Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 13.02.2006, 20:00   #1
Samantha
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 1

Standard Die drei Pfade

Die drei Pfade

Das letzte Licht des Tages verblasste langsam, als Rhia eine Lichtung des vereisten Waldes erreichte, um dort innezuhalten. Schwache Sonnenstrahlen strichen über ihr Haar, liebkosten das ernste Gesicht, nur um schließlich von einer weißen Wolke ausgestoßnen Atems zerfasert zu werden und sich zurückzuziehen. Nichts desto trotz kehrten die kleinen Sonnenstrahlen immer wieder, ... wenn sie auch immer schwächer wurden. Der Moment ihres Sterbens lag nicht mehr fern. Rhia spürte es ... Rhia sah es ... Und beinahe hätte sie den Untergang des Lichtes mit frierenden Tränen beweint. Mit einem leisen Seufzer auf den Lippen blieb sie endlich gänzlich ruhig stehen, ganz so, als wolle sie mit ihrer Umgebung eins werden, Teil jener unberührten Reglosigkeit werden, um nie wieder fortzugehen ... Und nur die dunklen Bäume, deren Äste schwer am Eise und am Schnee trugen, schienen dem Mädchen Gesellschaft zu leisten. Gut vielleicht war auch noch der Wind einer ihrer Gefährten. Der Wind, welcher an ihren Gewändern riss und dessen kalt säuselnde Stimme sie zur Umkehr bewegen wollte. Aber Rhia würde nicht umkehren.

Ihren Gewändern war anzusehen, dass der Weg, der hinter ihr lag, weder ein leichter noch ein kurzer gewesen war und noch weniger ein angenehmer. Verblichen hob sich das Schwarz ihrer Gewänder vom Eise um sie herum ab, ... zerschlissen und spröde war der Stoff, dem nur noch wenig von seiner einstmals edlen Machart anzusehen war. Jetzt jedoch hing er mehr in Fetzen um den schlotternden, mager gewordnen Körper. Über und über waren besonders die Arme des blassen Mädchens, die es fest an seinen Leib presste, mit den Narben alter Wunden bedeckt. Und ebenso in ihren funkelnden Augen stand das Leid und der Ernst längst vergangner Tage ...

Was mochte dieses Mädchen suchen? Und was vermochte so kostbar zu sein, dass es einen solchen Weg und das Ertragen solcher schneidenden Kälte zu rechtfertigen vermochte?

Ein Zittern durchlief Rhias Leib, ... ein zartes Beben im Sturme. Dann erwachte sie zu neuem Leben und näherte sich Schritt für Schritt dem Zentrum der Lichtung, ... dem Auge des Sturmes und der Kälte. Der Weg erschien ewig, ... wie von einer Endlosigkeit gemacht, die nur in Hoffnungslosigkeit gipfeln konnte. Längst hatte eine Gänsehaut die Haut des Mädchens überzogen und lange schon hatte die sonst schon bleiche Hautfarbe einen ungesunden Stich ins Blaue bekommen. Rhia musste erbärmlich frieren, hatten sich doch auch schon in ihrem Haar Eiskristalle gesammelt. Die Vernunft hätte sie längst zur Umkehr zwingen müssen und dennoch tat sie’s nicht, war längst niedergerungen und erschlagen worden. Ein solch starker Wille trieb das Mädchen an, dass nicht einmal das eisigste Zerren des Sturmes sie in die Knie hätte zwingen können. Erschöpft und verlassen mochte sie sein, doch nicht kraftlos ...

Und so begegnete Rhia am ganzen Körper bebend der ersten Tochter des Eises, welche auf den Pfaden endlosen Weißes erschien, sie von ihrem Wege abzubringen. Schön war die Eisprinzessin und ihre Augen glitzerten wie die Sterne am Himmel, denn dunkel war es geworden und die Nacht hüllte die beiden Gestalten in ihre kühle Umarmung. Das Sternenlicht ließ Beide unwirklich und sogar etwas durchscheinend erscheinen und unwirklich war fürwahr, was sich dort abspielte am Rande jeder Realität und in den Abgründen der menschlichen Wahrnehmung. Müde blinzelte Rhia, doch die Gestalt blieb, wo sie war ... Schneeweiß glomm das Haar der Eisprinzessin, welches unglaublich sanft um die Züge des herrlichen Geschöpfes wogte. Weder Kälte noch Sturm vermochten sie zu streifen, nein, ganz im Gegenteil, um sie herum schienen beide Urgewalten zu verstummen, als wollten sie das ihnen gegebne Eiskind nicht einmal berühren, war es doch zarter noch als das dünnste Glas. Und trotz allem war die Tochter des Eises kalt und die Seele eines jeden musste erfrieren, so er sie erblickte.

Auch das weitgewanderte Mädchen blieb stehen, innehaltend auf ihrem Wege. Zunächst musterte sie die Eisprinzessin stumm wie eine alte Bekannte, weder freundlich noch hasserfüllt. Gleichgültigkeit war alles, was sie imstande war der überirdischen Gestalt entgegenzubringen. Langsam öffnete sich dann Rhias Mund, ja langsam und wie unter großer Anstrengung, um zu sprechen. Obschon kaum mehr als ein Krächzen ihre zitternden Lippen verließ, lag in jedem ihrer Worte noch Kraft.

„Sag mir, Tochter des Eises, wer bist du?“

„Jene bin ich, die man Imanya nennt, kleines Kind des Lichtes, das du weit gewandert bist, um in unsere Welt einzukehren. Und obschon du so weit gekommen bist und nichts dich zur Umkehr bewegen zu können scheint, erschien ich nun, um dich zu warnen. Kehre um, Kind des Lichtes, kehre um, denn was du suchst, wirst du hier nicht finden ... Verloren ist längst, was du so liebtest ... Kehre um, Kind des Lichtes, kehre um, denn was du so sehr suchst, findest du hier nicht!“, erwiderte die Eisprinzessin. Ihre Stimme war sanft, so unendlich sanft, ... gar verführerisch, dennoch klirrte in ihr das Eis einsamer Winternächte, und Rhia erschauderte. Die Macht, welche jenes Geschöpf des Eises förmlich verströmte, drang in sie ein und breitete sich aus, bis sie beinah jeden Winkel des Mädchens eingenommen hatte. Es war ein Taumel zwischen dem Wachsein und der schwarzen Ohnmacht, welche ihre Klauen nach Rhias Bewusstsein ausstreckte. Und irgendwie, ja irgendwie wollte sich das Mädchen auch nicht dagegen wehren ..., doch der Gedanke an ihr nahes Ziel zwang sie zu kämpfen ... Einen Moment lang taumelte Rhia, ... sie blinzelte, um das Trübe aus ihren Augensternen zu treiben. Vereinzelte Tränen traten in ihre Augen, nur um sogleich zu erfrieren und fürchterlich zu brennen.
„Kehre um, Kind des Lichtes, ehe es zu spät ist! Du wirst nicht finden, was du suchst im Eise der drei Schwestern! Hier gibt es nichts für dich, ... nur den Tod vermagst du hier zu finden“, versuchte es die Eisprinzessin noch einmal, doch nun gelang es ihr nicht mehr, Besitz vom Geiste des Mädchens zu ergreifen oder ihn zumindest in schmeichelhafte Nebel zu hüllen ...

„Schweig still, Tochter des Eises, ich werde jene finden, die ich suche ...!“ Aufflammende Wut gab Rhias Stimme wieder etwas mehr Kraft und als führte sie eine Waffe, schlug das bleiche Mädchen nach Immanya, ... schlug durch sie hindurch. Ein letztes Mal glommen die Augen der Eisprinzessin auf, dann schwand sie mehr und mehr und gleichsam ihres Schwindens erwachte das Heulen des Sturmes um sie herum wieder, stärker als je zuvor ... Und jede Böe, jedes Heulen und Wispern des Sturmes schien nur die eine Botschaft zu tragen: Kehre um!

Leise wimmernd kämpfte sie sich Schritt für Schritt weiter durch die Nacht und Schneeflocken bissen in ihre Augen, ... rissen ihre Lippen blutig und vereinten sich zu weißen Wirbeln, welche auf das Mädchen hernieder brachen wie die brodelnden Wellen des Meeres. Kaum noch drang das Licht der Sterne zu ihr durch ... es war schrecklich finster, trostlos kalt und hoffnungslos. Kurz schloss sie die Augen. Einen Augenblick später sank sie auf die Knie hinab und ihr Kopf, der in Flammen zu stehen schien, sank in den kniehohen Schnee. Kälte strömte in jede Pore ihres Leibes und ihre in Fetzen hängenden Kleider klebten nass auf ihrer Haut, scheuernd ... schmerzend ... und das bei jeder Bewegung, denn noch war sie nicht gewillt aufzugeben. Einige Meter vor sich musste das Ziel ihrer langen Reise ruhen, ... jetzt durfte sie nicht einfach liegen bleiben. Hustend kroch sie auf allen vieren weiter, verlor einen ihrer Handschuhe, was sie nicht mehr zu kümmern schien, denn sie suchte ihn nicht einmal mehr. Eigentlich glaubte sie auch nicht mehr, dass sie ihn noch einmal brauchen würde ...

In jenem Moment, da sie sich auf allen vieren durch den Schnee und all das Eis kämpfe, schon halb taub gefroren, da legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Ganz leicht war sie und zart wie eine Feder ... Eine Zweite gesellte sich zur Ersten und kurz darauf umschlangen zwei Arme ihre Taille und zogen sie aus dem Schnee. Teilnahmslos ließ Rhia es geschehen, ... ehe ein Zucken durch ihren Körper rann und sie regelrecht aufschreckte. Mit weit aufgerissnen Augen starrte sie in das strahlende Gesicht derjenigen, die sie gerettet hatte. Zunächst begriff sie nicht, ... spürte auch nichts, rein gar nichts ...

„Fürchte dich nicht, denn ich bin Rhanwen, die zweite Tochter des Eises und bin gekommen, dich zurückzubringen ...“, säuselte eine Frauenstimme nahe an ihrem Ohr, ... klirrend vor Kälte und doch so grenzenlos faszinierend ...

„Nein ... nein ...“, brach ein schwaches Flüstern aus Rhias Kehle und sie schluckte unter Schmerzen. Fast erschien es ihr wie ein Frevel der guten Frau zu widersprechen, ... doch ihre Kehle gehorchte ihr nicht mehr und auch ihr Kopf wagte ein selbstständiges Kopfschütteln, während ihre Hände versuchten die der zweiten Eisprinzessin abzustreifen... – erfolglos.

„Bedenke, mein liebes Kind des Lichtes, dies ist deine letzte Chance noch umzukehren ... Lässt du sie verstreichen, so erwartet dich nur noch der Tod ... und nicht jene, die du suchtest, denn sie wählte das ewige Eis für sich! Du kannst nichts mehr retten, denn sie gehört nun uns! Sieh es ein, kleines Mädchen, du hast sie verloren. Lass mich dich heimbringen und du wirst sehen, dass alles besser sein wird für dich, Kind des Lichtes! Hierher gehörst du nicht!“

Es fehlte nicht mehr viel und Rhia wäre dem Locken Rhanwens erlegen, doch als diese ihr über die Wange strich und ein grauenhafter Schauer düsterster Kälte sie durchströmte, da schüttelte sie den Kopf.
„Es gibt kein Heim, zu dem du mich bringen könntest und auch kein Feuer mehr, das mich wärmen könnte! Scher dich fort, denn deine Angebote sind nichts weiter als leere Versprechungen für einen Körper, dem du das Herz herausreißen würdest!“

Ein hässliches Zischen verließ die sinnlichen Lippen der zweiten Tochter des Eises und ohne Vorwarnung stieß sie das bleiche Mädchen in ihren Armen wieder zu Boden, wo Rhia haltlos einige Meter durch den Schnee rollte und dann reglos liegen blieb ... Ein röchelnder Atemzug verließ ihren Mund, ... dann noch einer und noch einer... Ihr Brustkorb erbebte und ihre Lungen drohten unter jedem weiteren Atemzug zu bersten. Dennoch robbte sie ein Stück weiter, um ihre rechte, bebende Hand weit auszustrecken, ... im Schnee tastend, bis ihre Fingerspitzen etwas berührten, das eindeutig kein Schnee war, wenn es auch genau so kalt zu sein schien. Keuchend schleppte sie ihren Körper noch ein Stück voran. Nur noch ein Stückchen, ... ein kleines Stückchen ... Dann verstummte der Wind und ebenso das Tosen des Schneesturms ... Das Zentrum der Lichtung war erreicht, das Herz der Kälte lag pochend vor ihr.

Da war Sie, die Eine, die sie gesucht hatte und lag da wie tot. Mit einem leisen Schluchzer, der die unheimliche Stille durchbrach, kniete sich Rhia neben sie und suchte nach ihrer Hand. Kalt und starr waren ihre Finger und das weitgewanderte Mädchen legte ihre Hand in die erstarrte Hand der Gesuchten.

„Elen ...“, wisperte sie und sie tat es nur ein einziges Mal, denn zu mehr reichte ihre Kraft nicht mehr. Nichts hätte sie mehr ersehnt, als eine Antwort von den blassen Lippen oder ein Blinzeln der geschlossnen Augen, über die ihr Blick streifte. Schön und still lag Elen vor ihr, das Gesicht zu einem Abbild des Friedens entspannt ... Doch auch sie war kalt und ihre Lippen deuteten nicht einmal ein Lächeln an. Ein weitrer Schluchzer ließ Rhia erbeben. Alles, was sie ersehnt hatte, ruhte vor ihr, doch erschien es ihr grenzenlos tot ... Eine Träne rann an ihrer Wange hinab und tropfte von dieser auf die Stirn Elens hinab, um nach einem kurzen Lauf auf der weißen Haut zu gefriern. Wie eine einsame Blume erblühte die Träne auf der Stirn der Schlafenden ... und es war die einzige Eisblume, welche ihren Körper küsste, denn keine andere hatte es gewagt den Leib Elens auch nur anzutasten. Zwar ruhte diese auf einem Bett von Schnee und Eis, doch hatte dieses nicht gewagt sie weiter zu berühren oder gar einzuschließen.

„Da liegt sie nun ... das Ziel deiner langen Suche. Sag hast du es dir so vorgestellt? Hast du wirklich geglaubt, du könntest sie aus der Klaue des Eises befreien? Du törichte Närrin, nun wirst du sterben und eine Ewigkeit neben ihr auf ihrem Totenbette ruhen! Es war ihr Wunsch herzukommen und ihr Wille, dass der Schnee ihr Leid küsste ... Sie wird nicht mehr aufwachen wollen, um sich fortbringen zu lassen. Warum hast du dir das alles angetan und bist nicht umgekehrt, als du noch die Kraft dazu hattest?“, durchschnitt eine Frauenstimme das Schweigen.

Sehr sehr langsam hob Rhia den Kopf und Tränen rann ihre Wangen hinab. Ohne Furcht blickte sie ins Gesicht der dritten Schwester, während die Tränen auf ihren Wangen zu Eiskristallen froren und tiefer ins Fleisch des Mädchens schnitten.

„Weil ... ich sie liebe ...“, flüsterte sie leise und sank dann auf Elens Körper hinab. Ihre letzte Träne tropfte hinab und hauchte einen Kuss auf die Lippen der Gesuchten ...

Sie war daheim ...
Samantha ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Die drei Pfade




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.