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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 13.11.2011, 19:03   #1
männlich Schmuddelkind
 
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Standard Illegal

Die Lerche und der Rasenmäher
summen beinah' kongenial.
Da entdeckt ein Frühaufsteher
aufmerksam und mit Erschrecken:
"Da sind Menschen illegal!"
und schneidet weiter seine Hecken.

Wer sagt jetzt wohl dem Staat bescheid?
Faschistoide Soziopathen
mit Einfamilien-Haus und Garten
erklären sich dazu bereit.

Die Sirenen immer schriller,
blaue Lichter immer greller.
"Da unten sind sie" sagt Herr Stiller
"Holt sie raus!" durchfährt's Herrn Lensch.
Sie finden einen Mann im Keller:
"Bin nicht illegal, ich bin ein Mensch!"

Dies sind seine letzten Worte.
Die Lerche schweigt im gold'nen Schimmer.
Er erschießt sich gleich am Orte.
Der Rasenmäher summt noch immer.
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Alt 13.11.2011, 21:23   #2
männlich Kurier
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Die Überschrift lässt aufhorchen, doch dann:
Ein Rasenmäher (in erster und letzter Zeile erwähnt) summt, ohne jeglichen weiteren Bezug.
Ein Frühaufsteher schneidet unbeeindruckt seine Hecken, macht sich aber Gedanken, wer dem Staat Bescheid sagt.
Ein Einbrecher wird im Keller eines Einfamilienhauses entdeckt, erklärt, er sei kein Illegaler sonder ein Mensch, und - erschießt sich.
Warum? – Keine Erklärung.
Herr Stiller und Herr Lensch müssen des Reimes wegen herhalten (so etwas ist bei humorvollen Texten durchaus üblich).
Wer findet den Mann im Keller?
Der Text wirft Fragen auf.
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Alt 14.11.2011, 12:55   #3
männlich Schmuddelkind
 
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Huch, wo soll ich denn da anfangen?

Zunächst danke, dass du so aufrichtig kommentierst! Dann möchte ich sagen, ich habe zwar schon geahnt, dass nicht alle Bezüge klar sein werden (das soll auch n bisschen ein Text zum Rätseln sein), aber dass so viele Fragezeichen zurückbleiben, hätte ich nicht erwartet. Als Autor schreibt man ja immer in einem Bezugsuniversum, das einem selbst vollkommen sinnig erscheint, worauf aber der Leser nie voll umfänglich zugreifen kann. Insofern würde ich es an dieser Stelle als mein Versäumnis ausweisen, dass ich diese Lücke zwischen meinem Bezugsuniversum und dem des Lesers sprachlich nicht besser schließen konnte. Also versuche ich das jetzt, auch wenn ich dadurch mehr Interpretation preisgeben muss, als mir lieb ist.

Der Rasenmäher steht (neben anderen genannten Symbolen) für die künstliche Konstruktion einer spießbürgerlichen Idylle. Ich habe versucht, diese Idylle so zu zeichnen, dass der Spießbürger eifersüchtig darauf wacht und keine fremden Dinge darin zulässt. Man möchte schließlich seine Idylle so haben, wie man sie konstruiert hat, mit sauber getrimmten Rasen und glatt geschnittenen Hecken und "sauberen" Menschen, die in das Bild passen. Daher die seltsamen Reaktionen, als der illegale Einwanderer (wie kommst du auf Einbrecher? der Bezug war doch wirklich sehr explizit) entdeckt wird. Statt mit dem Menschen in den Dialog zu kommen, ihn nach seiner Lage und seinen Motiven zu fragen, wird er lediglich im Kontext der Fremdheit wahrgenommen. Diese Fremdheit stellt eine Störung des Idylls dar, dem man entweder durch Ignorieren, so weit dies möglich ist ausweicht (der Mann, der weiterhin seine Hecken schneidet) oder auf die effektivste Beseitigungsmethode zurückgreift (bezeichnend ist, dass derjenige, der die Polizei ruft ungenannt bleibt).

Diese Reaktion wird dem illegalen Einwanderer zum Verhängnis, als die Polizei (dass es sich bei "Sie" um die Polizei handelt, habe ich versucht durch die 8 vorherigen Verse anzukündigen) den Keller durchsucht, in welchem er Zuflucht fand. Wir wissen zwar nichts Genaues über die Umstände seiner Flucht oder seine Herkunft. Klar aber ist, dass er über seine Lage so verzweifelt ist, dass er (offensichtlich sehr gut vorbereitet und wohlüberlegt) den Freitod wählt. Dieser Umstand verweist auch auf Artikel 16a GG, der ein Einknicken des Rechtsstaates vor rechtsextrimistischen Bedrohungen darstellt und für mich daher ebenfalls ein Ausdruck spießbürgerlicher Gesinnung ist. Er ist entstanden aus der Furcht, die konstruierte Idylle, in der man sich einzäunt könnte von allzu realen Gefahren gestört werden. Also schließt man sich weiter ein, ohne das Schicksal Dritter zu bedenken. Nun steht aber genau so ein Narr des Schicksals im Keller und ruft das aus, was selbstverständlich erscheint, aber den kleinbürgerlichen Paradiesfanatikern ganz offensichtlich nicht in den Sinn kommt: "Bin nicht illegal, ich bin ein Mensch!"

Dass Namen des Reimes wegen herhalten müssen, ist natürlich etwas unelegant und bei Herrn Lensch muss ich dir da auch recht geben, auch wenn ich es so empfinde, dass dies ein sehr passender Name für so einen konservativen Spießbürger ist (aber das soll nichts entschuldigen). Herr Stiller allerdings ist angelehnt an eine Figur von Max Frisch. Mehr möchte ich dazu allerdings nicht verraten.

So, ich hoffe, ich konnte den Text etwas erhellen, auch wenn es mir etwas peinlich ist, dass er offensichtlich so undurchsichtig war.

LG
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Alt 14.11.2011, 20:12   #4
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Hi Schmuddelkind,
vorweg: Die Gesetzgebung ist klar: GG Artikel 16a: Politische Verfolgte genießen Asylrecht.
Du versucht mit deinem Gedicht, angeblich aufgeklärt, frei und absolut integer ein Bild über spießbürgerliches Verhalten schlechthin und besonders gegenüber einem Illegalen aufzuzeigen.
Du gehst mir aber nicht nur etwas zu leichtsinnig mit der Bezeichnung „Spießbürger“ um, sondern stellst auch noch das allgemein verbindliche Sozialverhalten (Eigentum verpflichtet! Grenzen, Sauberkeit, Einhalten von Geboten und Beachten von Verboten) als spießbürgerlich so dar, als sei das Verhalten der Herren Stiller und Lensch verwerflich.
Wer in ein befriedetes Gebäude –in einen Raum- eindringt, (der Illegale befand sich im Keller eines Einfamilienhauses) ist ein Eindringling, ein Einbrecher.
Du versuchst dich in der Überlegenheit des Moralischen, Normalität als ethisch verwerflich hinzustellen, doch dein Verhalten ist genau dies.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin nur auf deine (antwortend) ausführliche Erklärung eingegangen.
HG Dieter
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Alt 15.11.2011, 09:49   #5
männlich Schmuddelkind
 
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Hallo Dieter,

vorweg: Ich habe auf deine sachliche, den Text betreffende Kritik sachlich und freundlich geantwortet. Ich verstehe nicht, warum du jetzt so eine Schärfe in die Diskussion bringen musst. Mir wäre sehr daran gelegen, die Diskussion (und ich bin sehr an einer sachlichen Diskussion interessiert, weil ich deine Ansichten ehrbar finde und von jeder abweichenden Meinung lernen möchte) ruhig und locker zu halten. In einer aufgebrachten Athmosphäre überwiegen doch immer die Missverständnisse, so zumindest meine Erfahrung.

Zitat:
Die Gesetzgebung ist klar: GG Artikel 16a: Politische Verfolgte genießen Asylrecht.
Das stand da früher mal. Heute ist dies nur noch der erste Absatz des Artikels.

Zitat:
Du gehst mir aber nicht nur etwas zu leichtsinnig mit der Bezeichnung „Spießbürger“ um, sondern stellst auch noch das allgemein verbindliche Sozialverhalten (Eigentum verpflichtet! Grenzen, Sauberkeit, Einhalten von Geboten und Beachten von Verboten) als spießbürgerlich so dar, als sei das Verhalten der Herren Stiller und Lensch verwerflich.
Ich stelle nicht das allgemein "verbindliche" Sozialverhalten als spießbürgerlich dar. Ich habe ja nicht behauptet oder zumindest nicht zu behaupten beabsichtigt, dass Ordnungssinn und Sauberkeit per se spießbürgerlich sind. Mir sind diese Werte sehr wichtig. Mir geht es um die Grundhaltung, dass man die Augen vor dem Schicksal anderer Menschen verschließt und sich daher eine künstliche Idylle schafft. Wenn dir der Begriff "Spießbürger" in diesem Zusammenhang nicht zusagt, dann nenne es gerne, wie du willst. Diese Grundhaltung jedenfalls wollte ich hinterfragen und das ist gar nicht so revolutionär, wie du es wahrnimmst, sondern entspricht einfach dem christlichen Ideal der Nächstenliebe.

Zitat:
Wer in ein befriedetes Gebäude –in einen Raum- eindringt, (der Illegale befand sich im Keller eines Einfamilienhauses) ist ein Eindringling, ein Einbrecher.
Genau dies hat der "Illegale" aber nicht getan. Ihm wurde, wie bereits ausgeführt, privat Asyl angeboten. Daran siehst du auch, dass meine Kritik keine Milieue-Kritik und jedenfalls nicht pauschalisierend ist.

Zitat:
Du versuchst dich in der Überlegenheit des Moralischen, Normalität als ethisch verwerflich hinzustellen, doch dein Verhalten ist genau dies.
Ich halte "Normalität" nicht für ethisch verwerflich, aber eine ethische Betrachtung darf nicht vor der Normalität halt machen. Ich erachte viele Traditionen und althergebrachte Werte für absolut unabdingbar; ich schätze, ich bin sehr viel konservativer als du es für möglich hältst. Aber wenn etwas mit den Grundsätzen der Vernunft oder der Nächstenliebe meiner Meinung nach nicht vereinbar ist, dann äußere ich das, selbst wenn es als "normal" gilt. Nächstenliebe bedeutet nämlich, sich des Schicksals eines Menschen, das einem unmittelbar entgegentritt, anzunehmen und zumindest mit ihm in Dialog zu treten. Wenn man es danach immer noch für richtig befindet, kann man dann ja immer noch die Polizei anrufen. Das Herbeirufen der Staatsmacht kritisiere ich ja nicht. Ich denke nur, es ist vernünftiger, sich den Standpunkt des Betreffenden erst anzuhören. Ich betrachte mich auch nicht als moralisch überlegen; ich möchte nur einen Gedanken zu einem Problem einbringen, das mich beschäftigt. Was sonst sollte man denn in der Rubrik "Zeitgeschehen und Gesellschaft" erwarten? Dann kann man ja, wie wir es eben tun, darüber diskutieren und ich schätze jede abweichende Meinung als ebenso wichtig.

LG
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Alt 15.11.2011, 10:47   #6
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Hi Schmuddelkind,
du hast dir viel Mühe gegeben und umfangreich/ detailliert dein Gedankenbild rübergebracht. Das erkenne ich vorbehaltlos an, doch zur Übereinstimmung mit deiner Meinung wäre von mir eine riesige tragfähige Brücke zu bauen, und, da ich kein Ingenieur bin, muss ich passen.
Warum? Wir haben wohl zu verschiedene, das Thema betreffende Erfahrungen und artikulieren nur demgemäß; auf Einzelheiten möchte ich nicht weiter eingehen.
HG Dieter
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Alt 15.11.2011, 11:25   #7
männlich Schmuddelkind
 
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Das akzeptiere ich voll und ganz.

Ich hatte auch nicht die Absicht, Übereinstimmung in den Meinungen zu erzeugen. Ich finde den Konflikt zwischen verschiedenen Grundhaltungen stets interessant und oft lehrreich. Diesen Konflikt wollte ich respektvoll und sachlich austragen.

Bin jedenfalls froh, dass du wieder zu einem friedlicheren Ton zurückgekehrt bist und akzeptiere, dass unser Konflikt ungelöst bleibt.

Bis demnächst, lG
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