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Alt 17.10.2011, 11:57   #1
männlich Neny
 
Dabei seit: 10/2009
Ort: Lancre
Alter: 37
Beiträge: 96


Standard Die Aussichten eines Eingekreisten

Die Aussichten eines Eingekreisten

Im Einkaufscenter läuft eine rote Frau. Nicht einfach rot, sondern Rot. Rote Haare, ein signalroter Zweiteiler, rote Paillettenstiefelleten, die itze kleine (rote) Handtasche unter den Arm geklemmt. Ich wundere mich wie jemand alles nötige darin unterbringen kann. Die hastigen Schritte klacken gegen den Granitboden. Natürlich schallen mehrere hundert andere Schritte durch die Halle. Mein Gehör jedoch, wie ein Teleskop, fokussiert sich nur auf dieses eine Paar. Und so, für 24 ½ Sekunden, sehe und höre ich nur Rot.

Blinzeln. Meine Augen hatten begonnen zu brennen, entweder vom Starren oder der Rotflut. Der Kaffee in meinen Händen wandert zu meinen Lippen, als ich mich daran erinnere, dass ich ihn halte. Die schwarze Tiefe (6,35 cm) spiegelt meine normal grau-gemischt-mit-Ockerflecken-von-der-Ferne-grüne Augen in morbider weise wider. Ich starre zurück, bis das Bild unter meinen Schlucken zerbricht.

Meine Augen wenden sich ab von der Tassenuntiefe und fallen auf mein Gegenüber. Ich hatte mich über meine untergangsgestimmte Stimmung gewundert. Der Grund sitzt mir gegenüber und ich hatte ihn vergessen über das Rot. Er anscheinend nicht, leider.
„Hast du die Frau in Rot gesehen?“, ich verstehe mich darauf Großschreibung perfekt zu artikulieren.
„Nein.“ Sein Ton ist viel sagend, was beeindruckend ist, die Einsilbikeit bedenkend.
„Nun, sie war schwer zu übersehen, vielleicht solltest du beim Augenarzt vorbei schauen?“, unschuldig klingend, mit einer Note von Amüsiertheit.
Seine Augen, in Antwort, verengen sich zu Schlitzen. Ich verkneife mir eine Bemerkung über das Augenzusammenkneifen, als Symptom für etwaige Sehschwäche. Ein Finger beginnt rhythmisch auf unseren Tisch zu tippen. Im Stakkato.
Ich lasse mich faszinieren, als meine nicht mehr so tiefe Schwärze (3,45 cm) Wellen schlägt.

„Hör auf ständig abzulenken!“, kam mir entgegen, als ich seinen Geduldsfaden riss. Das Fwapgeräusch des Fadens vibrierte in der Schärfe seiner Worte wieder.
„Du brauchst Hilfe.“, diesmal klang er besorgt und zum ersten Mal, seit wir in dieses Café kamen, sehe ich ihm in die Augen. Sie waren schön und, würde ich das Wort nicht so ablehnen, perfekt. Kastanienbraun, das im richtigen Licht rot glimmt, mit Mahagoniintarsien. Ich schlucke meinen Seufzer hinunter zusammen mit den restlichen Zentimeter des Kaffees.
„Wofür?“, meine Stimme die perfekte Imitation von Unwissenheit. Hoffe ich.
„Wofür?! DU!“, sein Seufzer, dem Ausbruch folgend, verfliegt zwischen dem Rascheln des Nachbartisches, als der mittelätere Herr seine Zeitung neu organisiert, um nicht so zu erscheinen als würde er uns interessiert zuhören.
„Du weißt genau, was ich meine. Entweder du tust etwas oder..“, er unterbricht sich selbst für einen Moment. Seine Stirn fliegt durch 3 verschieden Faltenkombinationen gekoppelt mit einer Augenbrauenouvertüre.
„Ein Ultimatum.“, es war eine Feststellung meinerseits und sein bestimmter Blick bestätigend. Ich beginne mit dem Henkel meiner Tasse zu spielen, um mich abzulenken. Ich hab mich schon immer gerne abgelenkt, am liebsten von mir selbst.
Mein Blick wandert wieder über die Personen die am Café vorbei gehen oder hetzten und unbestimmt suche ich nach einem weiteren ganz unifarbenem Individuum. Vielleicht ein Greis in Grün oder ein Kind in Gelb.
„Du kannst nicht einmal mit mir darüber reden.“, diesmal stellte er fest und dies in ernüchtertem und müdem Ton.

Ich mag ihn, sehr. Mehr als mich selbst, jedoch ist dies kein Kunststück, für mich. Warum er sich die Mühe macht, ist mir schleierhaft, ebenso wieso er mich in erster Stelle festgehalten hat. Aber es scheint, dass sein Griff lockert und es bald zum loslassen kommt.
„Ich..“, ich kann nicht mehr sagen. Meine Augen folgen den Konturen eines mit Sicherheit fünfjährigen Ketchupflecks, während mein Hals Wie-erhänge-ich-mich-ohne-Seil spielt.

Seine Hand berührt meine, die mit der ich mit dem Zeigefinger über den Rücken des Henkels meiner Tasse gleite. So glatt. Nun jedoch zucken meine Finger zusammen, einschließlich des Tassenstreichlers und ich vermisse die Glätte.
Ich brauche 0,67 Sekunden um meine Hand zu entspannen.
Seine Miene verrät nicht, das, nachdem er mich an Stellen berührt (und anderes) hat, die mein Gesicht Rot tünchen würden, ich von seiner einfachen Geste zurückschrecke, ebenso verrät es nicht wie ich ihn damit verletzte.
„Ich will dir helfen. Lass mich?“, er bettelt nicht, das würde ich ihm nicht verzeihen. So gut kennt er mich nach einem Jahr.
Ich drehe meine Hand unter seiner, sodass meine Fingerspitzen seine Handfläche berühren, bevor ich seine Finger festhalte. Ich halte ihn fest und meine Augen geschlossen. Mein Atem und Puls wird schneller – Panik, die meinen Kopf mit Fieberglaswolle zu füllen scheint.
Veränderung, sag Ja, und alles ist anders. Er wird mich aus meiner sicher verbarrikadierten Ecke ziehen und ich ...
Seine Fingernägel krallen in den fleischigeren Teil meiner Finger. Warm, so warm ist seine Hand im Vergleich zu meiner kalt schweißigen. Wie kann er nur bereit sein solche Hände anzufassen, ...
Sein Daumen fährt über meinen Handrücken, glatt und warm, wie der Tassenhenkel, nur weich.

„Ok.“
Neny ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.10.2011, 12:21   #2
weiblich Shadowcrow
 
Benutzerbild von Shadowcrow
 
Dabei seit: 10/2011
Ort: Esch-Alzette
Beiträge: 49


Hallo,

Mir gefallen diese gesamten Bildnisse, ich finde, du hast da echt den Dreh raus. "Fast-beneid* ;-)

Nur bei diesem Satz stolpere ich irgendwie, ich empfinde ihn nicht als so fliessend wie die anderen:

Zitat:
Seine Miene verrät nicht, das, nachdem er mich an Stellen berührt (und anderes) hat, die mein Gesicht Rot tünchen würden, ich von seiner einfachen Geste zurückschrecke, ebenso verrät es nicht wie ich ihn damit verletzte.
Liebe Grüsse

Shadowcrow
Shadowcrow ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.10.2011, 15:28   #3
weiblich FeelLetter
 
Dabei seit: 08/2010
Ort: zwischen Grashalm und Teer
Beiträge: 278


Ich finde, du hast in deinem Text echt gute Formulierungen und Bilder. Über den von Shadowcrow angemerkten Satz bin ich auch gestolpert, auch über deinen Einsatz von Zeiten. Ich denke, dass du deinen Text in der Gegenwart halten wolltest, aber du bist immer wieder in die Vergangenheit gerutscht - wahrscheinlich aus Gewohnheit. Die Vorvergangenheit von "beginnen" ist "hat/haben begonnen", nicht
Zitat:
Meine Augen hatten begonnen zu brennen
... oder einfach: Meinen Augen beginnen...

Das mit den Zeiten solltest du ausbessern, denn das ist zum Teil ziemlich verwirrend. Wenn du einen Zeitenwechsel einbauen willst, ist das immer sehr interessant, aber dann sollte es konsequent sein.
Gern gelesen.
FeelLetter ist offline   Mit Zitat antworten
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