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Alt 08.05.2021, 23:57   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Gespräch auf einer Bank im Park

Boston, Ende der 70er Jahre

„Kannst du dich noch erinnern? Sammy hieß er, nein, ich glaube, er hieß anders, aber jedenfalls nannten ihn alle so. War ein nettes kleines Kerlchen, soweit ich mich erinnere, und was ist ein paar Jahre später aus ihm geworden?“ Der alte Mann seufzte.
„Hat seine Großmutter umgebracht, nicht wahr?“, fragte der andere alte Mann, der neben ihm auf der Parkbank saß, und der erste nickte.
„Hat sie einfach abgemurkst, mit dem Messer erstochen, und für was? Für ein paar Dollar, für ein paar läppische Dollar. War wohl drogensüchtig, und nicht mehr Herr seiner Sinne. Wie kann man sonst seine eigene Großmutter abstechen? Sie haben ihn gehängt, oder?“
„Nein, sie haben ihn ja gar nicht gekriegt." Der erste schaute in den Himmel, der azurblau über ihnen beiden und der Parkbank hing. „Er ist abgehauen, niemand hat ihn je wieder gesehen."
„Vielleicht war er es gar nicht", sinnierte der andere, „vielleicht wurde sie von einem ganz anderen umgebracht? Welche Beweise gab es?"
„Keine", sagte der erste, „es gab keine Beweise. Jedenfalls keine richtigen. Aber der Junge war drogensüchtig und hat Geld für die Drogen gebraucht und ist nach dem Mord abgehauen, also hatte er doch ein Motiv? Und Fingerabdrücke von ihm haben sie doch damals auch gefunden."
„Fingerabdrücke, das war ein Beweis? Ich meine, es war seine Großmutter, da wird er öfters bei ihr gewesen sein? Wieso sind da Fingerabdrücke ein Beweis?"
„Das habe ich auch gedacht damals", sagte der erste wieder, „wieso ist das ein Beweis? Aber es hat gereicht, dass er abgehauen ist, damit hat er sich verdächtig gemacht."
„Ja, aber...", der andere fing an zu kichern, „wenn er sich gestellt hätte und seine Unschuld bewiesen hätte, wäre alles in Ordnung gewesen. Stattdessen ist er jetzt seit über 40 Jahren auf der Flucht. 40 Jahre auf der Flucht, ist das nicht lächerlich?"
„Wenn er noch lebt", sagte der erste, „wenn er noch lebt. Das kann niemand wissen, ob er noch lebt."
„Der Polizeipräsident damals hatte keine Ahnung", platzte der andere mit seiner Meinung heraus. „Er war neu in seinem Job, ganz frisch und hatte noch keine Erfahrung."
„Ach hör doch auf", sagte der erste, „er hat völlig versagt, da beißt die Maus keinen Faden ab. Willst du das etwa bestreiten?"
„Ich will gar nichts bestreiten", sagte der andere, „da ist viel schief gelaufen."
Und dann schwiegen beide und schauten in den Himmel, der anfing, sich von azurblau in weiß zu verfärben.
„Bald wird die Sonne untergehen", bemerkte der einer, und der andere stimmte ihm zu.
„Ja, bald wird die Sonne untergehen."
Danach warteten sie, bis es dunkel wurde und als die Nacht endlich da war und am Himmel die Sterne funkelten, verabschiedeten sich der Polizeikommissar a. D. und derjenige, den in seiner Jugend alle Sammy genannt hatten, voneinander.
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Alt 09.05.2021, 13:25   #2
weiblich Ilka-Maria
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Liebe Silbermöwe,

schön, dass du dich mal wieder an einen kurzen Prosatext herangetraut hast, offensichtlich eine plötzliche Idee, die du festhalten wolltest. Für mich hat sie jedenfalls ein bisschen den Charakter einer Anekdote.

Ein paar Tipps zum Stil:

Der Wechsel von „der eine“ zu „der andere“ ist für den Leser auf Dauer ermüdend. Hier hilft der Trick, den Protagonisten ein Attribut zuzuschreiben, z.B. dem einen Mann einen Bart, dem anderen eine Glatze. Dann könnte man sie als den „Bärtigen“ und den „Kahlköpfigen“ bezeichnen. Außerdem bekämen die Figuren mehr Charakter.

Bei Wechseldialogen braucht man den Sprecher nicht ständig wieder zu nennen, solange eindeutig ist, dass der eine etwas sagt und der andere darauf erwidert. Erst wenn ein Irrtum, wer gerade spricht, nicht mehr ausgeschlossen werden kann, erwähnt man den Sprechenden wieder mit Namen oder in seiner Funktion.

„Seine eigene Großmutter …“: Überflüssig, da Doppelung. Entweder „… seine Großmutter …“ oder „… die eigene Großmutter …“.

„Der erste schaute in den Himmel, der azurblau über ihnen beiden und der Parkbank hing“: Hier hätte „.. schaute in den azurblauen Himmel … völlig genügt.

Von der Logik her habe ich ein paar Probleme mit dem Text:

Der drogenabhängige vermeintliche Mörder ist seit vierzig Jahren auf der Flucht, müsste also zur Tatzeit noch relativ jung gewesen sein. Der Polizeipräsident muss also, wenn er für diesen Posten die Reife hatte, erheblich älter gewesen sein. Ihm „keine Ahnung“ zu unterstellen , ist unglaubwürdig, denn ohne Berufserfahrung wird man kaum Polizeipräsident. Auch dürfte er sich nicht persönlich mit den Ermittlungen befassen, sondern dies der Mordkommission überlassen bzw., da die Story offensichtlich in den U.S.A. angesiedelt ist, dem Department of Justice Homicide. Am Ende der Geschichte wird er auch tatsächlich als Kommissar bezeichnet, das wäre also eine Degradierung. Vielleicht ist aber gemeint, dass der Polizeipräsident nur die Oberaufsicht wahrgenommen hat, das geht aber aus der Geschichte nicht klar hervor.

Deshalb passt die Pointe nicht so recht, obwohl ich schon sehr früh eine Ahnung bekam, dass die Story genau darauf hinauslaufen würde. Sie ist auch nicht glaubwürdig, denn meines Wissens gibt es in den U.S.A. keine Verjährung für Mord. Statt mit Sammy auf der Bank zu sitzen, hätte der Officer of Homicide ihn einbuchten lassen müssen.

Vielleicht magst du die Geschichte ja nochmal überarbeiten.

VG
Ilka
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Alt 09.05.2021, 16:18   #3
männlich dr.Frankenstein
 
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Ich fand s interessant, obwohl das Ende auch hätte weggelassen sein könnte. So als Rätzel für den Leser. Das is ja wichtig bei guten Kurzgeschichten, sich zu denken: "Hm vielleicht war das ja der Typ?"
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.05.2021, 23:51   #4
männlich Ex-Ralfchen
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eigentlich schade, denn das thema ist extrem geeignet für einen spannenden text. schade dass Silbermöwe das nicht richtig hinkriegen konnte. ich denke, das wird sich bei ihr nicht mehr ändern. Ilka hat das mit sehr viel Geduld analysiert. und jeder Punkt der kritik stimmt.
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.05.2021, 00:21   #5
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Ralfchen Beitrag anzeigen
eigentlich schade, denn das thema ist extrem geeignet für einen spannenden text.
Wo ist das Problem? Einen Text kann man bearbeiten. Jeder erfahrene Autor weiß, dass damit die Arbeit erst richtig beginnt. Meinen letzten Roman habe ich bestimmt an die dreißig- bis vierzigmal nachbearbeitet.

Wesentlich ist doch, dass man die Grundidee erst einmal festgehalten hat. Das ist sogar eminent wichtig. Mir gehen täglich mindestens zehn Ideen für Geschichten oder Gedichte durch den Kopf, und dann ärgere ich mich jedesmal, nichts zum Schreiben dabei zu haben. Nach fünf Minuten ist das Vögelchen nämlich auf und davon.
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Alt 10.05.2021, 06:45   #6
weiblich DieSilbermöwe
 
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Liebe Ilka,

vielen Dank für deine ausführliche Kritik!

Zitat:
Der Wechsel von „der eine“ zu „der andere“ ist für den Leser auf Dauer ermüdend. Hier hilft der Trick, den Protagonisten ein Attribut zuzuschreiben, z.B. dem einen Mann einen Bart, dem anderen eine Glatze. Dann könnte man sie als den „Bärtigen“ und den „Kahlköpfigen“ bezeichnen. Außerdem bekämen die Figuren mehr Charakter.
Das ist ein sehr guter Tipp.

Zitat:
Der drogenabhängige vermeintliche Mörder ist seit vierzig Jahren auf der Flucht, müsste also zur Tatzeit noch relativ jung gewesen sein. Der Polizeipräsident muss also, wenn er für diesen Posten die Reife hatte, erheblich älter gewesen sein.
Upps, stimmt. Ist mir tatsächlich nicht aufgefallen.

Zitat:
da die Story offensichtlich in den U.S.A. angesiedelt ist, dem Department of Justice Homicide. Am Ende der Geschichte wird er auch tatsächlich als Kommissar bezeichnet, das wäre also eine Degradierung. Vielleicht ist aber gemeint, dass der Polizeipräsident nur die Oberaufsicht wahrgenommen hat, das geht aber aus der Geschichte nicht klar hervor.
Ich hatte die USA als Schauplatz gewählt, weil in Boston erst in den 80er Jahren die Todesstrafe abgeschafft wurde (wegen des Satzes „Sie haben ihn gehängt, oder").
Polizeikommissar a. D. sollte außer Dienst bedeuten, bzw. im Ruhestand (später fiel mir ein, ich hätte vielleicht Kommissar i. R. schreiben können).
Aber das mit der Degradierung, weil er den Fall nicht gelöst hat, ist eine gute Idee, danke für den Hinweis.

Es war tatsächlich eine plötzliche Idee, die mich geradezu überfiel, und damit sie nicht verloren geht, habe ich sie so schnell wie möglich aufgeschrieben. Gut erkannt Natürlich kann ich sie - mit den hilfreichen Tipps-noch besser nachbearbeiten.

Zitat:
.Statt mit Sammy auf der Bank zu sitzen, hätte der Officer of Homicide ihn einbuchten lassen müssen.
Da könnte man ein völlig anderes Ende draus machen...

LG DieSilbermöwe

Hallo Frankie,

danke für deinen Kommentar und dein Interesse!

Zitat:
. Ich fand s interessant, obwohl das Ende auch hätte weggelassen sein könnte. So als Rätzel für den Leser. Das is ja wichtig bei guten Kurzgeschichten, sich zu denken: "Hm vielleicht war das ja der Typ?"
Interessante Überlegung, aber mir fiel der Schluss zuerst ein und ich habe auf den Schluss hin geschrieben.

LG DieSilbermöwe
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Alt 10.05.2021, 08:13   #7
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Da könnte man ein völlig anderes Ende draus machen...
Auf jeden Fall!

Aber auch den Anfang könnte man intensiver gestalten.

Man könnte die Geschichte so konstruieren, als seien sich die beiden Herren erstmals begegnet und ins Gespräch gekommen. Dabei tauschen sie sich über die Vergangenheit aus. Sie erkennen Parallelen in ihrem Lebenslauf.

Allmählich taucht in dem Kommissar der Verdacht auf, mit wem er es zu tun hat.

Von einer Degradierung eines Polizeipräsidenten würde ich absehen. Es ist nicht die Aufgabe in einer solchen Funktion, selbst zu ermitteln. Das macht der Kommissar mit seinen Mitarbeitern, der dem Präsidenten berichtspflichtig ist. Anders gesagt: Der PP trägt zwar die Verantwortung, die Arbeit machen aber andere.

Vielleicht könntest du eher etwas Psychologie in die Geschichte bringen, indem du den Kommissar, der einst als äußerst erfolgreich galt, auch im Ruhestand noch daran leiden lässt, ausgerechnet diesen Fall nicht gelöst zu haben (die getötete alte Frau könnte ihm nahegestanden haben, z.B. die Mutter eines seiner besten Freunde oder eine ehemalige Lehrerin gewesen sein).

Altersunterschiede beachten!

So plottet man eine Geschichte: Ideen sammeln, und zwar alles, was einem in den Kopf kommt. Nichts vorsortieren, auch wenn sich logische Fehler einschleichen. Das merkt man später beim Aufbau der Geschichte, und oft merken es auch die ersten Leser.

Und beim Schreiben immer schön nach dem Muster vorgehen: Prämisse - Synopsys bzw. Exposé - Story.

Übrigens: Wenn du Boston als Schauplatz gewählt hast, könntest du die Parkbank im Boston Common (ein öffentlicher Park) ansiedeln. Das gäbe der Story ein bisschen Lokalkolorit. Außerdem strotzt die Stadt vor Geschichte, da kann man einen schönen Aufhänger zu einem Gespräch über vergangene Geschehnisse finden.
https://9gag.com/gag/a8Ey901
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Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.05.2021, 12:52   #8
weiblich DieSilbermöwe
 
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Zitat:
.Man könnte die Geschichte so konstruieren, als seien sich die beiden Herren erstmals begegnet und ins Gespräch gekommen. Dabei tauschen sie sich über die Vergangenheit aus. Sie erkennen Parallelen in ihrem Lebenslauf.
Daran dachte ich, seit ich deine Kritik gelesen hatte, auch schon. Erstaunlich, wie ein so kurzer Text zum Experimentieren bzw. Weiterentwickeln einlädt...

LG DieSilbermöwe
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