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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 29.12.2019, 11:15   #1
männlich Nöck
 
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Standard Winter - Versuch eines Hexameters

Einzug des Winters, eiskalter Pilger, gnadenlos tötend,
doch ist er ebenso Zauberer, Bildhauer. Schneeflocken wandeln
Chaos und Unordnung um in Reinheit, Ebenmaß formend.
Zarte Eisblumen wachsen gleich Kunstwerken, gläserne Wunder
kalter Nächte, frostige Lilien, hingehaucht, flüchtig.
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Alt 29.12.2019, 12:35   #2
männlich Eisenvorhang
 
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Hallo Nöck,

im Moment versuchen sich einige Dichter am Hexameter. Die Kunst beim Hexameter ist es Gedrungenheit zu vermeiden. Damit meine ich, dass viele versuchen die Silben zu füllen, um der strengen rhythmischen Form entsprechen zu können.

Dir ist das ganz gut gelungen, Kompliment. Deine Zeilen wirken wie eine Einschiebung und Aneinanderreihung kurzer Gedanken, also weniger fließend in Sätzen. Trotzdem verlierst du dabei nicht die Dichtheit und formst durch eine filigrane Auswahl der Wörter ein schönes Konstrukt.

Als kleine Randbemerkung und wohlwollende Kritik zum Überdenken: Ich glaube nicht, dass der Winter gnadenlos tötet. Die Natur passt sich der Periode des Eises an. Es wird also im Verborgenen weitergelebt. Hier könnte man beispielsweise schreiben, dass der Bär durch seines Winterschlafes das ewig wirkende Eis überdauert und lebt (Sinngemäß als Beispiel, nicht wörtlich gemeint). Beziehungsweise zielt mein Hinweis darauf ab, sich der Vielschichtigkeit des Winters zu nähern und nicht nur zu beschreiben was er ist: Zauberer, Bildhauer (Du erkennst dich im Winter? ) etc. pp.

Die Zeile

Chaos und Unordnung um in Reinheit, Ebenmaß formend...

Finde ich nicht optimal, schöner wäre es hier, wenn aus dem Chaos und der Unordnung Ordnung durch einem guten Lesefluss und einem guten Satz entspringen könnte.

Ganz charmant und entzückend und sehr feinfühlig formuliert finde ich hingegen das Hingehauchte und die frostigen Lilien. Lilien besitzen ja nicht zwingend eine schöne Bedeutung wie Edelweiß oder vor allem in der Poesie das Gänseblümchen. Sie passen aber hervorragend zum Winter.

Um meine Kritik und Gedanken zusammenzufassen:

Mir gefiele das Hexameter besser, wenn es weniger wie ein Staccato daherkäme und mehr anmuten würde wie ein eisiger Wind, der die Felder in weiße Seide legt.

Ein Hexameter ist keine einfache Sache, weswegen ich trotzdem, wie gesagt, ein Kompliment aussprechen möchte.

Davon ab frage ich mich: Wo ist denn heutzutage die Elegie verblieben?

vlg

EV
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.01.2020, 13:08   #3
männlich Nöck
 
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Hallo EV,

danke für deine ausführliche und interessante Stellungnahme. Nicht ohne Hintergedanken habe ich mein Gedicht einen "Versuch" genannt und dabei soll es vorerst auch bleiben. Der Spaßfaktor ist hinsichtlich Hexameter bei mir nicht sehr groß.

Zitat:
Zitat von Eisenvorhang
Davon ab frage ich mich: Wo ist denn heutzutage die Elegie verblieben?
Da die Elegie (als Distichon) zum Teil auch aus einem Hexameter besteht, lasse ich wohl besser meine Finger davon. Etwas anderes ist es, ein Gedicht zu schreiben, das ein trauriges, klagendes Thema hat und schwermütig oder wehmütig daherkommt.

LG
Nöck
Nöck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.01.2020, 13:44   #4
männlich Eisenvorhang
 
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Ja, genau, viele denken die Elegie wäre nur ein trauriges und klagendes Gedicht. Sie besteht zweizeilig aus einem Hexameter und einem Pentameter.
Einschüchtern lassen, würde ich mich davon aber nicht, Nöck. Verliere einfach den Respekt vor gewissen Formen und wenns dich juckt, schreib das Ding nieder. Sind im Endeffekt nur mehr Silben, paar Betonungsbögen und hier und da eine Zäsur.
Wissenschaft ist was anderes.



Trotz deines "Versuches" finde ich das Hexameter aber trotzdem soweit gelungen. Das man muss man erstmal können und nachmachen. Lass dich nicht beirren.

Danke fürs Teilen.

vlg

EV
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.01.2020, 01:53   #5
männlich Heinz
 
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Einzug des Winters, eiskalter Pilger, gnadenlos tend,
doch ist er ebenso Zauberer, Bildhauer. Schneeflocken wandeln
Chaos und Unordnung um in Reinheit, Ebenmaß formend.
Zarte Eisblumen wachsen gleich Kunstwerken, gläserne Wunder
kalter Nächte, frostige Lilien, hingehaucht, flüchtig.

Xxx Xx Xxx Xx Xxx Xx
Xxx Xxx Xxx Xxx Xxx Xx
Xxx Xxx Xx Xx Xxx Xx
Xx Xxx Xxx Xxx Xxx Xx
Xxx Xx Xxx Xx(x) Xxx Xx

Lieber Nöck,
vor dem Hexameter habe ich genau das, was Eisenvorhang Dir abrät: Ehrfurcht (oder ein ähniches Gefühl).
Hexameter sind es, von der Anzahl der Versfüße her betrachtet, allemal.
Von Pentametern fehlt (das ist meine bescheidene Meinung) jede Spur.
Was mir am Hexameter Deiner (versuchsweisen) Machart fehlt, ist das "weithin schwingende Wogen und ruhlose Pulsens der Wellen", - um selbst mal einen Vers in Hexameters Maß zu probieren. (Xx Xxx Xxx Xxx Xxx Xx)
Durchaus richtig scheint mir, dass a) jeder Vers mit einer Hebung beginnt (Daktylus oder Trochäus) und b) der jeweils vorletzte Versfuß ein Daktylus ist.
Aber, und das sage ich nicht aus falscher Bescheidenheit: Ich bin kein Schreiberling, der von sich behaupten könnte, Hexameter in gefälliger Form zu schreiben (und "abgehackte Sätze" formulierend der Versuchung widerstehen könnte, aus dem Zwang der Form zur Freiheit des dichterischen Werks zu gelangen.
Dein "Versuch" verdient jede Anerkennung!
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.01.2020, 02:27   #6
männlich Eisenvorhang
 
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Es ist ja keine Elegie Heinz, worin ein Penta vorkommt.

Ich finde es schade, dass, je älter man wird, der Ernst so durchs Leben zieht.
Als Kind hockte man irgendwo im Dreck und spielte unbekümmert mit irgend einem Zeug. Oder die großen Bauten mit Lego; damals hatte ich auch ein Mikroskop, boah, das war spannend. Mein erstes Buch über Quantenphysik schnappte ich mir mit acht. Natürlich verstand ich nur Bahnhof, aber die Grafiken über Lichtwellenverhalten faszinierten mich. Keine Spur von Ehrfurcht.... Da stand das Spiel im Vordergrund und ich wuchs durch Herausforderungen an Freude an der Sache. Nach den Jahren versuche ich mich immer noch daran zu erinnern und will es irgendwie in meine Lernmethodik und Lebensphilosophie einbinden, weil ich glaube, dass es mich so jung halten kann. Im Geiste jedenfalls, der Körper zerbröselt sowieso irgendwann.

Wenn ich zu viel Respekt und Ehrfurcht empfinde, wird mich das daran hindern neue Formen auszutesten. Da schwingen im Hintergrund latent die gesellschaftlichen Erwartungen mit und Versagensängste und so weiter...
Weswegen ich finde, dass viele Menschen viel ausprobieren sollte, ohne sich dabei einen Kopf zu machen, was am Ende dabei rumkommt.
Selbst wenn es nur Wurst und Käse ist, so hatte man Freude an der Sache.

vlg

EV
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.01.2020, 02:46   #7
männlich Heinz
 
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Lieber Eisenvorhang,
an meinen Einwurf zum Pentameter bist Du nicht ganz unschuldig (durch die Erwähnung der Elegie). Schwamm drüber.
Ich schrieb von Ehrfurch oder einem ähnlichen Gefühl. Nee, Du musst nicht glauben, dass ich vor einem Hexametergebilde niederfalle und in Anbetung versinke. Aber meine Hochachtung vor Leistungen wie "Römische Elegien" und anderen Werken in Hexa- und Pentameters Maß ist gewaltig. Beide Dichtformen setzen, wie ich meine, ein gerütteltes Maß an Sprachkenntnissen und ein besonderes Gefühl für Rhythmus voraus.
Im übrigen: Ich entdecke in unseren Stellungnahmen/Kommentaren sehr viel mehr Gemeinsames als Trennendes.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.01.2020, 02:59   #8
männlich Eisenvorhang
 
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Durch die Länge der Verse des Hexas oder schlimmer bei den Pentas entsteht durch die Vokalbildung ein Betonungsbogen (Ähnlich wie die Phrase in der Musik) und häufig bricht dieser in der Mitte des Verses zusammen, wenn man nur silbenbemüht ist.
Wenn du dir die römischen Elegien mal anschaust, wirst du feststellen, dass sich eine Harmonie über die gesamte Verslänge zieht. Das ist große Kunst, da hast du vollkommen recht. Rilke war da auch nicht gerade bescheiden... Und viele andere auch. Am Hexa versuchte ich mich auch... Ich mag das Aggressive der Trochäen nicht sonderlich, weswegen ichs gelassen habe. Ich denk in zehn Jahren nochmal drüber nach.

Ja Heinz, uns Schachtscheißer verbindet wohl so einiges.
Deswegen: Ich ziehe mit viel Frieden in 2020 (auch dir gegenüber). Glück auf!


vlg

EV
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