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Alt 06.04.2018, 10:48   #1
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Standard Die Schöpfung

Es war einmal ein einsames Wesen, das außer sich selbst und seiner kindlichen Naivität nichts besaß. Um nicht untätig zu sein, entwickelte es Phantasien und einen unbändigen Spieltrieb. Aus dieser Kraft schuf sich das Wesen allmählich eine Welt ganz nach seinen Bedürfnissen. Es erfand Pflanzen und Tiere, und damit sie wuchsen und weideten, wie das Wesen es wollte, statt sich nach Belieben auszubreiten, errichtete es um sie einen Zaun und nannte den Ort einen Garten. Die Pforte verschloss es mit einer undurchdringlichen Feuersäule.

Doch damit war das Wesen noch nicht zufrieden. Es verlangte nach einem Meisterwerk, nach der Krone der Schöpfung. Also kreierte es zwei Menschen, einen Mann und eine Frau, und nannte sich selbst von da an „Vater“. Jetzt erst machte ihm das Spielen richtig Spaß.

Die Menschen lebten sorglos in dem Garten, ernährten sich von den Früchten der Bäume und Sträucher und spielten mit den Tieren, denen jegliche Wildheit fremd war. Doch als alle Spiele gespielt waren, begann den Menschen das Leben im Garten langweilig zu werden. Und als sie von allen Früchten gegessen hatten, mundeten sie ihnen nicht mehr.

Da pflückte die Frau von einem Baum, der allein dem Vater gehörte und den Menschen verboten war, und sie gab dem Mann davon zu essen. Es war ein Apfelbaum, und seine Früchte schmeckten köstlich. Da nichts geschah, dachten die Menschen, der Vater habe die Missachtung seines Verbotes nicht bemerkt.

Es verging eine geraume Zeit, da begann der Mann, mit einem scharfen Stein Äste von einem Baum zu schlagen. Was er da tue, wollte die Frau wissen. Er forme aus dem Holz eine Schleuder, einen Bogen, ein paar Pfeile und einen Speer, gab der Mann zur Antwort. Trotz des köstlichen Apfels habe er die Früchte satt und wolle Tiere jagen, um ihr Fleisch zu essen.

Das hörten die Tiere und begannen zu rebellieren. Sie wurden wild und spielten nicht mehr mit den Menschen, weil sie ihnen misstrauten. Der Vater erkannte die Not der Tiere und sprach bekümmert zu den Menschen: „Was habt ihr getan! Ihr habt ein glückliches Leben, warum übertretet ihr meine Gebote und zerstört den Garten?“

Der Mann sprach: „Ich bin nicht glücklich. Ich will selbst ein Schöpfer sein. Dies hier ist nicht die Welt, und du bist nichts weiter als ein schlechter Zauberer.“

Und die Frau sprach: „Ich bin nicht glücklich, denn ich will frei sein und Kinder gebären.“

Und beide zusammen sprachen: „Sieh her, du selbstsüchtiger Gaukler: Deine Flammensäule ist nichts als eine deiner vielen Spielereien!“

Er nahm seine Waffen und schritt ohne Harm durch das Feuer, das keins war, und die Frau folgte ihm.

Sie jagten das Wild, bewirtschafteten den Acker und das Feld, legten ihren eigenen Garten mit Apfelbäumen an und gebaren Kinder.

Das Wesen, das sich Vater nennt, grübelt seither, was es einst falsch gemacht hatte, doch je mehr es grübelt, umso weiter entfernt es sich von der Antwort.

06.04.2018
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