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Alt 16.03.2024, 19:05   #1
männlich Eisenvorhang
 
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Standard Lyrische Verantwortung

Über lyrische Verantwortung, Rechtfertigung, Fuselkritik und Mondhaubitzen

Den Bierkasten mit Licht füllen, das Meer leer schaufeln, Sonnenstrahlen ins Gefrierfach legen, „Hilfe, mein Hirn ist eine Suppe!“, „Lass mich dein Dachsfett sein“, Gänseblümchen, die Wiesen verwüsten, und Kapitel, die über Kaputnixe schreiben.

Bilder, wie sie nur selten befremdlicher sein können, bilden hier Neuzeitmanierismen.
Im 16. Jahrhundert wurden Perspektiven verworfen, Lichtquellen verschoben, Linien schief gemalt und Jesusse körperkläusig ans Kreuz gemalt. Evokationen über das tiefste Innere des Menschen: Angst, Panik, Paranoia, Egoismus oder damalige Popkultur?

Vor wenigen Tagen schickte ich einen Text zu einem Freund für ein Lektorat. Zehn Minuten nach dem Schreiben fiel mir auf, dass in mir die Befürchtung emporbrodelte: „War mein Werk sexistisch? Bin ich jetzt ein Sexist, nur weil mein Werk das Wort "Titten" beinhaltete?“.

Anderseits, verlassen wir die woke Dramaturgie, stellt sich mir die Frage inwiefern Lyrik sich vor einem Kritiker rechtfertigen müsse? Muss ein Dichter sein Werk rechtfertigen? Oder generell: Muss Lyrik sich im kritischen Rahmen rechtfertigen? Hendrik Jackson hat darauf eine Antwort. In einem Artikel über Autoren, die kritisiert werden, und Kritik mit Ausreden zu Matsch schlagen, schrieb er klar: Lyrik müsse sich nicht rechtfertigen. Hier als ein Pro für den Autor. Was ich selbst sehr interessant fand. *1

Und woraus besteht der Trieb der Leser, Bewertung zuführen zu müssen, woraus besteht dieser unbändige Drang zu werten, hervorzuheben, abzuwerten und zu loben? Manchmal habe ich den Eindruck, dass Werke der Lyrik wie Kinder behandelt werden. Manche besitzen Helikopter-Eltern, manche Rabeneltern und nur selten stoße ich auf elterliche Liebe, die als Tugend verstanden werden kann.

„Richard, deine Streicholzschachtel zog deinen Mantel an und verbuddelte sich in der Erde“.
Lyrik, als Produkt, im eigentlichen Sinne, ist nichts anderes als ein Stuhl. In Tinte gefasste Gegenständlichkeit, mit Kritiken lässt sich werfen und mit dem Werk lässt sich weinen. Was der eine schreiben kann und sagen will, kann der andere sagen aber nicht schreiben.
Es liegt nahe, dass dieses Mund-Mündungsprinzip, zwischen zwei verschiedenen Partnern innerhalb einer Kommunikation, sich um Verantwortung dreht. Doch was ist Verantwortung?

Ver-antw-ort-ung. Ein Nomen, das sich aus einem Präfix und einem Suffix versteht und drei unabhängige Wörter in sich trägt, nämlich „Antwort“, „Wort“ und „Ort“.
Tja und wer sagt mir jetzt, warum „Verantwortung“ genau das bedeuten muss, worunter man sie allgemeinläufig versteht? Nämlich die Bereitschaft und Eigenschaft zu besitzen, für sein Handeln aufzukommen. Im lyrischen Rahmen gespannt, hängt der Autor, das Publikum und der Kritiker. Viele haben auf das Wort eine Antwort an einem gemeinsamen Ort.
Oder ist das Substantiv ein Kofferwitzwort wie "nichtsdestotrotz"?

Und jetzt stellt sich mir die Frage, gesetz des Falls, ich wäre Autor im öffentlich bekannten Rahmen: Was wäre, wenn ich meinem Werk den Zwang zur Rechtfertigung entzöge und was geschähe mit dem Publikum und den Kritikern als Konsequenz?

Wer Interesse hat, hier mit einzusteigen, Ideen und Zeit besitzt, sich zu beteiligen. Darf sich gerne dazu äußern.

*1 - https://www.lyrikkritik.de/ueber-zwe...ung-der-lyrik/

Geändert von Eisenvorhang (16.03.2024 um 21:21 Uhr)
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Alt 17.03.2024, 01:31   #2
weiblich Lee Berta
 
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Hallo Eisenvorhang,
interessante Gedanken hast du.

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Den Bierkasten mit Licht füllen, das Meer leer schaufeln, Sonnenstrahlen ins Gefrierfach legen, „Hilfe, mein Hirn ist eine Suppe!“, „Lass mich dein Dachsfett sein“, Gänseblümchen, die Wiesen verwüsten, und Kapitel, die über Kaputnixe schreiben.
... sind Gedanken, die noch nie gedacht wurden. Meine linke Brust gibt Schokomilch, denn meine Mutter ist aus Afrika.

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Bilder, wie sie nur selten befremdlicher sein können, bilden hier Neuzeitmanierismen.
Und? Wir sind hier um uns zu amüsieren. Ich musste dreizehn Planeten und über 5 Millionen Spezies zerstören, um überhaupt qualifiziert für eine Inkarnation auf 50L*III*t3RR.a zu werden und jetzt will ich auch meinen Spaß mit den Schallwellen haben dürfen, für die ich so hart gekämpft habe!

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Im 16. Jahrhundert wurden Perspektiven verworfen, Lichtquellen verschoben, Linien schief gemalt und Jesusse körperkläusig ans Kreuz gemalt. Evokationen über das tiefste Innere des Menschen: Angst, Panik, Paranoia, Egoismus oder damalige Popkultur?
Eher letzteres. Hast du dich je gefragt, warum es Menhire gibt und sie plötzlich überall auf der Welt auftauchten? Weil coole Sachen sich rumsprechen.

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Vor wenigen Tagen schickte ich einen Text zu einem Freund für ein Lektorat. Zehn Minuten nach dem Schreiben fiel mir auf, dass in mir die Befürchtung emporbrodelte: „War mein Werk sexistisch? Bin ich jetzt ein Sexist, nur weil mein Werk das Wort "Titten" beinhaltete?“.
Hier sehe ich keinen thematischen Zusammenhang. Wir alle - Menschen mit irgendeinem Geschlecht - haben Probleme mit gesellschaftlichen Rollenerwartungen, die unseren Persönlichkeiten zu 50% zuwiderlaufen. Nein, du bist kein Sexist, denn du als Mann/ Frau/ Divers bist auch betroffen. Wir alle sind von Sexismus Betroffene und dürfen heutzutage endlich mal darüber reden, dass diese Rollen uns und unsere Beziehungen, unsere Kinder und unsere ganze Welt kaputt machen.
Mir hat gestern ein Klient (Schreibanfänger) einen Text geschickt, in dem er über einen Sklaven schrieb, der ausgerechnet Tom hieß.
How do I explain? ...

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Anderseits, verlassen wir die woke Dramaturgie, stellt sich mir die Frage inwiefern Lyrik sich vor einem Kritiker rechtfertigen müsse?
Ich habe auch einen Woke, weil ich gern gesund esse.
Dramaturgie ist das Handwerk der Struktur. Der Gedankensprung zur Kritik ist gewagt, aber ich springe mal mit.
Ein Dichter soll sein Werk nicht rechtfertigen, sondern sich anhören, was der Kritiker oder Dramaturg zu sagen hat. Wenn ich sage: "Da sind zu viele Nebenfiguren", dann sind da zu viele Nebenfiguren ODER ich suche nur einen Grund zum Stänkern ODER irgendwas dazwischen. Das kommt sehr darauf an, wer "ich" bin. Wie sachlich oder emotional übe ich meinen Beruf oder mein Hobby als Kritiker* aus und wie kompetent bin ich?

Wenn man ein Werk in einem Forum wie diesem einstellt, tut man das hoffentlich, um ehrliche Meinungen von Schreibkollegen zu bekommen. Der Autor ist irgendwas zwischen Drittklässler mit Lernbehinderung und Literaturnobelpreisträger. Der Kritiker ist genau so, irgendwer. Es gibt eine ehrliche Meinung oder eine unehrliche, weil neidische. Emotional, rational, korinthenkackerisch, liebevoll die Seele streichelnd ...
Als Autor professionell mit Kritik am Werk umzugehen gehört zum Rüstzeug. Nicht aber, mit Respektlosigkeiten gegenüber der eigenen Person umzugehen. Das muss man sich überhaupt nicht bieten lassen und diese Grenzen sollte man aufzeigen.
Natürlich muss man sich nicht der Kritik stellen, oh du meine dachsfettige Sonne, sollte man aber, um sich zu entwickeln und um zu lernen.

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Und woraus besteht der Trieb der Leser, Bewertung zuführen zu müssen, woraus besteht dieser unbändige Drang zu werten, hervorzuheben, abzuwerten und zu loben?
Das ist kein Trieb, sondern der Sinn einer Arbeitsplattform wie dieser.

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Manchmal habe ich den Eindruck, dass Werke der Lyrik wie Kinder behandelt werden. Manche besitzen Helikopter-Eltern, manche Rabeneltern und nur selten stoße ich auf elterliche Liebe, die als Tugend verstanden werden kann.
Gewiss sind Werke wie Kinder. Ich frage also Frau Meier: "Wie findest du meinen Sohn Kevin?"
Sie sagt: "Er is zu fett und reißt meinen Rosen, die Köppe ab, Mann!"
Wie ich als Mutter* jetzt reagiere, sagt mehr über mich aus als über Frau Meier und ihre scheißhässlichen Rosen, über Kevin und seine Schilddrüsenunterfunktion und die Tatsache, dass Burger King uns immer Gutscheine schenkt.
Ich habe hundert Rechtfertigungen, warum mein Sohn unhöflich und fett ist. Das ändert nichts an der Tatsache, dass er unhöflich und fett ist, obwohl ich mir Mühe gegeben und ihn extra Kevin genannt habe, damit er sich ja nicht einbildet, er sei etwas Besonderes.

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Lyrik, als Produkt, im eigentlichen Sinne, ist nichts anderes als ein Stuhl. In Tinte gefasste Gegenständlichkeit, mit Kritiken lässt sich werfen und mit dem Werk lässt sich weinen. Was der eine schreiben kann und sagen will, kann der andere sagen aber nicht schreiben.
Es liegt nahe, dass dieses Mund-Mündungsprinzip, zwischen zwei verschiedenen Partnern innerhalb einer Kommunikation, sich um Verantwortung dreht. Doch was ist Verantwortung?
Kommunikation dreht sich nicht um Verantwortung. Verantwortung ist nur ein Teilbereich, wie Ethik, Gesprächskultur, Höflichkeit. Das sind Meta-Gedanken.

Genau wie die nun folgenden etymologischen Wortspiele, denn nur weil ZOB und ZOO ähnlich klingen, müssen sie nichts miteinander zu tun haben. Dein Traktat wird an dieser Stelle zu ausschweifend, darum lasse ich das kurz aus und folge dem Faden.

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Und jetzt stellt sich mir die Frage, gesetz des Falls, ich wäre Autor im öffentlich bekannten Rahmen: Was wäre, wenn ich meinem Werk den Zwang zur Rechtfertigung entzöge und was geschähe mit dem Publikum und den Kritikern als Konsequenz?
Es gibt den legitimen produzentenorientierten Ansatz, es gibt die millionenschwere Künstlerin*, die einfach Blumenbilder malt oder Wolken fotografiert und sich einen Scheißdreck kümmert, was andere sagen.
Wer nichts verkaufen muss, ist auf Kritik nicht angewiesen.

Liebe Grüße,
Lee

* Ich möchte betonen, alle biologischen, gefühlten und sozialen Geschlechter einzuschließen, wenn ich ein beliebiges Sprachgeschlecht oder Beispiel wähle.
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Alt 17.03.2024, 01:47   #3
männlich Eisenvorhang
 
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Hoi Lee,

danke für deine Mühe.

Ein Einsträußel, weil du keinen thematischen Zusammenhang zum angeschnittenen Thema des Sexismus sehen konntest, war nur exemplarisch:

Damit meinte ich, dass ab dem Punkt der Freilassung eines Werkes die Verantwortung beginnt, die thematisch, formal, sprachlich, räumlich und kontextuell (uvm) sein kann, hier aber konzentrierter auf Lyrik. Um Geschlechterrollen ging es mir überhaupt nicht, viel mehr aber um Lyrik.

Wie drücke ich das einfach aus? Ich hadere, ich habe ein klares Bild vor Augen, finde es aber schwer Worte zu finden.

Ich versuche es anders, wahrscheinlich auch nicht klarer, aber Versuch macht kluch. Wenn sich zwei Menschen treffen und Micha die Hand reicht, und sich vorstellt "Ich bin Micha", dass ab genau dem Punkt Micha seinen Schatten verliert.

Also weniger um Kritikausübung, sondern viel mehr über die sozioökologischen Dränge etwas bewerten zu müssen, das im Rahmen der Kunst, eigentlich nicht bewertet werden kann. Und wenn ich dann als Autor noch sage: "Danke für Deine Kritik, liebe Kathrin, aber mein Werk steht für sich selbst", was passiert dann mit meinem Werk? Und das meine ich mit "lyrische Verantwortung", ich glaube, mein Versuch eine Struktur zu finden ist mehr philosophischer Natur als ein Feststoff.


Vielleicht sollte ich solangsam meinen Kopf aus dem lyrischen Arsch bekommen. Sonst verdurstet mein Durst.
Es gibt halt so viele Gebiete in dem Bereich, über die ich noch nicht nachgedacht habe und je weiter ich in die Tiefe falle, desto neugieriger werde ich und stoße auf scheinbar sinnlose Fragen, die mir keiner beantworten kann.
Vielleicht sollte ich diesen Durst in Lyrik umwandeln und irgendwo neben einem Gulli verbuddeln.

Hab noch ein schönes WE!
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Alt 17.03.2024, 03:18   #4
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YAY Eisenvorhang, die späte Nacht sieht wieder mal heiß aus an deiner Seite!
Das Glitterkleid will ich auch! (und die Schuhe! Frag sie, wo sie die her hat! Ich hab 42!)

Ich mache mir gerade ganz andere Gedanken wegen diesem Thread, in dem die liebe Ilka uns mitteilt, dass wir die Nutzungsrechte abgetreten hätten.
lyrikPower möchte aber einfach gelöscht werden und selbst über sich selbst entscheiden.

Ich habe keinerlei Nutzungsrechte abgetreten. Bei Benutzung der deutschen Sprache habe ich mich per Geburt damit einverstanden erklärt, dass jedes Wort des Deutschen schon einmal benutzt wurde. Aber ich habe eine andere Frage ...
Einfach die Frage: "Ist es eine Straftat jemand Arschloch zu nennen, der mit anderen Menschen so saumäßig umgeht, dass es die S. Augraust?"

Wie weit darf Sprache gehen, Strafe gehen, Kommunikation gehen, Kritik gehen? Wie weit dürfen wir gehen in unserem Raffsinn, Rachsinn, Schaffsinn, Scharfsinn, Piffpaffsinn? Wie weit geht Macht?
Wo treffen sich Ethik und Macht und schaffen Bewusstsein oder enthüllen Bewusstlosigkeit?
Da sind wir wieder beim Thema "Kritik als Instrument der Selbstdarstellung".

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang
Und wenn ich dann als Autor noch sage: "Danke für Deine Kritik, liebe Kathrin, aber mein Werk steht für sich selbst", was passiert dann mit meinem Werk? Und das meine ich mit "lyrische Verantwortung", ich glaube, mein Versuch eine Struktur zu finden ist mehr philosophischer Natur als ein Feststoff.
Das ist mir zu hoch. Ein Werk steht natürlich für sich selbst und muss nicht erklärt werden, aber wir leben im Kapitalismus und wenn dein Werk kein Geld einspielt, wird das Produkt aus dem Regal gefegt.
Was passiert mit einem Buch, das keiner liest?
Fragen wir mal mein Buch, das keiner liest: ... heybuch erzählma
Es antwortet nicht, aber es eignet sich prima zum Anheizen des Kohleofens meiner Zweizimmerwohnung in F-Hain. Ohne Außenklo. Halle+Lujah
Menschen müssen überleben, Kunst ist Luxus.

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang
Vielleicht sollte ich solangsam meinen Kopf aus dem lyrischen Arsch bekommen. Sonst verdurstet mein Durst.
Es gibt halt so viele Gebiete in dem Bereich, über die ich noch nicht nachgedacht habe und je weiter ich in die Tiefe falle, desto neugieriger werde ich und stoße auf scheinbar sinnlose Fragen, die mir keiner beantworten kann.
Vielleicht sollte ich diesen Durst in Lyrik umwandeln und irgendwo neben einem Gulli verbuddeln.
Ja, aber nicht hier, denn wir verschenken gerade unsere Nutzungsrechte an der eigenen Genialität. Lass eine andere Insel suchen, Digger. Ich bin dann die mit mit dem Multi-Tool und dem Rick&Morty-Bikini. Bring die Nacht mit, ich steh auf den Glitterfummel.

Lee
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Alt 17.03.2024, 10:07   #5
männlich Eisenvorhang
 
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Öhm.
Kunst wurde Meinungsterrorismus. Das ein ungelesenes Buch ungelesen ist und nichts einspült, joar, macht irgendwie Sinn.
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Alt 18.03.2024, 16:11   #6
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Hallo Eisenvorhang,

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Kunst wurde Meinungsterrorismus.
Das ist eine Tatsache, mit der wir leben müssen.
Nehmen wir mal mein Buch, das keiner liest. Der Verlag hat überhaupt keine Werbung dafür gemacht. Ich habe keine Werbung dafür gemacht, ich war damals noch im Studium und hatte kein Geld.
Vielleicht ist es auch einfach kein gutes Buch? Zu anders?
Was macht ein gutes Buch eigentlich zu einem guten Buch? Die Meinung von Influenzern, nichts weiter. Oder?

Verantwortung hat man natürlich, aber Goethe ist nicht schuld, wenn junge Männer nach der Lektüre des Werther nicht mehr leben wollen. Marilyn Manson ist nicht schuld, wenn junge Menschen nach dem Konsum seiner Platten ein Gesichtstattoo haben wollen. Kunst hilft ihnen bei der Entscheidungsfindung. Aber das Produkt Buch oder Schallplatte wurde von dem entsprechenden Menschen gekauft, der sich Erkenntnisgewinn oder Unterhaltung versprach. Oder beides.

Was ich sagen will, ist, dass du dich ethisch nicht rechtfertigen musst, wenn du dir solche Gedanken gemacht hast und entschieden hast, dass Kunst nicht ohne Provokation existieren kann und du es veröffentlichst.
Und dann passiert irgendwas Dummes, das du nicht vorhersehen konntest. Da musst du dich als Künstler und Mensch nicht infrage stellen lassen.
Unabhängig davon das Werk aus technischer Sicht.
Kritik am Stil oder am Inhalt, an einer schlechten Umsetzung, musst du dir eben gefallen lassen.
Das eine ist das Bauamt, das dein Haus abnimmt und das andere ist der Priester, der es einsegnet.
Wenn es trotzdem kein finanzieller Erfolg ist, dann sind wir wieder bei einem anderen Thema. Also Kunst ist Kommerz, Verantwortung ist Ethik und Kritik ist Handwerk. Unmöglich, es auf einen Nenner zu bringen.

Liebe Grüße,
Lee
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Alt 18.03.2024, 18:57   #7
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Zitat:
Zitat von Lee Berta Beitrag anzeigen
Was macht ein gutes Buch eigentlich zu einem guten Buch? Die Meinung von Influenzern, nichts weiter. Oder?
Hey Lee,

ganz so absolut sehe ich das nicht. Es fällt vielen schwer diese "Magie" eines guten Buches fassen können. Aber schlussletztlich lässt es sich einfach zusammenfassen: Jeder möchte doch etwas lesen, was er so vorher noch nicht gelesen hat. Und das ist unabhängig vom Thema und unabhängig vom Inhalt.

Im Endeffekt treffen sich Fleiß, Kreativität und Begabung in der Sprache.

lg EV
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Alt 18.03.2024, 19:05   #8
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Im Endeffekt treffen sich Fleiß, Kreativität und Begabung in der Sprache.
Warum sind wir dann keine Millionäre?
Man braucht Beziehungen, um überhaupt Chancen zu bekommen und dann ist man auch weiter auf die Meinung der Meinungsmacher angewiesen.

Liebe Grüße,
Lee
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Alt 18.03.2024, 19:12   #9
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Zitat:
Zitat von Lee Berta Beitrag anzeigen
Warum sind wir dann keine Millionäre?
Weil wir skillmäßig im Schlamm tauchen. Sonst wären wir nicht in einem Forum und würden gegenseitig unsere Spucke analysieren.

"Millionär" ist ohnehin ein kühner Anspruch, trotzdem gibt es Autoren, die von ihren Erzeugnissen leben können, oder aber die Einnahmen durch ihre Erzeugnisse einen guten Teil davon ausmachen. Natürlich sind jene dann noch anderortig verwurzelt in der Literatur: Lesungen, Tätigkeit im Literaturbetrieb, Dozenturen usw usf.
Lyrik in Deutschland ist leider so ein Ding und selbst Stipendien, Literaturpreise (auch die seriösen) sind aus wirtschaftlicher Sicht, eigentlich kalte Abzocke.
In Österreich beispielsweise sieht es schon besser aus.
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Alt 18.03.2024, 19:23   #10
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Ich bin in einem Forum, weil ich hier kostenloses Feedback vom Konsumenten bekomme. Dafür gebe ich aber auch ein bisschen was, bzw. arbeite kostenlos.
Mein Karma ist pretty much ausgeglichen hier, Geben und Nehmen.
Wir könnten uns auch irgendeinen coolen Namen "gruppe24" / "tot.reim" / "pöh|tree" geben und einen Lyrikkreis gründen, nur kann man heute von Gedichten nicht mehr leben.

Österreich ist sehr anders, was Kulturförderung allgemein angeht, weil die sich immer denken: "Hätten wir dem Adolf damals doch ein Kunststudium bezahlt ..."

Liebe Grüße,
Lee
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Alt 18.03.2024, 19:35   #11
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Zitat:
Zitat von Lee Berta Beitrag anzeigen
Gedichten nicht mehr leben.
Kommt auf die Maßstäbe an. Es gibt Menschen, die brauchen derart wenig, dass die mit Bürgergeld happy sind und es gibt Menschen, die verdienen 250k im Jahr und sind hochverschuldet und das nicht durch profitschaffende Investitionen in ETFs oder Immobilien..

Außerdem ist "lyrische Reputation" ja keine Einbahnstraße. Selbst wenn du etwas publizieren kannst, auf das die Szene wie eine rollige Katze wartet, dann kann das Türen für weiteres öffnen, dass den Income-Stream deutlich stabilisieren kann.

Wie es beispielsweise bei Clara Louise der Fall war, die quasi "Instalyrik" im deutschen Raum schuf. Kurze banale Textschnippsel, die emotional aufgeladen sind, über Dinge, die jeder Frosch weiß. Das sorgte für einen Boom, jetzt kannst du von ihr alles kaufen: T-Shirts, Tassen usw usf. Sie hat millionen Follower und millionen hysterische Fans.

Andererseits ist es schon richtig, wenn man demütig bleibt, denn nicht jeder kann die Welt wie eine Carolin Callies oder Ulrike Draesner "neu" definieren. Und auch hier dürfen Geschmäcker sehr gern auseinander gehen. (Müssen sogar, damit das Geschäft leben kann)
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Alt 18.03.2024, 19:54   #12
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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lyrikPower möchte aber einfach gelöscht werden und selbst über sich selbst entscheiden.
Hallo, Lee,

was es mit den Nutzungsrechten auf sich hat, haben wir per PN geklärt, vor allem, dass sie das Urheberrecht eines Autors nicht berühren, denn diese sind weder abtretbar, noch veräußerbar. Das Thema hatten wir bereits öfters in Poetry, wahrscheinlich findet man die Dislkussion darüber unter News & Support. Dabei wurde auch geklärt, was es mit dem Begriff "konkludent" auf sich hat, denn darüber stolpern manche User.

Weshalb ich LyrikPowers "Forderung" nach Löschung seiner Werke nicht nachgekommen bin, hat andere Gründe, als dass ich "Macht" demonstrierten wollte. Über diese Gründe bin ich jedoch niemandem Rechenschaft schuldig - also abgehakt.

Normalerweise komme ich dem Ersuchen nach Löschung oder Schließung eines Accounts bzw. der Werke des betreffenden Users nach. Wird nur die Abmeldung gewünscht, lösche ich ich von selber alle persönlichen Daten des Users, die er bei der Registrierung im System speichern ließ, denn dies zu erwähnen vergessen fast alle User.

Dies nochmal zur Klarstellung und Ergänzung meiner PN von vergangener Nacht.

Besten Gruß
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 18.03.2024, 20:03   #13
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Da hast du natürlich Recht und es gibt solche Ausnahmeerscheinungen. Selten ist das qualitativ hochwertig und oft ist es nur ein Hype, aber derjenige hat ausgesorgt. Man braucht nur eine dicke, fette Eintagsfliege.
Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=W2msh0jut2Y
Man braucht auch Glück und Beziehungen.
Talent und Fleiß alleine reicht nicht. Kurze banale Textschnipsel, die emotional aufgeladen sind, über Dinge, die jeder Frosch weiß, habe ich auch schon gepostet und du bestimmt auch, aber Clara Louise ist hübsch, jung, weiß, fotogen. Traut sich auf eine Bühne. Weiß, wie man sich promotet ...

Um echte Qualität und echten Tiefgang geht es schon lange nicht mehr und ging es vielleicht nie. Der Künstler muss sich selbst mehr als Entertainer begreifen.
Wir sind am Ende nur Gaukler, die mit dem Hut rumlaufen. Wir säen nicht, wir ernten nicht, und Gott ernährt uns doch.
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Alt 18.03.2024, 20:47   #14
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Zitat:
Zitat von Lee Berta Beitrag anzeigen
aber Clara Louise ist hübsch, jung, weiß, fotogen. Traut sich auf eine Bühne. Weiß, wie man sich promotet ...

Um echte Qualität und echten Tiefgang geht es schon lange nicht mehr und ging es vielleicht nie. Der Künstler muss sich selbst mehr als Entertainer begreifen.
Wir sind am Ende nur Gaukler, die mit dem Hut rumlaufen. Wir säen nicht, wir ernten nicht, und Gott ernährt uns doch.
Ja, das hilft natürlich enorm. Generell, wer es liebt mittelpunktig zu sein, der wird grundsätzlich immer mehr Erfolg haben. Schau dir Jonathan Meese an oder Typen, die generell aus ihrem Privatleben keinerlei Geheimnis machen wie Rene Schmock, der vom LKW-Fahrer es zum Millionär geschafft hat, alleine nur durch Selbstdarstellung (was natürlich auch viel arbeit ist).

Das ist ein Talent... Muss man haben, um ehrlich zu sein. Nüscht für mich.
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Alt 18.03.2024, 21:05   #15
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Hallo, Ilka-Maria,

Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
was es mit den Nutzungsrechten auf sich hat, haben wir per PN geklärt, vor allem, dass sie das Urheberrecht eines Autors nicht berühren, denn diese sind weder abtretbar, noch veräußerbar. Das Thema hatten wir bereits öfters in Poetry, wahrscheinlich findet man die Dislkussion darüber unter News & Support. Dabei wurde auch geklärt, was es mit dem Begriff "konkludent" auf sich hat, denn darüber stolpern manche User.

Weshalb ich LyrikPowers "Forderung" nach Löschung seiner Werke nicht nachgekommen bin, hat andere Gründe, als dass ich "Macht" demonstrierten wollte. Über diese Gründe bin ich jedoch niemandem Rechenschaft schuldig - also abgehakt.

Normalerweise komme ich dem Ersuchen nach Löschung oder Schließung eines Accounts bzw. der Werke des betreffenden Users nach. Wird nur die Abmeldung gewünscht, lösche ich ich von selber alle persönlichen Daten des Users, die er bei der Registrierung im System speichern ließ, denn dies zu erwähnen vergessen fast alle User. (...)
Wir haben das zum Glück geklärt (das zitierte Posting war davor) und es war auch nicht vorhandene juristische Detailkenntnis meinerseits. Natürlich musst du Nutzungsrechte haben, um dieses Forum überhaupt betreiben zu können.

Zitat:
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Ja, das hilft natürlich enorm. Generell, wer es liebt mittelpunktig zu sein, der wird grundsätzlich immer mehr Erfolg haben. Schau dir Jonathan Meese an oder Typen, die generell aus ihrem Privatleben keinerlei Geheimnis machen wie Rene Schmock, der vom LKW-Fahrer es zum Millionär geschafft hat, alleine nur durch Selbstdarstellung (was natürlich auch viel arbeit ist).

Das ist ein Talent... Muss man haben, um ehrlich zu sein. Nüscht für mich.
Für mich auch nicht, denn ich möchte nicht, dass die ganze Welt weiß, dass ich heute Morgen eine perfekte Brezel gekackt habe.
Die Kunst wird immer mehr wie eine perfekt gekackte Brezel eines Popstars verstanden, und wer es nicht schafft, sich als Popstar zu etablieren, der kann ganze Eiffeltürme scheißen, es wird niemanden interessieren.
Das ist der Kern des Problems. Wir trennen nicht mehr zwischen Moonwalk und Pädophilie.

Dazu kommen diese selbstreferenziellen Bubbles. Ich habe mal über Deutsche, die zum Islam konvertieren, recherchiert und über Rekrutierungsstrategien des IS. Das ist eeewig her und war nur ein kurzer Job, aber Google schlägt mir immer noch Dating-Apps vor, um nette, muslimische Frauen in meiner Umgebung zu finden.

LG,
Lee
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Alt 19.03.2024, 15:28   #16
männlich dunkler Traum
 
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Standard Hallo Eisenvorhang

... grundsätzlich darf Kunst alles, was nicht verboten ist.
Da gibt es einerseits Konsumenten dieser Kunst, denen sie gefallen soll oder sie zumindest als solche anerkennen.
Weiter gibt es Menschen, die bestimmte Sachen (auch Kunst) gar nicht zur Kenntnis nehmen.
Weiter gibt es Experten (studiert oder nicht), die das jeweilige Stück dann sezieren und beurteilen.
Zum Schluss kommen noch die Sitten- Moralwächter, welche selbst alte Bücher oder andere Kunstwerke umkonstruieren wollen, da sie angeblich nicht dem derzeitigen Zeitgeist entsprechen.

Als Kunstschöpfer werfe ich meine vergegenständlichten Gedankenerklärungen unter die Meute und hoffe darauf, dass jemand etwas damit anfangen kann. Natürlich habe ich Verantwortung für mein Werk, doch die Frage ist, wie gehe ich damit um. Versuche ich wirklich allen anderen zu erklären, dass ich es anders gemeint habe, als ein Experte es interpretiert? Vermutlich wird dies nichts bringen, da ja selbst ich mein Werk je nach Tagesform anders interpretiere. Das Sender Empfänger Problem betrifft nun auch mal die Kunst. Ob oder wie ich mich rechtfertige, liegt grundsätzlich bei mir und bei dem, was ich ertragen kann.
Vielleicht würde ich es morgen anders ausdrücken als heute.

dT
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Alt 19.03.2024, 18:44   #17
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von dunkler Traum Beitrag anzeigen
Da gibt es einerseits Konsumenten dieser Kunst, denen sie gefallen soll oder sie zumindest als solche anerkennen.
Weiter gibt es Menschen, die bestimmte Sachen (auch Kunst) gar nicht zur Kenntnis nehmen.
Weiter gibt es Experten (studiert oder nicht), die das jeweilige Stück dann sezieren und beurteilen.
Zum Schluss kommen noch die Sitten- Moralwächter, welche selbst alte Bücher oder andere Kunstwerke umkonstruieren wollen, da sie angeblich nicht dem derzeitigen Zeitgeist entsprechen.
Beantworten unterschiedliche Kategorien des Konsums von Kunst oder angeblicher Kunst die Frage, ob das Objekt dieses Konsums der puren Behauptung standhält, "Kunst" zu sein? Meine persönliche Antwort lautet: nein.

Wenn das Alltägliche, das jeder Mensch kann, bereits als Kunst deklariert wird, stellt sich die Frage: Braucht der Konsument diese Kunst wirklich, und wenn ja, wofür? Oder ist es eher so, dass der "Künstler", der das Alltägliche, Allerweltliche, Gewöhnliche zur Kunst erklärt, den Konsumenten braucht? Wenn ein Mensch sich im Kreise dreht, wie es jedes Kind im Spiel tut, wie es sogar eine junge Katze vermag, die spielerisch ihre Schwanzspitze jagt, und ein entzückter Kunstkritiker ausruft: "Seht her, Leute, das ist ein neuer Ausdruckstanz, eine große Kunst, wie sie die Menschheit noch nie gesehen hat!", ist dieses Urteil dann verbindlich und unanfechtbar?

Ja, solange aus der Überzahl der Menschen, die in Ehrfurcht vor dem knien, was sie bis zu ihrer "Aufklärung" für banal hielten, jetzt aber zur "Kunst" erklärt wird, niemand dem Kritiker (= Experten) oder einer neuernannten Avantgarde widerspricht. Wer anderer Meinung ist, wagt keinen Widerspruch aus Sorge, als Kunstbanause zu gelten und niedergemetzelt zu werden.

Bis, wie im Märchen "Des Kaisers neue Kleider" ein kindlich unbedarfter Geist die Wahrheit spricht: "Der Kaiser ist ja nackt!" Solange der "Künstler" (die Schneider) ihre "Kunst" (der nackte Kaiser) in einem feierlichen Rahmen vorführen, von dem sich die Sinne der Konsumenten (das Volk) täuschen lassen oder niemand aus dem Volk die kognitive Kompetenz des Kaisers öffentlich anzuzweifeln wagt, bleibt die "Kunst" der Schneider unbestritten.

Nochmal die Frage: Wer braucht wen dringender? Das Volk den Kaiser? Oder der Kaiser das Volk? Oder die Schneider beide, das Volk und den Kaiser?

Oder anders gefragt: Braucht ein Mensch, der nach neuen Ausdrucksformen oder Techniken strebt, forscht, ausprobiert, verwirft, neu beginnt, sich selbst kritisiert, unzufrieden mit seinem Werk ist, alles umschmeißt und nochmal beginnt, immer wieder – braucht dieser Mensch wirklich "Konsumenten", also ein Publikum? Oder handelt er nicht vielmehr in einem eigenen Kosmos, um die Welt und sich selbst darin zu erfahren? Sieht er nicht in allem, was er im Auftrag machen muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen und weiterexistieren zu können, eine unerträgliche Quälerei?

Zitat:
Zitat von dunkler Traum Beitrag anzeigen
... grundsätzlich darf Kunst alles, was nicht verboten ist.
Dieser Satz ist zwar richtig, hat aber kein Alleinstellungsmerkmal. Auch Nicht-Kunst darf alles, was nicht verboten ist. Kurz gesagt: Er definiert nicht, was Kunst ist und sie von Nicht-Kunst unterscheidet, wie auch Nicht-Kunst durch diesen Satz nicht von Kunst unterschieden wird.

Offensichtlich hat ein Satz von Joseph Beuys zu einem Missverständnis geführt: "Alle Menschen sind Künstler." Damit wollte er nicht sagen, dass alles, was die Menschen produzieren, automatisch Kunst ist. Sein Standpunkt war, dass in jedem Menschen Kreativität steckt. Es obliegt also jedem Menschen, diese kreative Seite in sich zu entdecken und zu aktivieren. Zum Beispiel die Konstruktion einer "Honigpumpe". Der Kauf eines Glases Langnese-Honig im Supermarkt erfüllt den Anspruch, eine treusorgende Hausfrau und Mutter zur Künstlerin zu erklären, mit Sicherheit nicht.

Fazit:

Kunst beginnt dort, wo jemand etwas kann, das ich nicht kann und viele andere nicht können und was sich auch nicht durch Lehre oder Studium vielfältig weitergeben lässt. Das mag man zunächst "besondere Begabung nennen", wenn Begabten zu Höhen aufsteigen, die für andere unerreichbar sind, ist das unbestreitbar Kunst. Wir bewundern Werke, die heute kein Künstler oder Techniker mehr wiederholen kann und über die wir immer noch rätseln, wie sie das geschafft haben.

Der Pfeifer unter der Dusche wird sich damit abfinden müssen, nie die Opernbühne betreten zu dürfen. Und vom Hobbyfilmer bis zu Orson Welles oder Laurence Olivier ist der Weg lang und steinig.

Wer Künstler sein will, muss Kunst schaffen, anstatt sich mit der Schulterung von Säcken abzumühen, die mit Ideologien gepackt sind und in die immer mehr reingefüllt wird. Schmeißt die Säcke weg!
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Alt 20.03.2024, 14:01   #18
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... natürlich liegt Kunst auch immer in der Wahrnehmung des Betrachters. Wenn jemand ein Stück Scheiße an der Wand für Kunst hält und dafür Geld bezahlt, ist das seine Sache. Selbst hochgelobte künstlerische Romane, Dramen etc. sprechen nicht alle an.

Doch eigentlich ging es hier um den Zwang der Rechtfertigung. Wobei ich diese Formulierung nicht ganz kapiere. Nicht ich entziehe meinem Werk den Zwang der Rechtfertigung, sondern ich entziehe mich dem Zwang. Mein Werk kann sich nicht rechtfertigen. Es kann interpretiert werden.

dT
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Alt 20.03.2024, 14:41   #19
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Zitat:
Zitat von dunkler Traum Beitrag anzeigen
... natürlich liegt Kunst auch immer in der Wahrnehmung des Betrachters.
Das Argument, Kunst liege im Auge des Betrachters, halte ich für nichts weiter als eine billige Ausrede, die von Leuten geäußert wird, die sich gar nicht damit auseinandersetzen wollen, was Kunst ist. In Wahrheit meinen sie: Gefällt oder gefällt nicht. Kunst ist aber mehr als nur eine Geschmackssache.

Ich mag, um ein Beispiel vorzutragen, die Bilder von Renoir nicht sonderlich, obgleich sie wunderschön gemalt sind und das Licht- und Schattenspiel von ihm meisterhaft eingefangen ist - große Kunst eben, wie sie nicht jedem Maler gelingt. Aber seine Konzentration auf das bürgerliche Milieu, das in einer heilen Welt zu leben scheint, sagt mir nicht zu. Renoir hat gemalt, was sein sollte, in Wahrheit aber nicht so ist.

Hingegen schätze ich die plakative Malerei eines Toulouse-Lautrec sehr, der sich nicht gescheut hat, die Schäbigkeit des Pariser Prostituiertenmilieus schonungslos darzustellen, womit er einen Skandal auslöste. Auch mag ich den psychologischen Tiefsinn in den Werken Magrittes, die Einsamkeit der Figuren in Hoppers Gemälden und die verrückten Traumbilder eines Dalî.

"Die Blechtrommel" ist ein großartiger Roman, mit einmaligem Sprachvermögen geschrieben. Trotzdem mochte ich ihn nicht, weil mir die Figuren darin zu verzerrt und überspannt erschienen. Vielleicht gefiele er mir heute, fast vierzig Jahre später, besser als damals, denn man entwickelt sich selber weiter. Unbestritten ist dieser Roman jedoch große Kunst.

Auch die vielgeschmähten, als trivial gehandelten Romane von Johannes Mario Simmel sind für mich große Kunst, denn kein Schriftsteller (ausgenommen Heinrich Böll, vielleicht noch Willi Heinrich) hat den Zeitgeist der deutschen Nachkriegsjahre so treffend eingefangen wie er. Wer wissen will, wie die Deutschen in den 50er und 60er Jahren tickten, sollte Simmel lesen.

Zitat:
Zitat von dunkler Traum Beitrag anzeigen
Nicht ich entziehe meinem Werk den Zwang der Rechtfertigung, sondern ich entziehe mich dem Zwang. Mein Werk kann sich nicht rechtfertigen. Es kann interpretiert werden.
Dem stimme ich vorbehaltlos zu.

LG
Ilka
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Alt 20.03.2024, 20:43   #20
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Das wurde ja eine schöne Diskussion mit wohlformulierten zirkulierenden Gedanken und Sublimationen!

Im Moment (heute) brennt mir der Nischel, weswegen ich hier nur kurz reinplatzen will!

Ich weiß ja selbst nicht was Kunst ist, um ehrlich zu sein.
Was ich aber glaube, ist, dass Kunst berührt, egal welches Medium und egal welche Inhalte. Damit meine ich eine Berührung, die nicht durch Polarisation oder Provokation entsteht.

Eine sehr gute Kritik bspw. die wirklich abholt, wohlwollend ist und von der man lernen kann, ist für mich auch schon Kunst.

Ich verzwiebele mich nun wieder in die Schreiberei und dann geht's ins Bettchen.
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Alt 25.03.2024, 13:54   #21
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Kunst hat erstmal etwas mit Handwerk zu tun. Ich kann ganz gut malen, aber nicht wie Renoir. Dann müssten meine Bilder natürlich auch den Leuten gefallen.

Was ich aber interessanter finde, in der heutigen Zeit, ist die Frage, ob man Michael Ende umschreiben darf, weil man nicht mehr "Neger" sagt.
Als Ende das Buch schrieb, fand niemand was dabei, denn auch die damals extrem kleine afrodeutsche Community akzeptierte das Wort.
Es abzulehnen hat etwas mit der Kultur in den USA zu tun, die eine ganz andere Geschichte haben und wo das Wort extrem abwertend gebraucht wird.
Erklären wir also den Kindern, warum das Wort da steht, aber man es heute nicht mehr verwendet oder ändern wir das Kinderbuch = Kunstwerk?
Übermalen wir die Hakenkreuze und behalten die hübschen Adler an Gebäuden aus den späten Dreißigern?

Weiter die Frage, ob ich Musik von Lostprophets hören darf, wenn Ian Watkins ein pädophiler Schwerkrimineller ist. Was ist mit den Filmen von Polanski? Michael Jackson, Rammstein, endlose Liste.
Watkins bekommt auch im Knast weiter Tantiemen und mit denen kauft er Briefmarken und kommuniziert mit hunderten seiner verblendeten Fans, die ihm Bilder ihrer nackten Kinder schicken. Will ich das?
Und was ist mit den Bandkollegen, deren Karrieren von Watkins ruiniert wurden? Warum sollten sie mit bestraft werden?
Wenn ich nicht mehr auf Rammstein-Konzerte gehe, weil Lindemann gerne Teenager befummelt, dann bestrafe ich Flake, der keine befummelt.

Kann man Kunst und Künstler trennen? Darf man Kunst modernisieren oder beraubt man sie dadurch ihrer Entstehungsgeschichte?
Das würde mich mal interessieren, also die Verantwortung des Konsumenten und nicht des Künstlers.

Liebe Grüße,
Lee
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Alt 25.03.2024, 18:02   #22
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Mir mangelt es momentan etwas an Zeit für längere Kommentare, aber ich lasse dir mal diese Seite da:

https://www.lyrikkritik.de/gegen-pol...rammstein-etc/

Die Beiträge, die man da findet, sind goldwert.

"Im Übrigen würde eine junge Frau, die in diesem wachen (und weder woken noch querdenkerischen) Sinne poetisch und wahrhaftig zu sehen und denken gelernt hätte, sich von Berserkerprimaten wie Rammstein, deren vermeintlich künstlerischen Texte schon immer nur ein „Resteficken“ der Romantik waren, wohl kaum beeindrucken lassen und nur müde lächeln; wüßte sie nicht bereits, dass Millionen Fans sich nicht irren können in einer Welt des Irrsinns.".
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Alt 25.03.2024, 18:49   #23
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Hallo Eisenvorhang,

danke für den interessanten Link.
"... niemand hat das Recht, Menschen den Willen zur Gutgläubigkeit und ein wenig Naivität solcherart vorzuwerfen, dass sie dafür bitte schön unter Umständen mit Vergewaltigung und Missbrauch zu bezahlen haben."

Das ist aber erst seit vorgestern so, in all den Jahrtausenden davor hat man Frauen genau das vorgeworfen. Da müssen wir uns auch erst dran gewöhnen, dass es plötzlich nicht mehr unsere Schuld ist, vergewaltigt zu werden, weil der Rock zu kurz war.

Ich bin als Feeling-B-Fan zu Rammstein gekommen. Vielen Leuten entgeht, dass die das nicht ernst meinen und Provokation als Kunstform betreiben.
Rockstars haben eben Groupies und ich wusste schon mit 14, dass das ältere Jungs sind, die mehr wollen als nur rumknutschen. Plötzlich ist das nicht mehr OK, war es aber in den 80'ern, 90'ern und bis vorgestern.

Alte Männer wie Lindemann oder Prinz Andrew haben das einfach nicht mitbekommen, dass naive Teenager flachlegen nicht mehr hip ist. Musste denen mal jemand sagen. Dasselbe mit Weinstein, Hitchcock, Polanski. Ist ja auch gut so, aber wer Rammstein "Bersekerprimaten" nennt, hat die Ironie nicht verstanden.

LG
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