Am Rand einer Stadt

[Walter]

Am Rand einer Stadt


Ich liege in der Badewanne
am Rand einer Stadt
und lese die Zeit.

Der Fernseher nebenan dröhnt,
ich höre alles, schaue zum Fenster,
und suche blickwärts die Stille.

Ein Flugzeug steigt auf, himmelan,
nach irgendwohin.
Der Himmel ist diesig, weißgrau.

Ich lege meine Brille mit den runden Gläsern ab,
schließe die Augen und gleite
durch die Atmosphäre dem Licht entgegen.

Ich überfliege die Städte, die Täler, die Flüsse und Seen
bis hin zum Ozean, und ich höre,
wie das Meer erzählt.

Es spült die verlorenen Gedanken
im Schaum der Wellen an den Strand
und lässt manches, was war,
wie die kleine Bläschen zerplatzen.
Ich plätschere mit den Füßen im Wasser.

Ich schieße Selfies von mir und der Zeit.
Das Hotel, wo ich bin, ist in die Jahre gekommen.
Eine Bibel liegt im stillen Winkel,
alt und vergilbt.

Ich spiele auf meiner Blues Harp
den Song von Bobby McGee zum Ticken der Uhr,
und manchmal zerschneiden die Töne
das Dickicht der Wolken am Himmel.

Es sieht nach Regen aus. Ich schließe die Augen und sehe
wie ich mich vor einem Kiosk fotografiere.
Der Besitzer lacht, und er meint,
ich solle noch etwas bleiben,
wie gern würde er zusehen, wie ich die Welt ablichte.

Nicht die Welt, sage ich, sondern nur einen einzigen Tag, diesen,
diesen und mich, er sieht mich groß an,
und er lacht, lacht, und lacht.

Da stürzt ein Flugzeug mitten ins Meer,
lese ich am Zeitungsständer,
und nur die kleine Alice überlebt,

jemand zieht mir die Zeitung weg und zahlt,
doch ich lese in Gedanken weiter, lese, lese
und fliege über die Stadt.

Ich liege in der Badewanne
irgendwo am Rand einer Stadt
und träume von Alice.




© Hans-Walter Voigt
2016