Wie kam das Übel in die Welt?

[JWagner]

Das Übel kam in uns're Welt
- so wurd's im ORIENT erzählt -
durch eine Frucht an einem Baum
'Erkenntnis' hieß der Menschheitstraum

Schuld daran sei das Begehren:
Grenzen weg, die tun nur stören!
Woll‘n immer weiter, höher, besser
und liefern diese Welt ans Messer

Der WESTEN hatte seine Sicht
und seinen großen Bösewicht:
der LOKI war‘s - und seine Kinder
Die Klugheit wird auch hier zum Sünder

Er ist der Geist als Urgewalt,
der oftmals wechselt die Gestalt,
der immer sucht - und immer findet
und sich an keine Ethik bindet

Ein 'Homo sapiens' woll’n wir sein,
ein weises Tier, das herrscht allein
Was brauchen wir noch viel Gegrübel:
„Rücksichtslos“, so heißt das Übel

Wir sind zwar klug, doch selten weise
und führen Kriege laut und leise,
verdrängen Pflanzen, Tiere, Wälder
und hoffen auf die großen Gelder,

auf Macht und Einfluss und Ansehen
Doch sollten wir mal in uns gehen
und prüfen jeder bei sich selbst:
wie kommt das Übel in die Welt?

[Ilka-Maria]

Das Übel, aus der tiefsten Vergangenheit erzählt, lässt sich auf drei Wörter reduzieren: Kain und Abel.

Ich könnte jetzt beginnen, über diese beiden Figuren vorzutragen, z.B. ausgehend von ihrem Symbolgehalt, obwohl es noch viele andere Ansatzpunkte gäbe. Mache ich aber nicht. Im Kern ist nämlich mit dieser biblischen Geschichte schon alles gesagt, was den Kernkonflikt der Menschheit betrifft.

Ich finde gut, dass du nicht vom "Bösen", sondern vom "Übel" sprichst. Das sind nämlich zwei grundverschiedene Bereiche, in denen sich die Menschen bewegen. Ich habe auch eine klare Vorstellung, worin dieser Unterschied besteht, aber das will ich hier nicht zur Diskussion stellen. Es soll ja in erster Linie um das Gedicht gehen und was du damit ausdrücken willst.

Allerding muss ich eine Einschränkung machen: Weshalb hast du "Orient" und "Westen" gegenübergestellt und beides in Großbuchstaben geschrieben? Das lässt nach einer politischen Position wittern. Wenn es so ist, warum getarnt statt offen? Das Gegenteil von "Orient" ist ohnehin nicht der "Westen", sondern der "Okzident". Diese Art, Text zu verpacken, macht mich misstrauisch.

[JWagner]

Ich habe einmal den jüdisch-christlichen Mythos erwähnt, der in Israel entstanden ist: Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis, der eigentlich tabu war. Kain und Abel, der Brudermord, ist die Fortsetzungsgeschichte. - Dem gegenüber steht unsere vorchristliche, pagane Tradition, die den Gott LOKI und seine drei Kinder Fenriswolf, Midgardschlange und die Todesgöttin Hel als treibende Kräfte im Weltuntergang schildert. Es ging mir nicht um Politik, sondern um Mythologie und das Verbindende in den so verschiedenen Traditionen.
Ich sehe das auch so, dass man mit dem Bösen meist nur verurteilt, aber keinen Schritt weiterkommt.