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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 19.10.2012, 19:53   #1
weiblich Damaris
 
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Standard Upside down

Lange schon laufe ich durch den Englischen Garten. Rhythmisch die starren Gliedmaßen schwingend, die eisige Luft einsaugend durch die vom Schal bedeckte Nase. Der Schnee knirscht unter meinen Stiefeln. Krähen krächzen, Hunde apportieren, Kinder quängeln. Zugefrorener See. Ich laufe darüber, beobachte die Schlittschuhläufer und denke: 'Das ist unmöglich auf Malta.'
Man konnte schwimmen, auch bei 10° plus. Mir war dabei genauso kalt wie jetzt auf dem Eis. Doch habe ich die harsche Liebkosung des klaren Salzwassers genossen.
Nicht lange, dann verlasse ich das Meer eher kriechend, meine klammen Füße finden kaum Halt auf dem glitschigen Gestein. Eva macht weiter Fotos. Sie will sie ihren Freunden in Tschechien zeigen:
„That crazy girl was my roommate!“, ruft sie lachend.
Ich schmirgele mich mit dem Handtuch trocken, schlüpfe in die warme Kleidung. Es prickelt, von der Kopfhaut bis zum kleinen Zeh und ich fühle mich schwerelos, bis sich mein Körper auf Normaltemperatur hochgeheizt hat.
Das Meer plätschert beschaulich in der Wintersonne. Als hätte es sich entkräftet im Sturm. Brausend und schäumend brach es sich am wuchtigen Gestein, duschte die Luft mit Salzwasser vor knapp einer Stunde.
Wir fahren zurück nach Sliema. Emmi ist zu Hause geblieben: „Sunday is my Home-stay-day“ sagte sie.
Unter erschwerten Bedingungen mache ich Hausaufgaben. Eva und Emmi sitzen mir am Wohnzimmertisch gegenüber und talken. „What?“ Ich entsinne mich, das ich als Frau multitaskingfähig sein soll und translate abwechselnd Englisch mit tschechischem und französischem Slang, instructions and alien-grammar. Emmis dictionary is for children, sie zeigt uns funny pictures. Ich gebe auf, werde den Wecker für Morgen eine halbe Stunde früher stellen. Wir spielen heiteres Tierstimmenraten. Kniffelig in internationaler Runde. Es gibt beträchtliche Unterschiede beispielsweise zwischen dem Grunzen eines deutschen, französischen und tschechischen Schweins. Ich schlage mich tapfer: „Which animal makes kikeriki?“
„Yeah, the chickenman!“
An dieser Stelle möchte ich Ihnen mitteilen, das meine Mitbewohnerinnen und ich bereits erwachsen sind. Eva ist Universitätsdozentin, Emmi studiert Jura, ich bin Krankenschwester.
Aber hier, auf Malta, sind wir Studenten an der Easy-Language-School. Die Jüngste ist 18, der Älteste 60. Wir kommen aus Chile, Japan, von überall her und haben das gleiche Ziel. Es gibt keine Ausgrenzung, wir lachen über unsere Fehler: „When I cook somebody!“
Während unserer Schulausflüge besichtigen wir uralte Architektur, ausgegrabene Tempel, Museen, Paläste, Landschaftskleinode und immer wieder das Meer in seiner Vielfalt. Nein, wir gehen nicht Hand in Hand und auch nicht in Zweierreihe, aber die Trips erinnern an diese Zeit.
Wie es sich für Studenten geziemt, feiern wir oft und ausgelassen. Wir sind laut. Das liegt nicht am Alkoholpegel sondern an unserer Redelust. Um uns trotz babylonischer Dialektlandschaft zu verständigen, ist dies unvermeidlich. Die Kellner sind dankbar, wenn wir endlich weiterziehen, in unser Stamm - Karaoke – Pub. Dort dröhnt es derart, dass selbst wir nicht stören.
Zuweilen gönne ich meinem gestressten Hirn eine Wellness Massage in einer der über 365 Kirchen. Ich lasse mich vom arabisch anmutenden Malti berieseln und verstehe nichts außer „Ave Marie“ und „Amen“.
Flugs sind drei Wochen um, Abschiedsparty bis 1Uhr, erst beim Maltes dann im Pub. Ich halte inne voll Dankbarkeit, möchte diesen Moment konservieren für ewig.
Morgens 6:30 veranstaltet Emmi für mich eine Pyjamaparty, ich bin als einzige over dressed. Sie hat Schokokuchen gebacken. Ich lache weinend. Dann kommt mein Pick Up Service zum Flughafen. „I love you!“ schreie ich den aus den Fenster Winkenden zu. Der Fahrer prüft die Papiere und meint kopfschüttelnd: „They write, you are 45!“
München begrüßte mich mit minus 15 Grad und einer Halsentzündung. Mittlerweile habe ich mich klimatisch akklimatisiert. Ich vermisse meine Studentenfreunde, die lustige Studentenzeit, Arbeiten ist nicht amüsant.
Auch wundere ich mich immer noch, das ich problemlos alles verstehe. Ich lausche den Gesprächen der Spazierenden. Höre die Vögel trällern. Selbst in dieser frostigen Zeit zwitschern die daheimgebliebenen Piepmätze, als käme der Lenz dann schneller uns grüßen. Oder sind sie nur sorglos beglückt, weil keiner auf sie schießt?
Auf Malta, da liegen die Patronenhülsen, wo einst die Wandervögel sangen.
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