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Alt 12.12.2021, 12:50   #1
männlich Robert Go
 
Dabei seit: 11/2018
Ort: Chemnitz
Beiträge: 85


Standard Ehrlich währt am längsten

Zusammen mit ihrer Oma verließ die achtzehnjährige Sarah, die Kaufhalle und lief zur Bushaltestelle. Während sie die Einkaufstüten trug, lief ihre Oma, gestützt auf ihren Rollator neben ihr.
Gehst du heute zu diesem Zeichenkurs?“, fragte sie.
„Ich weiß nicht, Omi. Es hat sich gut angehört, was ich im Internet darüber gelesen habe. Aber ich bin unsicher, wie sie auf mich reagieren. Ich habe Angst, dass sie mich auslachen. Du weißt ja, dass ich schüchtern bin. Außerdem kann ich nicht gut zeichnen.“
„Das ist doch nicht so schlimm, Sarah. Du bist eine junge, intelligente Frau. Du siehst immer ordentlich aus und besitzt gute Manieren. Nicht so wie manch andere Leute.
Du weißt ja, dass die Enkelin meiner Nachbarin beim Jobcenter arbeitet. Einmal hatte ein junger Mann einen Termin bei ihr.
Er ist eine Stunde zu spät gekommen, stank nach Alkohol und Zigaretten und trug einen Pullover mit dem Schriftzug Arbeit nervt.
Dann hat er tatsächlich gesagt, dass er nur gekommen sei, damit er seine Ruhe vor den Idioten vom Jobcenter habe.“


Inzwischen hatten sie die Haltestelle erreicht. In dem Wartehäuschen, saß bereits ein junger Mann. Sarah schätzte ihn auf Mitte zwanzig.
Kurioserweise sah er mit den bunt gefärbten Haaren und den Tätowierungen an Hals und Händen, genauso aus, wie die Leute, über die ihre Oma sagte, „Das sind Schmarotzer, die keine Lust haben zu arbeiten“.
Auch die alte Dame wurde auf ihn aufmerksam.


Hoffentlich sagt sie jetzt nichts falsches, dachte Sarah.
Sie zeigte auf den Rucksack der auf der Bank stand.
„Könnten Sie den bitte, runter nehmen, damit meine Oma sich setzen kann?“
„Natürlich. Kein Problem“, sagte er und lächelte.
Sonjas Oma bedankte sich.
Vielleicht ist er doch nicht so schlecht, wie er aussieht, dachte sie.
Als sie die Tätowierungen sah, kam ihr eine Idee.
„Sie scheinen sich ja mit Kunst auszukennen“, begann sie.
Der Mann lachte. „Sie meinen wegen den Tattoos?“
„Ja“
„Warum fragen Sie?“
„Meine Enkelin möchte einen Zeichenzirkel besuchen. Können Sie ihr einen empfehlen?“
„Ich gehe selbst regelmäßig zu einem.“
„Aha. Wo genau?“
„Er findet einmal wöchentlich im kleinen Kulturzentrum statt. Der erste Besuch ist kostenlos, ab dem zweiten wird dann ein kleiner Gelbetrag verlangt. Ihre Enkelin kann ja heute Nachmittag mal vorbeikommen.“
„Das hört sich alles sehr gut an. Aber sie ist ein wenig schüchtern.“
Sarah wurde tomatenrot im Gesicht. Ihre Oma war manchmal peinlich.



Der junge Mann grinste.
„Ich kann sie beruhigen. Die Mitglieder des Zeichenzirkels sind echt hilfsbereit und sehr freundlich. Ich komme gut mit ihnen zurecht.“


In diesem Moment kam der Bus angefahren.
„Wir müssen jetzt einsteigen, Omi“, sagte Sarah. Auch der Punk stand auf
„Ich helfe Ihnen gern, beim Aufstehen, junge Frau“.
Sie lachte. „Ein schönes Kompliment. Ich bin übrigens Sieglinde. Das hier ist meine Enkelin, Sarah.“
„Mein Name ist Alex.“
Da passierte es! Als Sarah ihren Rucksack aufhob, den sie neben sich abgestellt hatte, fiel aus dem mittleren Fach etwas heraus. Sie bemerkte es nicht und stieg mit ihrer Oma ein.
Doch bevor Alex sie darauf aufmerksam machen konnte, schlossen sich schon die Türen und der Bus fuhr davon.
Er bückte sich. Es waren ein Handy und ein Portmonee mit einer größeren Summe Bargeld, einer Geldkarte und dem Personalausweis. Als er die Adresse auf dem Ausweis sah, musste er grinsen. Sarah wohnte ganz in seiner Nähe.
Kurz überlegte er, wie er sich verhalten sollte. Die einfachste Lösung war, jemanden aus ihrer Familie anzurufen, den Sachverhalt kurz schildern und abwarten was passierte.
Er nahm das Handy und suchte in den Kontakten, bis er eine Nummer mit der Bezeichnung Vater gefunden hatte.
„Hallo Schatz“, meldete sich eine tiefe Männerstimme.
„Hier ist nicht ihre Tochter, mein Name ist Alex Baum. Ich habe das Handy und das Portmonee ihrer Tochter gefunden. Sie hat beides verloren, als sie mit ihrer Oma in den Bus eingestiegen ist. Ich möchte es ihr gerne zurückgeben.
Sarahs Vater bedankte sich und teilte ihm die Adresse mit. Ein kurzer Blick genügte, um herauszufinden, dass die genannte Adresse mit der auf dem Ausweis identisch war.


Nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichte Alex sein Ziel und klingelte.
Sarah öffnete ihm. Sie bedankte sich und lud ihm zum Kaffeetrinken ein.
Alex erzählte von seiner Schule, seiner Familie, und das er auf der Suche nach einem Praktikumsplatz sei. Doch weder im Altenpflegeheim noch in der Buchhandlung waren noch Plätze frei.
Sarahs Oma gab ihm den Tipp, sich bezüglich des Praktikums an die Tagespflege zu wenden, in der sie untergebracht war.


Alex bedankte sich und wollte gerade gehen, als ihn Sarah am Arm festhielt.
„Ich werde dich von nun an, jeden Dienstag zum Zeichenkurs begleiten“, sagte sie.
Ehrlich währt am längsten, dachte Alex glücklich.
Dann machte er sich zufrieden auf den Heimweg.


© by Robert Gottschalk
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