Glockenschlag bei Poetry.de

Ex-Lichtsohn · 27.04.2016, 11:31

Glockenschlag

Nun sind die Stunden ausgezählt.
So würdevoll blickt er aufs Meer.
Er hat sein Schicksal selbst gewählt,
bald wiegt es nicht mehr schwer.

Die Suche selbst, sie war das Ziel.
Das letzte Glück, er hat es eingefangen,
war auch der letzte Weg gegangen:
er zog Gewinn aus diesem Spiel.

Des Knaben Augen, lieblich warm,
so frech und doch so scheu sein Blick.
Jetzt gab es für sie beide kein Zurück.
Nun schieden sie umschlungen, Arm in Arm.

Die Luft war stickig, rauchig schwer,
und der Gestank fraß tief sich in den Leib.
Die Ratten liefen eifrig hin und her,
im Hafenbecken trieben Mann und Weib.

Sanft strich er über weiche, junge Hände,
die Traurigkeit, sie hatte ihn entbunden.
Jetzt hatte ihn die Liebe doch gefunden.
San Marcos Glocke schlug. Es war zu Ende.

(frei nach einer Novelle von Thomas Mann)

27.04.2016, 11:31	#1
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