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Alt 01.01.2014, 20:41   #1
weiblich gabrielle
 
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Dabei seit: 01/2014
Ort: Paris
Beiträge: 4

Standard In der Pariser Hemingway-Bar

Jana lernte Francesca in der Hemingway-Bar kennen. Die deutsche Malerin Jana wollte endlich DAS Paris der Bars und Hotels kennenlernen. Die Ritz-Bar, wo sich Hemingway viel aufhielt, schien ihr als Künstlerin gerade richtig dafür. In einem Pariser Frauenmagazin hatte sie gelesen, dass le tout Paris, die Pariser Reichen, sich zur Zeit an diesem Ort treffen. Nach fünf Jahren Paris und einem grossen Stapel leidenschaftlich gemalter und unverkaufter Bilder gab sie trotzdem nicht auf. Jana wollte ihre Werke verkaufen! Dafür hatte sie ihre Heimat verlassen. Trotz immenser Anstrengungen in die Galerien zu gelangen, war noch immer kein Erfolg als Malerin in Paris sichtbar. Seit sie in der alten Kunstmetropole angekommen war, wollte sie auf den Spuren van Goghs und Picassos wandeln.
Mit etwas Anfängerglück war es ihr recht schnell gelungen, eine winzige Ladenwohnung am Montmartre zu mieten, feucht, dunkel, teuer, aber im alten Pariser Künstlerviertel. Träumend schlenderte sie unermüdlich durch die Strassen und erfreute sich an den verschlungenen Formen der Pariser Balkone, den rotbraunen Schornsteinen und den verblichenen blauen Dächern.
Sie träumte sich in hohe Atelier-Apartments hinein und malte Tag und Nacht. Ab und zu erledigte sie auch kleine Fotoaufträge und beaufsichtigte nachmittags Kinder in einer Schule. Letzte Woche flatterte plötzlich und sehr unverhofft ein Brief ihres Vermieters mit einer recht hohen Mieterhöhung herein. Solch eine Nachricht brachte Jana fast zur Verzweiflung. Ihre Nebentätigkeiten warfen nicht genügend Geld ab und weitere kleine Jobs waren in den Zeiten der Wirtschaftskrise schwer auffindbar. “Um Escort-Girl zu werden, bist du mit 44 Jahren zu alt. Du musst in reiche Kreise gelangen!” So schlug ihr die lebenserfahrene Künstlerfreundin Shouponette vor. Sie musste es wissen, immerhin war sie schon 77 Jahre alt und Vollblutkünstlerin. Meine Bilder sind gut! Sie sind verkaufbar! Nichts und niemand konnte sie von dieser Meinung abbringen. Jana glaubte an ihre Kunst. Und sie war unbeirrbar.
Eines Donnerstagnachmittags im Dezember brach sie auf, um die berühmten Bars und die mondäne Welt kennen zu lernen.
Sie hatte sich dafür so klassisch, wie es ihre Garderobe ermöglichte, angezogen. So fand sie sich nach einem fachmännischen Blick in den Spiegel mit gut sitzender Jeans, einer weich fallenden geschlossenen Bluse und einem gepflegten dunkelblauen Blazer gut gerüstet. Ihre dunkelbraunen lockigen Haare
versuchte sie zu einer Hochfrisur glatt aus dem Gesicht zu kämmen, wobei ihr trotzdem ein paar freche kleine Wellen immer wieder ins Gesicht fielen. Das ist charmant, das lassen wir, sprach sie laut zu sich selbst. Trotzdem aufpassen : Nur keinen Faux-Pas, keinen Fehler in diesem Milieu begehen! Paris war in diesen Konventionen gnadenlos unerbittlich.
Das Wetter spielte mit, weder regnete es, noch war es eiskalt. Auf ihren hohen Schuhen wankte sie durch die Metro in Richtung Place de la Madeleine und spazierte in die unauffällige Nebenstrasse zum Hotel Ritz. Sie bemühte sich, reserviert und unnahbar zu wirken. Innerlich bebte sie vor Aufregung.
Ein junger, eleganter, schwarzgekleideter Kellner öffnete ihr die Tür: ”Möchten Sie an die Bar oder an einen Tisch?” Nun gut, dachte Jana, wenn schon denn schon. Greifen wir an! “Bitte an die Bar!” antwortete sie so souverän sie konnte und folgte ihm in möglichst eleganten Schritten, was sich als nicht leicht erwies, da sie nicht gewohnt war, so hohe Absätze zu tragen. Nur nicht hinfallen! Bitte nicht umknicken! Er wies ihr einen Barhocker zu und reichte ihr eine Getränkekarte aus edlem Papier. Sie nahm Platz, dann liess sie ihren Blick scheinbar gelassen schweifen und begab sich auf die Suche nach dem preiswertesten Getränk. “Möchten Sie einen Coctail? Wir haben eine grosse Auswahl und gehören besten Coctailbars in Paris!” Hörte sie den Kellner einschmeichelnd im Hintergrund rufen. Offensichtlich sah er in ihr eine gute Kundin. Sie studierte die Karte sehr interessiert, besonders die vielen exotischen Coctails. Sie vertiefte sich darin. Allein schon die Namen liessen sie in ferne Kontinente reisen. Langsam! So gewinne ich Zeit auf der Getränkesuche meiner Preislage.
Dank der Spätnachmittagszeit konnte sie, ohne aufzufallen, auf einen anti-alkolischen preiswerten Tee ausweichen. ”Ihre Coctails probiere ich bald einmal abends aus. Für mich ist der Nachmittag zu früh mit Alkohol”, flüsterte sie ihm vertrauensvoll zu. Das schien gelungen. Er sah sie verständnisvoll an: “Mit dem grössten Vergnügen, Mademoiselle.” Ein Lächeln wurde erwidert und dann kam zuallererst ein schlankes edles Glas mit Wasser und einer Zitronenscheibe, sozusagen der Empfangsdrink. Sie nibbte. Erfrischend, geradezu gut. Sie sah sich um. Kleine Tischchen, überall alte schwarz-weisse oder stark vergilbte Fotos des Schriftstellers an den Wänden. Hemingway beim Schreiben, Hemingway am Strand, Hemingway mit schönen Frauen an seiner Seite. Sie kannte schon die Hemingway-Bar in Havanna, Kuba. Hm, ich entwickele mich zur Hemingway-Spezialistin, obwohl ich nichts von ihm gelesen habe, stellte sie leicht belustigt ihre Kulturlücken fest. Ein paar vereinzelte Pärchen sassen an den Tischen, alle sehr elegant gekleidet. Hinten in einer Ecke sass ein übergewichtiger, älterer Herr, betucht aussehend, in Begleitung von einer jungen Asiatin mit langen Haaren und üppigem Decolleté. Das ist sicher nicht die Ehefrau, bemerkte Jana. Mindestens eine oder mehrere Geliebte sind in Paris für die, die es sich leisten können, an der Tagesordnung. Dieser Ort schien wie geschaffen für solche heimlichen Rendez-vous. Jana beobachtete eingehend. Der Grundtenor der Kleidung war schwarz. Ihr erstes Resümeé : Nicht sehr einfallsreich Der Raum hingegen strahlte die Gemütlichkeit einer vergangenen Epoche aus. Jana liebte es, in andere Zeiten und Atmosphären einzutauchen. Alles war sehr gekonnt in Szene gesetzt. Viel Holzmobiliar, purpurrote samtüberzogene Sessel, beigefarbene Wände, gedämpftes Licht. Die diskrete Jazzmusik im Hintergrund lenkte nicht von Gesprächen ab. Man konnte sich wohl fühlen.

Jana hatte sich darauf vorbereitet, dass nichts Interessantes geschah. Sie zückte ihr Tagebuch heraus, um ihren Gedanken freien Lauf zu lassen.
Nun ging die Tür auf. In ihrer Naivität hatte sie auf einen interessanten Mann gehofft, vielleicht ein ehemaliges Fotomodell mit blendendweissem Reklamelächeln. Enttäuscht wandte sie ihren Blick ab. Eine vielleicht fünfundvierzigjährige Frau setzte sich ebenfalls an die Bar. Jana studierte sie aus dem Augenwinkel. Schwarze, lange Haare, Teint einer Südländerin, schicke schwarze Schuhe - sehr gepflegte Erscheinung. Ihr fielen die enorm hohen Absätze auf. Wie leichtfüssig hatte sie sich damit bewegt, empfand Jana erstaunt und bewundernd zugleich. Sie trug einen Leoparden-Imitatmantel, etwas Übergewicht liess sich auch bei ihr nicht verleugnen. Ihre Barnachbarin schien sehr an einem Gespräch interessiert. Einsam in Paris, analysierte Jana insgeheim. “Die Stadt ist viel zu voll mit Weihnachtsbesuchern, finden Sie nicht auch?” Sie spürte ihreBlicke auf sich ruhen. Jana drehte sich um. Ein bisschen Konversation kann ja nicht schaden. “Oh, mich stört das nicht. Die Lichterketten gefallen mir mehr als das triste Dezember-Paris”, entgegnete sie der Unbekannten mit einem strahlenden Lächeln. Leichtigkeit ist angesagt, besonders bei diesen Trüb-Wetter-Themen, hatte sie sich über die Etikette der Konversation angelesen.
“Oh, das ist nicht schlecht. Da haben Sie Recht.” Die andere schien sie zu studieren. Jana nippte an ihrem Zitro-Wasser-Coctail. Ihr Tee liess immer noch auf sich warten. Sie schaute desinteressiert in eine andere Richtung. ”Sie sind nicht aus Paris? Sie haben so einen kleinen netten Akzent!” wandte sich diese ihr wieder zu. Oh, bitte, kein Gespräch mehr über ausländische Akzente und woher sie denn komme. Diese hatte sie in tausend Variationen durchlebt. Sie liess sich ihr Gestörtsein nicht anmerken, sondern blieb gleichbleibend sanft und fröhlich. “Das stimmt”, wieder entwaffendes Lächeln.” Ich komme aus Berlin.” Diese Stadt machte sich immer gut. Ganz Paris träumt von Berlin. Und siehe da, es wirkte: ”Oh, Berlin, diese neue Kulturstadt! Wie gern möchte ich sie besuchen!” hauchte ihr Gegenüber in einem Begeisterungsanfall. “Sind Sie Berlinoise?” Grosse bewundernde Augen ruhten auf ihr. “Oui, ICH BIN BERLINOISE”, wie eine französische Delikatesse liess sie diese Bezeichnung langsam auf ihrer Zunge zergehen. Seit dem Mauerfall klang es auf französisch beeindruckend, Berlinerin zu sein. Die gestressten Pariser sehnten sich fast alle danach, in dem weitläufigen grünen Berlin eine Wohnung zu kaufen. Jana genoss die Bewunderung.
Eine Gesprächspause begann, in der sie anfing, sich unangenehm von ihrer Gesprächspartnerin von Kopf bis Fuss gescannt zu fühlen. Diese schien auch nicht französisch zu sein. “ Und Sie ? Sind Sie Italienerin?” Ein Lächeln glitt zu ihr: “Stimmt, woher wissen Sie das ? “ Jetzt kam Jana in Fahrt: ”Oh, das sieht man sofort! Die Italienerinnen sind immer so gut gekleidet!” Dieser Honigbrocken sass. Sie war zufrieden mit sich in ihrer ersten Coctailbar-Konversation. “Kommen Sie oft hierher?” Madame Leopard wurde gesprächiger: ”Ich jedenfalls liebe diese Bar. Eigentlich komme ich so gegen 22 Uhr hierher. Da ist mehr los.” Sie liess ihren Blick schweifen: “Obwohl gegen 17 Uhr zur Aperitif-Zeit geht es noch. Zwischen 20 und 22 Uhr sind die Bars ausgestorben, weil man da essen geht. Ich komme hierher, weil man hier so interessante Menschen kennenlernt.” Jana nickte in perfektem Einverständnis. Das sah nach einer Paris-Bar-Lektion in aus. “Ich heisse Francesca und Sie?” Man tauschte die Namen aus. Dann ging es weiter mit dem Thema Arbeit. “Ich bin Malerin, aber manchmal arbeite ich auch als Fotografin..” “Oh, wie interessant! Für welches Magazin arbeiten Sie?” Ihr Gegenüber schien begeistert. Mit der Pariser Vogue konnte Jana nicht angeben. Aber Lügen, hatte sie den Eindruck, ist in Paris in bestimmten Kreisen en vogue. Sich gut verkaufen um jeden Preis! “Tja, manchmal arbeite ich für Elle, manchmal für Vogue oder New Yorker Zeitungen.” Möglichst lässig warf sie mit diesen Erfolgsnamen um sich. So verschaffte sie sich Respekt! Francesca arbeitete bei Prada als Art Director. “Oh”, auch Jana liess ihre Augen grösser werden, verbunden mit einem diskreten Ausdruck der Begeisterung. Die Wirkung liess nicht lange auf sich warten. Prada, natürlich, das ist fashion, was sonst. Sie schien Francesca genug zu beeindrucken, um es wert zu sein, die abendfüllende Diskussion auszubauen. Sie spürte noch einen scannenden Blick von Kopf bis Fuss. Dazwischen nippte Jana am eleganten Greentee, entschieden, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Doch plötzlich schoss es unverhofft aus Madame Leopard zu ihr herüber: ”Wir könnten uns ja duzen. Wir arbeiten ja beide in der Kunst, nicht wahr?” Jana nickte ihr zu. Doch dann wurde sie stutzig. Von gegenüber kam plötzlich : “Bitte nimm es mir nicht übel, Du bist hübsch, aber Du kannst noch besser aussehen. Ehrlich gesagt, solltest Du einen neuen Typ aus dir machen.“ Madame Leopard, innerlich blieb Jana bei diesem Namen, wartete auf die Wirkung ihrer Worte. Als Jana gelassen blieb, fuhr sie fort :“Innerlich bist Du das schon, aber äusserlich fehlt noch was. Vor allem, wenn Du in der Kunst hier Erfolg haben willst!“ Jana schluckte. Das kam unerwartet. Etwas frustriert sah sie an sich herunter auf ihre netten kleinen Speckröllchen, die sie nun mal nicht so einfach auflösen konnte. Aber manche Männer liebten diese weiblichen Formen. Sie hatte sich mit ihnen arrangiert. Sie wäre von den Impressionisten sicher dank ihrer Figur gemalt worden, beruhigte sie sich innerlich. Trotzdem runzelte sie nun ein wenig die Stirn bei den Gedanken an ihre Figur. Dann wieder glitten ihre Blicke zu der Mode-Leopardin. „Erzähle mir mehr.“ strahlte sie Francesca interessiert an. Diese überlegte ernsthaft und ausgiebig. „Hm, Du solltest aussehen wie ein früheres Fotomodell. Du brauchst wirklich ein Relooking, sonst hast Du längerfristig keine Chancen, in reichen Kreisen etwas zu verkaufen. Zunächst musst Du abnehmen und dann, pardon, mach schnellstens Deine Ringe und Ohrringe ab! Man sieht sofort, dass Du kein Geld hast.“ Das sass. Meine geliebten Ohrringe. Sie fuhr innerlich ihre Stacheln aus. Kaum blieb eine Pause zum Aufatmen. Schon schoss es wie ein Kanonendonner mit gezielter Ironie aus Madame Leopard heraus: „Und es ist sehr schön, dass Du Malerin bist, aber man muss es ja nicht gleich an den Fingern sehen, oder?“ Diskret senkte Jana ihren Blick. In der Tat entdeckte sie die Spuren ihrer gegenwärtigen Auftragsarbeit einer Aussendekoration. Die Farbe hatte sich schlecht abwaschen lassen. Ein fröhliches Gelb mit roten Sprenkeln prankte frech auf ihrem rechten Handrücken. Unübersehbar schien es ein gnadenloser Makel zu sein. Jana konnte schweres Atmen nicht mehr vermeiden. Eine fragwürdige Stille entstand. Was sollte jetzt noch kommen? Ein weiterer abschätzender Blick, diskret, aber sie fühlte sich durchschaut: „ Kauf Dir ein schwarzes Kleid. Das ist zeitlos und überdeckt Deine Unebenheiten. Es passt immer und überall. In zehn Jahren kannst Du es dann wieder verkaufen.“ Sie kam in Fahrt: „ Hör gut zu, jetzt erzähle ich Dir ein Geheimnis!“ Jana wäre am liebsten im Erdboden versunken. Aber jetzt entschloss sie sich, Haltung zu wahren und bei der nächsten Gelegenheit zu veschwinden. Ihre fragwürdige Beraterin fuhr unerbittlich fort ; „Hol Dir eine Karte zum Einkaufen für das Kaufhaus Bon Marché oder Lafayette. Dann kannst Du in drei Raten bezahlen.“ Zwischendurch kamen Janas Träume ihr wieder ins Bewusstsein. Vielleicht war das der Weg zum Erfolg in ihrer Kunst? Sie träumte sich in elegante Kleidung und endlich Eintritt in jene verborgenen Kreise. Doch Madame Leopard fuhr schon fort.“ Jetzt träum’ nicht. Das ist unglaublich wichtig!“ Sie erhob ein wenig die Stimme, als spräche sie mit einem kleinen ungezogenen Kind. „Sie werden Dich nach Deinem Einkommen fragen. Sage ganz selbstbewusst 4000 Euros netto!“ Flüsternd fuhr sie fort: „Dann kommt die Frage nach Deiner Verdienstbescheinigung. Die hast Du natürlich nicht mit. Du lächelst sie selbstbewusst an und entgegnest: ‚Die schicke ich Ihnen per Post zu.’ Lass Dich bloss nicht verunsichern!“ Ob das klappen würde? Jana sah dem Unternehmen Reichtum mit einer gewissen Portion Misstrauen entgegen. Die riechen doch von weitem, dass ich nicht ihre Gestik habe und ihre Sprache spreche, stellte sie sich vor. „Und natürlich lass Dir im Bon Marché eine Stilberatung geben. Die kostet nur ca 350 Euros, ist aber ungeheuer sinnvoll. Geh zu einem Conseiller, einem Stilberater, und sag ihm, Du möchtest ein Coctailkleid. Er wird Dich akzeptieren, weil Du eine potentielle Kundin bist. Dann studiert er Deine Morphologie und wird Dir etwas empfehlen. Probiere es an und kaufe es aber nur, wenn es Dir wirklich gefällt.“ Jana schluckte. Diese Summe war enorm hoch für sie. Was würde dann dieses Coctailkleidchen erst kosten?
Es ist kein Wunder, dachte sie insgeheim, dass die Jugendlichen aus dem Norden von Paris Autos knacken. Oder, wie ihre Freundin während ihrer gemeinsamen Lehrzeit in den 80er Jahre ihr in Berlin damals vorschlug; „Hey Jana!“. „Wir machen uns ein super Mahl heute Abend.“ Die beiden hatten kaum Geld zum Einkaufen „Natascha“, spinn nicht rum!“, hatte Jana sie damals angefahren. „Na, komm runter von Deinem Ich-Arme-hab-kein-Geld-Trip! Wir klauen ein! Ich mach’ das regelmässig, sonst käme ich nicht über die Runden. Lass uns gleich losgehen.“Für Momente fühlte sich Jana in diesem Zeitsprung zurückversetzt. Nicht mehr in der Hemingway-Bar 2013, sondern 1988 in Berlin. In Moabit waren sie dann in den nächsten grossen Supermarkt gegangen. „Natascha, ich trau mich nicht.“ Jana war nicht sehr mutig in solchen Angelegenheiten. „Ach, lass mich mal machen!“ Grosspurig legte die Freundin los. Es verschwand ein teurer Braten in ihrem übergrossen Mantel. Gekonnt checkte Natascha alle Rotweine ab und griff einen sehr guten und teuren. „Käse fehlt noch. Welchen wolltest Du immer schon mal essen?“ Im Einkaufskorb blieben noch ein paar notwendige preiswerte Teile.
„Du braucht eine paar schicke schwarze Schuhe und natürlich - nicht zu vergessen - die Chanelltasche! Die ist ein must! Weisst Du, wo Chanell heute ist?“ Natürlich, Jana ging jeden Tag vorbei, wenn sie die Schulkinder im Schulhof gegenüber von Chanell beaufsichtigte und damit ein bisschen Geld verdiente. Meist trug sie etwas ältere, praktische Kleidung, damit sie sich mit ihnen auf den Boden setzen konnte. Hoffentlich werden die Türwärter von Chanell mich nicht wiedererkennen. Sie spielte gern mit den Kindern, aber dieser Job war nicht zum Vorzeigen. „Also, Du gehst bei Chanell rein.“ Madame Leopard spürte, das Jana abwesend war. „Hörst Du mir überhaupt noch zu? Das ist die Basis, die ich Dir jetzt erkläre.“
Natascha war an der Kasse angelangt. Jana wurde nervös. Sie fühlte sich nicht wirklich wohl in ihrer Haut. Plötzlich spürte sie, wie sie an den Armen gegriffen und zur Seite geschoben wurde. Sie sah Natascha, die neben ihr in eine Ecke geschubst wurde. „Diiiebe!“ schrie es durch den Supermarkt. Eine Sirene heulte auf. Eiskalte Blicke der anderen Kunden fühlte sie auf sich ruhen. Jana schämte sich. Sie wagte nicht, aufzusehen. Dann ging alles sehr schnell. Ein Polizeiwagen kam, sie wurden hinten hineingepfercht. und los geht’s! Wohin?
„Du lässt Dir Chanelltaschen zeigen. Frag bloss nicht nach dem Preis. Von dem Modell, das Dir gefällt, lässt Du Dir die Angaben geben und sagst, Du willst es Dir überlegen.“ Chanelltäschen..., Moment mal, ihre Freundin Shouponette, die waschechte Pariserin, hatte ihr gesagt, dass sie zwischen 2000 und 3000 Euros kosten. Aber das seien die Reinlasser in DIE Kreise. Es ist wie eine Uniform. „Janachen, sei nicht naiv, in diesen Kreisen will man nur Seinesgleichen haben. Andere bleiben draussen.“
Ist es das, was Jana sich unter Pariser Künstlerleben erträumt hatte?
Sie schaute auf ihre ungewollte Beraterin, kritisch und eindringlich: „ Reicht Dir das erstmal als Beratung? Junge Künstlerin, das ist alles umsonst für Dich“, schoss es ihr in die Ohren.
Sie hatte nichts gegen Chanelltäschchen, aber war nicht damals Kleidung ein Ausdruck von Freiheit, von Persönlichkeit?
Was war mit John Lennon’s „Imagine all the people“ ... eine andere Welt aufbauen? Make love not war... All ihre geliebten Künstler, Jim Morrison, hier in Paris auf dem Friedhof Père Lachaise. Er hatte aufgegeben. Wie passt das alles zusammen? Kunst – Uniformierung - Ruhm – Reichtum, Jana war irritiert, so sehr, dass sie es in ihrer Magengrube spürte. Es stieg ein Gequältsein in ihr hoch und mit einem Mal hasste sie das alles, die teure Hemingway-Bar, Francesca, die weiter Konversation betreiben wollte. Ihr wurde schwindelig.
„Entschuldige Francesca, ich habe Kopfschmerzen, meine Migräne.“ Genau, das war es! Migräne zieht immer. So etwas haben sie hier fast alle in Paris und schlucken ihre Beruhigungstabletten. Wut schoss in ihr hoch.. „Ich glaube, ich muss nach Hause gehen“ Sie steigerte sich so sehr hinein, dass sie kreidebleich wurde. „Oh, Jana, das passiert mir auch oft. Fahr nach Hause. Ich bestelle Dir ein Taxi.“ Mit Müh und Not gelang es der Malerin, sie vom Taxi-Vorhaben abzubringen. „Es geht schon wieder etwas besser. Ich nehme die U-Bahn. Ich wohne gleich neben der Station.“
Ihren Tee für 10 Euros bezahlend, beendete sie abrupt diesen Abend und verschwand in der nasskalten Nacht.
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Lesezeichen für In der Pariser Hemingway-Bar

Stichworte
ausländischer künstlerin, kunstvermarktung, paris

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