel bekleideter Mann aus einer Nebengasse hervorgehuscht, packte den Jungen grob und zog ihn mit sich. Und dann kam ich. Ich rannte schnell hin zu der Ecke, an der der Junge verschwunden war und rammte den düsteren Mann von hinten. Dieser fiel zu Boden und ließ dabei versehentlich den Jungen los. Ich griff sofort nach dem jungen Glück und wollte schnell wieder verschwinden. Da entdeckte ich die schwarze Sonne und rief „Nazi-Schwein!“. Doch eben das war der große Fehler, den ich bei dieser Rettungsaktion beging. Der Mann hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt und starrte mich mit einem Blick an, der alle dunklen Wolken hätte anziehen müssen, der die Nacht hätte herbeilocken müssen – all das tat der Blick jedoch nicht, denn er schlängelte sich gerade zu meiner Seele und wollte Einlass. „Du kommst nicht in meine Seele!“, rief ich zu dem Blick und schubste den kleinen Jungen in die Richtung hinter mich, andeutend, dass er weglaufen sollte. „Warum tust du solche Dinge, düsterer Mann? Es ist schlecht.“, sagte ich vorsichtig. „Ich respektiere deine Person, doch andere werden es vielleicht nicht tun“, sagte ich behutsam. Der Mann schloss seine Augen. Seine Faust war nun der einzige Teil seines Körpers, der verbunden war mit seinem Gehirn. Doch sein Hirn sprach: „Ich spreche nicht. Nur mit Gewalt!“ Ich fragte schnell, bevor der Mann zuschlug: „Doch warum? Warum bremst du dich nicht? Warum hast du keine bessere Idee als das hier? Warum ziehst du junge Leben mit dir, warum machst du noch nicht einmal etwas gut von all der Bosheit und warum – das ist das Wichtigste – warum verdunkelt sich der Himmel nicht wenn du erscheint, obwohl deiner Macht? Deiner Gewaltmacht?“ Der Mann schlug zu, seine Faust traf mein Gesicht perfekt abgezielt und ich landete am Boden. Doch der Mann war noch nicht fertig: Erst nach weiteren schmerzhaften Tritten in meinen Körper, sowohl außen als auch innen, erst danach war der Mann fertig mit mir und rannte fort. Ich konnte mich kaum mehr bewegen, so sehr schmerzte mir. Plötzlich fühlte ich eine zarte Hand mein Gesicht streicheln. Der kleine Junge saß neben mir auf dem Boden, weinte leise und heilte meine Seele.
(c) 2007 by Jan Eijking
|