Ich sag nichts mehr

[Ilka-Maria]

Ich weiß nicht, wie ich's sagen soll,
der Index bläht sich endlos auf,
was ich auch wähle, bringt mir Groll
und haut mir auf mein Mundwerk drauf.

Am besten stelle ich mich stumm
und halt mein Denken schlicht zurück,
befindet man mich auch für dumm
wie ein debiles Gruselstück.

Ich reflektiere still für mich
das jeweils unerlaubte Wort,
denn jedes lebt altväterlich
in meinem Geiste weiter fort.

Ich sag's nicht mehr, ich denk es nur
und fühle an Gewissensnot
dabei nicht die geringste Spur.
Zum Teufel mit dem Wortverbot!

14.02.2024

[DieSilbermöwe]

Hallo Ilka,

das trifft des Pudels Kern. Heutzutage kann man einfach nicht mehr viel sagen. Ich habe es mir auch schon abgewöhnt und mache es genauso:

. Ich sag's nicht mehr, ich denk es nur
und fühle an Gewissensnot
dabei nicht die geringste Spur.
Zum Teufel mit dem Wortverbot!

LG DieSilbermöwe

[Ilka-Maria]

Zitat von DieSilbermöwe

Ich habe es mir auch schon abgewöhnt ...

Guten Morgen, Silbermöwe,

wie Volker Pispers einmal bei einem Auftritt sagte: "Wir sagen das N-Wort nicht mehr, wir denken es nur noch." Dabei ist die Debatte schon viel älter und nur unnötig aufgewärmter Brei, denn längst war man zu anderen Begriffen übergegangen. Aber dann wurden auch diese gewägt und für unpassend befunden. Kann man darüber streiten, aber klassische Literatur jetzt zu klittern geht mir zu weit.

Der gute alte George Orwell lässt größen.

Wir politisch korrektgestutzten Menschen sind leichter zu halten als die Hühner auf den Geflügelfarmen, denen man die Schnäbel stutzt, das Gackern aber nicht verbieten kann. Uns schon.

Liebe Grüße und einen schönen Tag,
Ilka

[DieSilbermöwe]

Danke, dir auch einen schönen Tag!

Kann man darüber streiten, aber klassische Literatur jetzt zu klittern geht mir zu weit.

Ja, mir auch.

LG DieSilbermöwe

[Eisenvorhang]

Zitat von Ilka-Maria

Wir politisch korrektgestutzten Menschen sind leichter zu halten als die Hühner auf den Geflügelfarmen, denen man die Schnäbel stutzt, das Gackern aber nicht verbieten kann. Uns schon.

Mit Wortzensuren komme ich ja gerade noch so klar, Ilka. Das Zensurgewebe breitet sich aber wie Schleim aus. Es scheint ja zunehmend der Drang zu bestehen, sich entweder in Schwarz oder Weiß bekennen zu müssen.

Findet man, schwer kriminelle Ausländer gehören weggesperrt, bist du rechts.
Findet man, gewaltätige Frauen gehören weggesperrt, bist du ein Frauenhasser.
Findet man, Legalisierung der Drogen, um den Schwarzmarkt besser kontrollieren zu können, bist du militant linksversifft.
Findet man, Reformierung des Bildungssystems durch Reduzierung des Volumens der Anzahl der Teilnehmer in Klassenräumen, bist du ein Aluhut und Bildungsverweigerer.
Findet man, Aufstockung der Krankenkassen und SoZi-Hilfe, ohne den Arbeitnehmer zu bestrafen, bist du ein Parasitärbefürwörter

Das sind jetzt an den Haaren herbeigezogene Beispiele, aber du verstehst sicherlich, was ich meine.
Ich bin ja selbst ein großer Fan von Pispers und bei seinem Lebenslauf frage ich mich, warum er schlagartig mit seinem Programm aufgehört hat? Wurde er gegangen?
Im Universum rächt sich alles, denn im Moment durchlebt Pispers internationalen Ruhm auf Youtube. Denn Amerikaner wurden auf Pispers aufmerksam und das macht jetzt natürlich die Runde, hier ein Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=mx_PrTyxTyg
https://www.youtube.com/watch?v=n_V_rt9Oj9I

lg EV

[Ilka-Maria]

Zitat von Eisenvorhang

Im Universum rächt sich alles, denn im Moment durchlebt Pispers internationalen Ruhm auf Youtube. Denn Amerikaner wurden auf Pispers aufmerksam und das macht jetzt natürlich die Runde, hier ein Beispiele: ...

Das erste, kürzere Video habe ich mir angeschaut, Eisenvorhang. Das andere muss warten, es ist viel länger, und ich habe jetzt erst anderes zu tun.

Pispers war wohl der erste Kabarettist, der das Handtuch geworfen hat. Die Gründe wurden nie genau bekannt, aber man kann sie vermuten. Mittlerweile geht es Dieter Nuhr nicht anders, der es immerhin fertigbekommt, wenigstens in eine trotzige "Ich-mache-trotzdem-weiter"-Haltung bei seinem Stil zu bleiben, nur dass er jetzt noch ironischer und sarkastischer ist als früher. Sumuncu hat bei Radio Eins aufgehört, weil er die Anfeindungen, die ihn mit der Zeit zu viel Energie gekostet hatten, satt bekam. Und wie auf die geniale Lisa Eckhart eingedroschen worden ist, hat wohl jeder mitbekommen. Ich bin froh, dass sie hart im nehmen ist. Harald Schmidt gibt offen zu, dass er seine Sendungen nicht mehr so wie früher machen könnte, ohne geteert und gefedert zu werden.

Lediglich Florian Schröder bleibt gelassen und wischt sich Anfeindungen mit einem "so what" von den Schultern. Trotzdem frage ich mich, wohin diese Überempfindlichkeiten des Publikums führen soll. Die epidemische Krankheit in Deutschland heißt nicht mehr "Covid", sondern ist ein Konglomerat aus Gereiztheit, Empörung und Moralisierung.

[Eisenvorhang]

In den Kommentaren ist ein Vermerk zu finden, der aussagt, Pispers habe aufgehört, weil er keine positiven Veränderungen in Deutschland vorfand, sondern zunehmend schlechte.

Ob das wahr ist oder nicht, weiß ich nicht. Mir fehlt sein hochintelligentes Wirken. Schon lustig (nicht): Was bei uns in der Politik sitzt und wie intelligente Satire resigniert.

Verdrehte Welt, Ilka.

lg EV

[Ilka-Maria]

Zitat von Eisenvorhang

Ob das wahr ist oder nicht, weiß ich nicht. Mir fehlt sein hochintelligentes Wirken. Schon lustig (nicht): Was bei uns in der Politik sitzt und wie intelligente Satire resigniert.

Der Humor kommt großen Teilen der Bevölkerung und auch den politisch Verantwortlichen abhanden, Eisenvorhang. Sie akzeptieren nicht mehr, was Satire leisten soll (und muss). Pispers hat einen scharfen Verstand, aber es muss klar sein, dass er erstens zuspitzt und seinen eigenen Bogen in puncto politische Zusammenhänge spannt und dass er zweitens nicht immer mit allem recht haben muss. In letzterem liegt das Problem, denn es ist nicht die Pflicht eines Meinungträgers, seine Sicht auf die Dinge wissenschaftlich zu beweisen. Dafür sind andere Leute da, aber selbst die sind sich selten einig.

Nun könnte man einwenden: Jaaa, aber die Satiriker, Kabarettisten und Witzbolde werden persönlich, und das kränkt die Menschen, auf die sie ihre Pfeile abschießen. Stimmt. Wer aber ein öffentliches Amt bekleidet, muss sich darüber bewusst sein, dass er oder sie an der Leistung gemessen wird, wie dieses Amt bedient wird. Dann kommt die Sache auf den Tisch, sowohl bissig in den Bundestagsdebatten wie auch schonungslos in den Leitartikeln der Tageszeitungen und letztendlich auch auf der Bühne der Satiriker. Das geht auch Menschen in anderen Berufen so. Aber im Gegensatz zu - beispielsweise - Schauspielern oder Buchautoren, deren Existenz mit einem einzigen Skandal (begründbar oder erfunden) vernichtet werden kann, fallen Politiker immer wieder auf die Füße und ergattern im "schlimmsten" Fall einen Aufsichtsratsposten oder eine Partnerposition in einer Anwaltskanzlei. Lebbe gäät weider!

Es kann nicht sein, dass der Mensch auf der Bühne, auf der Straße oder am Stammtisch mundtot gemacht wird, mag sein Weltbild auch noch so einfach gestrickt sein. Jede Meinung beruht auf Sozialisation, Lebenserfahrung und das Einordnen in die eigenen Schubladen. Kein Mensch ist frei von Beeinflussung und Vorurteilen, denn wenn er alles wissen müsste, was ihn davon freihielte, würde er verrückt. Es kann nicht sein, dass Familien sich spalten und Freundschaften zerbrechen, weil niemand mehr die Meinung des anderen ertragen kann und dem falschen Idealismus erliegt, es dürfe keinen Streit geben. Es kann nicht sein, dass Menschen, die diese traurigen Erfahrungen gemacht haben, immer mehr verstummen. Das macht die Demokratie auf Dauer kaputt, denn sie lebt von unterschiedlichen Meinungen und vom Streiten.

Rainer Mausfeld - ich glaube, er ist Psychologe, der sein Metier jedoch in einen gesellschaftlich-politischen Kontext stellt - hat in mehreren Vorträgen darüber gesprochen, dass der "Debattenraum" quasi nicht mehr existiert, und er hat die Frage gestellt: "Warum schweigen die Lämmer?" Seine Vorträge sind auf youtube abrufbar.

So, jetzt habe ich wieder einmal einen Sermon abgesetzt. Schlusspunkt!

Leute, streitet! Nur in Diktaturen gibt es keinen Streit, weil nur einer recht hat.