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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 01.02.2011, 03:41   #1
männlich nimmilonely
 
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Alter: 35
Beiträge: 853

Standard Es war ein Mann

Ich habe mich an ein sehr brisantes Thema gewagt, was ich keinesfalls verharmlosen oder relativieren will.
Ich wollte nur einen anderen Blickwinkel ins Spiel bringen.
Ein gewagtes Experiment, mal sehen was ihr dazu sagt.


Es war ein Mann

Es war ein Mann, vor langer Zeit,
er wollte Künstler werden.
Doch ließen ihn die Menschen nicht.
Der Künstler musste sterben.

Von haus aus kannte er Gewalt.
Der Vater schlug, die Mutter schwieg.
Tradition gab keinen Halt.
Verwehrt blieb ihm der große Sieg.

So resigniert und voller Wut,
fand er den Frieden nur im Krieg.
Die Waffe malte seinen Lauf,
der ihm als einziger noch blieb.

Die Künstlerseele inspiriert,
von radikaler Impression,
schuf sich ein Bild von dieser Welt.
Der Hass stieg auf, zur Religion.

Nachdem der erste Krieg verging,
begann ein neues Streben.
In seiner Fantasie vertieft
wollt er als „Führer“ leben.

Motivation fand er im Hass,
den Tatendrang zu töten.
Wer anders war, wurde vergast,
erhängt oder erschossen.

Er waltete über die Welt,
die er verändern wollte.
Sein Wort war laut, die Stimme hell.
Der Inhalt keinen störte.

Er führte jeden kleinen Mann.
Versprach ihm 1000 Jahre.
Am Ende blieb die große Scham
besteh’n, für alle Tage.

Es war ein Mann, vor langer Zeit,
er wollte Kunst erschaffen.
Doch ließen ihn die Menschen nicht,
er musst was andres machen.
nimmilonely ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.02.2011, 08:57   #2
Thing
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Beiträge: 34.998

Halli Hallo, nimmilonely!

Es ist kein heikles Thema (mehr), eher ist es Sarrazin, an dem man sich heute reibt.
Aber an der Verharmlosung bist Du nicht vorbeigeschrammt.
Auch faktisch ist nicht alles stimmig.
Das kann ich aber gut und gerne Deiner Jugend zugute halten.

Was in dem Gedicht nicht deutlich wird:
A.R. hat es nie verwunden, daß er es im Weltkrieg I nicht weiter als zum Melder brachte.
Daß er von der Kunstakademie nicht akzeptiert wurde.
Daß er so gut wie mittellos war.

Damit stand er nicht alleine, dies Schicksal war Tausenden beschieden.
Ich frage mich, warum nicht öfter darauf hingewiesen wurde, daß er körperliche Arbeit/Anstrengung scheute.

S4Z4: Komma weg!

Den Hass würde ich nicht zugestehen, denn es war Neid - der Neid des Besitzlosen.
Er waltete auch nicht über "die Welt". Das wollte er vielleicht.
Er wollte sie auch nicht verändern, er wollte sie zuallererst einmal erobern.

Seine Stimme war nicht hell, sondern eher tief, und guttural. Sie kippte höchstens in großer Erregung, aber nicht nach oben, sondern in ein Belfern.
Daß der Inhalt seiner demagogischen Reden niemanden störte, ist schlicht falsch.

Die beiden letzten Verse Deines Gedichtes sind auch klitternd.
Verharmlosend.

Die Metrik holpert hie und da.
Brisanz sehe ich nicht.
Aber Dein Bemühen ist aller Ehren wert.

Thing
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Alt 01.02.2011, 09:01   #3
Ex-Odiumediae
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Beiträge: 1.151

Gefällt mir! Es ist hat eine tragisch komische Note. EIn wenig schade finde ich das allzu offensichtliche "Führer", denn ohne wäre deinem Werk auch eine höhere Subtilität geblieben, aber das ist Geschmackssache. Es erinnert mich an Thomas Manns Essay "Bruder Hitler", hast du den gelesen?
Ex-Odiumediae ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.02.2011, 09:05   #4
Ex-Odiumediae
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Dabei seit: 07/2010
Beiträge: 1.151

Thing,

ich denke, einige Kritikpunkte sind ein wenig zu stark angebracht. Dass Hitler die Welt nicht verändern wollte, würde ich z.B. verneinen. Der Aufzucht einer "Rasse", die Vernichtung von Millionen von Menschen und der Weltkrieg selbst sind Zeugnis genug davon, dass er sie nicht nur verändern wollte, sondern auch verändert hat.

Ansonsten muss ich zugeben, dass ich besonders einige die Klitterung betreffnde Punkte übersehen, andere nicht so eng sehe, weil das für mich einer gewissen Tragikomik nicht entbehrt – wie Chaplins "Der große Diktator".
Ex-Odiumediae ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.02.2011, 09:07   #5
Thing
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Tragik war Faktum.
Komik nur bei Chaplin.

Ich beharre auf meinem Standpunkt, daß Verharmlosung gefährlich ist.
Daß die Welt durch das Wüten des Diktators verändert wurde, weiß ich auch.
Die Intention noch vor Erschaffung einer neuen Rasse ist jedoch die Eroberung gewesen, um Raum für diese arische Rasse zu schaffen.

So gesehen war PolPot auch ein Veränderer und Erneuerer - Millionen lernten, so sie leben durften, aus alten Autoreifen Sandalen zu schneiden.

Thing


"Vor langer Zeit" rückt die Person A.R. fast ins Mythische.
Dabei ist er später zur Welt gekommen als mein Großvater.
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Alt 01.02.2011, 09:12   #6
Ex-Odiumediae
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Mag sein, dass du das so siehst. Aber was gewisse Deutungen dafür angeht, dass Hitler seinen zerstörerischen Kurs eingeschlagen hat, würde ich sagen, dass man sie durchaus nicht so sehen muss, wie du sie siehst. Auch ohne Klitterung kann man da anderer Meinung sein.
Ex-Odiumediae ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.02.2011, 10:44   #7
Thing
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Aber ja doch!

Jeder hat seine Interpretation.
Ich gestehe Jedem seine eigene zu.
Aber ich urteile nach meinem Dafürhalten - was nur subjektiv sein kann.
Und von gestandenen Historikern, wie z.B. Joachim Fest und Sebastian Haffner beeinflußt ist.

Thing
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Alt 01.02.2011, 11:11   #8
weiblich Ilka-Maria
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Grundsätzlich finde ich es gut, daß sich ein junger Mensch mit dem Thema "Hitler" und "Nazi-Zeit" auseinandersetzt. Geschwiegen wurde in der Vergangenheit lange genug.

Natürlich ist es schwierig, Hitler in einem kurzen Text umfassend zu beschreiben, erst recht, wenn dieser Text formal gebunden ist. Ian Kershaw hat für seinen Bericht zwei dicke Bände mit insgesamt über 1.800 Seiten gebraucht.

Allerdings gibt es in dem Gedicht ein paar Stellen, über die man diskutieren kann: "... vor langer Zeit", z.B. Das hört sich an wie " ... es war einmal ..." im Märchen und gibt dem Text etwas Unwirkliches. Außerdem stimmt es angesichts der noch lebenden Kriegsgeneration nicht, daß Hitler "vor langer Zeit" war.

Weiteres Beispiel: "Hass". Das ist zu eindimensional und stimmt vielleicht auch gar nicht. Um das Volksgefühl der Deutschen als eine besiegte Nation stand es nicht gut, und viele Menschen, die sich erniedrigt fühlen, wollen wieder "wer sein". Was den Antisemitismus angeht, so breitete er sich ungefähr ab 1800 in Europa aus, Hitler war von den antisemitischen Strömungen Österreichs und Englands (Lloyd George, Chamberlain) beeinflußt. Hassgefühle waren gar nicht notwendig, es genügte schon, dieser Propaganda zu glauben und sich als den Angegriffenen zu fühlen, um seine Handlungsweisen zu rechtfertigen.

Aber, wie gesagt, ist es besser, sich überhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen, als zu sagen, die Nazi-Zeit gehe einen nichts an, denn man sei ja schließlich nicht mehr verantwortlich.

Gruß
Ilka-M.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.02.2011, 18:18   #9
männlich nimmilonely
 
Dabei seit: 12/2010
Ort: Mainz
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Beiträge: 853

Jetzt, mit etwas Abstand und Zeit, die vergangen ist und eueren Kommentaren zu diesem Gedicht, sehe ich es mit vollkommen anderen Augen.

Dass hier kritisiert wird, dass die Formulierung "vor langer Zeit" falsch ist, kann ich verstehen, aber für meine Generation trifft sie genau ins Schwarze.

Auch wenn das 3.Reich "erst" vor 70 Jahren war, haben es viele schon als Geschichte abgestempelt und in die selbe Schublade zu Nero und Napoleon gesteckt, sofern die Leute noch von ihnen wissen.
Ich bin davon überzeugt, dass im Ausland, wo das Thema Hitler nicht so "verwurzelt" ist, die Jugend nicht viel mehr als den Name Hitler weiß, und sagen kann, dass es ein böser Mann war.


Aber zurück zum Gedicht.

Meine Absicht, die ich beim Schreiben hatte, finde ich jetzt kaum in den Zeilen wieder.
Ich wollte Hitler neutral darstellen und die geschichtlichen Fakten trocken aufzählen, aber jetzt kommt mir das Ganze zu konfus vor, meine Intention verschwimmt zwischen "leeren" Zeilen.

Wenn mich mal wieder die Inspiration zu den Thema packt werde ich dieses Werk bestimmt nochmal überarbeiten, so kann das nicht bleiben.^^

Allen Lesern vielen Dank,
hat mich sehr gefreut euere Meinung zu erfahren.

Gruß,
nimmilonely
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Alt 01.03.2011, 09:21   #10
männlich Caliban
 
Benutzerbild von Caliban
 
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Ort: Zuhause in jeder guten Bar
Beiträge: 555

Neutrale und objektive Sichtweisen stehen gerade bei diesem Thema jedem Historiker gut zu Gesicht, denn auch eine Übertreibung der Verhältnisse und ein Dämonisieren der Nazis sind ebenso geschichtsklitternd, wie Verharmlosung und Verherrlichung und öffnen den Ewiggestrigen Tür und Tor, mit dem Finger darauf zu zeigen und (am Ende dummerweise noch mit Fug und Recht) "Lüge" zu schreien.

Die Nazis, unter ihnen seien explizit Hitler, Goebbels, Eichmann und Mengele als die prominentesten "Monstrositäten" (ein diffamierendes Wort, dass Euer Caliban gar nicht mag!) waren Menschen mit üblichen menschlichen Motiven und üblichen menschlichen Empfindungen, was sie hervorbrachten (dazu gibt es genügend Analogien in der menschlichen Geschichte) ist allzu menschlich.
Letztenendes eben das, was herauskommt, wenn sich Idealismus, Großmannssucht, Opportunismus und Minderwertigkeitsgefühle unter einem Banner scharen und auf ein verunsichertes und hilfloses Spießbürgertum treffen, das noch jedem Demagogen ein williger Acker für die finsterste Saat war und aus dessen Reihen sich die allerniedrigsten menschlichen Schweinereien regelmäßig gebären.
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