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Alt 04.04.2013, 12:42   #1
Alive93
 
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Standard Verloren in Paris

Verloren in Paris

Auf Postkarten, die man aus dem Urlaub von jemandem bekommt, steht oft drauf, dass das Essen besonders gut ist, das Wetter besonders gut ist und noch andere Dinge, mit denen man meint angeben und andere neidisch machen zu können. Es sollten mal Fotos auf Postkarten gedruckt werden, auf denen es regnet! Um es gleich mal vorneweg zu nehmen: Ich habe in den letzten Nächten so wenig geschlafen wie schon lange nicht mehr und an den letzten Tagen so wenig gegessen wie schon lange nicht mehr und beinahe hätte ich es noch mit der französischen Polizei zu tun gekriegt ( dazu aber später noch ). Die paar Tage waren aber der Wahnsinn und eine Postkarte wäre dem ganzen nur gerecht geworden, wenn auf ihr die Tage zu sehen gewesen wären, aber so weit ich weiß, wurden Tage noch nie fotografiert.

Mittwoch
Angefangen hat der Ausflug mit einem Stau. So habe ich acht Stunden bis nach Mannheim gebraucht anstatt fünf. Als ich dann im Studentenwohnheim angekommen bin, war der gute Maurice nicht da. Ich hatte ihm zwei Wochen vorher geschrieben, ich würde an diesem Tag kommen wollen und er hatte auch zugesagt, aber auch erwähnt, er würde sich vorher noch mal melden. Das hatte er aber nicht getan und da er nicht da war, spielte ich schon mit den Gedanken, mir wohl eine schöne Brücke in der Stadt zum Schlafen suchen zu müssen. Ich bin wieder in die Stadt zurückgefahren um noch etwas Zeit in der Innenstadt zu verbringen und bog am Bahnhof aus Versehen rechts ab. So landete ich ungewollt in der Tiefgarage am Bahnhof. Da dachte ich mir dann:“ Naja, wenn du schon mal hier bist, dann kannst du auch parken“. Ich stellte das Auto ab und ging vom Bahnhof aus noch etwa eine Stunde durch die Straßen. Die Wolken hatten wohl von meinem Vorhaben mitbekommen und entschlossen sich daraufhin dazu, sich in Regen zu verwandeln. Nach diesem feuchtfröhlichen Spaziergang machte ich mich wieder auf den Weg zum Studentenwohnheim und ich traf doch noch auf ihn. Schade! Ich hätte gerne unter einer Brücke geschlafen.

Am Abend suchten wir noch nach einem neuen Mitbewohner aus dem sechsten Stock namens Tim, der in Paris geboren wurde und die Stadt kennen würde wie seine Westentasche, wenn er eine Weste hätte. Er könnte uns ja so ein paar Dinge über Paris erzählen. Er war aber nicht da, sondern anscheinend in der Uni. Also machten wir uns noch auf den Weg zur Uni und klapperten sämtliche Hörsäle ab, fanden ihn aber nicht und so fuhren wir wieder zurück, um danach noch etwas Essen zu gehen. In einem lauten Café in der Fußgängerzone verbrachten wir die kommenden zwei Stunden. Draußen fiel uns dann ein krankhaft dicker Mann auf, der mit mehreren Einkaufstüten voller Pfandflaschen in der Hand durch die Fußgängerzone ging. Da erzählte Maurice von einem Obdachlosen, der für eine Zeit lang auf einem alten kaputten Sofa unter den Balkons des Studentenwohnheims nächtigte. Einer von den Studenten beschwerte sich daraufhin schriftlich über die Geruchsbelästigung und ein paar Tage später war dieser Mann nicht mehr da. Wir sprachen noch kurz darüber, was wir davon halten, dass dieser Mann, der wohl schon nichts und niemanden mehr hatte, vertrieben wurde. Anschließend kam unser Essen. Um kurz vor Mitternacht waren wir wieder in der Wohnung. Ich bekam eine Klappmatratze neben dem Bett auf den Boden geschmissen und dann verbrachten wir die erste Nacht. Schlafend!

Donnerstag:

Ich wurde geweckt durch laute harte Gitarrenklänge aus dem Radiowecker, welches ein Lied von Metallica spielte. Guten Morgen! Das Frühstück wurde auf mittags verschoben und nachmittags traf ich dann auch mal auf Tim. Er hatte nur wenig Zeit und gab uns einen kleinen Unfallkurs über die Stadt Paris und was wir uns unbedingt ansehen sollten. Er empfiehl uns zum Beispiel auch, nachts mit dem Auto durch Paris zu fahren, denn das wäre richtig geil. Als wir fragten, ob das denn nicht gefährlich wäre, sagte er:“ Ja Ja! Na klar! Das muss man mal gemacht haben!“ Ein sehr netter Typ dieser Tim. Er war schon in fast allen großen wichtigen Städten innerhalb Europa und hat eine sehr helle Birne. Mit einem Spickzettel von ihm würden wir uns dann den nächsten Tag nach Paris stürzen.
Der Abend zog sich noch in die Länge wie roher Schinken und um Zwei lag ich dann wieder auf der Klappmatratze.

Freitag:

Die Nacht war kurz. Der Tag war gekommen. Es ging auf nach Paris! Unser Plan war folgender: Wir fahren einfach ohne Plan hin und übernachten dann im Auto. Wir packten also unsere paar Sachen und mit der Bettdecke über dem Kopf marschierten wir unter erstaunten Blicken einiger Menschen auf der Straße zum Auto. Der Motor wurde gestartet, die freundliche Frauenstimme des Navigationssystems meldete sich zu Wort und weg waren wir. Ohne Geld! Das holten wir noch in Saarbrücken, vor der Grenze nach Frankreich. In Frankreich angekommen bemerkten wir etwas wohl für Frankreich typisches. Die Autofahrer blinken, ohne jedoch die Spur zu wechseln oder abzubiegen. Insgesamt ist uns das Acht mal auf dieser Fahrt aufgefallen. Die Autobahnen waren frei und die Landschaft ist in Frankreich sehr schön. Irgendwann machten wir an einer französischen Autobahnraststätte halt und rannten auf die Toiletten und das nächste für Frankreich anscheinend typische fällt sofort auf: Die Toiletten haben keine Brillen! Und noch nicht einmal Kontaktlinsen! Da ist die Schüssel, und dann ist Feierabend. Oben drauf ist noch der Deckel, aber auf den setzt man sich ja am besten nicht, wenn man sich erleichtern will. Toiletten ohne Brillen sind im Laufe der Reise auch noch öfters aufgefallen.
Wieder draußen hörten wir dann auch das erste französische Gerede. Mir wurde schnell klar, dass ich mit meinem Französisch aus der Schule nichts anfangen werden kann und so schlugen wir uns in den nächsten Tagen mit Englisch durch, das oft wir noch besser konnten, als die Leute, die wir fragten. Wieder auf der Piste war es nur noch eine Stunde bis Paris. In einer kleinen Vorstadt namens Joinville fuhren wir runter und suchten nach einem Parkplatz und fanden einen guten vor einer Schule. Dort stellten wir uns hin und dort würden wir auch schlafen. Als nächstes machten wir uns zu Fuß auf den Weg zurück zur U-Bahn Station, die uns vorher schon ins Auge gefallen war und besorgten uns ein Ticket. Der Ticketautomat funktionierte sogar auf Deutsch. Mit der nächsten Bahn ging es ab in die Innenstadt. Dort standen wir dann und wussten nicht mehr, wo wir waren. Ein Plan musste her! Ich entdeckte direkt vor unserer Nase ein Hotel und an der Rezeption bekamen wir einen Plan. Wir wollten unbedingt zuerst zum Eifelturm, auf der anderen Seite der Stadt, und so gingen wir in einem ungeheurem Tempo los. Das hatte ich davon, mit einem ehemaligen Pfadfinder loszuziehen. Nicht nach gefühlten vier Stunden, sondern nach wirklichen vier Stunden kamen wir um ca.22 Uhr nach einigen Umwegen am Eifelturm an. Dieser sah überwältigend aus und im Dunkeln lohnte es sich erst recht, dort zu sein. Die Tickets wurden gekauft und das Ding wurde bis zur Hälfte bestiegen. Den Ausblick, den man von der mittleren Plattform schon hat ist weder zu beschreiben, noch mit einem Foto festzuhalten, sondern nur zu erleben. Mit einem Fahrstuhl fuhren wir dann noch bis zur Spitze. Sämtliche Touristen aus allen möglichen Ländern tummelten sich kurz vor Mitternacht noch auf dem Eifelturm, unter anderem auch ein Brasilianer namens Vinicius, der fragte, ob ich ein Foto von ihm und seiner Gruppe machen könnte. Er fragte auch, nachdem er gefragt hatte ob wir aus Deutschland sind, ob die Deutschen auch so ernst und mürrisch wären, wie die Franzosen. In Brasilien wäre es genau das Gegenteil. Um halb Eins wurden wir wieder runtergeschickt, denn die Besucherzeit ging zu Ende. Genauso hoch wie der Eifelturm sind dort übrigens auch die Preise. Wieder unten angekommen gingen wir noch etwas durch die Stadt. Wenn New York die Stadt ist, die niemals schläft, dann ist Paris auf jeden Fall die Stadt, die immer wach ist. Die Straßen sind voll und manche Leute auch, aber es geht friedlich zu. Was wir bloß nicht wussten ist, dass die U-Bahnen nur bis zwei Uhr nachts fahren und wir hatten die letzte U-Bahn geradeso noch gekriegt, aber komplett bis zu unserem Vorort fuhr diese nicht mehr. Da saßen wir dann um halb drei nachts an einer Bushaltestelle und warteten noch auf den Bus, der uns tatsächlich doch noch zurück in unseren Ort brachte. Im Auto wurden die Lehnen zurückgestellt, die Jacken als Kissen zusammengeknüllt, die Decke drübergezogen und das Auto abgeschlossen. So „schliefen“ wir dann von drei bis um acht auf dem Schulparkplatz in Joinville.

Samstag:

Als wir „aufwachten“ waren die Scheiben von innen beschlagen. Das ist aber verständlich. Komisch wäre es gewesen, wäre die Vogelscheiße an den Scheiben auch von innen gewesen. Die Leute schien es entweder nicht zu stören oder sie merkten es nicht, dass hier zwei Idioten im Auto schliefen. Das Frühstück bestand aus einem Apfel und danach ging es wieder los. Mit der Bahn fuhren wir wieder in die Stadt der Liebe. Unsere Orientierung war schon besser als am Vortag. Im Schnelldurchlauf klapperten wir die Sehenswürdigkeiten ab und auf der Champs-Elysée am Triumphbogen setzten wir uns hin und schauten dem Verkehrsschauspiel zu. Um den Triumphbogen ist ein achtspuriger Kreisel, bei dem keine Spuren eingezeichnet sind und in den aus den Straßen die Autos regelrecht geschossen kommen. Regeln scheint es dort keine zu geben. Der Stärkere gewinnt! Max meinte, wir sollten mal über den Kreisel zum Triumphbogen in der Mitte rennen und das machten wir auch, quer durch die Autos durch. Die Autofahrer begrüßten dies sehr und hupten. Ich glaube aber nur, um uns anzufeuern, damit wir auch drüben ankommen. Zurück machten wir den gleichen Mist noch mal. Abends setzten wir uns mit runden Füßen noch in ein Restaurant und danach ging es noch zum Sacre-Coeur. Dies befindet sich in dem für meine Begriffe heruntergekommenen Teil der Stadt. Die Treppen vom Sacre-Coeur runter hatten wohl ein paar Leute gepisst und so gingen wir die bepisste Treppe rauf. Oben erwartete uns das, was die Treppe angekündigt hatte: Zwar keine pinkelnden Menschen, aber Besoffene, denen man es hätte zutrauen können. Auf dem Boden lagen Flaschen, die von eben solchen getrunken wurden sind. Maurice machte noch Bekanntschaft mit einem der Bierverteiler aus Bangladesch, der erzählte, für 18 Monate damit Geld machen und dann wieder zurück in sein Land fahren zu wollen. Anschließend gingen wir die gleiche Treppe wieder runter. „Pissoir“ kommt übrigens nicht von „pissen“, aber das nur für Leute, die des französischen genauso wenig mächtig sind wie ich. Ich dachte schon , das wäre der krönende Abschluss unserer Reise gewesen. Als wir wieder am Parkplatz in Joinville ankamen, war da ein Markt aufgebaut und an der Frontscheibe des Autos war ein Zettel befestigt auf dem stand übersetzt: Parken verboten! Ansonsten Abschleppen des Autos! Am Sonntag danach würde dort wohl ein Markt stattfinden, der ab 16 Uhr diesen Tages aufgebaut wurde. Scheiße! Da konnten wir wohl nicht mehr bleiben. Unser Schlafplatz existierte nicht mehr. Es war ein Uhr und wir machten uns auf die Suche nach einem anderen Parkplatz in der Stadt, fanden aber nichts. Mit Blei auf den Augenlidern sagte ich dann:“ Jetzt habe ich die Schnauze voll! Jetzt fahren wir auf die Autobahn zu einer der Raststätten und schlafen da!“ So machten wir es auch. Nach etwa einer Dreiviertelstunde Fahrt über die Autobahn waren wir da und ließen uns noch von dem Mann an der Tankstelle die Warnung vom Parkplatz übersetzen. Es sollte keine weiteren Konsequenzen haben. Es wäre toll gewesen, wenn sie das Auto mitsamt der übersehenen schlafenden Insassen abgeschleppt hätten und wir bei der Polizeistation wieder aufgewacht wären. An der Raststätte war es wirklich besser. Nun wurde es aber auch mal Zeit zum Schlafen. Es kommt der Zeitpunkt, da verschmilzt früh und spät zu einer Einheit. Das ist so ab drei Uhr früh am morgen und spät in der Nacht, und dieser Zeitpunkt war nun gekommen.

Sonntag:
Nicht nur das Auto war gerädert sondern auch wir. Wir hatten auch einen an der Waffel! Wir holten uns noch schnell ein paar Zuckerwaffeln zum Frühstück, tankten noch ein wenig voll, und dann fuhren wir durch nach Mannheim. Dort wieder angekommen hatten wir am Abend noch eine kleine Gesprächsrunde mit Tim über unseren Ausflug und sein Kommentar war: „Legendär!!!“. Ich weiß nicht, ob Legendär der richtige Begriff dafür ist. Bekloppt trifft es schon eher, aber um ganz ehrlich zu sein: Ich fand es super! Ich würde es jederzeit wieder machen. Die nächste Nacht war übrigens klasse. Ich konnte endlich mal wieder auf einer vernünftigen Klappmatratze auf dem Boden schlafen!

Jetzt bin ich wieder hier in meiner Stadt, sitze gerade mit dem Laptop auf meinem Bett und versuche während ich das hier tippe den Ausflug noch einmal nachwirken zu lassen. Ich finde, solche Erlebnisse sind immer etwas für den siebten Sinn. Auf solche Nächte oder Tage kann man manchmal Monate, wenn nicht sogar Jahre warten, aber hin und wieder darf man so etwas erleben. Es kann ewig dauern bis diese Tage kommen, aber sie kommen und wenn sie da sind, dann versöhnt man sich für eine Zeit lang mit den Monaten oder Jahren, die vorher kommen mussten. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, aber ich weiß eins ganz sicher: Paris, wir sehen uns wieder!



Zur Belastung der Personen wurden die Namen geändert!
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