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Tanka-, Haiku- & Senryu-Gedichte Ursprünglich japanische Gedichtformen mit wachsender Beliebtheit.

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Alt 29.12.2013, 13:32   #1
weiblich obsidere
 
Dabei seit: 12/2013
Beiträge: 39

Standard Blickwechsel

Blickwechsel


Frühlingsregen fällt
Regenbogen spiegelt sanft
leere Farbenpracht

Sommersonne scheint
Lichtstrahlen tanzen freudig
im einsamen Takt

Herbstlauer Wind raunt
Laubgebilde tragen sacht
trübes Trauerkleid

Winterdecke formt
Schneekristalle glänzen klar
im eisigen Tod

---

Frühlingsregen fällt
Regenbogen spiegelt sanft
bunte Farbenpracht

Sommersonne scheint
Lichtstrahlen tanzen freudig
im zweisamen Takt

Herbstlauer Wind raunt
Laubgebilde tragen sacht
altes Trauerkleid

Winterdecke formt
Schneekristalle glänzen klar
im friedlichen Tod
obsidere ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.12.2013, 14:11   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Hallo, obsidere -

die Gegenüberstellung ist reizvoll.
Hie düster - da froh.

Zitat:
Herbstlauer Wind raunt
Laubgebilde tragen sacht
altes Trauerkleid
ist das tragen im Sinne von Transportieren gemeint?
Nein.
Dann kommt mir das sacht etwas daneben vor. Kann ich ein Kleid sacht tragen? Vielleicht, indem ich es so vorsichtig trage, daß es nicht mit Äußerem in Berührung kommt? Ich sinniere noch darüber nach.
Und warum "altes" Trauerkleid? Ist es nicht jährlich ein neues Trauerkleid?
Und warum nicht ein braunes?

Noch etwas zur Gegenüberstellung:

Warum oben das Düstere, Dunkle, Tiefe?
Warum nicht das Heitere, Leuchtende, fast Stahlende?
Auch da mache ich mir Gedanken.

Gern gelesen!

Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.12.2013, 16:55   #3
weiblich obsidere
 
Dabei seit: 12/2013
Beiträge: 39

Hallo Thing,

Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
ist das tragen im Sinne von Transportieren gemeint?
transportieren sollten die Zeilen ein sachtes Mitnehmen
Ich bin mit diesem Vers aber auch nicht 100 %ig zufrieden und hatte bereits befürchtet, dass Gefühl und Intention nicht ausreichend vermittelt werden. Deine Nachfrage bestätigt mich darin.

Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Und warum "altes" Trauerkleid? Ist es nicht jährlich ein neues Trauerkleid?
Es ging mir um eine Altlast, die abgeworfen, respektive losgelassen wird. Wiederkehren wird das Trauerkleid vermutlich sehr wohl; kein Frühling ist von Dauer.

Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Und warum nicht ein braunes?
Erübrigt sich, nehme ich an.

Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Noch etwas zur Gegenüberstellung:

Warum oben das Düstere, Dunkle, Tiefe?
Warum nicht das Heitere, Leuchtende, fast Stahlende?
Auch da mache ich mir Gedanken.

Gern gelesen!
Deine Eindrücke und geäußerten Gedanken erfreuen mich an dieser Stelle sehr!

Zunächst folgt die Reihung einer zeitlichen Abfolge; nämlich derer der Entstehung.
Die Stimmung war gedrückt und düster. Erlebtes sackte erst nach einiger Zeit, wodurch das Leben im Folgenden wieder anders wahrgenommen wurde.
Der Übergang von „eisigen Tod“ und „Frühlingsregen“ als „Reinwaschung“ bis hin zum „friedlichen Tod“ als Abschluss im Sinne von „seinen Frieden schließen“, komplementierte den Entschluss, die Gegenüberstellung auch in dieser Konstellation zu belassen.

Hab recht herzlichen Dank für deine Auseinandersetzung mit Wort und Inhalt!

Liebe Grüße
obsidere
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Alt 29.12.2013, 19:24   #4
männlich kinbote
 
Dabei seit: 12/2013
Ort: Bayern
Alter: 51
Beiträge: 11

hi, obsidere!
Auch ein großes Kompliment von mir. Schöne Intention. Ich habe die Gegenüberstellung anders gelesen, als von dir beabsichtigt, schätze ich. Links oben ist für mich das blinde Erleben eines von der Welt getrennten, rechts unten dann die Veränderung des Blicks, ein beginnendes Sehen.
kinbote ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2013, 06:53   #5
weiblich obsidere
 
Dabei seit: 12/2013
Beiträge: 39

Hallo kinbote,

ein wirklich interessanter Blickwinkel! Bin gerade etwas fasziniert davon, was durch meine eigentliche Intention durchschimmert.

Lieben Dank für diese Sicht und das Kompliment

Grüße
obsidere
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Alt 04.01.2014, 23:04   #6
männlich Walter
 
Benutzerbild von Walter
 
Dabei seit: 02/2012
Ort: Ludwigshafen am Rhein
Beiträge: 905

Hallo obsidere,

eine wunderbare kontradiktorische Gegenüberstellung von jeweils zwei Beschreibungen der Jahreszeiten Frühling, Sommer und Winter.

Frühling: leer > bunt
Sommer: einsam > zweisam
Winter: eisig > friedlich

Im Herbst dagegen liegt diese Gegensätzlichkeit dagegen nicht mehr vor.
Wenn dem so wäre, müsste es heißen:

Herbst: trübes Trauerkleid > bunt-farbenes Kleid

Das mindert den Wert dieser Dichtung keineswegs. Mein Vorschlag "bunt-farbenes Kleid" ist nur ein anderer Vorschlag, bei dem es keinen "Ausscherer" geben würde: ein "bunt-farbenes Kleid" ist typisch für ein angenehmes Herbstbild.

Was macht die Autorin aber:

trübes Trauerkleid > altes Trauerkleid
Sie macht aus dem trüben Trauerkleid ein altes Trauerkleid.
Vielleicht aber steckt gerade in dem alten Trauerkleid die Tendenz zur Ablage und zur Hinwendung zu Neuem...

Das Gedicht stellt dem Leser indirekt zugleich die Aufgabe, den Inhalt desselben nicht zu "überfliegen", sondern gründlichst zu durchdenken.
Denn nach dem ersten Lesen erkennt man meistens nur die beiden diagonal-gegenüberliegenden Gedichte, die sich fast wie ein Windrad um die Mittelachse ( - - - ) zirkulieren....

Wir Leser drehen uns mit!

Ein tolles Gedicht - ohne Übertreibung!

Liebe Grüße
Walter
Walter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.01.2014, 11:38   #7
männlich krato
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2013
Beiträge: 39

Ich nehme an, dass sollen zwei Ketten von Haiku sein, oder?

Zitat:
Sommersonne scheint
Lichtstrahlen tanzen freudig
im einsamen Takt
Ich habe mal gelernt, dass Haiku eben nicht interpretiert oder kommentiert, sondern nur von außen die Dinge schildert. Den Rest muss der Leser machen. Natürlich gibt es künstlerische Freiheit allerorten, aber es gibt auch eine Anleitung wie man Haiku ruiniert. Und zwischen diesen beiden Polen sollte man versuchen seinen Platz zu finden. Von daher bin ich nicht so begeistert von dem Text wie die übrigen Nutzer, obwohl die Grundidee eine gute ist.
krato ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.01.2014, 07:48   #8
weiblich obsidere
 
Dabei seit: 12/2013
Beiträge: 39

Guten Morgen, Walter.

Nun trägt die Autorin ein bunt-farbenes Kleid von strahlendem Grün und freudigem Rosa

Deine Gedanken führen treffend zu meinem Ausgangspunkt und ich danke herzlich für deine umfangreiche und eingehende Begutachtung!

Liebe Grüße
obsidere
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Alt 06.01.2014, 07:54   #9
weiblich obsidere
 
Dabei seit: 12/2013
Beiträge: 39

Hallo krato,

es ist offensichtlich, dass es sich hierbei um kein klassisches Haiku handelt. Der von dir angesprochenen künstlerischen Freiheit pflichte ich samt eigenem Platz bei.
Ruiniert habe ich „Blickwechsel“ sicherlich nicht. Man kann schwerlich etwas selbst als ruiniert betrachten, wenn es mit dem eigenen Anspruch konform geht.
Ich nehme deine Kritik daher unter dem Aspekt „misslungen in der Ausführung“ an und danke für die Rückmeldung.

Grüße
obsidere
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