Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 20.09.2011, 21:34   #1
weiblich DarkSide
 
Dabei seit: 09/2011
Ort: Berlin
Alter: 28
Beiträge: 1

Standard 018536 ("Furcht und Elend d. dritten Reichs")

Dieser Text bezieht sich auf die Szene (bzw. das Geschehen VOR der Szene) „Berufskrankheit“ in Bertolt Brechts Stück „Furcht und Elend des dritten Reichs“ und ist von mir vollkommen frei erfunden, beruht also auch nicht auf einer wahren Begebenheit.


018536

„Schneller! Wird’s bald?“, die scharfe Stimme des Aufsehers lässt die Arbeiter ihre Schaufeln fester packen. Sie sind dabei, eine große Grube auszuheben. Die Luft ist von dem Schweißgeruch der ausgehungerten und erschöpften Arbeiter erfüllt.
Sobald einer der Arbeiter kurz innehält, um zu verschnaufen, bevor er sich wieder an die mühselige Arbeit macht, erklingt die Stimme des Aufsehers.
Arbeiter Nr. 018536 scheint besonders erschöpft zu sein. Es fällt ihm immer schwerer, die Schaufel wieder aus der Erde zu ziehen. Sein Blick fällt auf sein blutverkrusteten, schwarzen Hände. Die Zeiten, in denen seine Hände noch sauber und gepflegt waren, liegen weit zurück. Die Erinnerung an sein früheres Leben taucht wieder auf und macht ihm das Atmen noch schwerer. „Na los, 018536, ich glaube wohl du brauchst Hilfe?“ Der Aufseher kommt auf ihn zu, holt mit seinem Stock aus,- „NEIN! Bitte nicht! Ich werde mich mehr anstrengen!“, fleht Nr. 018536 den Aufseher an. Er bemerkt, wie alle um ihn herum noch eifriger schaufeln und zu Boden schauen, als würden sie hoffen, darin zu versinken und bloß nicht bemerkt zu werden.
„WIE? Du niederträchtiges Tier erlaubst es dir, mich um etwas zu bitten?“ So schnell, dass Nr. 018536 sich nicht einmal mehr ducken kann, saust der Stock auf ihn nieder. Er trifft ihn so hart in der Lendengegend, dass er straucheln muss und sich nicht mehr auf seinen abgemagerten Beinen halten kann. Ein furchtbarer Schmerz lodert in seinem Bauch auf. Ein Teil seines Bewusstseins registriert gerade noch, dass der Schmerz daher rührt, dass er auf seine Schaufel gefallen ist, da wird er auch schon ohnmächtig.

„Papa!“, Anna kommt auf ihren Vater zugerannt und wirft sich ihm in seine ausgebreiteten Arme. „Na, meine Kleine? Du bist ja ordentlich gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe!“ Gerhard Lenz stellt seine Aktentasche zur Seite und hängt seinen Mantel auf.
„Meine Süße, Papa wird in nächster Zeit öfter hier sein!“ Er muss daran denken, dass es zu gefährlich sein wird, sich weiter in der Öffentlichkeit mit seinen Parteigenossen zu treffen.
„Schön!“ Seine Tochter greift nach seiner Hand und zieht ihn hinter sich her ins Haus.


Langsam kommt der Arbeiter Nr. 018536 wieder zu sich. Doch als er versucht, sich auf seine dünnen Arme zu stützen, um sich aufzurichten, spürt er den schweren Stiefel des Aufsehers auf seinem Rücken, der ihn zu Boden drückt. „Hab ich dir erlaubt, dich hinzulegen? HAB ICH ES DIR ERLAUBT?“ „Nein“, krächzt Nr. 018536 mit letzter Kraft.
Mittlerweile tut ihm alles weh. Unter den grausamen Schmerzen nimmt er alles nur noch wie durch einen Schleier war. Er hört gerade noch, wie der Aufseher zu den anderen Arbeitern sagt: „ Na los! Ihr beide da! Bringt ihn ins Lager! Er soll in den nächsten Transport nach Berlin! Schon wieder einer, der zu blöde zum Arbeiten war und einen Unfall hatte!“
DarkSide ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.09.2011, 21:45   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998


Halli Hallo und willkommen!


Ein sehr strenger Text.
Mir fiel auf, daß er (in meinen Augen) völlig fehlerfrei ist.
Persönlich hätte ich ihn mir noch verknappter gewünscht.
Aber er ist eine r e i f e Leistung.
Fast möchte ich Dir Deine nur 15 Jahre nicht glauben.

Große Anerkennung
von
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2011, 23:40   #3
weiblich FeelLetter
 
Dabei seit: 08/2010
Ort: zwischen Grashalm und Teer
Beiträge: 278


Ich schließe mich Thing an.
Besonders (be-)drückend finde ich den kursiven Textabschnitt.
Was ich noch anmerken würde, ist die Erzählperspektive. Interessant finde ich diesen Satz:
Zitat:
Arbeiter Nr. 018536 scheint besonders erschöpft zu sein.
Ich würde mich daran festhalten, an diesem beobachtenden, etwas abseits stehenden und fast neugierig spähenden Erzähler. Dadurch wird der Ton vielleicht noch etwas nüchterner, was ich passend fände.
Zitat:
Mittlerweile tut ihm alles weh. Unter den grausamen Schmerzen nimmt er alles nur noch wie durch einen Schleier war.
Diese Formulierungen würden mit der durchgezogenen Erzählperspektive wegfallen, sie mögen mir nicht ganz gefallen. Spannender wäre der Blick des Erzählers von außen, wie er den Schmerz des Arbeiters aus seiner Distanz wahrnimmt, durch die Körperhaltung, durch den Ton seiner Stimme etc. Und auch der kursive Textabschnitt wäre noch mehr betont. Die Persönlichkeit und Tragik.

Sind nur spontane Ideen...
FeelLetter ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für 018536 ("Furcht und Elend d. dritten Reichs")

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche


Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Primo Levi oder " Ecce Homo " Thing Düstere Welten und Abgründiges 13 26.12.2015 20:35
"Nadelkissen" oder "die französische Heldin" Tanais Gefühlte Momente und Emotionen 7 20.03.2015 23:27
Das kleine Land oder "Carna Plumpa" Lux Zeitgeschehen und Gesellschaft 11 09.12.2010 15:23
[HILFE] Suche Geschichte über "Der grösste aller Schätze" johnbello Schreibwerkstatt / Hilfe 4 14.06.2010 19:19
"Himmel der Hoffnung" oder "Zufluchtsort" Sehnsucht Gefühlte Momente und Emotionen 0 03.05.2009 13:28


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.