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Alt 12.04.2012, 08:43   #1
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
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Beiträge: 1.747


Standard Nachtgleiter

Wer glaubt gegen die Versuchung des Gleitens durch die Nacht gefeit zu sein, der ist ihr schon erlegen.

Nicht wie Rausch und Taumel befällt sie die suchende Seele, nicht mit Gewalt ergreift sie Besitz vom ruhelosen Geist, unbemerkt und lautlos schleichend dringt sie in ein unglückliches Leben ein, Schritt für Schritt verfinstert sie die Sinne, bis die Dunkelheit vollkommen ist, während der befallene Mensch sich immer noch im Licht wähnt. Denn unermüdlich flüstert ihm eine Stimme aus dem Herzen der Nacht in sein ertaubtes Ohr, dass seine Taten und Gedanken rechtens und wahrhaftig sind.

Ein Colt im Halfter gegossen in den Gluten der Hölle, geladen mit Kugeln geschmolzen aus dem Blut der Verdammten, stampfend in Stiefeln, deren harter Klang die Kläffer und Köter zu rasendem Bellen reizt, wenn er des Nachts durch die menschenleeren Gassen hallt, eine schemenhafte Gestalt getaucht in pechschwarze Schatten der Dunkelheit, in ebensolches Leder gehüllt, das Gesicht tief unter dem Hut verborgen, so geht einher, wer von der Nacht besetzt ist und von wem sie Besitz ergriffen hat.

Umflort von der Gewissheit seiner Unverwundbarkeit, geblendet vom Gefühl ernüchterter Allwissenheit, behaftet mit messerscharfem Verstand, der sich mit schneidender Klinge in stahlkalten Worten aus geschliffener Zunge in die Gehöhrgänge und Wege der Gedanken bohrt, durchdringen seine Augen alles ohne auch nur einen feinen Lichtstrahl einzulassen, erfasst und begreift sein Spürsinn mühelos, was andere antreibt und bewegt, er selbst jedoch bleibt undurchschaubar, unnahbar, fern, fremdartig und unerreichbar.

Undurchdringlich verworren und verwirrend wuchert das Dickicht seines Denkens, in trügerischem Zwielicht schillert sein verhärmtes stets spöttisch angehauchtes Lächeln, er hat die Antwort im zerbrechlichen Moment des Zweifels, die keiner hören will, er stellt die Frage, deren Antwort niemand nennt und alle schaudernd kennen. Kein Mensch vermag sich ihm zu nähern, niemand ihn zu rühren, er aber ist stets hautnah, berührt ohne Scheu verborgenste Seelenkammern und Wunden, wenn ihm danach ist nach Lust und Laune.

Unheimlich und bedrohlich ist sein Wesen denen, die er mit Verachtung straft, schillernd, faszinierend und geheimnisvoll jenen, die er großherzig in seine umnachtet umnachtende Aura bittet, mit kluger Vorsicht und Zurückhaltung begegnen ihm, die er verhalten seine Freunde nennt.

Der huschende Schatten, den ein weißer Mond an die Wände der Häuser wirft, ist der eines gewaltigen Hundes, hechelnd und begierig, seinen Träger und Zwinger zu verschlingen, zähnefletschend geifernd aber gegen alle, die seinem Herrn entgegen stehen ja nur zu nahe treten.

Auf tintenschwarzem Pferd kommt er geritten aus dem Nichts der Nacht, noch vor dem Hufschlag peitscht der Schuss, traumwandlerisch findet die surrende Kugel ihr Ziel, zerfetzt die Achillesferse und trifft den wunden Punkt, sie tötet nicht doch schmerzt und tobt und bohrt die Wunde umso länger und peinigt die Getroffenen umso schlimmer, je mehr sie sich nach Rache und Vergeltung sehnen. Was sie immer und ausdauernd tun, wohlwissend, dass sie endlich bekommen haben was sie längst verdient und was noch erschreckender, Unschuldige erwischt sein Mündungsfeuer nie.

Gespenstisch gleitet die Gestalt vorbei, verwischt verschwommen wie ein Spukgebilde, Hohngelächter manchmal teuflisch folgt wie Echo auf die wilden Flüche und die blinden Schüsse, die ihr hinterhergeschickt ins Leere gehen und sich im Nirgendwo der Finsternis verlieren.

Von daher, liebe gute Leute, hat der Desperado seinen schlechten Ruf. Wer glaubt ihm seine Läuterung?

Nun denn, es reicht schon wenn er selbst es tut.
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