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Alt 21.11.2006, 18:51   #1
männlich Cash
 
Dabei seit: 11/2006
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Beiträge: 21


Standard Jahre

Jahre


Ich habe Angst.
Man wacht auf, und das ist schon der Höhepunkt des Tages. Die ersten Sonnenstrahlen, die direkt in dein Gesicht strahlen. Die Wärme, die sie mit sich tragen, breitet sich auf dem Gesicht aus. Es ist kein schönes Gefühl. Nein, es ist kein schönes Gefühl, auch wenn es dir jeder recht machen will.
Man steht auf, und man ist eigentlich zu schwach dazu. Die paar Bier vom Vorabend geben dir auch jetzt noch den Rest. Die Knochen tun weh, und man ist alles andere als wach. Und doch steht man auf, denn man muss aufstehen.
Der Job. Man ist unzufrieden. Ich bin unzufrieden. Tagein, Tagaus dieselbe Leier. Acht Stunden, plus Überstunden. Unbezahlt, versteht sich. Das ist dein Job. Er fordert dich nicht. Er lässt dich. Der Job. Ich hasse ihn. Die Verwirklichung aller Träume auf Eis gelegt. Das Eis geschmolzen, die Toilette runtergespült. Das ist der Job. Er zerstört dich von innen heraus. Er tut weh. Er ist ein Schlag in dein Gesicht. Das ist der Job. Und du kannst, ich kann, nichts dagegen tun. Denn man ist zu schwach. Denn man ist zu feige. Man akzeptiert das dahin Vegetieren.
Man steht auf. Man steht auf. Man steht auf, und dann geht’s auf die Toilette. Den Alkohol auspissen. Die Erdnüsse auskacken. Allmorgendliche Schmerzen im After. Die Erdnüsse lösen sich nicht so schnell auf. Du schluckst sie im Ganzen runter, und die Magensäure klopft an, verpisst sich aber nach wenigen Sekunden. Dann die Entleerung. Sie wandern durch den Darm. Gepresstes Leid. Sie kratzen dich von innen. Die Scheiße gleitet durch den engen Gang der Endlösung entgegen. Nur die Erdnüsse sind noch ganz. Sie kratzen dich. Sie reißen die Haut entzwei. Du drückst, du presst. Allmorgendlicher Gedankenaustausch.
Die kleine Öffnung weitet sich. Entspann dich. Der gepresste Brei mit den Überlebenden fällt in die Tiefe. Es tut weh, du hast Schmerzen. Ich habe Schmerzen. Du möchtest dir den Arsch sofort mit Creme einreiben, aber du lässt es, weil das Gefühl beim Gehen unerträglich ist. Als würdest du mit einem Ballon, gefüllt mit Wasser, zwischen deinen Arschbacken rumlaufen.
Die kleine Öffnung; sie erinnert dich an die Sonne. Sie erinnert dich an eine Blume. An die göttliche Ordnung.

Du warst Fünfzehn. Ich war Fünfzehn. Du warst Zwölf, als du zum ersten Mal Onaniert hast. Du weißt noch, wie schäbig und glücklich zugleich du dich gefühlt hast. Erlöst. Es tat weh, weil du Angst hattest, die Vorhaut zurück zu ziehen. Du hattest Angst, dass sie sich nicht mehr in die Ausgangslage zurück versetzen lassen würde. Darum hast du deinen kleinen Schwanz gegen ein Kissen gedrückt und gerieben, bis der Saft rausgesprudelt kam.
Du hattest Angst vor den Schmerzen. Du warst Fünf, als die Ärztin dir gezeigt hat, wie du deinen kleinen Freund reinigen musst. Sie schob die Vorhaut vorsichtig zurück. Es war kein schönes Gefühl. Es war wie die Sonnenstrahlen, die sich in deine Haut brennen. Du warst froh, als dein kleiner Freund wieder zugedeckt war. Aber da war dieses komische Gefühl. Es brannte und drückte. Und du verbrachtest den ganzen Tag auf der Toilette, weil du dachtest, du müsstest pissen, aber du musstest gar nicht. Und dann hast du beschlossen, dass du das, was diese Tussi in Weiß dir und deinem kleinen Freund angetan hat, nicht wiederholen wirst. Nein, das würde ich nicht tun.
Manchmal tat es beim Pissen weh. Du wolltest weinen, aber es war die Fünf-Minuten-Pause, und du wolltest nicht, dass deine Freunde dich sehen. Verheult. Sie sollten nicht glauben, du seiest eine Flenne. Also hast du den Schmerz ertragen. Das gab dir das Gefühl stark zu sein. Ja, du warst stark.
Du warst Vierzehn. Du lagst in der Wanne. Ein Schaumbad. Du dachtest an deine Mutter. An ihren großen Busen, an ihren großen Arsch. Du warst noch sehr klein, da hast du sie zum ersten und letzten Mal vollkommen nackt gesehen. Sie hatte Haare zwischen den Beinen. Nicht direkt zwischen den Beinen. Nicht an den Oberschenkeln. Weiter oben und mittig. Das machte dich an. Du wolltest dein Gesicht in diese Haare drücken. Und dann, als du ganz allein in der Wanne lagst, regte sich etwas. Und es richtete sich auf. Du kanntest das Gefühl natürlich. Es war nicht Neu. Das geschah immer, wenn du an deine Mutter denken musstest. Oder auch an die eine Lehrerin aus der Grundschule. Sie war noch keine Lehrerin. Zumindest noch nicht richtig. Du hattest bei ihr Mathe und Sport. Und sie sah sexy aus, auch wenn du damals als Achtjähriger noch nicht wusstest, was das Wort zu bedeuten hat. Und wenn wir ehrlich sind, weiß ich es auch heute noch nicht.
Diese angehende Lehrerin war nicht dünn. Sie hatte ein paar Pfunde zu viel drauf. Aber das machte dir nichts aus. Im Gegenteil, es turnte dich an.
Und als du als Vierzehnjähriger in der Wanne lagst, dachtest du nicht nur an deine Mutter, sondern auch an die angehende Lehrerin mit ihrem prächtigen Arsch. Sie hatte einen normalen Slip an, einen Bikinislip. Das turnte dich an, ja. Er hatte das Muster eines Schachbretts, nur das die schwarzen Kästchen nicht schwarz sondern blau gefärbt waren. Deine Mutter trug einen weißen Body, und man konnte ihr dichtes Haar dort unten durchscheinen sehen.
Die beiden lagen aufeinander und küssten sich, und sie streichelten sich. Und ganz unbewusst legte sich deine rechte Hand um deinen kleinen Freund. Du merktest gar nicht, dass sich deine Vorhaut nach hinten zog und deine Eichel preisgab. Hysterisch bewegte sich deine Hand auf und ab. Dein Oberarm spannte an. Dein Atem ging schneller. Du drücktest deine Füße gegen die Wanne. Dein Nacken presste gegen das andere Ende der Wanne. Du schwebtest. Und ich dachte an meine Mutter, und ich dachte an meine ehemalige Lehrerin, und ich wollte sie ficken. Ich wollte in sie eintauchen und ficken. Ja, richtig ficken. Sie sollten stöhnen. Sie sollten kommen. Sie sollten ihm einen Blow-Job verpassen, auch wenn er noch nicht wusste, was das überhaupt bedeutete. Es war ein Begriff, einer von vielen, die nun zum Sprachschatz in seiner kleinen Clique gehörte. Man schnappte es auf, tönte es laut heraus, aber was es zu bedeuten hatte, wussten sie nicht. Sie waren Vierzehn und wussten allesamt nicht, was das war. Aber es hörte sich irgendwie gut an, also konnte man darüber reden, wenn auch, wie gesagt, niemand wusste, was es zu bedeuten hatte.
Er war Vierzehn und schwebte in der Wanne. Er war nicht gekommen. Sein Arm machte schlapp. Das Wasser war zu warm. Der Saft wollte nicht rauskommen. Und dennoch war er zufrieden. Sein Herz klopfte wie wild, wie es das auch nach dem Erguss getan hätte. Er starrte auf seinen noch immer erigierten Penis, der zwar allmählich schwächer wurde, aber doch noch immer wie eine Eins stand, und er sah seine Eichel. Und er sah die gelblichen Anlagerungen unterhalb des Eichelkranzes. Und allmählich stieg ihm ein stechender Geruch in die Nase. Fast musste er sich übergeben.

Er war Vierzehn und er stand unter der Dusche. Er dachte an seine Mutter, bekam einen Ständer. Er dachte, wenn er einen steifen Penis bekäme, würde es nicht so wehtun. Später stellte sich heraus, dass es überhaupt nicht wehtut, ob erigiert oder nicht.
Er stand unter der Dusche mit einer Pinzette in der Hand. Und er drückte mit der linken Hand seinen Penis, sodass dieser hart bleiben würde. Und mit der Pinzette pickte er die gelblichen Anlagerungen von seinem Penis. Einige klebten richtig fest, was es fast unerträglich machte, sie von der dünnen Haut zu ziehen. Er brauchte eine Woche, bis sein Penis frei war, von den Ablagerungen. Und in dieser Woche spürte er, wie schön es ist, wenn die Eichel frei lag. Er rieb sie mit Seife ein, dachte wieder an seine Mutter, und er kam in der Dusche zum ersten Mal ohne Kissen. Er wurde; ich wurde zu einem Meister der Onanie.
Ich war Fünfzehn und verliebt. Er war unsterblich verliebt, nur dass sie nichts von ihm wissen wollte. Ich wollte mich umbringen. Ich wollte sterben. Er konnte nicht mehr. Sie gab vor, etwas von ihm zu wollen. Ich fiel darauf rein, und tat alles für sie. Er war so ein Dummkopf. Naiv und Dumm. Er hätte alles für sie getan. Alles.
Er war Fünfzehn und dumm. Er war Fünfzehn und verliebt in ein Mädchen, das sich über ihn lustig machte. Er war Fünfzehn, und alles, was er noch hatte, war seine Fantasie und sein kleiner Freund. Fünfmal am Tag war keine Seltenheit. Manchmal machte er es sich auch bis zu zehnmal am Tag selbst. Es war eine Erlösung für mich. Entspannung. Stressabbau.
Er war Fünfzehn und fand im Internet einen Text über Analsex. Er machte sich schlau, wollte alles erfahren. Das betraf auch andere Dinge, die mit Sex zutun hatten. Im Gegensatz zu seinen Freunden, die nur darüber sprachen, wusste er auch, was es bedeutet. Voller Stolz erklärte er seinen Freunden, was die einzelnen Begriffe zu bedeuten hatten.
„Fisting? Ganz einfach. Man befriedigt sich mit der Hand oder Faust, denn Faust heißt auf Englisch ‚fist’. Man nimmt die Hand oder eben die Faust und schiebt sie in die Fotze einer Frau. Das kann ein Mann machen, eine andere Frau, oder man kann es sich auch selbst machen. Es geht auch hinten rein, also in den Arsch. Aber da würde ich Handschuhe nehmen.“
Er war ein wandelndes Lexikon der Sexualität, oder besser der perversen Spielereien, die die Menschen befriedigen.
Nach der vierten Stunde kam er mal nach Hause. Seine Mutter, sie lebte allein, war getrennt von seinem Vater, war noch bei der Arbeit. Er schlich sich in ihr Schlafzimmer. Das tat er öfter, als ihm selbst lieb war. Er durchwühlte ihre Unterwäsche, zog sie sich manchmal an, bekam dann sogar einen Steifen. Manchmal wünschte er sich, er wäre eine Frau. Hätte eine Fotze (er wusste, dass „Fotze“ kein nettes Wort war; aber jeder, selbst die Mädchen aus seiner Klasse, benutzten es), und Haare dort unten. Dann könnte er diese Slips anziehen und mit seiner Mutter eine Beziehung führen. Sie könnten den ganzen Tag im Bett liegen, sich küssen und streicheln. Er würde große Brüste haben. Ja, das war mein sehnlichster Wunsch. Ich war gefangen im falschen Körper.
Auf einer seiner Erkundungstouren fand er im Nachtschränkchen neben dem Bett, ganz hinten versteckt, einen pinken runden Gegenstand, der verbunden war mit einer Art Fernbedienung, auf der ein Rädchen war. Er drehte es nach Rechts und das Ei, denn daran erinnerte es ihn, fing an zu vibrieren. Er atmete schneller. Sein Penis wurde hart. Er stand nackt im Schlafzimmer seiner Mutter und hatte dieses Ei in der Hand.
Fellatio. Die Frau nimmt den Penis des Mannes in den Mund und saugt. Mit der Zunge streichelt sie seine Eichel. Der Penis wird durch das Spiel von Lippen, Mund und Zunge gereizt. Das kann bis zum Abspritzen führen. Häufig ist diese Praktik auch bei Schwulen vorzufinden.
Ich; er lag auf dem Bett seiner Mutter. Er hatte sich eines ihrer Höschen aus der Wäschetrommel genommen (das tat er öfter, meist auf der Toilette. Er schloss sich ein, roch dran und wichste sich einen ab. Manchmal nahm er auch ein Höschen mit in sein Zimmer und machte es sich mitten in der Nacht. Er liebte den Geruch seiner Mutter. Es war ein ganz besonderer Geruch. Einzigartig.) und roch dran. Das Ei ließ er über seinen Hoden gleiten, an seinem Schaft hinauf zur Eichel. Dann drückte er seinen Arsch in die Luft und massierte mit dem Ei sein Arschloch. Du drehst den Regler weiter auf. Es scheint förmlich in deinen Arsch hineinhüpfen zu wollen. Du lässt es zu. Dein Gesicht drückt in das Höschen, das auf dem Kopfkissen liegt. Mit deiner Rechten holst du dir einen runter. Pass auf, sagte ich mir. Du darfst nicht auf dem Bett deiner Mutter kommen. Sie darf es nicht erfahren. Ich stand auf, das Ei im Arsch, den Schwanz in der Hand, ging ich ins Badezimmer und drückte in der Dusche ab.
Cumshot. Der Mann spritzt auf das Gesicht seiner Partnerin oder seines Partners ab.
Ich musste das Ei wieder sauber bekommen. Es klebten Scheißstreifen dran. Ich wusste, es war die falsche Öffnung gewesen. Ich reinigte das Ei und legte alles wieder dahin, wo ich es her hatte.
Shemale. Eine Frau, oder vielmehr Halbfrau, die vorher ein ganzer Mann gewesen ist. Eine Shemale ist ein Mann, der sich zur Frau umoperiert hat. Einige lassen sich Silikontitten einbauen, andere versuchen das Wachstum der Brüste durch extra zugeführtes Östrogen herbeizuführen. Einige lassen sich die Haare lang wachsen, andere lassen eine Haarverpflanzung durchführen. Mit der Hilfe von Lasern wird der Bartwuchs in Grenzen gehalten. Einige lassen sich das Gesicht auch „verfeinern“, sodass sie weiblicher aussehen. Nur, was sie alle gemein haben, ist der Penis, der weiterhin zwischen ihren Beinen baumelt.
Er war nicht pervers. Er war Fünfzehn, und er lebte seine Sexualität aus. Das war alles. Er quälte keine Tiere, spielte nicht mit Feuer; er war frustriert, nichts weiter.

Man steht unter der Dusche. Man fühlt sich dreckig. Man säubert sich. Man weint. Tränen vermischen sich mit dem Wasser. Anpassung…
Ich habe Angst.
Ich bin Zweiunddreißig, lebe allein, arbeite allein, bin allein. Ich bin noch Jungfrau, obwohl die Taschentücher meines Lebens wohl eine andere Geschichte erzählen würden.
Ich hasse meinen Job, ich hasse mein Leben. Ich hatte Erwartungen, die sich alle verflüssigt haben und der Kanalisation entgegen geschwommen waren. Ich war allein, und das ist das Schlimmste auf der Welt. Ein Zustand vollkommener Sinnlosigkeit. Meine Träume waren wie ein Kartenhaus zusammengestürzt, bevor es überhaupt gestanden hat. Ich hasste mein Leben, und ich hasste mich. Ich habe die Schule abgebrochen, habe Jobs angenommen, die mich nicht forderten. Sie brachten mir ein wenig Geld ein, aber das war nicht das, was ich mir wünschte. Ich war allein.

Man stellt sich vor, man sei Jemand. Jemand Besseres. Kein Niemand, ein Jemand. Er war Achtzehn, hatte gerade die Elfte Klasse auf einem Gymnasium wiederholt. Er war kein besonders intelligenter Mensch. Er besaß Fantasie. Er war nicht dumm. Aber was zählt das schon.
Er schrieb Geschichten. Das fing in der Achten Klasse an. Seine große Liebe, die unerwiderte, hatte ihn zu einem Wrack gemacht. Er schrieb um zu vergessen. Seine Geschichten waren nicht besonders gut, aber sie waren das perfekte Druckventil. Gewalt und Perversion. Er konnte über alles schreiben, und das tat er auch.
Niemand durfte seine Geschichten lesen. Einerseits hatte er Angst davor, sie würden ihn für Verrückt halten, andererseits war er selbst nicht überzeugt von seinen Geschichten und redete sie immer schlecht. Eine Eigenschaft, die sich durch sein ganzes Leben ziehen sollte. Alles schlecht reden, damit ja keiner auf die Idee kommen könnte, ihn für irgendetwas zu loben. Er wollte nicht gelobt werden. Er fand das peinlich. Sie sollten weinen, lachen oder schockiert sein, aber sie sollten ihn nicht voll labern.
Er war Achtzehn, und hatte sich in den letzten drei Jahren neunmal verliebt. Aber keiner wollte etwas mit diesem Wrack zutun haben. Jedes weitere „Nein!“ war wie ein Schlag in die Eier. Wie eine Kugel aus einer Pistole, die in Zeitlupe sein Herz zerfetzt. Oder vielmehr die Region in seinem Gehirn, die für die Liebe verantwortlich ist.
Ich war ein Zombie. Die „Neins“ machten aus mir einen lebenden Toten. Ich fühlte mich gefangen. Lustlos. Das Leben zog an mir vorbei, rasend schnell. Der Zug war abgefahren und ich stand auf der Stelle.
Er brach im gleichen Jahr die Schule ab. Das Abitur war ihm egal. Sein großer Traum in allzu weite Ferne gerückt. Er wollte nur eins, aber das bekam er nicht. Das war seine Schuld, keine Frage. Aber warum auf ihn einhämmern, er machte sich schon selbst genug Vorwürfe.

Ich liebe Filme. Ich liebte das Kino. Man ist allein, und doch nicht. Filme waren seine große Leidenschaft. Er wollte selbst Regisseur werden, aber das war wieder einer dieser Träume. Und Kartenhäuser haben die dumme Angewohnheit, beim ersten Windhauch einzustürzen. Er drehte zwar seine Filmchen, aber sie waren nicht geeignet für die Öffentlichkeit, befand er.
Er war Achtzehn, und er hatte alles aufgegeben, was er noch hatte. Nichts.
Ich wollte mich umbringen, hatte aber nicht den Mut, es zu tun. Ich weinte. Er weinte sehr oft, weil er nicht mehr konnte. Er hatte sich kaputt machen lassen. Er hatte zugelassen, dass sie aus ihm ein Wrack machten. Er wehrte sich nicht, ließ es einfach geschehen.
Er arbeitet in einer Druckerei. Er bedruckt kleine Tütchen mit Dünger, die man kostenlos in der Blumenhandlung zu den gekauften Blumen bekommt. Er musste die Tüten einzeln auf die Oberfläche der Maschine legen. Ein Gummikissen, das aus einem kleinen Gefäß mit Farbe auftaucht, drückt die Farbe auf das Päckchen auf. Ein weiteres Kissen, mit einer anderen Farbe tut es dem ersten Kissen im nächsten Schritt gleich. Das wiederholte sich noch zweimal, sodass auf dem kleinen Päckchen ein Vierfarbdruck entstand. Jedes Mal musste er das Päckchen eine Oberfläche weiterlegen, auf einen Knopf drücken, damit das Gummikissen samt Farbe nach unten schoss. Acht Stunden lang. Keine Musik. Nur das Geräusch von der Maschine. Er saß auf einem alten Drehstuhl. Das war seine Zukunft.

Er kam nach Hause. Ein Auto hatte er nicht. Das konnte er sich nicht leisten. Die Wohnung verschlang schon zu viel. Am Ende des Monats blieb nichts übrig, was das Sparen sinnlos machte.
Er legte sich auf seine Couch (Schrägstrich) Bett. Der Fernseher lief. DSF. Eine Quizsendung. Er mochte die Moderatorin. Sie war blond, und sie war süß. Er erwischte sich dabei, wie er mit ihr im Bett liegen würde. Die beiden würden es heftig miteinander treiben. Sie würde ihn loben, und sie würde ihn auffordern, nicht aufzuhören.

Er ist Zweiunddreißig, und das Geräusch der Maschine ließ ihn nicht mehr richtig schlafen. Er hatte Albträume. Er war eines der Päckchen, und seine Mutter war eines der Kissen. Mit einer unvorstellbaren Wucht schlägt sie auf ihn ein. Dann das nächste Kissen: Maren, seine große Liebe. Sie ließ sich Zeit, drückte ihn Stundenlang gegen die Oberfläche der Maschine. Dann das nächste Kissen: er sah sich. Sein Gegenüber grinste, schnellte auf ihn zu. Das nächste Kissen: er sah nichts. Nur noch Dunkelheit. Er weinte, konnte nicht schreien. Und das Kissen schnellte nach unten, und erdrückte ihn schlussendlich. Aber da war er schon längst wieder wach. Schweißgebadet sitzt er im Bett.

Zweiunddreißig war kein Alter, und er hatte dennoch gehofft, es würde langsam zu Ende gehen. Lieber schnell als Langsam.
Doch dann lernte er eine junge, wunderschöne Frau kennen. Sie war blond. Er bevorzugte diese Haarfarbe nicht, aber bisher waren fast alle Frauen, in die er sich unsterblich verliebt hatte, Blond. Er mochte sie, aber er konnte sie nicht ansprechen. Er wollte nicht schon wieder dieselben Fehler machen, also ging er in einen Baumarkt, kaufte sich dort ein Seil, ging in einen Wald, abseits des Weges; legte sich das Seil um den Hals. Er kletterte auf einen Baum, umwickelte mit dem anderen Ende des Seils einen starken Ast. Er befand sich in gut fünf Metern Höhe. Wenn er springt, würde er erwürgt. Er wusste, dass er noch eine Weile zappeln würde. Seine Augen würden hervortreten. Sein Gesicht würde anlaufen. Seine Zunge würde aus dem Mundwinkel hängen. Aber wenn er aus fünf Metern Höhe springen würde, würde die Wucht, die erzeugt wird, wenn das Seil anspannt, ihm sicherlich das Genick brechen. So dachte er es sich zumindest.
Er stand auf dem Ast, das Seil um seinen Hals gewickelt. Er weinte. Sein Herz pumpte. Es hämmerte. Er schrie. Er schaute nach unten, aber er konnte nicht springen.
Er hat zu viel Angst.
Cash ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.11.2006, 20:17   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Hallo Cash,

Deine Geschichte gefällt mir richtig gut, habe ich mit sehr viel Interesse und Gefühl gelesen.
Psychologisch sehr feinfühlig, nicht einfach dahingeschrieben, sondern mit Kenntnis der Materie.

Der Wechsel zwischen der ersten und dritten Person zeigen auch einen psychologisch interessanten Aspekt. Der (eigentlich Ich-)Erzähler will oder braucht Abstand zu sich selbst. Vielleicht kann er vieles auch nur mit diesem Abstand erzählen, weil es ihn sonst überwältigen würde - das bin nicht ich, das ist jemand anderes, ich rede nicht über mich. Vielleicht will er nicht mehr er selbst sein, fühlt sich selbst entfremdet.

Schön, wie Anfang und Abschluss zueinander passen. Überhaupt ist der Abschluss gut geworden - ich fürchtete erst ein Happy End, dann fürchtete ich den obligatorischen und abgedroschenen Selbstmord, aber er wurde nicht und das ist auch sehr gut so.

Ebenso "schön" ist der Traum - er verrät wahrscheinlich viel mehr, als das meiste andere in dem Text.

Zitat:
Er legte sich auf seine Couch (Schrägstrich) Bett.
War das ein Versehen oder willst Du eine Meinung von uns? Ich bevorzuge das Bett.

Stachelgrüße vom Forenigel
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.11.2006, 20:17   #3
Schattenwolf
 
Dabei seit: 09/2006
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Einen genauen Sinn kann ich in diesem text nicht erkennen, aber es ist gut beschrieben. Die Lebensgeschichte(oder etwas in der Art) von einem Menschen, interessant ist diese Betrachtungsweise allemal.

Mich würde interessieren, was du mit diesem Text willst, oder ob du ihn nur geschrieben hast um etwas zu verarbeiten, weil du den Drang dazu hattest oder sonstwas.
Schattenwolf ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.11.2006, 20:24   #4
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Vielleicht darf ich einen von mir interpretierten Sinn einwerfen?

Diese Geschichte zeigt das immerwährende Scheitern eines Menschen - sie kann dabei einiges Lehren.
Sie kann unsere Empathie für derlei Menschen stärken, sie kann die Augen für derlei stille Schicksale öffnen, kann psychologische Aspekte vermitteln.

Nicht zu vergessen, dass das Lesen Spaß gemacht hat - natürlich nicht in dem Sinne, dass ich belustigt war, sondern einfach, dass sie gut geschrieben und interessant dazu ist. Braucht es mehr Sinn?
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.11.2006, 19:19   #5
Schattenwolf
 
Dabei seit: 09/2006
Beiträge: 62


Nein, danke für deine Interpretation, ich hoffe du hast das jetzt nicht so aufgenommen, dass ich nicht interpretieren könnte, ich wollte lediglich wissen ob es einen festgeschriebenen Sinn der Geschichte gibt oder ob sie interpretatorisch freigegeben ist.
Schattenwolf ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.11.2006, 19:34   #6
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Ich hab es nicht so aufgenommen, wollte mich nur dazu äußern. Schade eigentlich, dass der Autor sich nicht meldet. Hätte mich doch auch mal interessiert, wie er selbst darüber denkt.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
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